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E-Book

Der Weg zur Macht

Vollständige Ausgabe

AutorKarl Kautsky
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783849629007
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Politische Betrachtungen über das Hineinwachsen in die Revolution. Inhalt: Vorrede 1. Die Eroberung der politischen Macht 2. Die Prophezeiung der Revolution 3. Das Hineinwachsen in den Zukunftsstaat 4. Die ökonomische Entwicklung und der Wille 5. Weder Revolution noch Gesetzlichkeit um jeden Preis 6. Das Wachstum der revolutionären Elemente 7. Die Milderung der Klassengegensätze 8. Die Verschärfung der Klassengegensätze 9. Ein neues Zeltalter der Revolutionen

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Leseprobe

3. Das Hineinwachsen in den Zukunftsstaat


 


Ohne Prophezeiungen geht es in der Politik einmal nicht. Nur haben diejenigen, die da prophezeien, es werde noch lange alles beim alten bleiben, nicht die Empfindung, dass sie prophezeien.

 

Natürlich kann es keinen proletarischen Politiker geben, der mit den gegebenen Verhältnissen zufrieden wäre und nicht deren gründliche Umgestaltung anstrebte. Und es gibt keinen intelligenten Politiker, welcher Richtung immer, der nur ein bisschen vorurteilsfrei ist und der nicht gesteht, es wäre eine Absurdität, zu erwarten, dass die ökonomische Umwälzung der Gesellschaft in ihrem gegenwärtigen rapiden Tempo weiter geht und politisch alles noch lange so bleibt wie es ist.

 

Will der Politiker aber trotzdem von der politischen Revolution, das heißt, von einer energischen Verschiebung der Machtverhältnisse im Staat, nichts wissen, dann bleibt ihm nichts übrig, als nach Formen zu suchen, in denen die Gegensätze der Klassen ohne großen, entscheidenden Kampf langsam und unmerklich aufgehoben werden.

 

Die Liberalen träumen von der Herstellung des sozialen Friedens zwischen den Klassen, den Ausbeutern und den Ausgebeuteten, ohne dass die Ausbeutung aufgehoben wird, einfach dadurch, dass jede der Klassen sich eine gewisse Selbstbeschränkung der anderen gegenüber auferlegt und auf alle „Ausschreitungen“ und „übertriebenen Forderungen“ verzichtet. Es gibt Leute, die glauben, dass der Gegensatz, der zwischen dem einzelnen Arbeiter und dem einzelnen Kapitalisten besteht, zu überwinden sei, wenn sich Arbeiter und Kapitalisten organisiert gegenüberstehen. Die Tarifverträge sollten der Anfang des sozialen Friedens sein. In Wirklichkeit wird durch die Organisation der Austrag der Gegensätze nur konzentriert. Die Kämpfe zwischen beiden Teilen werden seltener, aber gewaltiger, und sie erschüttern weit mehr die Gesellschaft, als die früheren kleinen Einzelkämpfe. Der Gegensatz der widerstreitenden Interessen selbst aber wird durch die Organisation weit schroffer, wird dank ihr immer weniger als ein zufälliger Gegensatz einzelner Personen, immer mehr als ein notwendiger Gegensatz ganzer Klassen empfunden.

 

Ein Sozialist kann die Illusion der Versöhnung der Klassen und des sozialen Friedens nicht teilen. Gerade dass er sie nicht teilt, das macht ihn ja zum Sozialisten. Er weiß, dass nicht eine schimärische Versöhnung, sondern nur die Aufhebung der Klassen den gesellschaftlichen Frieden herstellen kann. Hat er aber den Glauben an die Revolution verloren, dann bleibt ihm nichts übrig, als die Erwartung der friedlichen und unmerklichen Aufhebung der Klassen durch den ökonomischen Fortschritt, durch das Anwachsen und Erstarken der Arbeiterklasse, die allmählich die anderen Klassen aufsaugt.

 

Das ist die Theorie des Hineinwachsens in die sozialistische Gesellschaft.

 

Diese Theorie enthält einen sehr realen Kern. Sie stützt sich auf Tatsachen der wirklichen Entwicklung, die bezeugen, dass wir in der Tat dem Sozialismus entgegenwachsen. Gerade Marx und Engels waren es, die diesen Vorgang darstellten und seine Naturgesetzlichkeit nachwiesen.

 

Von zwei Seiten aus wachsen wir hinein: einmal durch die Entwicklung des Kapitalismus, durch die Konzentration des Kapitals. Der Konkurrenzkampf bringt es mit sich, dass das größere Kapital, da es dem kleinen überlegen ist, dieses bedroht, bedrängt, schließlich verdrängt. Schon das, ganz abgesehen von der Profitwut, treibt jeden Kapitalisten danach, sein Kapital zu vergrößern, seine Unternehmungen zu erweitern. Immer gewaltiger werden die Betriebe, immer mehr Betriebe werden in einer Hand vereinigt. Heute sind wir bereits so weit, dass Banken und Unternehmerorganisationen den größten Teil der kapitalistischen Unternehmungen der verschiedensten Nationen beherrschen und organisieren. So wird die gesellschaftliche Organisierung der Produktion immer mehr vorbereitet.

 

Hand in Hand mit dieser Zentralisation der Unternehmungen geht ein Wachsen der großen Vermögen, das durch die Form der Aktiengesellschaft in keiner Weise gehindert wird. Im Gegenteil, die Aktiengesellschaft macht nicht nur die heutige Beherrschung der Produktion durch einige wenige Banken und Unternehmerorganisationen erst möglich, sie bildet auch ein Mittel, die kleinen und kleinsten Vermögen in Kapital zu verwandeln und damit dem Zentralisationsvorgang des Kapitalismus preiszugeben.

 

Durch das Aktienwesen werden die Ersparnisse der kleinen Leute den großen Kapitalisten zur Verfügung gestellt, die sie benützen, als wären es ihre eigenen Kapitalien und dadurch die zentralisierende Kraft ihrer eigenen großen Vermögen noch weiter steigern.

 

Die Person des Kapitalisten selbst wird durch das Aktien-Wesen völlig überflüssig für den Gang des kapitalistischen Unternehmens. Die Ausschaltung seiner Person aus dem wirtschaftlichen Leben hört auf, eine Frage der wirtschaftlichen Möglichkeit oder Zweckmäßigkeit zu sein. Sie wird eine bloße Frage der Macht.

 

Die Vorbereitung des Sozialismus durch die Kapitalkonzentration ist indes nur die eine Seite des Hineinwachsens in den Zukunftsstaat. Daneben geht innerhalb der Arbeiterklasse ebenfalls eine Entwicklung vor sich, die ein Wachsen in der Richtung zum Sozialismus bedeutet. Mit der Zunahme des Kapitals wächst auch die Zahl der Proletarier innerhalb der Gesellschaft. Sie werden deren zahlreichste Klasse. Und gleichzeitig wachsen ihre Organisationen. Die Arbeiter gründen Genossenschaften, die den Zwischenhandel ausschalten und eine Produktion für den Selbstbedarf einrichten; sie gründen Gewerkschaften, die den Unternehmerabsolutismus eindämmen und auf den Produktionsprozess Einfluss gewinnen wollen; sie wählen Abgeordnete in die Vertretungen der Gemeinden und Staaten, die dort streben, Reformen durchzusetzen, Arbeiterschutzgesetze zur Annahme zu bringen, die Staats- und Gemeindebetriebe zu Musterbetrieben zu gestalten und die Zahl solcher Betriebe ständig zu vermehren.

 

Diese Bewegung geht ununterbrochen vor sich, wir stehen, wie unsere Reformisten sagen, schon in der sozialen Revolution, ja nach einigen schon im Sozialismus drin. Es bedarf nur einer Weiterentwicklung auf der gegebenen Grundlage, keiner Katastrophe – diese kann den Prozess des Hineinwachsens in den Sozialismus nur stören, also weg mit allen Gedanken daran, konzentrieren wir uns auf die „Positive“ Arbeit.

 

Dieser Ausblick ist sicher sehr verlockender Art, und man müsste in der Tat teuflischer Natur sein, wünschte man einen so herrlichen „schrittweisen reformistischen Aufstieg“ durch eine Katastrophe zu stören. Wäre der Wunsch der Vater unserer Gedanken, wir Marxisten müssten uns sämtlich für diese Theorie des Hineinwachsens begeistern.

 

Sie hat nur einen kleinen Fehler: das Wachstum, das sie beschreibt, ist nicht das Wachstum eines einzigen Elementes, sondern zweier Elemente, und zwar zweier sehr gegensätzlichen Elemente: Kapital und Arbeit. Was den „Reformisten“ als das friedliche Hineinwachsen in den Sozialismus erscheint, ist nur das Wachstum an Kraft der beiden gegensätzlichen Klassen, die einander in unüberbrückbarer Feindschaft gegenüberstehen, bedeutet bloß, dass der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, der anfänglich nur einer zwischen einer Anzahl von Individuen war, die eine kleine Minderheit im Staate bildeten, nun zu einem Kampfe riesenhafter festgeschlossener Organisationen anwächst, die das ganze gesellschaftliche und staatliche Leben bedingen. So bedeutet das Hineinwachsen in den Sozialismus das Hineinwachsen in große Kämpfe, die das ganze Staatswesen erschüttern, die stets gewaltiger werden müssen und nur enden können mit der Niederwerfung und Expropriierung der Kapitalistenklasse. Denn das Proletariat ist unentbehrlich für die Gesellschaft, es kann zeitweise niedergeworfen, nie aber vernichtet werden. Die Kapitalistenklasse dagegen ist überflüssig geworden, die erste große Niederlage in dem Kampfe um die Staatsmacht, die jene Klasse erleidet, muss zu ihrem völligen und dauernden Zusammenbruch führen.

 

Wer sich der Anerkennung dieser Konsequenzen unseres steten Hineinwachsens in den Sozialismus verschließt, muss blind sein für die Grundtatsache unserer Gesellschaft: den Klassengegensatz von Kapital und Arbeit. Das Hineinwachsen in den Sozialismus ist nur ein anderer Ausdruck für die stete Verschärfung der Klassengegensätze, für das Hineinwachsen in eine Epoche großer, entscheidender Klassenkämpfe, die wir unter dem Namen der sozialen Revolution zusammenfassen dürfen.

 

Das wollen die Revisionisten freilich nicht wahr haben, aber es ist ihnen bisher nicht gelungen, etwas Triftiges gegen diese Auffassung vorzubringen. Was sie dagegen einwenden, sind alles Tatsachen, die, wenn sie von Belang wären und etwas beweisen würden, nicht das „Hineinwachsen“ in den Sozialismus, sondern das „Wegwachsen“ der Gesellschaft vom Sozialismus hinweg dartun würden, wie die Annahme, dass das...

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