1. Vorwort
Weder noch!
Es ist ein Kuriosum, weder – noch zu sein. Wer weder rechts noch links ist, wer derart in der Mitte steht, zieht aus beiden Lagern erhebliches Misstrauen auf sich: Was meinen Sie mit weder-noch? Irgendetwas müssen Sie doch sein. Also?
Natürlich habe ich einen Standpunkt. Doch mich beschreibt eben genau das: weder rechts noch links. Zu dieser Klarstellung fühlte ich mich genötigt, als ich mich im Jahr 2010 meinen Kollegen in der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen vorstellte: »Mein Ziel ist alles, was den Rechten und der Würde der Frauen dient.« Pragmatisch, ja. Aber immer prinzipientreu. Also fangen Sie bitte nicht an, mich in ideologische Gefechte hineinzuziehen. Das bin einfach nicht ich.
Wenn ich mich aber keinem dieser ideologischen Lager zurechne, wofür stehe ich dann?
Ich stehe für Sie alle. Und die Summe von Ihnen allen ist nichts anderes als das Gesicht der Menschheit. Das ist mein Anliegen: Würde und Rechte dieser Einheit, des Menschen. Ich glaube an diese Menschheit, an diese Würde und an diese Rechte. Das ist meine Überzeugung, mein Grundsatz.
Warum ich das so deutlich sage? Bestimmt haben Sie für dieses Buch einen anderen Einstieg erwartet.
Wir haben ein Problem, und zwar ein globales, und dieses Problem hat einen Namen: Islamismus. Doch wir werden einfach nicht damit fertig, weil wir entweder nicht in der Lage sind, darüber zu reden, oder weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, eine ideologische Schlacht auszutragen.
Der Islamismus droht die Menschen in den europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften zu spalten. Als Gesprächsthema ist er vielen Menschen hier unangenehm. Nicht, weil sie keine Meinung dazu hätten. Sie wissen ganz einfach nicht, wie sich darüber reden lässt.
Manche scheuen sich, sich zu äußern, weil sie nicht besonders viel Vorwissen zu dem Problem mitbringen. Sie haben eine Meinung, wollen sich aber nicht auf ein noch nicht abgestecktes Gelände vorwagen; lieber überlassen sie das Reden denen, die ihres Erachtens mehr Ahnung davon haben. Sehr häufig qualifizieren sich diese Anderen für diese Aufgabe durch ihre religiöse Identität. Und am besten aufgestellt sind in der Debatte um Islam und Islamismus sehr häufig gerade die Islamisten selbst.
Andere kennen sich in der Problematik durchaus besser aus und machen sich ihre Sorgen, aber sie fürchten, mit einer Wortmeldung den Muslimen zu nahe zu treten. Unter keinen Umständen wollen sie sie kränken. Daher halten sie sich lieber zurück und unterwerfen sich aus einem merkwürdigen Respektverständnis heraus der Selbstzensur.
Und schließlich sind da die Ängstlichen. Ganz gewöhnliche Menschen. Auch sie lieben ihr Land, ihre Traditionen und ihr Erbe. Sie sehen, wie ihre jeweilige Gesellschaft sich wandelt. Dieser Wandel gefällt ihnen nicht; sie wissen, dass irgendetwas nicht stimmt, und suchen nach einer Erklärung dafür. Leider ist die Problematik sehr unscharf und verworren. In ihren Wortmeldungen neigen sie zu Wut und scharfen Attacken und bringen damit in Wirklichkeit ein Verlustgefühl zum Ausdruck – einen Identitätsverlust.
Komplizierter wird die ganze Sache noch dadurch, dass sie durch die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Rechts und Links zusätzlich geprägt wird.
Die Linke geht zunächst einmal davon aus, es gebe überhaupt kein Problem. Sicher, es gibt Dschihadisten, die sich – und andere – in Paris, Nizza, Berlin, London und Stockholm in die Luft jagen. Aber das sind nur orientierungslose, ausgegrenzte Jugendliche. Arme Verrückte. Wir haben sie in unseren Gesellschaften isoliert. Wir waren das. Wir – mit unserer Außenpolitik, unserem diskriminierenden Diskurs und unseren Medien, die den Islam als eine zur Gewalt neigende Wutreligion darstellen – der Vorwurf, diese Dschihadisten hervorgebracht zu haben, sollte sich gegen uns selbst richten.
In diesem ideologischen Lager gibt es auch Vertreter, die die Existenz eines Problems anerkennen, aber befürchten, wenn man die nötigen Schritte zu seiner Lösung unternähme, würde das nur ihren Gegnern rechts außen und deren Diskurs von »wir gegen sie« zusätzlichen Treibstoff liefern. Wenn sie das zulassen, so die Befürchtung, sähe es um sie selbst schlecht aus. Statt sich differenziert zu positionieren und konkrete Schritte zu unternehmen, stecken sie lieber den Kopf in den Sand.
Wenn man der extremen Rechten zuhört, mag diese Furcht verständlich scheinen. Dort gilt jede Person muslimischen Glaubens als potenzieller Terrorist. Muslime, Islam, Islamismus und Terrorismus sind für sie nur Synonyme, die in einen Topf geworfen werden. Sie machen Ausländer, Migration und Migranten für alle Probleme in ihrer Gesellschaft verantwortlich und missbrauchen den Islam am Ende als Aushängeschild für ihre rassistischen Forderungen.
Viele, die sich dem rechtskonservativen Spektrum zurechnen, scheuen diese Ansichten oder widersetzen sich ihnen ganz vehement. Damit befinden sie sich im Mainstream und bleiben zurückhaltend. Sie sehen vielleicht, dass es da ein Problem gibt, aber sie schrecken davor zurück, die schmerzlichen Maßnahmen zu ergreifen, die zu seiner Bekämpfung nötig sind. Zu kompliziert, zu teuer. Und zudem wahrscheinlich ein Dämpfer für die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen ihrer Regierungen mit einigen ihrer engsten Partner – denken wir nur an die Golfstaaten. Auch das Geld spielt da eine ganz wesentliche Rolle.
In beiden politischen Lagern liegt der Fokus auf der militanten Form des Islamismus, auf Dschihadisten, Terroristen, auf denen, die brutale Gewalttaten verüben. Gewaltlose Formen des Islamismus bereiten ihnen weniger Sorgen: das Gedankengut und die religiösen Botschaften, die dieser Gewalt als Grundlage dienen. Doch diese Sorglosigkeit macht die Sache sehr viel komplizierter. Und Komplexität können beide politischen Lager nicht gebrauchen. Sie brauchen einfache Antworten und einfache Lösungen im Sinne von: Nein, hier geht es nicht um Krebs. Das sind nur harmlose Kopfschmerzen. Schlucken Sie einfach diese Tablette, dann geht es gleich vorüber. Ende der Diskussion.
Doch so wird es nicht funktionieren. Einfache Antworten und Fragen genügen nicht und sind kontraprodutiv. Die Polemik der extremen Rechten wird dadurch nur noch befeuert. Das eigentliche Kernstück ist die Ideologie des Islamismus. Genau darauf kommt es an.
Verstehen Sie jetzt, warum ich zu Beginn klarstellen musste, wo ich stehe? Wir haben ein Problem, und zwar ein globales, und dieses Problem hat einen Namen: Islamismus. Doch wir werden einfach nicht damit fertig, weil wir entweder nicht in der Lage sind, darüber zu reden, oder weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, eine ideologische Schlacht auszutragen. Die vernebelt unser Urteilsvermögen und macht uns zu direkten und indirekten Komplizen des Mainstream-Islamismus, einer totalitären Ideologie. Während wir mit unserem Gezänk beschäftigt sind, übersehen wir die langsamen Veränderungen in unseren Gesellschaften, die ganz allmählich die größte Leistung der westlichen Gesellschaft unterminieren: die liberalen, universalen Normen und Werte, die die Würde und die Rechte des Einzelnen schützen.
Sind wir der IS?
Bei jedem terroristischen Akt erklingt der Chor der Selbstverleugnung. Wir bekommen zu hören, die Taten des IS hätten nichts mit Religion zu tun. Wir bekommen zu hören, der Islam sei eine Religion des Friedens und der Toleranz, wir hätten es da mit einer Gruppe Kranker zu tun, die die Botschaft des Islams verkehrten und die Religion nur als Deckmäntelchen für diese Grausamkeiten nutzten. Diese Terroristen seien Einzelgänger. Desorientiert und manipuliert.
Natürlich wurden die jungen Männer und Frauen, die dem IS beigetreten sind, manipuliert. Aber keiner kann mir erzählen, dass die Religion damit nichts zu tun hat. Das stimmt einfach nicht.
Viele, die den Islam inständig als »Religion des Friedens« bezeichnen, entstammen selbst einer muslimischen Tradition und sind von ihrer Meinung ehrlich überzeugt. Schließlich sind sie selbst die genuine Verkörperung dieser friedlichen Ausübung ihrer Religion. Sie sind Bürger ihrer europäischen und nordamerikanischen Heimatländer; sie gestalten ihre Gesellschaften mit und sind wie viele andere erfüllt von Angst und Wut. Sie verabscheuen die Grausamkeiten, die da im Namen ihrer Religion verübt werden, und verurteilen sie mit aller Vehemenz. Damit steigern sie sich in einen defensiven Diskurs hinein, um dem »schlechten Image« des Islams entgegenzutreten, das ihrer Meinung nach auf »tendenziöse Darstellung in den Medien« zurückgeht sowie auf diese fehlgeleiteten, kranken Menschen, die den Islam für ihre Zwecke pervertieren.
Doch genau da liegt ein Paradox. Die Vertreter dieser europäischen und nordamerikanischen Bürger muslimischen Glaubens – und das sind sehr viele – stehen oft alleine da, wenn sie versuchen, sich zu organisieren und etwas auf die Beine zu stellen. Die großen muslimischen Organisationen – also die organisierten Vertreter ihres Glaubens in ihren jeweiligen Mehrheitsgesellschaften – fallen ihnen in den Rücken.
Sehr deutlich wurde das beim Kölner Friedensmarsch am 17. Juni 2017. Die Organisatoren vom Liberal-Islamischen Bund wollten ein klares Zeichen gegen die jüngsten Bluttaten in mehreren europäischen Städten setzen – Manchester, London, Stockholm, Paris, Berlin und Brüssel. Nicht mit uns, lautete ihre Botschaft. Die Organisatoren hofften auf die Teilnahme von bis zu zehntausend deutschen Muslimen. Dann beschloss die Türkisch-Islamische Union...