2.1_Die Paris-Lücke
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen, mit der die internationale Gemeinschaft konfrontiert ist [48, 49]. Es besteht ein enger Bezug zum massiven Wachstum der Weltbevölkerung. Mit der Klimarahmenkonvention von 1992 und dem Kyoto-Vertrag von 1997 haben die Staaten der Welt erste gemeinsame Antworten auf diese Herausforderung formuliert. Gemeinsamkeit ist deshalb wichtig, weil Klima und Klimagase alle betreffen und nicht an Staatsgrenzen haltmachen. Für die bisherigen Verabredungen gilt allerdings, dass zu wenig zu spät in die Wege geleitet wurde. Und das Wenige zielt oft noch in die falsche Richtung, zum Beispiel wegen einer viel zu stark national fokussierten Orientierung der Aktivitäten. Die Gründe dafür liegen in der Komplexität der Thematik, hängen an Abhängigkeiten und spezifischen politisch-industriellen Interessen und Problemlagen im Rahmen des Status quo, den hohen Umstellungskosten auf ein anderes Energiesystem (was viel mehr umfasst als nur die Energieerzeugung), den erheblichen Interessengegensätzen zwischen den Staaten, den vielen tangierten Gerechtigkeitsfragen, die völlig unterschiedlich gesehen werden, und liegen in unterschiedlichen Betroffenheiten bezüglich des Klimawandels und in Machtdifferenzen aufseiten der Akteure.
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Ergebnis der Weltklimakonferenz in Paris. Der unterzeichnete Vertrag ist substanziell relativ schwach und zu weich formuliert. Hier wird hoffentlich »nachgehärtet«. Das Ergebnis der Paris-Konferenz war in Publikationen des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n in Ulm (FAW/n) nach der Klimakonferenz von Kopenhagen (2009) weitgehend vorweggenommen worden [70]. Die Ergebnisse von Paris haben zwei Teile, einerseits die vereinbarten Ziele, andererseits die verabredeten Maßnahmen zur Zielerreichung. Positiv ist, dass sich die Menschheit auf vernünftige Zielsetzungen, im Wesentlichen eine verschärfte Zwei-Grad-Obergrenze im Klimabereich, verständigt hat. Festzuhalten bleibt aber auch, dass die ohnehin freiwilligen und rechtlich nicht verbindlichen materiellen Zusagen der Staaten, die sogenannten »Nationally Determined Contributions« (NDCs), bei weitem nicht ausreichen, die verabredeten Ziele zu erreichen, selbst wenn sie umgesetzt werden, nämlich die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf deutlich unter 2 Grad im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit. Die materiellen Verhandlungsergebnisse laufen eher auf einen Drei- bis Vier-Grad-Anstieg als auf einen maximal Zwei-Grad-Anstieg hinaus.
Wie soll es weitergehen? Tatsächlich zeigt sich an dieser Stelle die im internationalen politischen Betrieb übliche Lücke zwischen großen Worten und unzureichenden Taten, nicht anders als bei den »Millennium Development Goals« (MDGs), die als Vorläufer der SDGs von 2000 bis 2015 verfolgt wurden [76]. Eine Ambitionslücke ist jetzt auch wieder bei den neuen Nachhaltigkeitszielen bis zum Jahr 2030 zu erwarten, für deren Überwindung auf der Weltkonferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba 2015 Finanzierungserfordernisse in Billionenhöhe identifiziert wurden [1].
Nach Schätzungen des FAW/n werden das Abkommen von Paris und das, was folgen wird, die kumulierten CO2-Emissionen im Verhältnis zu einer Status-quo-Projektion der Situation vor Paris bis 2050 um etwa 500 Milliarden Tonnen CO2 senken. Das ist ein großer Fortschritt, aber es sind immer noch viel zu viele Klimagasemissionen, die bis 2050 produziert werden, wenn wir nicht gegensteuern. Es besteht deshalb eine zweite Dimension von Erfordernissen. Diese kann die Politik nicht alleine lösen. Den meisten Nichtregierungsorganisationen scheint das aufgrund eines falschen Framings des Problems allerdings nicht klar zu sein. Offenbar ist ihnen eine zweite Gerechtigkeitsdimension des Klimaproblems (neben der Nord-Süd-Thematik), nämlich diejenigen zwischen reichen und weniger reichen Konsumenten weltweit, nicht bewusst. Darum investieren sie ihre politischen Energien an der falschen Stelle – sie wollen eine Nachschärfung von Paris erreichen. Das ist eher kontraproduktiv. Viel erfolgversprechender ist die Konzentration auf den Privatsektor, der wegen der zweiten Gerechtigkeitsdimension des Klimaproblems nach Paris der bessere Adressat ist. Denn dieser kann die verbliebene Paris-Lücke schließen. Und seine Motivationslage ist sogar so, dass er das möglicherweise tun wird. Dazu muss geeignet kommuniziert werden – also den Privatsektor nicht frustrieren, sondern motivieren. Hierauf gilt es sich nun nach Paris zu konzentrieren.
Wie entwickelt sich das globale Klima? Die US-Klimabehörde NOAA hat dazu einen deutlichen Report über das Jahr 2016 veröffentlicht: Es war weltweit gesehen nicht nur das dritte heißeste Jahr in Folge und damit das wärmste seit Messbeginn vor 137 Jahren, sondern brachte auch den höchsten Meeresspiegel und den schnellsten Zuwachs an Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre.9 Das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat die größten Risiken für die Menschheit erheben lassen. Eine große Rolle spielen Klima und Umwelt – und die dadurch entstehende Migration. Der Befund lautet, dass von den Folgen aus Umweltzerstörung und Klimawandel aktuell die größte Gefahr für die Menschheit ausgeht. Zu diesem Ergebnis kommt auch der »Global Risks Report 2018«, den das Weltwirtschaftsforum eine Woche vor seinem jährlichen Treffen in Davos vorgestellt hat. Bereits zum zweiten Mal in Folge bewerten 1000 Risikoexperten extreme Wetterphänomene als gefährlicher als zum Beispiel Cyberangriffe oder zwischenstaatliche Konflikte.
Betrachtet man das Thema aus Sicht der Versicherungsbranche und großer Schadensereignisse,10 gilt Folgendes: 2017 wird als ein Jahr mit besonders vielen Schäden durch Naturereignisse in die Bücher eingehen. Stürmische Zeiten – vor allem Hurrikans richteten große Schäden an. Es gab 710 relevante Schadensereignisse, davon 335 Überschwemmungen, 250 Stürme, 75 klimatologische Ereignisse, 50 Erdbeben. 2017 wurde die zweithöchste Schadenssumme aller Zeiten errechnet, nämlich 330 Milliarden US-Dollar Gesamtschaden. Nur im Jahr 2011, als vor Japan die Erde bebte und der Atomreaktor in Fukushima explodierte, kam es zu noch größeren Schäden (etwa 350 Milliarden US-Dollar). Die bei weitem größten Schäden in 2017 fielen in Nordamerika an (83 Prozent der Schadenssumme). 160 Katastrophenfälle wurden registriert, vor allem die Hurrikans Harvey, Irma und Maria, aber auch Erdbeben in Mexiko und Waldbrände in den USA.
Drastisch sind die auch Warnungen von Christine Lagarde, der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Bei einem Besuch in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens, sagte sie im Oktober 2017: »Wenn wir jetzt nichts gegen den Klimawandel unternehmen, werden wir in 50 Jahren getoastet, geröstet und gegrillt.« Saudi-Arabien, das durch seine Ölvorkommen wohlhabend geworden ist und Maßnahmen gegen den Klimawandel bislang als überflüssig bewertete, habe den Ernst der Lage jetzt »gut verstanden«.11
Als Folge der Erderwärmung kann sich die Wasserversorgung der großen Flüsse verschlechtern, dabei spielt das Abschmelzen der Gletscher, vor allem in der Himalaja-Region, eine große Rolle. Staaten könnten um die verbliebenen Wasserressourcen streiten, massive Konflikte sind möglich, die bis zu militärischen Auseinandersetzungen reichen können. Konflikte sind etwa zwischen China, Indien und Pakistan denkbar, ebenso zwischen Äthiopien, dem Sudan und Ägypten, Letzteres wegen der Nutzung des Nils und seiner Quellen [53]. Auch um neu verfügbar werdende Ressourcen wird man sich streiten, zum Beispiel solche, die durch das Abschmelzen von Eispanzern, etwa in der Arktis, erstmalig zugänglich werden. Eine freie Nord-Ost-Passage für die Schifffahrt kann die Handelsströme verändern und Gewinner und Verlierer erzeugen. Und sollte die Welt immer mehr Entschlossenheit entwickeln, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen, droht die Verarmung heute reicher und mächtiger Staaten, deren Wohlstand gerade auf der Verfügbarkeit dieser Energieträger auf ihrem Territorium beruht. Die Verlierer dieser Prozesse werden sich wahrscheinlich mit allen Mitteln gegen diese Veränderungen stemmen und protestieren.
Auch ein neuer Bericht an den »Club of Rome« [4] kommt zu einer pessimistischen Einschätzung des Anthropozäns. Dabei geht es sowohl um das Klima als auch um die zunehmende Knappheit wichtiger Ressourcen. Der Bericht steht unter der Überschrift »Die dunkle Seite des Bergbaus«. Das Fazit lautet: »Wir können nicht im Einzelnen sagen, was geschehen wird, aber wir wissen, dass der anthropogene Bergbau die Erde in einen anderen Planeten verwandelt hat und dass diese Transformation immer noch anhält. Das ist dann ein Planet, auf dem sich sowohl die Oberfläche – infolge des Bergbaus – verändert hat als auch die Zusammensetzung der Ökosphäre – infolge der Einbringung wesensfremder Chemikalien und Mineralien. Das ist der Höhepunkt des Anthropozäns, eines neuen Zeitalters, in dem die Atmosphäre Treibhausgase in Mengen enthält, wie sie dort mehrere Millionen Jahre lang nicht aufgetreten sind. Das ist dann ein Planet, auf dem die Ozeane versauert und die Polareiskappen geschrumpft oder schon ganz verschwunden sind. Ein Planet mit so hohen Temperaturen, dass ein Leben in den Tropen nicht mehr möglich sein wird, auf dem das Wasser der Ozeane so sauer geworden ist, dass das Leben größtenteils aus ihnen verschwunden ist. Ein Planet, auf dem der ansteigende Meeresspiegel die meisten menschlichen Siedlungen an den Küsten überflutet hat. Ob es uns gelingen wird,...