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E-Book

Der Windel-Samurai

Mein verrücktes Familienleben in Japan

AutorSusanne Steffen
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783644494718
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Einen Sake auf die Kinderkacke! «Was willst du denn mit einem Japaner? Die arbeiten doch den ganzen Tag!» Susanne Steffens Vater ist entsetzt, als sie ihm ihre Heiratspläne eröffnet. Doch kaum hat sich Nachwuchs eingestellt, verblüfft Ehemann Ryunosuke alle, besonders seine Landsleute: Er nimmt Erziehungsurlaub, und zwar gleich zwei Jahre. Ein heldenhafter Plan, denn selbst kürzere Auszeiten für Väter sind in Japan noch völlig unüblich. So ist niemand darauf eingestellt, dass beim Mütterkurs, zum Babyschwimmen oder im Kindergarten plötzlich ein Mann auftaucht. Und die Akzeptanz der Mütter muss Ryunosuke sich erst einmal erkämpfen ... Mit liebevollem Humor erzählt Susanne Steffen von ihrem turbulenten Familienleben im Land der aufgehenden Sonne - und wie das durch kulturelle Unterschiede noch komplizierter wird, als es ohnehin schon ist.

Susanne Steffen, geboren 1973, arbeitet seit über zehn Jahren als FOCUS-Auslandskorrespondentin in Japan. Sie betreibt den Medienservice JapanUpdate, mit dem sie regelmäßig Beiträge für deutsche TV-Sender über Land und Kultur dreht. Sie lebt mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann in der Nähe von Tokio.

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Leseprobe

Initiationsriten in ein neues Leben – nicht mehr Frau, sondern Mutter


Ein paar Wochen nach Ryunosukes Revolutionssieg im Büro hatte sich seine Mutter Yoko bei uns angesagt. Sie wohnte in einer Reihenhaussiedlung für Mittelstandsfamilien in einem Tokioter Vorort. Alle paar Wochen, wenn sie etwas Zeit fand zwischen ihren vielen Tanz-, Strick- und Blumenschmuckkursen, kam sie uns besuchen oder lud uns in ein feines Lokal zum Essen ein. Okaasan (das Wort bedeutet gleichzeitig Mutter und Schwiegermutter, nur die Schriftzeichen sind unterschiedlich), wie ich sie der japanischen Etikette entsprechend nannte, war eine weltoffene Frau. Mit weit über sechzig Jahren hat sie angefangen, Koreanisch zu lernen, weil sie wegen ein paar TV-Dramen plötzlich ihre Liebe zum Nachbarland entdeckt hatte und nun mit ihren Freundinnen eine Reise zu den Drehorten ihrer Lieblingssoap plante. Aber sie war zugleich eine traditionsbewusste Frau mit strikten Prinzipien. Ryunosuke und ich nahmen an, dass ein Sabbatical – auch wenn es eines zum Wohl des Kindes ist – in ihrem Wertesystem keinen Platz hatte.

Okaasan reagierte – wie erwartet – schockiert auf die Nachricht. Ich glaube, sie schämte sich sogar ein bisschen für ihren Sohn. Jedenfalls nutzte sie ihren Besuch bei uns, um uns ins Gewissen zu reden.

«Ryunosuke, das kannst du nicht machen. Das ist illoyal gegenüber der Behörde», sagte sie mit einer Strenge, die ich bislang nicht von ihr kannte.

Ryunosuke erklärte ihr, dass es ein gesetzlich verbrieftes Recht jedes Arbeitnehmers sei, Erziehungsurlaub zu nehmen. Außerdem müsse ja nicht die Behörde für ihn zahlen, sondern die Arbeitslosenversicherung übernehme im ersten Jahr die Weiterzahlung von 50 Prozent seines Gehalts. Im zweiten Jahr habe er dann ja auch ohne finanzielle Unterstützung des Staates auszukommen, ergänzte Ryunosuke und glaubte, damit seine Mutter nun von der Rechtmäßigkeit seines Erziehungsurlaubs überzeugt zu haben.

«Das darfst du keinem erzählen», warnte meine Schwiegermutter. «Das ist eine absolute Sonderstellung, die du da hast. Das darf sonst niemand. Kein anderes Unternehmen würde das erlauben. Und wahrscheinlich würde sich das auch sonst niemand trauen. Ryunosuke, du fällst auf!», schimpfte sie.

Auffallen ist im traditionellen Japan keine gute Tugend – im Gegenteil. Meine Schwiegermutter ist mit dem Sprichwort aufgewachsen: «Herausstehende Pfosten werden eingeschlagen».

Ryunosuke beendete die Diskussion auf japanische Art. Er wechselte das Thema.

Aber Okaasan stand der Sinn nicht nach Small Talk. Mit einem Satz sprang sie von der Tatami-Matte auf, auf der sie gesessen hatte, und nahm ihre Eco-Bag, wie Jutetaschen und Baumwolleinkaufsbeutel in Japan vornehm genannt werden.

«Ich war heute Morgen beim Suitengu-Schrein», sagte sie, besann sich und kniete sich wieder auf die Tatami. Schreine sind eine Art Kirche im Shintoismus, der animistischen Religion, der jeder Japaner qua Geburt angehört. Kirche ist vielleicht etwas übertrieben, denn es gibt keine Gottesdienste; aber Schreine sind Orte, an denen man in Kontakt treten kann mit den Abermillionen Göttern des Shintoismus. In jedem Schrein werden andere Götter verehrt. Jeder Gott hat andere Schutzaufgaben. Obwohl ich auch schon ab und zu gegen eine kleine Spende meine Wünsche den Göttern anvertraut hatte, kannte ich mich nicht sehr gut aus mit den shintoistischen Göttern. Aber ich wusste, dass die Götter im Suitengu-Schrein besondere Unterstützung beim Kinderkriegen anbieten. Ich war gespannt, welche göttliche Hilfe mir nun zuteilwerden sollte.

Okaasan zog ein perfekt gefaltetes Baumwolltuch aus ihrer Tasche und wickelte es langsam auf. «Das ist ein Hara-Obi», erklärte sie, als sie das große Fragezeichen in meinem Gesicht sah. «Früher haben wir uns ab dem fünften Monat jeden Morgen damit eingewickelt, um das Baby vor Stößen zu schützen und eine Unterkühlung zu vermeiden. Dieser Hara-Obi wurde im Suitengu-Schrein geweiht, in dem der Gott verehrt wird, der für eine leichte Geburt zuständig ist», ergänzte sie. Dann bat sie mich aufzustehen und wickelte mir das meterlange Tuch um mein noch winziges Fünf-Monats-Bäuchlein. «Hast du morgen schon etwas vor?», fragte sie schließlich, während sie das Ende des Hara-Obis unter den Tuchlagen vergrub. Ich hatte noch keine Pläne gemacht. «Gut, dann gehen wir zusammen zum Schrein. Morgen ist nämlich Hundstag. Wenn meine Rechnung stimmt, dann ist es der erste Hundstag im fünften Schwangerschaftsmonat – also der beste Tag, um für eine leichte Geburt zu beten.»

Okaasan wusste zwar nicht immer, warum etwas so war, wie es war, aber sie wusste stets ganz genau, wie es gemacht werden musste. Das Hara-Obi-Tuch durfte nicht irgendwie gewickelt werden, sondern es gab dafür mindestens so strenge Regeln wie für das Halten der Teetasse bei der Teezeremonie. Während ich das mit dem Hara-Obi-Tuch übte und meinen Bauch wieder und wieder ein- und auswickelte, erklärte Okaasan, was Hunde mit einer leichten Geburt zu tun hatten. «Der Hund ist das elfte der zwölf Tierkreiszeichen, und jeder zwölfte Tag ist daher ein Hundstag», referierte sie und prüfte meinen Bauchgurt. «Du darfst nicht ganz so fest wickeln, sonst ist es unangenehm beim Sitzen», riet sie.

Ich fand das Tuch jetzt schon unangenehm und bedauerte die Frauen, die sich jeden Morgen damit einwickeln mussten. Aber das behielt ich lieber für mich. «Aber warum soll man am Hundstag in den Schrein gehen? Ist es nicht egal, wann man betet?», fragte ich stattdessen.

«Weißt du, früher haben sich die Frauen bei uns Geburten wie bei Hunden gewünscht: schnell, schmerzfrei und vor allem mit viel Nachwuchs», erwiderte Okaasan. Ich nahm an, dass die Kinder nicht unbedingt in einem Wurf kommen mussten. «Das Einzige, was davon heute noch übrig zu sein scheint, ist wohl der Wunsch nach einer schnellen und schmerzfreien Entbindung. Aber das ist immer noch Grund genug, um am Hundstag für eine leichte Geburt zu beten», schloss Okaasan ihren Vortrag. Ich hatte den Hara-Obi inzwischen zum x-ten Mal gewickelt. Nun war auch Okaasan mit meiner Technik zufrieden. Ich fühlte mich im wahrsten Sinne des Wortes in Watte gepackt.

Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen, und meine Schwiegermutter machte sich auf den Heimweg. Zum Abschied nahm Okaasan mich kurz zur Seite und entschuldigte sich im Flüsterton für die Unannehmlichkeiten, die Ryunosuke mir mit seinem Starrsinn und seiner Unangepasstheit bereite.

«Okaasan», erwiderte ich sanft, «ich freue mich, dass Ryunosuke Erziehungsurlaub nimmt. In Deutschland machen das viele Männer.»

Damit war das Thema erledigt. Meine Schwiegermutter ging nicht mehr darauf ein. Sie hatte ihre Bedenken geäußert, der Rest war unsere Privatsache.

 

Pünktlich um halb neun stand sie am nächsten Morgen in einem dunkelblauen Kostüm und wie immer dezent geschminkt vor unserer Tür. Schlank, wie sie war, und mit ihren frisch gefärbten Haaren sah sie viel jünger aus als ihre vierundsechzig Jahre. Ich überprüfte noch einmal, ob ich meinen Bauchschützer richtig gewickelt hatte, danach zog ich meinen ersten Umstandspulli wieder über den Bauch. Wir nahmen die Bahn.

«Setz dich!», drängte mich meine Schwiegermutter auf den letzten freien «Priority»-Platz mit dem roten Polster, was ihn als Sonderplatz für Ältere, Behinderte und Schwangere erkennbar macht. Ich weigerte mich, wollte, dass sie den Platz nimmt, doch Okaasan bestand darauf, dass ich mich niederließ. Schließlich gab ich nach.

Der alte Herr mit den bläulich lila gefärbten Haaren auf dem Sitz neben mir warf mir einen verächtlichen Blick zu. Schnell drehte ich meine Tasche so, dass der pinkfarbene Anhänger mit der stilisierten Schwangeren, in deren Bauch ein kleines Babygesicht lacht, zu sehen war. Für alle, die diesen Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstanden haben, steht ganz unten noch einmal in blauer Schönschrift: «In meinem Bauch ist ein Baby». Den Schwangeren-Anhänger hatte ich mir am Schalter in unserem Bahnhof besorgt. Anfangs war es mir unangenehm, wenn jeder, der ihn entdeckte, sofort auf meinen Bauch starrte. Aber es war die einzige Chance, in den vollen Pendlerzügen einen Sitzplatz zu ergattern. Der gefärbte Herr blickte erst auf den Anhänger, dann auf meinen (trotz Hara-Obi sicher noch nicht eindeutig als Babybauch zu erkennenden) Bauch – und lächelte mich an.

Als wir durch das mächtige Torii-Tor des Suitengu-Schreins gingen, hatten sich bereits zehn junge Frauen um den Stand versammelt, an dem Glücksbringer und Horoskop-Lose verkauft werden, und füllten Anmeldebögen aus. Bei den meisten baumelte der Schwangeren-Anhänger an der Handtasche. An dem Wasserbecken begossen wir unsere Hände und spülten unsere Münder aus. Rituell gereinigt, füllten wir ebenfalls unseren Antrag auf göttliche Geburtshilfe aus und erledigten den irdischen Finanzkram. Mit 3000 Yen[1]ließen sich die Hundsgötter ihren Beistand vergolden. Okaasan hatte eigens am Bankautomat nagelneue Scheine gezogen (für solche Anlässe gibt es an den Automaten eine Taste «Neue Scheine») und zu Hause in einen speziell für Schreinbesuche vorgesehenen weißen Umschlag mit kunstvoll geschwungenen Bändern gelegt und in schönster Kalligraphie beschriftet.

Als wir aufgerufen wurden, gingen wir in die Haupthalle des Schreins. Ein paar Minuten später kam der Guuji, der Priester, mit einer Art Staubwedel in den Raum. Nach ein paar kurzen Vorbereitungen, mit denen er die Götter auf unsere Anwesenheit aufmerksam gemacht hatte, stimmte er einen völlig unverständlichen Sprechgesang an und fing an, über unseren gesenkten Häuptern mit...

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