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Der Club der Nobelpreisträger

Wie im Harnack-Haus das 20. Jahrhundert neu erfunden wurde

AutorMichael Kröher
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641189648
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Ananas und Atombomben: Wissenschaft trifft Macht trifft Geld
Otto Hahn und Lise Meitner entdecken die Kernspaltung, Max Planck legt den Grundstein der modernen Quantenphysik, Otto Warburg erforscht den Krebs. Im Berliner Villenvorort Dahlem entsteht in der Weimarer Republik ein bedeutender Forschungscampus, eine Art 'deutsches Stanford'. Im Zentrum: Das Harnack-Haus, wo im Lauf der Jahre 35 Nobelpreisträger zu Gast sind. Werden die wunderbaren Erfindungen und Technologien dem Fortschritt der Menschheit dienen oder ihrer Vernichtung? Michael Kröher porträtiert diesen einzigartigen Ort, an dem bahnbrechende Wissenschaft auf Macht und Geld trifft und der zum historischen Momentum wird.

Michael O.R. Kröher, geboren 1956, studierte Medizin und ist Redakteur beim 'Manager-Magazin' mit den Schwerpunkten Forschung und Technologie-Entwicklung. Er ist Autor mehrerer Sachbücher (darunter: 'In die Sonne, in die Ferne - Auf einer Straße der Sehnsucht ans Mittelmeer') und lebt in Hamburg und Berlin.

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Leseprobe

Simple Schale, edler Kern

Die Reden bei der Eröffnungsfeier des Harnack-Hauses in Berlin-Dahlem klingen enthusiastisch bis schwärmerisch. Denn die Begegnungsstätte internationaler Eliten gibt ihren geistigen Vätern und Förderern Anlass für höchste Hoffnungen: Es soll eine Bühne werden für den internationalen Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft, die es in dieser Form zuvor nicht gegeben hat. Das Harnack-Haus wird architektonisch einfach und schmucklos erbaut – in einer Zeit, die geprägt ist von blutigen Straßenkämpfen, von gesellschaftlichen und politischen Turbulenzen.

Der 7. Mai 1929 verspricht für Berlin ein idyllischer Frühlingstag zu werden. Zwar ist der Morgenhimmel bewölkt, doch die Wettervorhersage verheißt sechs bis sieben Stunden Sonnenschein. Nach einer warmen Nacht mit zweistelligen Temperaturen soll das Thermometer am Nachmittag auf über zwanzig Grad steigen.

Bei Sonnenaufgang sind die Kopfsteinpflasterstraßen der stillen Villenvororte im Südwesten der Hauptstadt erfüllt vom Gesang der Amseln und Rotkehlchen; satt leuchten die blühenden Rhododendren unter den Bäumen der Park- und Gartengrundstücke. Auch die Fliederbüsche stehen in voller Blüte und tauchen das ganze Viertel in einen süßen Duft.

Nahe der Dahlemer U-Bahnstation Thielplatz – noch endet hier die Linie, die im nächsten Jahr die Badestrände der Krummen Lanke mit sonnenhungrigen Großstädtern füllen wird – herrscht ab 10 Uhr Großbetrieb: Festlich gekleidete Menschen reisen an, die Damen haken sich unter bei ihrer Begleitung und stöckeln auf hohen Absätzen ein paar Dutzend Meter die Ihnestraße hinunter zu einem zweieinhalbstöckigen Backsteinbau. In dessen überdachter Zufahrt warten bereits zwei grün Livrierte auf die großen Limousinen und Landaulets, mit denen die Prominenz aus Wirtschaft und Politik, aus Kultur, Gesellschaft, Forschung und Lehre vorfahren wird. In den eigens angeschafften »Grüße-Mützen« des Empfangskomitees schimmert die eingestickte Silhouette der Minerva: Die römische Göttin der Weisheit, Hüterin des Wissens, ist das Emblem des Hausherrn, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Noch ist der Neubau nicht komplett eingerichtet. Die Teppiche, die an diesem Tag ausliegen, mussten geliehen werden; der große Weinkeller ist noch leer. Doch in ihrer förmlichen Einladung hat die KWG angekündigt: Um elf Uhr wird die Einweihungsfeier des Harnack-Hauses beginnen – jenes Gebäudes, das künftig als Club- und Gästehaus der ebenso honorigen wie ambitionierten Forschungsorganisation dienen soll. Deren Dahlemer Campus mit damals sieben Instituten, die sich auf dem weitläufigen Gelände einer ehemaligen preußischen Staatsdomäne verteilen, wird durch das Harnack-Haus nach Norden abgeschlossen.

Namenspatron ist der Wirkliche Geheime Rat Adolf von Harnack, der für seine Verdienste um die deutsche Wissenschaft geadelte und immer noch amtierende Gründungspräsident der KWG, der heute zugleich seinen 78. Geburtstag feiert: Ein weltweit renommierter Religionswissenschaftler und Kirchengeschichtler, Kanzler des Ordens Pour le Mérite und Präsident der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und Vorkämpfer eines bürgerlich-liberalen Kulturprotestantismus, der unter anderem auch für Frauenrechte eintritt, etwa das Recht auf Bildung.

Gut 400 Gäste haben sich an jenem Mai-Morgen eingefunden im Goethe-Saal, dem größten Raum des Harnack-Hauses. Zu den Eingeladenen zählen alle Berliner Institutsdirektoren, alle Wissenschaftlichen Mitglieder und Angestellten der KWG, aber auch das diplomatische Corps der Hauptstadt, Reichstagsabgeordnete, Minister und oberste Vertreter der Reichs-, Landes- und Stadtverwaltungen. Die Begründer eines völlig neuen Naturverständnisses wie Max Planck und Max von Laue werden neben Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und Mäzenen wie Kaufhausmagnat Georg Wertheim und Paul Schottländer sitzen, Letzterer auch ein einflussreicher KWG-Senator. Konzernkapitäne wie Carl Duisberg vom weltgrößten Chemie-Unternehmen IG Farben und Carl-Friedrich von Siemens sollen sich zu ranghohen Militärs gesellen.

Frühzeitig abgesagt hatte nur der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg; er lässt stattdessen ein Glückwunschtelegramm schicken. Seine Abwesenheit ist nicht weiter schlimm, denn auf dem Programm stehen genug Vorträge und Grußworte einflussreicher und angesehener Persönlichkeiten: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der Industriemagnat und Vizepräsident der KWG, wird für den Kreis der privaten und wirtschaftsnahen Förderer sprechen. Danach soll Außenminister Gustav Stresemann über die internationalen Aspekte des Club- und Gästehauses reden. Als Friedensnobelpreisträger des Jahres 1926 steht der liberale Politiker für die Wiederaufnahme Deutschlands in die Völkergemeinschaft, von der das Land wegen seines martialischen Nationalismus im Ersten Weltkrieg gemieden wurde. Aufgrund von Stresemanns Diplomatie bei der Konferenz von Locarno konnte die junge deutsche Republik zu einem vollwertigen Mitglied des 1920 gegründeten Völkerbundes werden, der Vorläufer-Organisation der Vereinten Nationen. Eine so international angelegte Institution wie das Harnack-Haus war also ganz in Stresemanns Sinn.

Für die akademische Gemeinde Berlins sprechen Medizinalrat Wilhelm His, Rektor der Universität, gefolgt von Fritz Haber, dem Chemie-Nobelpreisträger von 1918 und Direktor des später nach ihm benannten Instituts für Physikalische Chemie in der unmittelbaren Nachbarschaft.

Stresemann adressiert zunächst den Hausherrn und Namensgeber, seinen Bruder im Geiste des Internationalismus und der Völkerverständigung: Einen »Förderer der kulturellen Weltgeltung Deutschlands und der deutschen Kulturpolitik im Auslande« nennt er Adolf von Harnack. »Ein Haus der Freundschaft haben Sie dies Haus genannt«, rühmt der Außenminister das Konzept der neuen Begegnungsstätte: »Und es hieße, an der Zukunft der Menschheit verzweifeln, wenn nicht durch geistige Freundschaft unter denen, die doch aufgrund ihrer Kenntnisse vom menschlichen Leben führend sein sollen, Fortschritt erzielt werden könnte in den so jäh unterbrochenen Beziehungen der Völker.«

Die emphatischste der vielen Reden hält jedoch US-Botschafter Jacob Gould Schurman – in tadellos gedrechseltem Deutsch. Als junger Mann hat er unter anderem in Heidelberg und in Berlin studiert, als ehemaligem Präsidenten der privaten Cornell University in Ithaca, New York, liegen ihm Themen aus der akademischen Forschung nahe. So begeistert er sich für das aus seiner Sicht bahnbrechende Konzept des Harnack-Hauses: Schurman sieht es als Begegnungsstätte für Gelehrte aller Fachrichtungen, als Ort des internationalen Austauschs für Führer aus »Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Kunst«.

Wörtlich sagt Schurman: »Der Hauptzweck des Harnack-Hauses (…) ist nicht ein wissenschaftlicher, sondern ein sozialer und im besten Sinne des Ausdrucks menschlicher Zweck (…) Fern dem lauernden Geräusche und der Bewegung einer großen, modernen Hauptstadt,« schwärmt der Amerikaner, werde sich das neue Club- und Gästehaus zu einem »gesellschaftlichen Mittelpunkt« entwickeln für die Mitglieder »intellektueller Kreise«. Er sollte recht behalten: Im Harnack-Haus werden bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 35 Nobelpreisträger Quartier gefunden, Vorträge gehalten oder sich mit den sozialen, kulturellen und geistigen Größen ihrer Zeit getroffen haben. Das Club- und Gästehaus der KWG wird zum Magneten für Dichter und Denker aus aller Welt, zu einer Stätte für ausgelassene Feste und Feiern. Und schließlich zu einem Hort der Humanität.

In seinem Ausblick zählt der Diplomat »die ausländischen Gelehrten und Wissenschaftler, die im Harnack-Haus leben werden, zu den glücklichsten aller Menschen«. Für den Fall, dass er selbst »glücklich genug sein sollte, die Vorbedingung für eine Einladung zu erfüllen«, verspricht er, »jenen Nächten und Mahlen der Götter beizuwohnen«.

Der Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber spricht kürzer und nicht gar so blumig, doch nicht weniger pathetisch. Zunächst vergleicht er die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit einer »gefürsteten Abtei« des Mittelalters – um sich dann über deren »neues Refektorium« in Gestalt des Harnack-Hauses zu freuen, das »zur Pflege des Zusammenhangs mit anderen Bruderschaften und untereinander« dienen soll. Auch Haber blickt in eine bessere Zukunft. »Wir werben hier um Ihre Seele«, ruft er am Ende seiner Ansprache dem Publikum zu. »Wir werben darum, in der Hoffnung, dass Sie (…) in der Welt draußen, in der Sie (…) groß und mächtig sind, reden werden (…), damit unsere Sache wächst und bestehen bleibt, die heute im Werden ist. Und wir denken, Sie werden Freude haben, wenn Sie es tun; denn unsere Sache ist eine, die jeden erhöht und steigert, der für sie wirkt und wirbt.«

Während des sich anschließenden Empfangs gibt es Führungen durchs Harnack-Haus. Der Münchener Architekt Carl »Carlo« Sattler, entfernt verschwägert mit KWG-Generaldirektor Friedrich Glum und neuerdings Hausbaumeister der Forschungsorganisation, zeigt stolz sein jüngstes Werk: Großzügige 21.350 Kubikmeter Raum hat er im »Heimatschutzstil« umbaut, also mit vornehmlich rechteckigen Grundrissen, Gaubenkonstruktionen in hohen, ziegelgedeckten Walmdächern und mit einer flächigen, durch rechteckige Fenster kleinteilig gegliederten...

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