2. Empathie in der Gesprächsführung
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2.1 Empathische Präsenz
Kaum ein anderer Begriff hat gesellschaftlich in den letzten Jahren derart an Bedeutung gewonnen wie das Wort „Empathie“. Zu diesem Bedeutungszuwachs haben unter anderem die Arbeiten von Marshall Rosenberg, dessen Grundlagenwerk „Gewaltfreie Kommunikation“ 2001 erstmals in deutscher Sprache aufgelegt wurde, die Mediationsbewegung und die Gehirnforschung beigetragen.
Auch in der medizinischen Wirksamkeitsforschung, der Personalführung und der Konfliktkostenforschung wird die Bedeutung von Empathie für Kommunikation, Gesundheit, Therapieerfolg, Leistungsbereitschaft und subjektives Zufriedenheitsgefühl immer deutlicher. Es gibt klare Gemeinsamkeiten mit weiteren bedeutsamen wissenschaftlichen oder therapeutischen Gegenwartsströmungen wie der Stressreduktion, Achtsamkeit, Arbeit mit inneren Stimmen und der Neurobiologie. In jüngster Zeit mehren sich auf dem Buchmarkt Erscheinungen, welche die gesellschaftliche Bereitschaft zur Empathie zum Schlüsselfaktor für das Überleben der Zivilisation erklären.
Was bedeutet Empathie?
Empathie bedeutet Präsenz im Hier und Jetzt für alles, was lebendig ist. Der Begriff wurde kurz vor oder nach Ende des 19. Jahrhunderts geprägt, mal wird er dem Kunsttheoretiker Theodor Lipp, mal dem Philosophen Rudolf Hermann Lotze, in wieder anderen Quellen Sigmund Freud zugeschrieben. Er enthält das griechische Wort „pathos“ (Gefühl) und gilt als Übersetzung für das deutsche Wort „Einfühlung“.
Übereinstimmend wird Empathie allgemein als die Fähigkeit bezeichnet, Gedanken, Gefühle und Emotionen eines Menschen zu erkennen und die eigenen Reaktionen darauf wahrzunehmen.
Wissenschaftliche Definitionen von Empathie
Wissenschaftlich betrachtet, lässt sich die Definition von Empathie weiter verfeinern. Interessant sind insbesondere zwei Hauptströmungen, von denen die eine Empathie als einen übergeordneten Prozess betrachtet, der alle möglichen Phänomene wie Einfühlung, unbewusste emotionale Ansteckung, Mitleid, Hilfeverhalten, kognitive Perspektivübernahme und andere einschließt. Definitionen dieser Art werden „eindimensionale Konzepte“ genannt. Teil dieser wissenschaftlichen Strömung sind unter anderem die Wissenschaftler und Autoren Frans De Waal, Stephanie Preston, Albert Mehrabian und R. Hogan.
Bei der zweiten Hauptströmung handelt es sich um multidimensionale Empathiekonzepte. Sie gehen davon aus, dass mehrere unabhängige neurokognitive Empathieprozesse existieren, die sich zwar teilweise in denselben Gehirnregionen abspielen, ansonsten aber mit unterschiedlichen neuronalen Systemen arbeiten. Insbesondere wird eine affektive von einer kognitiven Facette der Empathie unterschieden. Als Autoren dieser Strömung haben sich unter anderem Isabel Dziobek, Frédérique de Vignemont, Tanja Singer, R. Blair, Paul Ekman, C. Daniel Batson, Mark H. Davis, Jean Decety und Philip L. Jackson, Simon Baron-Cohen und Bing Han hervorgetan.
Kognitive Empathie wird als die Fähigkeit zur Perspektivübernahme bezeichnet, affektive Empathie als die emotionale Reaktion des Beobachters auf die Emotionen anderer Menschen (vorausgesetzt, dass diese Reaktion Übereinstimmungen mit der Emotion der beobachteten Person aufweist).
„Kognitive Empathie lässt uns erkennen, was ein anderer fühlt. Emotionale Empathie lässt uns fühlen, was der andere fühlt ...“ (Paul Ekman). Forschungen von Isabel Dziobek zum Empathievermögen von Asperger-Autisten zeigen, dass Menschen im Bereich der kognitiven Empathie Entwicklungsstörungen aufweisen können, ohne im Bereich der affektiven Empathie beeinträchtigt zu sein.
Biologische Grundfähigkeiten
Die Fähigkeit zur Empathie wird uns von der Natur in die Wiege gelegt. Jeder Mensch verfügt über gewisse empathische Grundfertigkeiten, die je nach Umständen mehr oder weniger ausgeprägt sind. Biologisch wird die Fähigkeit zur Empathie unter anderem durch Spiegelneurone repräsentiert (vergleiche: Joachim Bauer, Marco Iacoboni und Giacomo Rizzolatti).
Spiegelneurone ermöglichen es Menschen, die Emotionen anderer Menschen intuitiv zu erfassen, in den eigenen neuronalen Netzwerken als Spiegelbild zu simulieren und zu verstehen. Der Emotionsforscher Paul Ekman liefert in seinem Buch „Gefühle lesen“ ausführliche Belege für die Universalität von Gefühlen und Gefühlsausdrücken. Demnach verfügen alle Menschen über den gleichen natürlichen Grundbestand an Gefühlen und Bedürfnissen sowie über die gleichen Fähigkeiten, Gefühle und Stimmungen auszudrücken (Ausnahmen sind bei Hirnschädigungen, schweren Krankheiten oder Traumatisierungen möglich).
Der Homo Sapiens verfügt damit über ein nahezu perfektes System, um sich auszutauschen und die Welt berechenbar erscheinen zu lassen. Dennoch wird Kommunikation unterschiedlich effizient und konstruktiv genutzt.
Das Modell der Landkarten
Die Kunst der Empathie besteht darin, sich im Gespräch ganz auf unsere Umwelt – also unseren Gesprächspartner – einzustimmen und auf dessen Erleben einzulassen. Der polnisch-amerikanische Ingenieur und Linguist Alfred Korzybski vertrat die Ansicht, dass es sich beim Konflikterleben wie bei der Betrachtung von Landkarten verhält. Wir bekommen von unserem Gegenüber immer nur einen schmalen Ausschnitt zu Gesicht. Unsere Annahmen über andere Menschen gleichen groben Abbildungen im Maßstab 1 : 1 000 000. Je heftiger der Konflikt tobt, desto weniger Details beziehen wir in unsere Karte mit ein.
Korzybski zufolge ist sprachlicher Ausdruck immer nur ein Abbild der Wirklichkeit und nicht die Wirklichkeit selbst: „Die Landkarte ist nicht die Landschaft.“ Die Landschaft entspricht unseren Emotionen, die Landkarte unseren Vorstellungen von anderen. Selbst bei sehr guten oder intimen Informationen über andere (wie zum Beispiel bei einer Paarbeziehung oder langjährig verbandelten Geschäftspartnern) kann sich die Landkarte vom Wesen unseres Gegenübers immer nur der Wirklichkeit annähern, ihr jedoch niemals in Wirklichkeit gleichen.
Die Kunst der Annäherung
Gegenseitige Einfühlung vollzieht sich ohne eine feste Idee, wohin der Prozess der Empathie die Beteiligten führt. Worte können, müssen aber nicht benutzt werden. Mit Worten bestätigen wir uns gegenseitig die Verbindung, die erreicht wurde. Mit Worten können wir das Gespräch ins Hier und Jetzt und in das Erspüren unserer Gefühle und Bedürfnisse zurückführen, wenn es in alte Geschichten oder theoretische Betrachtungen abgleitet.
Durch gegenseitige Einfühlung lernen wir einander immer besser kennen, erleben eine immer stärker werdende Verbindung. Historisch gesehen ist die Erfolgsgeschichte der Menschheit nur durch die Fähigkeit zur Empathie möglich geworden. Empathie befähigt uns, in Gruppen zusammenzuleben, unsere Umwelt zu verstehen und sie als sicher zu erleben. Unser Gehirn ist durch Spiegelneurone auf die Fähigkeit zur Kooperation programmiert. Es belohnt empathische Prozesse durch die Ausschüttung von körpereigenen Stoffen (Dopamin, Oxytocin und endogene Opioide) im Rahmen eines ausgeklügelten neuronalen Gesamtmotivationssystems.
Empathie ist letztlich weniger eine Frage der Form oder der Methode als eine Haltung beziehungsweise eine Bereitschaft zur Offenheit für die Gefühle und Bedürfnisse anderer. Die Fähigkeit zur Empathie wird maßgeblich bestimmt von eigenen Erfahrungen in der frühen Kindheit und der Pubertät. Manche Oma, manches Kind oder manch ungebildeter Mensch wirkt empathischer als der ein oder andere Kommunikationsprofi, Mediator oder spirituelle Lehrer. Besonders schnell und nachhaltig lernt man einfühlendes Verhalten durch Vorbilder in frühester Kindheit und beim Eintritt in die Geschlechtsreife, wenn die neuronalen Grundstrukturen geordnet werden. Bei Erwachsenen fördert die Teilnahme an Selbsterfahrungsprozessen, regelmäßige Übung und die Offenheit für Feedback das Wachstum der persönlichen Empathiefähigkeit.
Was Empathie nicht ist ...
Empathischer Kontakt ist Kontakt auf Augenhöhe. Kein Beteiligter kann die Situation eines anderen besser einschätzen als der andere selbst. Jeder ist für sich persönlich der aussagekräftigste Experte.
Im Augenblick des Zuhörens verweilen wir deshalb ganz beim anderen. Als empathischer Kontakt scheiden Beschwichtigungen, Zustimmung, Trost, Ermutigung oder Mitleid aus. Bei diesen Ausdrucksformen verfolgen wir eigene Ziele oder verstricken uns in eigenen Emotionen. Aus denselben Gründen sind Ratschläge, Belehrungen, Entschuldigen und Bestärkung kein Bestandteil von Empathie.
In radikaler Form wird die Bedeutung von Empathie durch eine Geschichte von Marshall Rosenberg auf den Punkt gebracht. Als er eine Freundin durch die schwere Zeit einer Krebserkrankung begleitete, dankte sie ihm eines Tages dafür, dass er gemeinsam mit ihr die Krebserkrankung „feiere“. Zu seiner Überraschung erklärte sie: „Meine anderen Freunde bemitleiden mich so sehr, dass ich für sie sorgen muss, wenn sie an meinem Bett sitzen. Bei dir ist das anders.“
2.2 Übungen: „Ja, aber ...“ – „Gleichzeitig ...“
Das Wörtchen „aber“ hat in der zwischenmenschlichen Kommunikation magische Kraft – im negativen Sinne! Mit einem gut platzierten „Ja, aber ...“ treiben Sie Ihren Gesprächspartner garantiert auf die Palme. Das „Ja-aber ...“-Spiel lernen wir in frühester Kindheit von unseren Eltern, Geschwistern, Freunden und Erziehern. Die meisten...