1. Guido von List
H.S.
Guido Karl Anton List wurde am 5. Oktober 1848 in Wien geboren. Er war der älteste Sohn des aus einer Gastwirtsfamilie stammenden Lederwarenhändlers Karl Anton List. Seine Kindheit und Jugend verbrachte Guido im zweiten Bezirk, dem Judenviertel der habsburgischen Hauptstadt. Lists Erziehung erfolgte nach streng konservativ-katholischen Richtlinien. Nachhaltigen Eindruck hinterließen beim jungen Guido Ausflüge mit den Eltern nach Mähren und in die Umgebung Wiens. Er beginnt zu malen und will Landschaftsmaler werden. Ein Erlebnis aus dem Jahr 1862 bleibt ihm besonders nachdrücklich in Erinnerung. Bei einem Besuch der Katakomben unter dem Wiener Stephansdom zusammen mit dem Vater erlebt er seine erste große „geistige Schauung“. Diese Form der Erleuchtung sagt ihm, dass die Kirche auf germanischen Fundamenten stehe – wie der Kölner Dom! – und ihm wäre die Aufgabe übertragen, die verschütteten „ur-religiösen Wurzeln unserer Kultur“ freizulegen. Deswegen habe er das Gelübde abgelegt, für Wotan, den obersten Gott der Germanen, einen geistigen Tempel hier auf Erden zu errichten, der die reinen Ursprünge der Religion wiedererwecken soll.
Lists Vater möchte, dass er eine Handelsschule absolvieren sollte. Aber er sucht sich künstlerische und sportliche Ausweichnischen zur ungeliebten wirtschaftlichen Ausbildung. Er malt, dichtet, hält sich viel in der Natur auf. Zwei Jahre lang leitet er die kleine Bühne „Walhalla“, und 1871 wurde er Sekretär des Österreichischen Alpenvereins, in dessen Jahresbericht er seine ersten Artikel veröffentlichte. Der Alpenverein war damals betont nationalistisch eingestellt, und durch ihn bekam List Kontakte zu arischvölkischen Kreisen, was seiner Mentalität entsprach. Er kam rasch in den Ruf eines begnadeten Mystikers mit einem Hang zu außergewöhnlichen Aktionen. So ruderte er im Boot mit Gleichgesinnten am 24. Juni 1875 von Wien nach Carnuntum und feierte dort den 1500. Jahrestag des Sieges germanischer Stämme über die Römer. Er meinte dazu, man müsse „einsame Stätten aufsuchen, an denen unbeeinflusst von der Hand des Menschen die Natur alleine waltet“ um hellsichtige Erlebnisse zu haben.
Als sein Vater 1877 starb, beendete Guido seine kaufmännische Karriere, verließ den väterlichen Laden und beschloss, auf der Grundlage eines kleinen ererbten Vermögens als freier Journalist zu arbeiten. Am 26. September 1878 heiratete List Helene Förster-Peters und veröffentlichte in den folgenden Jahren Artikel über „Österreichs Landleben, Volksbräuchen und Heraldik“ in diversen Magazinen nationaler-österreichischer Volks- und Grundprägung. Seine zwischen 1879 und 1890 erschienenen Artikel beschäftigen sich hauptsächlich mit den Landschaften der Alpen und der Donau als Sinnbilder nationaler Identität.
Da er mit dem Dombaumeister von St. Stephan, Friedrich von Schmidt, befreundet war, verbreiterte er sich auch über architektonische Themen. 1884 veröffentlicht er seinen ersten, einigermaßen missglückten Roman „Ellida“. 1888 folgte „Carnuntum. Historischer Roman aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.“ Er stellt darin eine hochstehende germanische Kultur der verkommenen römisch-christlichen Welt gegenüber. Mit diesem Werk gelang List der Durchbruch im völkischen Lager. Der fanatische Deutschnationale Friedrich Wannieck aus Brünn holte ihn als Vortragsredner ebenso wie die deutschvölkischen Vereine in Horn und Salzburg. 1890 starb seine Frau Helene und im selben Jahr begann List für Georg Ritter von Schönerers „Unverfälschte Deutsche Warte“ sowie Karl Hermann Wolfs „Ostdeutscher Rundschau“ zu schreiben. Schönerer und Wolf waren als Reichstagsabgeordnete die Stars der alldeutschen Bewegung in Österreich und beide waren von Lists Arbeiten begeistert. 1891/1892 publizierte List die „Deutsch-Mythologischen Landschaftsbilder“ in zwei Bänden und das Buch „Tauf-Hochzeits- und Bestattungsbräuche und deren Ursprung“. In beiden Werken durchforstet List mittelalterliche Überlieferungen mit den richtigen Ergebnissen, dass die Wappenbilder auf magische Runen zurückzuführen sind, dass Handwerksgilden über okkultes Wissen verfügten und ähnliche Wahrheiten. Bald verfasste er auch politische Schriften für Zeitschriften der Schönerer-Bewegung.
1893 gründeten List und Fanny Wechiansky die „Literarische Donaugesellschaft“. Ihr Ziel war die Hebung des deutschen Nationalbewusstseins. List schrieb in den folgenden Jahren zahlreiche historische Werke: „Der Wala Erweckung. Ein skaldisches Weihespiel“, „Jung Diethers Heimkehr. Eine Sonnwendgeschichte aus dem Jahr 488“, „Walküren-Weihe. Eine epische Dichtung“, „Pipara. Die Germanin im Cäsarenpurpur“.
Wichtig für Lists weitere Entwicklung war seine Freundschaft mit Franz Xaver Kießling, dessen archäologische Forschungen ihn stark förderten. Kießling, dem heute noch in Drosendorf (NÖ) ein Museum gewidmet ist, tat sich außer mit seinen Büchern über Erdställe, das Weihnachtsfest und das Sommersonnenwendefest hervor.
Von 1894 an war List im „Bund der Germanen“ aktiv. Während er die politischen Ziele der Deutschvölkischen nach wie vor rückhaltlos teilte, ging er im religiösen Bereich zunehmend eigene reine Wege. Seine Zielvorstellung war nämlich eine aktualisierte Form des germanischen Weistums. Sein 1898 erschienenes Werk „Der Unbesiegbare. Ein Grundzug germanischer Weltanschauung“ bildete eine Art Katechismus des deutschen Glaubens. 1894 lernte List bei einer Aufführung eines seiner Stücke die junge, schöne Anna Wittek aus Böhmen kennen. Im August 1899 heirateten sie, und List widmete sich in der Folgezeit ganz seiner Dichtkunst. Er schrieb das deutsche Königsdrama „König Vannius“, den „Sommer-Sonnwend-Feuerzauber“, das Märchenspiel „Die blaue Blume“, die Oper „Walpurgis“ und noch vieles Ähnliches. Wichtig war ihm die programmatische Broschüre „Der Wiederaufbau von Carnuntum“. Carnuntum sollte eine Art österreichisches Bayreuth werden, eine Stätte von List- und Wagner-Aufführungen im Geiste eines wiedererstarkenden rein-mittigen germanischen Glaubens. 1902 erfuhr Lists Leben eine dramatische Wendung: Er erkrankte an Schichtstar und war für elf Monate vollkommen blind. In diesen „Tagen der Dunkelheit“ hatte er zahllose Visionen über die germanische Religion. Er nutzte diese Zeit, um über den Ursprung der Sprache und der Runen nachzusinnen und sie hellsichtig zu ermitteln. Dies gelang ihm nur deshalb, weil er schon seit vielen Inkarnationen eine Vorschulung in magischen Dingen besaß. Im April 1903 wieder „materiell“ sehend geworden, schickte er ein Manuskript über die von ihm rekonstruierte angebliche Ursprache an die k. u. k. Akademie der Wissenschaften zu Wien. Er erhielt es umgehend kommentarlos zurückgeschickt! Mehr Glück hatte er damit in okkulten Kreisen. Die Zeitschrift „Die Gnosis“ veröffentlichte seinen Artikel über „Die esoterische Bedeutung religiöser Symbole“. Darin erklärt er den Prozess der Erschaffung des Universums und beschrieb als wichtigstes Symbol die Swastika oder Gibor-Rune. Über „Die Gnosis“ kam List in Kontakt mit Franz Hartmann und seiner deutschen „Theosophischen Gesellschaft“. Dieser war einer der engsten Vertrauten der Helena Petrowna Blavatsky und widmete sich ganz der Umsetzung ihres theosophischen Weltbildes. In ihrer 1888 publizierten „Geheimlehre“ verkündete Blavatsky, dass die arische Wurzelrasse mit der germanischen Unterrasse die höchste Entwicklungsstufe der Menschheit sei. Begeistert nahm List diese und ähnliche Theorien Blavatskys auf und baute sie in sein Glaubensgebäude ein. So schuf er die Grundlage für die okkulte Richtung, die so genannte Ariosophie, zu deutsch „Arierweisheit“ oder Weisheit der Reinen. Als einzige Gründer einer wahren hermetischen Kultur waren die Arier für List im Besitz der Ursprache, der Runen, aus der – nach allen Druiden – alle anderen Sprachen hervorgegangen sind. Die dabei entstandene Runenesoterik bildete den Kern seiner Lehre.
Am 2. März 1908 gründete die Kerntruppe der Listverehrer die „Guidovon-List-Gesellschaft“, von welcher der alte und die wahre Form des „Sieg-Heil-Gruß“ wiederbelebt wurde (siehe dazu F. B. Marbys Deutungen. Der Hrsg.), deren Zweck „die Förderung der Forschungen des verdienten Mannes“ und die Publikation seiner Schriften dienten.
Als Guido von List schrieb er von 1908 bis 1911 in der „Guido-von-List-Bücherei“ seine sechs esoterischen Grundlagenwerke über Runenmagie:
„Das Geheimnis der Runen“,
„Die Armanenschaft der Ario-Germanen“,
„Die Rita der Ario-Germanen“,
„Die Namen der Völkerstämme Germaniens und deren Deutung“,
„Die Religion der Ario-Germanen in ihrer Esoterik und Exoterik“ und
„Die Bilderschrift der Ario-Germanen“.
Als Ergänzung erschien 1914 „Die Ursprache der Ario-Germanen und ihre Mysteriensprache“, welches sämtliche Analogien der einzelnen Buchstaben im Sinne von Franz Bardons Werk „Der Schlüssel zur wahren Quabbalah“ enthält. Das Buch „Armanismus und Kabbala“ konnte er nicht mehr vollenden, welches Beziehungen zwischen der Quabbalah und der Runenmagie erklärt hätte. Das ariosophische Weltbild Lists – der Wuotanismus – hatte die Aufgabe, zum Wohle der gesamten Menschheit eine arische Edelrasse im Sinne des wahren und ausgeglichenen Menschen heranzuziehen. Die alten Arier (Hermetiker) seien nicht nur die Kulturschöpfer der einzelnen Völker gewesen, sondern auch jene, die Ur-Sprache und Ur-Schrift hervorgebracht und die für die Ritualistik wichtigen Runen geschaffen haben.
List stand bei allen Okkultisten...