I.Hinführung zum Thema
I.1Management Summary – was nach Paris zu tun ist
Die Klimafrage ist eine der zentralen Herausforderungen für die Menschheit. Mit dem Weltklimavertrag von Paris wurde ein wichtiger Schritt in Richtung »Bewältigung« getan, insofern als die Staaten der Welt gemeinsam das Problem benannt und eine Zielsetzung formuliert haben, nämlich den Anstieg der globalen mittleren Temperatur unter 2 Grad, möglichst unter 1,5 Grad im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit zu halten (verschärftes Zwei-Grad-Ziel).
Seit der Weltklimakonferenz von Kopenhagen war klar, dass viel mehr wohl kaum zu erreichen ist. Die vorliegenden Zusagen reichen, selbst wenn sie umgesetzt werden sollten, bei weitem nicht aus für die Erfüllung der Zielsetzung, und von weiteren Runden der »Verschärfung« ist das auch nicht zu erwarten. Die Umsetzung des Versprochenen, das auch noch längst nicht sicher ist (siehe Trump), kann den Temperaturanstieg vielleicht bei 3 bis 4 Grad im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit begrenzen, aber nicht bei 2 Grad und weniger. In Bezug auf die Frage, wie man zu 1,5 bis 2 Grad kommt, besteht also eine erhebliche Ambitionslücke – die Lücke von Paris. Dies gilt sowohl für das, was die Staaten individuell oder in ausgewählten Partnerschaften zu tun bereit sind, als auch in Bezug auf die Frage, wofür internationale Finanzierung etwa im Sinne eines Klimafinanzausgleichs bereitgestellt werden wird.
Dieses Buch argumentiert, dass viel mehr als das, was mit Paris erreicht wurde, von der Politik auch nicht erwartet werden kann. Aus guten Gründen muss nun eine leistungsstarke andere Akteursgruppe aktiviert werden, nämlich der Privatsektor, vor allem der reiche Teil mit seinen zum Teil extrem hohen Klimagasemissionen (Top Emitters).
Der vorliegende Text argumentiert, dass der Privatsektor die Lücke von Paris, die etwa 500 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen bis 2050 umfasst (graues und grünes Feld in Abb. 3 in Kap. II.2) schließen kann und das die Politik in Paris die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass der Privatsektor jetzt diese Herausforderung entschlossen angehen kann. Dies ist aus Sicht dieses Textes der entscheidende Beitrag des Paris-Vertrags. Der Privatsektor kann dabei, jenseits aller gesetzlichen Vorgaben und unter Beachtung des Verursacherprinzips, den Gedanken einer freiwilligen Klimaneutralität seiner Aktivitäten unter Einschluss internationaler Kompensationsprojekte auf Basis »verlorener« Finanzierungsbeiträge verfolgen und damit die Lücke individualisieren. Und es gibt für ihn gute Gründe, dies zu tun. Denn das Klimaproblem ist, wenn man es so interpretieren will, im Kern verursacht von individuellen »Großemittenten«. Und diese sind zugleich die größten Verlierer, wenn es zu einer Klimakatastrophe kommen sollte.
Es ist wichtig, dass die erforderlichen Aktivitäten des Privatsektors sehr viele Co-Benefits zu erzielen erlauben, also positive Effekte an anderer Stelle, etwa bei der Umsetzung der SDGs, den 17 Nachhaltigkeitszielen der Weltgemeinschaft bis 2030. Es sind dies Non-regret-Aktivitäten, die sogar Sinn ergeben würden, wenn es kein Klimaproblem gäbe beziehungsweise wenn der Mensch für das Klimaproblem in keiner Weise verantwortlich wäre.
In diesem Kontext sind, wie bei einem Puzzle, viele Fragen gleichzeitig zu adressieren:
■Sicherung eines erheblichen Wohlstandszuwachses für Milliarden Menschen, um so auch das nach wie vor viel zu hohe Bevölkerungswachstum, vor allem in Afrika und Indien, möglichst bei 10 Milliarden Menschen zu begrenzen. Dies auch mit Blick auf die Migrationsfrage, die die Politik in den reichen Ländern völlig überfordern kann.
■Verwirklichung eines erheblichen Wohlstandsaufbaus in Afrika, unter anderem durch Nutzung der großen Potenziale für erneuerbare Energien in der Sahara und an vielen anderen Stellen.
■Umsetzen der SDGs, also der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, das heißt überall die Kombination von mehr Wohlstand bei gleichzeitigem Umweltschutz und Schutz des Klimasystems.
■Massive Nutzung biologischer Sequestrierung, insbesondere durch Aufforstung auf degradierten Böden in den Tropen und großflächige Humusgenerierung/Einsatz von Bio-Kohle, insbesondere auch auf semiariden Flächen, zur Bindung von CO2. Dieses Thema bildet einen Schwerpunkt des Buches. Aufforstung dient unter anderem der Bereitstellung großer Volumina von Holz als erneuerbare Ressource für den breiten Wohlstandsaufbau. An dieser Stelle sei erneut auf die Trillion Tree Campaign der Plant-for-the-Planet Initiative (vgl. Info-Box 57) verwiesen. Die Ausweitung der Nahrungsmittelproduktion vor Ort ist für die Ernährung der Menschen in den ärmeren Ländern eine Existenzfrage.
■Produktion synthetischer Kraftstoffe und anderer Energieträger für Fahrzeuge, Häuser, Schwerindustrie, Chemie auf Basis von geeigneten, potenziell klimaneutralen Basismaterialien wie Methanol, bevorzugt hergestellt am Rande von oder in heißen Wüstengebieten.
Der beschriebene Weg zielt auf Kooperation zwischen Nord und Süd, exemplarisch auf eine deutlich verstärkte Kooperation zwischen Europa und Afrika. Die Europäer können gigantische Kosten vor Ort bei ihren eigenen Beiträgen zur Lösung des Klimaproblems einsparen, wenn sie mit Afrika klug zusammenarbeiten. Sie können damit zugleich die Umsetzung der SDGs in Afrika wesentlich voranbringen, ohne Umwelt und Klima zusätzlich zu belasten. Das Bevölkerungswachstum könnte in der Folge um 2050 zum Stillstand kommen. Unter Umständen kann massive Migration verhindert werden. Durch großflächige biologische Sequestrierung werden große materielle und finanzielle Werte geschaffen, während gleichzeitig die weltweite Klimasituation verbessert wird.
Der Text beschreibt in der beschriebenen Argumentationslinie, welche enormen Chancen im Bereich der freiwilligen Klimaneutralität liegen, die deshalb aus guten Gründen von der Bundesregierung genutzt und von Seiten des UN-Klimasekretariats stark propagiert wird (vgl. I.3). Die hier gewählte Argumentationslinie findet sich mittlerweile auch an anderer Stelle. Der Beitrag [91] gibt hierzu wichtige Informationen. Er verweist auf die Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD), die Empfehlungen darüber formuliert, wie und was Firmen gegenüber Investoren bezüglich der Risiken berichten sollen, mit denen sie im Klimabereich konfrontiert sind. Er zitiert Simon Henry, den Programmdirektor der International Carbon Reduction and Offset Alliance (ICROA), der die Bedeutung freiwilliger Offsets beschreibt und deutlich macht, dass der Markt für Offsets funktioniert, transparent ist, wächst und einen entscheidenden Beitrag leisten kann und muss, wenn das Zwei-Grad-Ziel noch erreicht werden soll. Interessant ist auch die Position des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) zum Thema. Maria Mendiluce, die Direktorin dieser wichtigen Business Organisation zum Thema Nachhaltigkeit für die Bereiche Klima und Energie beschreibt die große Bedeutung von Offsets und tritt Kritikern entgegen, nicht anders als Frau Christina Figueres, die frühere Executive Secretary des UN Climate Change Sekretariats (vgl. hierzu auch die Hinweise in Kap. I.3 in diesem Buch). Der WBCSD entwickelt aktuell sein Natural Climate Solutions Project zum Thema, das über den freiwilligen Carbon-Markt Finanzierung in Projekte der Bodennutzung leiten soll, die Kohlenstoff in Böden speichern. Dies ist auch ein zentrales Anliegen des vorliegenden Buches (vgl. hierzu insbesondere Kap. III.3).
Das vorliegende Buch beschreibt des Weiteren auch mit Beispielen, dass viele Akteure bereits im Themenbereich entschieden unterwegs sind und als Vorbilder agieren. Dies könnte der Schlüssel zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels sein. Der Milliarden-Joker (vgl. Info-Box 1) ist in diesem Kontext der politische Vorschlag an die Politik, insbesondere auch an die neue deutsche Regierung, auf diese Weise die bestehenden Probleme um die Klimaschutzziele 2020 zielgerichtet zu relativieren: Deutschland würde weltweit zum ersten klimapositiven Industriestaat.
I.2Der US-Präsident, Rechtsfragen und deutsche Befindlichkeiten2
Internationale Politik wird in Zeiten von US-Präsident Trump, Brexit und Renationalisierungs- und Protektionismus-Tendenzen in vielen Staaten immer schwieriger. Der sich aufbauende Migrationsdruck stellt eine besondere Herausforderung dar, vor allem, wenn man an die Möglichkeit von Millionen Klimaflüchtlingen in der Zukunft denkt. Parallel zu den internationalen Themen erzeugen die Verlierer der Globalisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte politische Verwerfungen innerhalb der Staaten. Ihre Situation wurde in der öffentlichen Debatte und im politischen Prozess viel zu lange nicht fair zur Kenntnis genommen. Auf nationaler Ebene finden sich nun fast überall Akteure, die jetzt einfache Lösungen versprechen, während die schwierigen, aber erfolgversprechenden Ansätze echter internationaler Kooperation von fast allen Seiten eher ausgeblendet werden.
Die aktuellen Probleme werden beim Klimaschutz besonders deutlich....