Zweiter Abschnitt:
Theoretische Vorläufer des NLP
Es gibt außer Perls, Satir und Erickson weitere wichtige Vorläufer des NLP. Es geht um theoretische Vorläufer, um Menschen, die eine Weise des Denkens ausprägten, die Bandler und Grinder übernommen haben, ohne ihre Urheber ausdrücklich als geistige Väter zu begreifen. Aber sie haben sie gekannt. Einige von ihnen haben sie gelesen und zitiert. Andere haben sie nicht zitiert, aber sie haben ihre Arbeit zur Kenntnis genommen oder sogar mit ihnen diskutiert. Und wieder andere haben Gedanken entwickelt, die das wissenschaftliche Denken in der Zeit beeinflusst haben, in der Bandler und Grinder studierten.
1. Die kybernetische Revolution der Erkenntnis Mitte des 20. Jahrhunderts
In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Kybernetik als Theorie sozialer Systeme entwickelt, ...
In den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts veranstalteten die New Yorker Akademie der Wissenschaften und andere Institutionen wie die Macy Foundation und das Hixon Symposion Tagungen, auf denen Teilnehmer der verschiedensten wissenschaftlichen Fachrichtungen zusammenkamen, unter ihnen Gregory Bateson und beispielsweise auch Milton Erickson. Biologen, Neurophysiologen, Ökologen, Entwicklungspsychologen, Anthropologen und Philosophen entwickelten in einem interdisziplinären Diskussionsprozess neue Konzepte wissenschaftlichen Denkens, die zwei Jahrzehnte später als ein neues „wissenschaftliches Paradigma“ bezeichnet wurden. Zentrale Themen in diesen Diskussionen waren biologische, soziale und technische Systeme mit ihrer komplexen Struktur und ihren Steuerungsmechanismen. Aus diesen Diskussionen entwickelte sich die Kybernetik. Der Begriff „Kybernetik“ stammt von dem Mathematiker Norbert Wiener; und die Kybernetik ist in erster Linie eine mathematische Wissenschaft. Sie beschäftigt sich mit den besonderen Eigenschaften von Systemen, um allgemeine Modelle vor allem der Informationsverarbeitung zu bilden. Aber die Kybernetik ist nicht nur eine mathematische Disziplin. Sie eignet sich in gleicher Weise, Prozesse in biologischen und sozialen Systemen zu beschreiben.
... die zu einer neuen Auffassung von der menschlichen Erkenntnis führte.
Auch das menschliche Gehirn ist ein System. Es nimmt Informationen aus seiner Umwelt auf und verarbeitet sie nach eigenen Regeln zu Resultaten, die dem Besitzer dieses Gehirns dazu verhelfen, sich innerhalb seiner Umwelt zu orientieren, zu bewegen und zu handeln. Diese systemtheoretische Betrachtung der Prozesse, die im menschlichen Gehirn stattfinden, führte zu einer neuen überraschenden Auffassung von der menschlichen Erkenntnis, einer Auffassung, die Aufregung auslösen sollte, und das nicht nur in der wissenschaftlichen Welt.
Bislang ging man selbstverständlich davon aus, dass wir die Welt so sehen, wie sie ist. Nicht nur die meisten Philosophen und Wissenschaftler nahmen an, dass unsere Erfahrungen von der Wirklichkeit mit dieser Wirklichkeit übereinstimmen, auch Menschen in ihrem Alltagsbewusstsein waren und sind davon überzeugt, dass wir die Welt so sehen, wie sie ist. Noch in meiner Schulzeit haben wir gelernt, dass unsere Wahrnehmung so funktioniert wie eine Kamera, d.h. die äußere Welt in unserem Innern abbildet.
Wenn man sich aber klarmacht, was für ein Organ sich unter unserer Schädeldecke befindet, wie dieses Organ aufgebaut ist und wie es funktioniert, kann man nicht mehr daran glauben, dass wir in unserem Kopf über ein Abbild der Wirklichkeit verfügen. Das Gehirn kann nichts abbilden. Es besteht aus mehreren Hundertmilliarden Nervenzellen, die vielfältig miteinander verknüpft sind und die nichts anderes tun können, außer einen Impuls weiterzuleiten oder nicht: „feuern oder nicht feuern“.
Wenn beispielsweise Lichtstrahlen durch die Pupille in das Auge eindringen, erregen sie die als Photosensoren tätigen Zellen der Netzhaut. Diese Erregung wird in elektrische Signale umgesetzt, die über ein kompliziertes Verschaltungssystem der Sehbahn an das Gehirn weitergeleitet werden. Auch Druckschwankungen der Luft, die als Schallereignisse das menschliche Ohr erreichen, werden von den Haarzellen im Innenohr in elektrische Signale umgesetzt und an die entsprechenden Nervenzellen der Hörbahn weitergeleitet. Die neuronale Erregung, die durch die sensorische Reizung in den Sinnesorganen entsteht und zum Gehirn weitergeleitet wird, ist unspezifisch. Sie sagt nichts darüber aus, was die Erregung verursacht hat. Man kann bei einem Nervenimpuls nicht feststellen, ob er durch eine visuelle oder eine akustische Erregung hervorgebracht wurde. Ja, man kann nicht einmal feststellen, ob ein Nervenimpuls durch eine Erregung der Sinnesorgane oder durch eine Störung innerhalb des Nervensystems entstanden ist. Man kann das Gehirn nämlich auch künstlich reizen und dabei ganz unterschiedliche sensorische Halluzinationen hervorrufen, je nachdem, welches Gebiet im Gehirn gereizt wird.
Nach dieser Auffassung bildet menschliche Wahrnehmung die Wirklichkeit nicht ab. Im Gegenteil: Sie bringt sie hervor.
Menschliche Wahrnehmung bildet die Wirklichkeit nicht ab. Im Gegenteil: Sie bringt sie hervor. Unsere Sinnesorgane übersetzen die Vielfalt der äußeren Welt in eine bioelektrische Einheitssprache. Unser Gehirn verarbeitet diese Impulse zu dem, was wir unsere Erfahrung nennen. Was in unserer Umwelt unsere Sinnesorgane anregt, können wir nicht erfahren, darüber können wir nichts wissen und nichts sagen. Wir haben nur die Bilder, Geräusche, Empfindungen, Geruchs- und Geschmackseindrücke, zu welchen unser Gehirn die sensorischen Reize verarbeitet.
Erkennen stellt also keine passive Abbildung einer äußeren objektiven Wirklichkeit dar. Erkennen ist ein Vorgang der Konstruktion, ein Prozess, in dem die Erfahrungswelt hervorgebracht wird. Dass jegliche Form von Erkenntnis, einschließlich des Erkannten selbst, als Konstruktion zu begreifen ist, stellt die zentrale Auffassung des sogenannten radikalen Konstruktivismus dar, der Erkenntnistheorie, die im Zusammenhang mit der kybernetischen Revolution Mitte des 20. Jahrhunderts formuliert wurde.
2. Die biologische Erkenntnistheorie von Maturana und Varela
Zwei chilenische Wissenschaftler, Humberto Maturana und Franzisco Varela, gelten als die Begründer dieser Erkenntnistheorie.
Zwei chilenische Wissenschaftler, Humberto Maturana und Franzisco Varela, gelten als die Begründer dieser Erkenntnistheorie. Im Gegensatz zur traditionellen Philosophie gingen sie mit einer naturwissenschaftlichen Fragestellung an dieses Problem und forschten nach den „biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens“.118 Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war die systemtheoretische Auffassung von Lebewesen.
Lebewesen sind Systeme, die ihren Lebensprozess nach eigenen Regeln steuern und auch äußere Einwirkungen nach eigenen Regeln verarbeiten.
Lebewesen sind Systeme, die sich selber hervorbringen, ihren Lebensprozess nach eigenen Regeln steuern und auch äußere Einwirkungen nach eigenen Regeln verarbeiten. Ein lebendes System bestimmt, welche Umweltreize es überhaupt zur Kenntnis nimmt, d.h., von welchen Reizen es sich zur Aktivität anregen läßt, und ein lebendes System bestimmt, wie es diese Umweltreize verarbeitet.
Die Beziehungen, die lebende Systeme zu ihrer Umwelt aufbauen, laufen nach einem einheitlichen Schema ab: Umweltreize führen zu einer Veränderung einer „sensorischen Fläche“, diese wiederum zu einer Veränderung einer „motorischen Fläche“, die eine Bewegung des lebenden Systems in dieser Umwelt zur Folge hat.
Die Beziehungen, die lebende Systeme zu ihrer Umwelt aufbauen, laufen, so betrachtet, nach einem einheitlichen Schema ab: Umweltreize führen zu einer Veränderung einer sogenannten sensorischen Fläche, diese wiederum zu einer Veränderung einer „motorischen Fläche“, die eine Bewegung des lebenden Systems in dieser Umwelt zur Folge hat. Dieses Schema gilt sowohl für einzellige Lebewesen wie die Amöbe bis hin zu hochorganisierten Vielzellern wie beispielsweise auch den Menschen. Für diesen Prozess der sensomotorischen Koordination haben Maturana und Varela einen eigenen Begriff geprägt, den der „strukturellen Koppelung“ eines lebenden Systems an seine Umwelt.
Das ist so bei einem einzelligen Lebewesen, wie zum Beispiel der Amöbe, ...
Wenn beispielsweise eine Amöbe in die Nähe eines anderen einzelligen Lebewesens kommt, löst das eine Veränderung der Konzentration bestimmter Stoffe in der Umgebung der Amöbe aus, die eine Auswirkung auf die Konsistenz der Membran der Amöbe hat. Diese Veränderung in der Membran der Amöbe führt zur Ausstülpung fingerförmiger „Füßchen“ (Pseudopodien), in die Zellflüssigkeit fließt und damit zu einer Bewegung führt, in deren Verlauf die Amöbe sich das andere Lebewesen einverleibt.
... wie auch bei einem vielzelligen Lebewesen wie der Hydra, nur dass die Hydra bereits Nervenzellen besitzt, die rezeptorische und motorische Zellen miteinaner verbinden.
Bei einem vielzelligen Lebewesen läuft der gleiche Prozess ab. Eine Hydra beispielsweise besitzt einen Körper aus einer doppelten Zellschicht. Darin gibt es u.a. rezeptorische Zellen, die auf Berührung reagieren, und motorische Zellen, die eine Bewegung des Tieres erzeugen. Zwischen diesen gibt es jedoch noch eine dritte Art von Zellen, die mittels Verlängerungen rezeptorische und motorische Zellen, die weit auseinanderliegen, miteinander verbinden. Es sind Nervenzellen einfachster Art. Wenn eine Hydra ein anderes Lebewesen frisst, funktioniert das prinzipiell genauso wie bei der Amöbe. Wenn ein Kleinstlebewesen in die Nähe einer Hydra kommt und rezeptorische Zellen berührt, wird...