Sie sind hier
E-Book

Von der Demokratie zur Staatssklaverei

Vollständige Ausgabe

AutorKarl Kautsky
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl131 Seiten
ISBN9783849628956
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieses umfassende Werk Kautskys setzt sich mit den Zuständen im Rußland Trotzkis auseinander und spart nicht mit Kritik an der dort herrschenden Regierung. Inhalt: Vorwort I. Einleitendes II. Das Reitenlernen III. Die Demokratie a) Primitive und moderne Demokratie b) Die Bedeutung der Demokratie für den Aufstieg des Proletariats c) Die Bedrohung der Demokratie durch die Reaktion d) Die Entwaffnung der Bourgeoisie IV. Die Diktatur a) Die Marxsche Auffassung b) Die Diktatur der Stadt c) Diktatur und Revolution d) Die Diktatur der Verschwörer e) Der Bolschewismus f) Die Ergebnisse der bolschewistischen Diktatur g) Der drohende Zusammenbruch V. Der Arbeitszwang a) Der Arbeitermangel b) Theoretische Begründung der Arbeitspflicht c) Das Faultier d) Die Lohnarbeit e) Die freie Persönlichkeit f) Die Regelung der Arbeit durch den Sozialismus g) Der Antrieb zur Arbeit im Sozialismus h) Der reaktionäre Charakter des Bolschewismus

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

 

Die bolschewistische Auffassung der Diktatur ist unklar und verworren, wenn sie als Klassendiktatur, als Diktatur des Proletariats erscheinen will. Aber sie gestaltet sich klar und einfach, wenn man die Diktatur im herkömmlichen Sinne nimmt, als Diktatur einer Regierung.

 

Eine Regierung ist eine diktatorische dann, wenn sie unbeschränkt herrscht. Außerdem gehört es zum Wesen der Diktatur, daß sie nur als vorübergehendes Regime gedacht ist Eine unbeschränkte Regierung, die als dauernde eingerichtet ist, nennt man eine despotische.

 

Im alten Rom, woher die Institution und ihr Name stammt, durfte der Diktator höchstens sechs Monate im Amte bleiben. Auch die Bolschewiks haben verkündet, daß ihre Diktatur nur eine vorübergehende sein solle. Sie würde ein Ende nehmen, sobald der Sozialismus durchgeführt und gesichert sei. Leider erklärten sie selbst, daß das nicht etwa sechs Monate, sondern ein Menschenalter dauern könne. So lange dachten sie also selbst in ihrer Illusionenmaienblüte werde die Diktatur dauern. Seitdem hat Lenin gefunden, daß es so schnell nicht geht, wie er meinte, und bei dem Zustande Rußlands zunächst noch die Wiedereinführung einer Art Kapitalismus erforderlich sei. Damit ist die Durchführung des Sozialismus ins unabsehbare verschoben. Wenn nun die Diktatur mit dem Übergangsstadium zum Sozialismus untrennbar verknüpft ist, wird ihre Dauer zu einer endlosen, und ihr Charakter kommt dem des gewöhnlichen Despotismus bedenklich nahe.

 

Der Despotismus bildet den Höhepunkt im Kampf der Staatsmacht gegen die primitive Demokratie. Kapitalistische Industrie und kapitalistischer Verkehr mit ihrem Gefolge von wachsendem, erstarkendem Proletariat und steigender Intelligenz der Massen unterwühlen ihn unaufhaltsam. Nur in den rückständigsten Gegenden kann er sich heute noch halten. Der sprichwörtliche orientalische Despotismus ist sehr ins Wanken geraten.

 

Unaufhaltsam marschiert die Demokratie vorwärts, erringt und vermehrt sie eine Freiheit nach der andern. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist die Sicherung der Minderheiten und der Einzelpersönlichkeit gegen Vergewaltigung durch Organe der Staatsgewalt.

 

Für diesen Prozeß ist Trotzki blind. Für ihn existiert nur absolute Unfreiheit oder absolute Freiheit auf allen Gebieten. Daß das Proletariat und die unteren Klassen imstande sind, noch vor der völligen Durchführung des Sozialismus den großen Herren und Ausbeutern einen gewissen Widerstand entgegenzusetzen, ihr Belieben einzuschränken, sie selbst zu erziehen, davon scheint er keine Ahnung zu haben. Er meint:

 

„Um das Individuum heilig zu machen, muß das gesellschaftliche Regime abgeschafft werden, das dieses Individuum ans Kreuz schlägt. Diese Aufgabe aber kann nur durch Eisen und Blut erfüllt werden.“ (S. 48)

 

Bürgerkrieg und Terrorismus, endlose Menschenschlächtereien sind für Trotzki der Weg, Respekt vor dem Menschenleben zu erwecken und zu vertiefen. In der Tat, die Wege des Herrn sind wunderbar.

 

In Wirklichkeit sind die ökonomischen Bedingungen, welche die Demokratie hervorrufen, dieselben, die mit ihr auch den Respekt vor der menschlichen Persönlichkeit schon vor dem Sozialismus durch die Rückwirkungen des Kapitalismus erzeugen.

 

Doch gibt es auch Gegenwirkungen, die zeitweise so stark werden, daß die bürgerlichen Freiheiten mehr oder weniger eingeschränkt oder gar ganz aufgehoben werden. Da dies im modernen Staate nie ein dauernder Zustand werden kann, kann man solche Stadien wohl als diktatorische bezeichnen, obwohl diese Bezeichnung meist übertrieben sein wird.

 

Namentlich der Krieg, der alte Feind jeglicher Demokratie, führt stets zu einer Art Diktatur. Doch in keinem modernen Staate mehr zu der völligen Schrankenlosigkeit des Despotismus. In Deutschland, ebenso wie in Frankreich und England fuhr das Parlament fort, während des Krieges zu tagen und die Häupter der Opposition wurden höchstens in Schutzhaft gesetzt. Das Erschienen der gefangenen Gegner blieb dem Bürgerkrieg vorbehalten.

 

Aus den Praktiken des Bürgerkrieges schliefet man vielfach, daß auch die Revolution ebenso wie der Krieg den Terror und die Diktatur einer starken rücksichtslosen Zentralgewalt fordere. Diese Anschauung ist jedoch sehr irrig.

 

Im Gegensatz zu Kriegsregierungen sind Revolutionsregierungen in der Regel sehr schwach. So war es die Kerenskiregierung 1917 in Rußland, so die Regierung der Volksbeauftragten 1918 in Deutschland, so die provisorischen Regierungen von 1848, so auch die Regierungen der französischen Revolution von 1789 – 1792.

 

Das ist kein Zufall und nicht etwa der Schwächlichkeit einzelner Personen oder Parteien zuzuschreiben, sondern liegt in der Natur der Dinge. Eine Revolution ist die Folge des Zusammenbruchs eines alten Herrschaftsapparats. Ein neuer kann nicht sofort geschaffen und zu kräftigem Funktionieren gebracht werden. Ohne solchen Apparat schwebt aber eine Regierung in der Luft und ist weniger als eine andere zu diktatorischem Auftreten fähig.

 

Wir haben oben eine Stelle aus der Ansprache der Zentralbehörde an den Kommunistenbund vom März 1850 zitiert, in der es hieß:

 

„Wie in Frankreich 1793, ist heute in Deutschland die Durchführung der strengsten Zentralisation die Aufgabe der wirklich revolutionären Partei.“

 

Dazu bemerkt 1885 Friedrich Engels:

 

„Es ist heute zu erinnern, daß diese Stelle auf einem Mißverständnis beruht. Damals galt es – dank den bonapartistischen und liberalen Geschichtsfälschern, als ausgemacht, daß die französische zentralisierte Verwaltungsmaschine durch die Revolution eingeführt und namentlich vom Konvent als unumgängliche und entscheidende Waffe bei Besiegung der royalistischen und föderalistischen Reaktion und des auswärtigen Feindes gehandhabt worden sei. Es ist jetzt aber eine bekannte Tatsache, daß während der ganzen Revolution bis zum 18. Brumaire die gesamte Verwaltung der Departements, Arrondissements und Gemeinden aus, von den Verwalteten selbst gewählten Behörden bestand, die innerhalb der Staatsgesetze sich mit vollkommener Freiheit bewegten; daß diese, der amerikanischen ähnliche, provinzielle und lokale Selbstregierung gerade der allerstärkste Hebel der Revolution wurde.“ (Enthüllungen über den Kommunistenprozeß zu Köln, neuer Abdruck, Zürich 1885, S. 82)

 

Namentlich gilt dies für die Zeit von 1789 bis zum Ausbruch des Krieges, 1792. Bis dahin fehlt nicht nur eine zentralisierte Verwaltungsmaschine, sondern auch eine starke, straff disziplinierte Armee, also jedes Mittel für die Regierung, diktatorische Gewalt auszuüben. Die große Wucht der revolutionären Bewegung wurde nicht durch die Aktion einer unwiderstehlichen Regierung hervorgerufen, sondern entsprang daraus, daß die große Masse der Bevölkerung sich einmütig in gleicher Richtung bewegte, gegen die feudalen Privilegien und die königliche Macht. Diese Wucht der Revolution hatte wohl etwas diktatorisches an sich, aber da sie von der Masse der Bevölkerung ausging, war sie nicht unverträglich mit der Demokratie, sondern fand vielmehr in ihr die ihr am besten entsprechenden Formen für ihre Betätigung. Wohl wurde die Demokratie zeitweise durchbrochen durch Insurrektionen und Gewalttaten. Diese dienten entweder der Verteidigung der Demokratie, wie der Bastillesturm, oder dem raschesten Zerstören alter Bedrückungsmechanismen. Der Neuaufbau entsprang nicht den Gewalttaten, sondern der Demokratie, und wäre ohne sie unmöglich gewesen.

 

Indes, die schöne Zeit der Revolution, in der die große Mehrheit der Volksmasse froh des überwundenen Druckes einträchtig nach Neuem strebt, dauert nie lange. Bald machen sich im Volke Klassenunterschiede und Klassengegensätze geltend. Diese wurden 1792 sehr verschärft, als die französische Republik in Krieg mit dem monarchistischen Europa geriet. Gleichzeitig aber wurde durch ihn die Staatsgewalt ungemein gestärkt. Freilich wurde nicht sobald die Staatsverwaltung zentralisiert, wohl aber seit 1792 das Heer vermehrt und wieder neu diszipliniert, daneben aber auch ein System politischer Polizei entwickelt. Damit erst wurde die Möglichkeit einer Art Diktatur gegeben. Zunächst waren es die Proletarier und Halbproletarier von Paris, die sich in ihren Sektionen organisierten und durch den Druck ihrer bewaffneten Scharen, der zeitweise die Form der Insurrektion annahm, Regierung und Parlament beherrschten und durch diese die Armee gegen den äußeren wie gegen den inneren Feind dirigierten.

 

Diese Zustände hatte man vor allem im Auge, wenn man von der Diktatur des Proletariats sprach. Aber sie kennzeichnen keineswegs die gesamte Revolution, sondern nur die Zeit ihres Ausgangs. Die Waffen, die sich das Regime der Schreckensmänner schmiedete, kehrten sich schließlich gegen ihre eigene Herrschaft, sobald die...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Kommunismus - Sozialismus - Marxismus

Der Ungarnaufstand 1956

E-Book Der Ungarnaufstand 1956
Eine Revolution und ihre Folgen Format: ePUB/PDF

ZUM 50. JAHRESTAG DES UNGARN-AUFSTANDS. Historische Darstellung, politische Bewertung und persönlicher Erlebnisbericht.Der Publizist Paul Lendvai floh 1956 nach der Niederschlagung des Ungarn-…

Weitere Zeitschriften

FREIE WERKSTATT

FREIE WERKSTATT

Die Fachzeitschrift FREIE WERKSTATT berichtet seit der ersten Ausgaben 1994 über die Entwicklungen des Independent Aftermarkets (IAM). Hauptzielgruppe sind Inhaberinnen und Inhaber, Kfz-Meisterinnen ...

CE-Markt

CE-Markt

CE-Markt ist Pflichtlektüre in der Unterhaltungselektronik-Branche. Die Vermarktung von Home und Mobile Electronics mit den besten Verkaufsargumenten und Verkaufsstrategien gehören ebenso zum ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

Euphorion

Euphorion

EUPHORION wurde 1894 gegründet und widmet sich als „Zeitschrift für Literaturgeschichte“ dem gesamten Fachgebiet der deutschen Philologie. Mindestens ein Heft pro Jahrgang ist für die ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...