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Von den Pflichten: Standardwerk antiker Ethik

De officiis

AutorMarcus Tullius Cicero
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9788026870470
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Von den Pflichten: Standardwerk antiker Ethik' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Von den Pflichten ist ein philosophisches Spätwerk Marcus Tullius Ciceros. Es wurde im Jahr 44 v. Chr. geschrieben und ist eines der Standardwerke antiker Ethik. In ihm werden kurzgefasst die Pflichten des täglichen Lebens behandelt, insbesondere die eines Staatsmannes. Mit officium hat Cicero das griechische ??????? (kath?kon) wiedergegeben, was so viel wie das einem Zukommende und im technischen Sinne die Pflicht bedeutet. De officiis ist in Briefform an Ciceros Sohn Marcus geschrieben und nicht wie viele von Ciceros philosophischen Schriften in Dialogform verfasst. Das Werk besteht aus drei Büchern, wobei das erste das ehrenhafte Verhalten behandelt, das zweite die für den Menschen nützlichen Pflichten und das dritte Buch Situationen nennt, in denen diese miteinander in Konflikt geraten können. Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr. - ? 43 v. Chr.) war ein römischer Politiker, Anwalt, Schriftsteller und Philosoph, der berühmteste Redner Roms und Konsul im Jahr 63 v. Chr.

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Leseprobe

Erstes Buch


Inhaltsverzeichnis


I. 1. Es ist bereits ein Jahr, mein lieber Marcus 55, daß du den Kratippus 56 hörst, und dieß zu Athen. Bei dem großen Ansehen eines solchen Lehrers, welcher dich mit wissenschaftlichen Kenntnissen bereichern kann, und einer solchen Stadt, welche dir viele aufmunternde Beispiele 57 bietet, kann es nicht fehlen, daß du dir schon eine reichliche Fülle von Lehren und Grundsätzen der Philosophie angeeignet hast. Allein sowie ich selbst zu meinem Nutzen immer mit dem Griechischen das Lateinische verbunden und dieß nicht nur in der Philosophie, sondern auch bei den Redeübungen gethan habe; so glaube ich dir dasselbe Verfahren anrathen zu müssen, damit du in beiden Sprachen eine gleiche Gewandtheit erreichest. Hierzu habe ich, wie mich dünkt, unseren Landsleuten ein wichtiges Hülfsmittel verschafft, wodurch nicht nur die der Griechischen Litteratur Unkundigen, sondern auch die Gelehrten im Reden wie im Urtheilen nicht wenig gefördert zu sein meinen.

2. Deßhalb lerne du von dem größten Philosophen unserer Zeit, und lerne, so lange du Lust hast; so lange aber mußt du Lust haben, als du mit deinen Fortschritten nicht unzufrieden bist. Beim Lesen meiner Schriften aber, die nicht sehr von den Ansichten der Peripatetiker abweichen, weil wir ja beiderseits 58 Sokratiker und Platoniker sein wollen, magst du dich in Betreff der Sachen selbst deines eigenen Urtheiles bedienen, – daran hindere ich dich durchaus nicht; – dem Lateinischen Ausdrucke aber wirst du durch Lesung meiner Schriften fürwahr eine größere Fülle verleihen. Nicht aber möge man diese Worte für eine anmaßende Aeußerung halten. Denn die Wissenschaft des Philosophirens räume ich gern Vielen ein; wenn ich aber das, was dem Redner eigentümlich ist, den angemessenen, deutlichen und geschmückten Ausdruck, mir zueigne, weil ich in diesem Studium meine Lebenszeit zugebracht habe; so glaube ich dieses gewissermaßen mit meinem Rechte für mich in Anspruch nehmen zu dürfen.

3. Deßhalb fordere ich dich, mein Cicero, dringend auf nicht allein meine Reden, sondern auch diese meine philosophischen Schriften, die schon jenen an Zahl fast gleichkommen 59, fleißig zu lesen. Allerdings herrscht in jenen eine größere Kraft der Beredsamkeit; aber auch diesen gleichmäßigen und gelassenen Vortrag muß man sorgfältig ausbilden. Und, so viel ich weiß, ist es noch keinem der Griechen bis jetzt gelungen in beiden Gattungen der Rede zugleich mit Glück zu arbeiten und sowol die Sprache der gerichtlichen Beredsamkeit als die der ruhigen wissenschaftlichen Erörterung zu handhaben; es müßte denn sein, daß sich Demetrius von Phalerus 60 zu dieser Klasse rechnen lasse, ein scharfsinniger Denker, aber als Redner zu wenig feuerig, doch anmuthig, so daß man in ihm den Schüler des Theophrastus 61 wiederfinden kann. Wie viel ich in beiden Gattungen geleistet habe, mögen Andere beurtheilen; so viel ist gewiß, daß ich mich mit beiden eifrig beschäftigt habe. 4. Allerdings bin ich der Ansicht, daß einerseits Plato 62, wenn er sich auf die gerichtliche Beredsamkeit hätte legen wollen, mit der größten Würde und Fülle hätte reden können, andererseits Demosthenes 63, wenn er das von Plato Erlernte fortgetrieben und es vorzutragen Neigung gehabt hätte, dieß mit Schmuck und Glanz hätte thun können. Und auf ebendieselbe Weise urtheile ich über Aristoteles 64 und Isokrates 65, von denen jeder, von seiner Wissenschaft angezogen, sich um die des Anderen nicht bekümmerte.

II. Da ich mir nun vorgenommen hatte gegenwärtig Etwas, später Vieles für dich niederzuschreiben und dir zu widmen, so wollte ich am Liebsten mit dem Gegenstande beginnen, welcher einerseits deinem Alter, andererseits meinem väterlichen Ansehen am Angenehmsten wäre. Denn unter der großen Anzahl von wichtigen und nützlichen Gegenständen in der Philosophie, welche gründlich und ausführlich von den Philosophen abgehandelt worden sind, finden meines Erachtens die Lehren und Vorschriften, die sie über die Pflichten gegeben haben, die weiteste Anwendung. Es gibt ja kein Lebensverhältniß weder in öffentlichen noch besonderen Geschäften, weder in auswärtigen noch häuslichen Angelegenheiten, weder wenn man sich mit sich allein beschäftigt, noch wenn man mit einem Anderen verkehrt, worin man sich der Pflicht entrathen könnte, und sowie auf ihrer Beobachtung die ganze Sittlichkeit des Lebens beruht, so auf ihrer Vernachlässigung die ganze Schande. 5. Daher ist diese Untersuchung allen Philosophen gemeinsam. Denn wie dürfte Jemand es wagen sich einen Philosophen zu nennen, wenn er keine Lehren über die Pflicht vortrüge? Allein es gibt einige Schulen 66, welche durch die Begriffe, die sie vom höchsten Gute und Uebel aufstellen, die ganze Pflicht umstoßen. Denn wer das höchste Gut so bestimmt, daß es keine Gemeinschaft mit der Tugend hat, und zum Maßstabe derselben nur eigenen Vortheil, nicht aber die Sittlichkeit nimmt, der dürfte, wenn er seinen Grundsätzen getreu bleibt und sich nicht bisweilen von seiner besseren Natur besiegen läßt, weder Freundschaft noch Gerechtigkeit noch Freigebigkeit üben können; tapfer vollends kann gewiß auf keine Weise derjenige sein, welcher den Schmerz für das höchste Uebel hält, und ebenso wenig mäßig derjenige, welcher das sinnliche Vergnügen als das höchste Gut aufstellt. Obwol dieses, wie ich gern zugebe, so sehr auf der Hand liegt, daß es keiner philosophischen Erörterung bedarf; so habe ich es dennoch an einer anderen Stelle 67 erörtert. 6. Diese Schulen nun dürften, wenn sie bei ihren Grundsätzen beharren wollen, schwerlich im Stande sein über die Pflicht irgend Etwas zu sagen, und überhaupt können nur diejenigen Philosophen festbegründete, unwandelbare und der Natur entsprechende Vorschriften der Pflicht lehren, welche behaupten, die Sittlichkeit müsse entweder als das einzige oder als das vorzüglichste Gut um ihrer selbst willen erstrebt werden. Demnach gehört diese Lehre ganz eigentlich den Stoikern 68, Akademikern und Peripatetikern 69 an; denn die Ansichten des Aristo, Pyrrho und Herillus 70 sind ja schon lange verworfen; jedoch würden diese volles Recht haben über die Pflicht zu reden, wenn sie irgend eine Wahl unter den Dingen zurückgelassen hätten, und so noch ein Weg zur Auffindung der Pflicht übrig wäre. Ich folge daher für jetzt wenigstens und in dieser Untersuchung vorzüglich den Stoikern, nicht jedoch als Uebersetzer, sondern ich will sie, wie ich zu thun pflege, als die Quellen benutzen, aus denen ich nach meinem Urtheile und Gutdünken schöpfe, so viel und auf welche Weise ich es für gut halte.

7. Da nun diese ganze Abhandlung die Pflicht zum Gegenstande haben soll, so halte ich es für zweckmäßig zuvörderst eine Begriffsbestimmung der Pflicht zu geben, was zu meiner Verwunderung Panätius 71 unterlassen hat. Denn jede Unterweisung, die man über irgend einen Gegenstand nach den Grundsätzen der Wissenschaft unternimmt, muß von der Begriffsbestimmung desselben ausgehen, damit man einsehe, was der eigentliche Gegenstand der Untersuchung sei.

III. Die ganze Untersuchung über die Pflicht zerfällt in zwei Theile, von denen der eine sich auf das höchste Gut bezieht, der andere in Vorschriften besteht, nach welchen das auf das Handeln bezogene Leben in allen Verhältnissen eingerichtet werden kann. Zu dem ersteren Theile gehören zum Beispiel solche Fragen: Sind alle Pflichten vollkommen? Ist wol die eine Pflicht wichtiger als die andere? und dergleichen. In dem zweiten Theile werden Vorschriften über die Pflichten ertheilt; diese Pflichten beziehen sich zwar auf die Lehre von dem höchsten Gute; allein es tritt dieß weniger deutlich hervor, weil sie mehr auf die Einrichtung des gewöhnlichen Lebens Rücksicht zu nehmen scheinen, und über diese muß ich mich in diesen Büchern aussprechen.

8. Auch gibt es noch eine andere Eintheilung der Pflicht. Man spricht nämlich von einer mittleren und einer vollkommenen Pflicht. Die vollkommene Pflicht könnten wir, mein' ich, das Rechte 72 nennen; denn die Griechen nennen sie κατόρθωμα, während sie diese gewöhnliche Pflicht καθη̃κον 73 nennen. Von beiden geben sie folgende Begriffsbestimmung: Vollkommene Pflicht, sagen sie, ist das, was recht ist; mittlere Pflicht aber das, wovon man einen vernünftigen Grund angeben kann, warum es geschehen sei.

9. Die Ueberlegung nun, die man bei Fassung eines Entschlusses anwendet, ist nach der Ansicht des Panätius eine dreifache. Entweder nämlich zweifelt man, ob der Gegenstand der Ueberlegung sittlichgut zu thun sei oder sittlichschlecht, und bei dieser Betrachtung wird unser Geist oft nach entgegengesetzten Ansichten gezogen. Oder man untersucht und geht mit sich zu Rathe, ob der Gegenstand der Ueberlegung zur Bequemlichkeit und Annehmlichkeit des Lebens, zu Hülfsmitteln und Reichthum, zu Einfluß und Macht, um sich und seine Angehörigen zu unterstützen, beitrage oder nicht. Diese Ueberlegung hält sich durchaus auf dem Standpunkte der Nützlichkeit. Die dritte Art des Zweifels findet statt, wenn mit dem Sittlichguten das Scheinbarnützliche zu streiten scheint. Wenn uns nämlich einerseits die Nützlichkeit an sich zu reißen, andererseits die Sittlichkeit zu sich zurückzurufen scheint; da tritt der Fall ein, daß der Geist bei der Ueberlegung hin- und hergezogen wird und Unentschiedenheit im Nachdenken zeigt.

10. Bei dieser Eintheilung sind, obwol es beim Eintheilen ein Hauptfehler ist Etwas zu übergehen, zwei Punkte weggelassen. Denn nicht allein pflegt man zu...

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