Drei Asse
Zu den von der Catturandi mit größter Spannung erwarteten Einsätzen gehört zweifellos der vom 6. Juni 1997 in einem zweistöckigen Haus in dem sogenannten Fondo Marino von Bagheria.
In den vorausgegangenen Monaten hatte die Abteilung alle Kräfte auf die Fahndung nach zwei untergetauchten Bossen konzentriert. Ein Team beschäftigte sich mit dem Clan Tinnirello, um den Boss Antonino aufzuspüren, die andere mit Peppuccio La Mattina, den man für die rechte Hand von Pietro Aglieri hielt (im Sprachgebrauch der Mafia der Stellvertreter des Clanchefs).
Bei Ermittlungen gegen einen Clan geschieht es oft, dass man – wie wir in Sizilien zu sagen pflegen – nicht immer Zucchini erntet, wenn man Zucchini gesät hat. Manchmal wachsen Broccoli, manchmal nur eine kleine Aubergine. Damit ist gemeint, dass man auf der Suche nach dem Boss eines Clans in seinem Hoheitsbereich manchmal auf den Stellvertreter stößt. Manchmal passiert aber auch das Gegenteil, und man hat, während man nur den Vize zu verfolgen glaubte, plötzlich den Boss der Bosse im Visier.
Damals hatten wir herausbekommen, dass der Clan Corso und besonders die Söhne von Luigi Corso, Ino und Giampaolo, Kontakte zur Mafia von Santa Maria di Gesù unterhielten. Diese Leute, so hatte sich mehrmals gezeigt, standen mit dem untergetauchten Boss Pietro Aglieri in Verbindung. Damit war klar, dass die Corsos in der Lage waren, über seine leibliche Familie und seine Clanmitglieder Informationen an Aglieri weiterzuleiten.
Wir hörten die Telefone aller Familienmitglieder von Luigi Corso ab. Das war nicht ganz einfach, da Giampaolo ein bekanntes Lokal für Veranstaltungen in Palermo betrieb und sein Bruder Ino ein Autohaus. Ihr Telefonverkehr war enorm: Neben ihren persönlichen Festnetz- und Mobilfunknummern mussten wir auch die auf die Firma und einige ihrer Angestellten eingetragenen Nummern überwachen.
Außerdem gingen die Ermittlungen gegen Peppuccio La Mattina und Antonino Tinnirello weiter. Das heißt, dass wir zusätzlich Dutzende von Gesprächen am Telefon und aus der akustischen Raumüberwachung intensiv verfolgen mussten, um auch nicht die geringste Andeutung zu verpassen. Manchmal wusste ich selbst nicht, wie wir das schafften.
Im Laufe meiner Tätigkeit bei der Catturandi hatte ich allmählich das diffizile Handwerk der Raumüberwachung und des Abhörens von Telefongesprächen gelernt. Dabei geht es nicht nur darum, das, was die Teilnehmer besprechen, zu transkribieren, sondern vor allem darum, die dahinterliegende Botschaft und die Codewörter zu entschlüsseln. Immer spielen dabei der Tonfall und sogar die Pausen eine wichtige Rolle, da sie häufig einen verborgenen Sinn enthalten, den der Abhörende erkennen muss.
Um die damit verbundenen Schwierigkeiten zu erahnen, braucht man sich nur ein Gespräch vorzustellen, das von zwei Personen nicht am Telefon geführt wird, sondern inmitten lärmender Menschen, wo sich die beiden etwas zuflüstern. Die Abhörwanzen übertragen alle Geräusche an den Polizisten, der beim Zuhören den Dialog aus den Hintergrundgeräuschen herausfiltern muss, um zu verstehen, was die beiden, die vielleicht viele Kilometer von seiner Abhörzelle entfernt sind, sagen und was sie damit meinen.
Anfangs schaute ich meinen Kollegen zu, die während des Abhörens lächelten und mit den anderen das Aufgenommene kommentierten. Dann setzte ich mir selbst die Kopfhörer auf und hörte nichts als ein starkes Rauschen.
Und dann lachten sie und versuchten, mich auf den Arm zu nehmen: »Was? Du hörst nichts? Die besprechen doch gerade ein Treffen.«
»Halt, halt! Spul zurück, vielleicht war da was … Genau, da!«
Und bei mir – nichts. Meistens verstand ich kein Wort.
Schließlich beruhigte mich der älteste unter den Kollegen lächelnd und erklärte mir, dass sich meine Ohren mit der Zeit schon daran gewöhnen würden, die Geräusche der Raumüberwachung auseinanderzuhalten. Ich dürfe nur nicht aufgeben und müsse genügend Erfahrung sammeln.
Gott sei Dank war das nicht nötig. Alle Kollegen sind zwar austauschbar, und jeder kann alles machen. Aber ich bevorzuge mein »Spielzeug« und höre bis heute am liebsten Telefone ab.
Bei den Corsos hatten wir mittlerweile einige seltsame Gespräche zwischen Ino und Pater Mario Frittitta, dem Pfarrer der Gemeinde von Kalsa, registriert.
Einige Kronzeugen und auch Gerüchte in der Bevölkerung munkelten von einer Bekehrung Pietro Aglieris, und Pater Frittitta entsprach genau dem Bild eines Priesters, der einen Sünder zur Umkehr bewegen kann.
Andererseits war allgemein bekannt, dass Frittitta Pfarrer derjenigen Gemeinde war, die schon immer fest in der Hand der Mafia gewesen war, und dass einige Kriminelle auf der Flucht vor der Polizei in seinem Kloster Unterschlupf gefunden hatten. Die Vermutung, dass der Priester selbst mit der Mafia unter einer Decke steckte, wurde durch einige abgehörte Gespräche gestützt, in denen von Botschaften oder auch von Geld die Rede war, die der Clan durch Pater Frittitta an den Untergetauchten weiterleiten wollte.
Nachdem die Staatsanwaltschaft autorisiert hatte, dass wir die Telefone des Karmelitermönches und einiger seiner Mitbrüder abhören durften, bekamen wir tatsächlich einige nützliche Hinweise. Nach Wochen der Überwachung, der Beschattung und des Abhörens – ich glaube, es war Anfang 1997 – hatten wir das Gefühl, dass etwas Entscheidendes bevorstand.
Eines Tages fuhren wir hinter Ino Corso her, als dieser sein Autohaus verließ und in einem dunklen BMW auf der Viale Regione Siciliana in Richtung Catania fuhr. Während er anfangs extrem langsam fuhr, beschleunigte er plötzlich auf über hundert Stundenkilometer. Das ist eine gute Methode, um festzustellen, ob man verfolgt wird. Und wir, die wir ihm tatsächlich auf den Fersen waren, mussten aufgeben. Sein Verhalten bestätigte jedoch unsere Vermutung, dass etwas nicht stimmte, und deshalb sorgten wir über Funk dafür, dass andere Wagen am Kreisverkehr der Via Orta, den er passieren musste, die Verfolgung aufnahmen.
Weil Ino Corso die Autobahn nahm, mussten wir von ihm ablassen, denn auf eine so komplexe Beschattung waren wir nicht vorbereitet, so dass wir uns bedeckt halten mussten, damit Corso nichts bemerkte. Es blieb uns nichts anderes übrig, als auf seine Rückkehr zu warten, um nachträglich seine durch das GPS aufgezeichnete Route und seine Ziele zu analysieren. Genau wussten wir lediglich, dass Corso die Stadt verlassen hatte und Richtung Catania gefahren war.
Einige Wochen später nahm er den gleichen Weg, aber diesmal waren wir vorbereitet. Wir folgten ihm nicht auf der Straße, sondern postierten uns entlang der Strecke an zwei wichtigen Kreuzungen außerhalb der Stadt. Corso passierte beide Stellen und kehrte erst ein paar Stunden später zurück. Wir gingen von einer bestimmten Durchschnittsgeschwindigkeit aus und rechneten uns aus, dass er einen Ort zwischen Villabate und Termini Imerese aufgesucht haben musste. Bei der akustischen Raumüberwachung konnten wir dann einige Tage später einem Gespräch zwischen den Brüdern Corso entnehmen, dass Ino tatsächlich Pietro Aglieri getroffen hatte.
Nun packte uns das Jagdfieber, und bei der Catturandi taten wir praktisch nichts anderes mehr, als die Gespräche der Familie Corso abhören, wieder abhören, warten und wieder abhören. Niemand wollte auch nur eine Minute aufhören zu arbeiten und nach Hause gehen. Unsere Vorgesetzten mussten uns geradezu zwingen und sagten: »Jungs, haltet die Schichten ein, sonst seid ihr zu müde, wenn der Einsatz kommt. Los, wer nicht im Dienst ist, soll jetzt für ein paar Stunden nach Hause gehen.«
Sie waren jedoch die Ersten, die diese guten Ratschläge missachteten. Häufig sah man Claudio Sanfilippo und seinen Stellvertreter Renato Cortese aus den vom Rauch ihrer Zigarren geschwängerten Büros nach Hause hasten, um sich wenigstens zu duschen, bevor sie die tägliche Sitzung mit dem Polizeipräsidenten wahrnahmen.
Wieder erfuhren wir es beim Abhören, dass Corso sich erneut auf den Weg machte, und diesmal kontrollierten wir jede Kreuzung bis Termini Imerese. Der entscheidende Hinweis kam jedoch von einem Wachposten in Bagheria, denn dort wurde beobachtet, wie Ino Corso und Pater Frittitta vor einer Bar am Ortsende auf und ab gingen.
Diesmal verfolgten wir sicherheitshalber beide. Ino war sich seiner Sache sicher. Er benutzte wieder die Methode des plötzlichen Geschwindigkeitswechsels, um zu prüfen, ob ihm jemand folgte. Da er feststellte, dass ihm niemand auf den Fersen war, gab er jede Vorsicht auf und fuhr ganz normal. Bevor die Patrouille die Verfolgung aufgab, war sie sich sicher, dass er die Landstraße genommen hatte.
Ein weiteres Mal würde Corso uns nicht entwischen.
Einige Tage später rief Totò il rosso (»der Rote«), der zu den besten Spezialisten für die akustische Raumüberwachung gehörte, die Kollegen zusammen. Seiner Meinung nach ging etwas Merkwürdiges vor sich, denn der Koch in Giampaolos Lokal verwandte allzu große Mühe auf die Vorbereitung einer Lasagne. Dass ausführlich über die Zubereitung von Lasagne gesprochen wurde, war schon öfter vorgekommen und hatte uns bereits misstrauisch gemacht. Sollte sie etwa zu Pietro Aglieri gebracht werden?
Wie aber sollte man einer Lasagne folgen? Wenn wir nicht alle Personen aus der Umgebung der Bosse im Visier gehabt hätten, wäre das kaum möglich gewesen.
Essen spielt immer eine wichtige Rolle bei der Fahndung nach untergetauchten Mafiosi. Einige Jahre später wurden wir auch bei Bernardo Provenzano dadurch auf die richtige Spur gebracht, dass seine Frau mit besonderer Sorgfalt...