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E-Book

Der Pinguin meines Lebens

Die wahre Geschichte einer unwahrscheinlichen Freundschaft

AutorTom Michell
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783104037424
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eine wahre und herzergreifende Freundschaftsgeschichte zwischen Mensch und Pinguin, wie es sie noch nie gab. Der junge Lehrer Tom Michell geht mit 21 nach Südamerika, bereist Urugay und heuert dann in Argentinien als Lehrer in einem Internat an. Was er sucht, ist das ganz große Abenteuer. Womit er nicht rechnet, ist ein Pinguin, der sein Leben verändern soll. Als Tom Michell einen Pinguin mit ölverschmiertem Gefieder am Strand von Uruguay findet und beschließt, ihn mitzunehmen um das Öl zu entfernen, ahnt er noch nicht, dass der watschelnde Zeitgenosse nicht nur sein Leben vollkommen auf den Kopf stellen wird. Michell beschließt, den Pinguin mit nach Argentinien zu nehmen und tauft ihn Juan Salvador: 'Ich betete, dass der Pinguin überleben würde. Ich hatte ihm in diesem Augenblick einen Namen gegeben, und mit diesem Namen begann eine enge Verbundenheit, die ein Leben lang halten sollte.' Der Pinguin zieht auf Tom Michells Terasse ein. Für den jungen Lehrer wird er ein treuer Freund, für seine Schüler zum Pinguin des Vertrauens. Pinguine sind nämlich nicht nur wahnsinnig niedlich, sondern auch hervorragende Zuhörer ... Ein herzergreifendes, traurig-schönes Memoir und ein Geschenk für alle, die im Zoo auch immer zuerst zu den Pinguinen gehen, und für alle Fans von Lassie, Flipper und Bob.

Tom Michell lebt heute mit Frau und Kindern in Cornwall, England.

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Leseprobe

Ein Pinguin läuft mir zu


Kapitel 1
In dem ein Abenteuer endet und ein anderes beginnt

Der Badeort Punta del Este liegt auf einer Landspitze der Küste von Uruguay, wo der große südliche Bogen der südamerikanischen Atlantikküste auf das Nordufer des riesigen Flussdeltas Río de la Plata trifft. Er befindet sich rund sechzig Meilen östlich der Hauptstadt Montevideo und, durch den gewaltigen Fluss getrennt, gegenüber von Buenos Aires, der Hauptstadt der Republik Argentinien. In den sechziger und siebziger Jahren war Punta del Este das Nizza, Cannes oder Saint-Tropez für die Bewohner dieser beiden großen Metropolen, der Ort, an dem sich die Schickeria in den Sommerferien versammelte, um der Hitze der Stadt zu entfliehen und in den luxuriösen Penthäusern und Apartmentanlagen mit Blick auf die Küste ihr Sehen und Gesehenwerden zu zelebrieren. Soweit ich weiß, tun sie das noch heute.

Den Schlüssel zu einem dieser Apartments hatten mir netterweise Freunde, die Bellamys, geliehen, weil Winter war und sie das Apartment im Augenblick nicht selbst nutzten. Nach einem phantastischen Aufenthalt in Paraguay befand ich mich auf dem Rückweg nach Argentinien. Mit einem Zwischenstopp an den gewaltigen Iguazú-Wasserfällen war ich dann an der Küste entlanggereist und nun in Uruguay angekommen. Da ich einige anstrengende und aufregende Wochen hinter mir hatte, freute ich mich darauf, außerhalb der Saison noch ein paar entspannte Tage im ruhigen Punta del Este zu verbringen.

Am letzten Tag meines Aufenthalts war ich spätnachmittags ins Apartment zurückgekehrt, um zu packen und mich auf den Aufbruch früh am darauffolgenden Tag vorzubereiten. Ich hatte das Tragflügelboot über den Río de la Plata um zwölf Uhr mittags gebucht und musste deshalb den colectivo, den örtlichen Bus, von Punta del Este nach Montevideo um Viertel vor sechs erwischen. Colectivos wurden von ihren Fahrern begeistert mit unzähligen Verzierungen und Glücksbringern dekoriert, was vermutlich die abgefahrenen Reifen wettmachen sollte.

Nachdem ich gepackt und das Apartment geputzt und inspiziert hatte, beschloss ich, noch einen Spaziergang am Meer zu machen, bevor ich ein letztes Mal zum Abendessen in dem Badeort einkehren würde.

Der auf der westlichen Seite der Landspitze gelegene Hafen von Punta del Este war klein und bot nur wenigen Booten von Privatleuten und Freizeitanglern Platz, die an jenem Tag sanft an ihren Liegeplätzen schaukelten, genau wie die schwimmenden Pontons, über die die Bootsbesitzer ihre Dingis erreichen konnten. Zwar war der Hafen im Osten gut gegen den Atlantik abgeschirmt, doch vor dem Westwind, der an diesem Tag wehte, bot er kaum Schutz.

Die Luft war erfüllt vom Geschrei der Möwen, dem Knallen der Segelleinen und dem Geruch nach Fisch, und dieser kleine sichere Hafen wärmte sich ruhig in der strahlenden Wintersonne. Die leuchtenden Farben der Möwen, Boote und Häuser kamen vor dem saphirenen Ozean und dem azurblauen Himmel wunderbar zur Geltung. Doch meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die unzähligen Fische im kalten, kristallklaren Wasser. Schwärme von Sprotten schossen synchron durch den Hafen und versuchten, ihren Verfolgern durch Zickzackkurs, oder indem sie sich alle paar Sekunden aufteilten und wieder vereinten, zu entkommen. Ich war wie gebannt von den La-Ola-Wellen des Lichts, die im Wasser pulsierten wie Polarlichter, wenn die Sonne von den schillernden Fischen reflektiert wurde.

Neben den rostigen, antiquierten Zapfsäulen, auf denen der Kraftstoff in Gallonen ausgewiesen wurde, unter einem gewellten Eisendach, zog eine muskulöse Fischerin mit einem großen grünen Netz, das sicher an einer dicken Bambusstange vertäut war, ihren Lebensunterhalt aus dem Hafenbecken. Sie trug eine Lederschürze und Gummistiefel und hatte einen zufriedenen Gesichtsausdruck. Mir fiel auf, dass sie mit bloßen Händen arbeitete. Ihr Haar war mit einem braunen Tuch bedeckt und ihr wettergegerbtes Gesicht von tiefen Falten durchzogen. Neben ihr standen drei Holzfässer, die nahezu bis zum Rand mit Sprotten gefüllt waren, was vermutlich der Grund für ihre Zufriedenheit war. Knöcheltief in zappelnden silbernen Fischen stehend, warf sie ihr Netz ins Wasser und holte beinahe minütlich einen neuen Fang ein, sehr zum Missfallen der Möwen, die sie lautstark beschimpften. Mit zahnlosem Grinsen schüttelte sie jeden neuen Fang in die Fässer und befreite die wenigen Fische, die nicht von selbst aus dem Netz gefallen waren – etwas, stellte ich fest, was ihr nicht gelungen wäre, hätte sie Handschuhe getragen. Die kleinen schwarzrückigen, schwalbenschwänzigen Möwen schwebten einen Augenblick lang etwa drei Meter über dem Meer, tauchten dann ab und kamen sofort wieder an die Oberfläche, schwimmend, mit Sprotten im Schnabel, die wie zähes Quecksilber glänzten. Dann wurde die Beute blitzschnell verschlungen.

Auch einige Pinguine hatten sich im Hafen eingefunden, um sich ihren Anteil zu holen. Es war ein faszinierender Anblick, sie auf der Jagd nach den Fischen pfeilschnell durchs Wasser schießen zu sehen. Sie wirkten wesentlich geschickter als die Möwen in der Luft. Schlängelnd preschten sie mit atemberaubender Geschwindigkeit und Wendigkeit durch die Schwärme und schnappten nach den Fischen, die vor ihnen auseinanderstoben. Gegen solch einen kunstfertigen Gegner erschienen die Sprotten nahezu wehrlos, trotz ihrer scheinbar grenzenlosen Anzahl. Ich wunderte mich nur, dass nicht mehr Pinguine da waren, um sich an einer derart reichen und leichten Beute gütlich zu tun.

Ich hätte noch viel länger zuschauen können, doch als die Pinguine außer Sichtweite schwammen, kehrte ich um und ging in östlicher Richtung um die Landspitze herum bis zum nächsten Wellenbrecher. Kleine, weißgefleckte Wellen rollten vom Ozean heran und brachen sich am Strand. Ich war an jenem schönen Nachmittag erst zehn, höchstens fünfzehn Minuten an der Küste entlangspaziert und hatte über all die großartigen und beeindruckenden Dinge nachgedacht, die ich während meines Urlaubs erlebt und gesehen hatte, als ich die ersten schwarzen, reglosen Gestalten erblickte. Zunächst fielen mir nur ein paar auf, doch als ich weiterging, wurden es immer mehr, bis der ganze Strand von schwarzen Klumpen auf einem schwarzen Teppich übersät zu sein schien. Hunderte ölverschmierte Pinguine lagen tot im Sand, über den gesamten Strand verteilt, weit an der Küste entlang Richtung Norden. Tote Pinguine, über und über bedeckt mit dickem, klebrigem, erstickendem Öl und Teer. Der Anblick war so grauenvoll, so unerträglich und deprimierend, dass ich mich fragte, welche Zukunft eine »Zivilisation«, die eine solche Schändung dulden oder gar verüben konnte, noch haben sollte. Ich verstand jetzt, warum trotz der vielen Fische nicht mehr Pinguine am Hafen waren, um Sprotten zu fangen. Offensichtlich waren nur wenige Glückliche dem Ölteppich entronnen.

In düstere Gedanken versunken, setzte ich meinen Spaziergang oberhalb des Pfades der Verwüstung fort, der den Großteil des Strandes durchzog, und versuchte, die Zahl der toten Vögel zu schätzen. Selbst wenn ich hätte ausrechnen können, wie viele Pinguine am Ufer lagen – teilweise übereinander –, wäre es unmöglich gewesen, die Anzahl ihrer toten Artgenossen abzuschätzen, die noch im Meer trieben. Mit jeder Welle, die sich am Strand brach, wurden mehr Vögel angespült, auf diejenigen, die dort bereits lagen, während weiter draußen jede neue Woge einen weiteren grausigen Schwung von schwarzen Kadavern Richtung Küste schwemmte.

Der Strandabschnitt zwischen Meer und der Mauer, die die Straße begrenzte, war schmal, an der breitesten Stelle vielleicht gerade einmal dreißig Meter, doch die Verschmutzung des Sandes erstreckte sich, so weit das Auge reichte. Offensichtlich waren Tausende Pinguine auf grausamste Art und Weise umgekommen, während sie auf ihren angestammten Wanderrouten Richtung Norden unterwegs gewesen waren, wie ihre Vorfahren seit Millionen von Jahren.

Ich weiß noch immer nicht, wieso ich an jenem Tag weiter am Strand entlangging. Vielleicht musste ich einfach begreifen, wie abstoßend dieses Ereignis wirklich war – das Ausmaß des Schadens überblicken. Ich hatte keine Berichte von einer Ölpest in dieser Region mitbekommen, doch in jenen Tagen waren die Auflagen für Öltanker weniger streng, und Regeln wurden nur sehr bedingt beachtet, so dass Vorfälle wie dieser keine Seltenheit waren. Nachdem die Öltanker ihre Ladung am Zielhafen gelöscht hatten, legten sie wieder ab und wuschen unterwegs vorm Aufnehmen der nächsten Ladung ihre Tanks aus.

Ereignisse wie dieses verdeutlichten, wie dringend notwendig eine Veränderung war. Ich zweifelte nicht daran, dass das, was ich an jenem Strand erlebte, die logische Konsequenz eines scheußlichen Aufeinanderprallens zweier Kulturen war. Als dem instinktiven Drang der Seevögel, sich auf ihre jährliche Reise zu machen, ein riesiger treibender Ölteppich in die Quere kam, der von gierigen und gedankenlosen Menschen ins Meer abgelassen worden war, gab es nur ein mögliches Ergebnis: die vollständige Auslöschung dieser Pinguine. Das wäre bereits unfassbar schrecklich gewesen, wenn es die Folge eines Unfalls gewesen wäre. Dass es das Ergebnis vorsätzlicher Handlungen im vollen Wissen um die wahrscheinlichen Konsequenzen sein sollte, war weder zu erklären noch hinzunehmen.

Ich war zügig gegangen, weil ich mir die toten Wesen gar nicht so genau anschauen wollte, als ich meinte, aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Nicht von der schäumenden Gischt der Brandung, sondern am stillen Strand. Ich blieb stehen und sah mich um. Ich hatte mich nicht geirrt. Ein tapferer Vogel lebte...

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