Kapitel 13 (S. 139-140)
Das Selbststeuerungsinventar: Dekomponierung volitionaler Funktionen
Stephanie M. Fröhlich und Julius Kuhl
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden die theoretischen, psychometrischen und empirischen Grundlagen des „Selbstbeurteilungs-Inventars" zur Messung von 32 Funktionskomponenten der Selbststeuerung vorgestellt. Der Begriff der Selbststeuerung wird zunächst als die Fähigkeit definiert, Entscheidungen zu treffen, eigene Ziele zu bilden und sie gegen innere und äußere Widerstände umzusetzen. Dabei stehen die Prozesshaftigkeit und Dynamik imVordergrund. Selbststeuerung wird im Weiteren als Kompetenz verstanden, die sich in die Komponenten der Selbstregulation, Selbstkontrolle, Selbstbahnung bei Bedrohung und Willensbahnung bei Belastung dekomponieren lässt. Optimale Selbststeuerung beinhaltet demzufolge das situations- und zielangemessene Wechselnkönnen zwischen den Komponenten. Die theoretischen Annahmen zur Selbststeuerung resultieren aus der Persönlichkeits-System-Interaktionen-Theorie von Kuhl, die ebenfalls kurz vorgestellt wird.
Daraus werden die wichtigsten Erkenntnisse zur Entwicklung und Förderung der Selbststeuerung abgeleitet. Im psychometrischen Teil folgen dann neben Angaben zur Reliabilität empirische Befunde zur Validität. Untersucht wurde der Zusammenhang der Selbststeuerung mit u. a. der Anzahl tatsächlich umgesetzter Absichten, einem Selbstregulationstest für Kinder, Belastung und Erholung im Leistungssport, Alienation, Alkoholabhängigkeit, klinischen Störungsbildern und Problemlösen.
Abschließend werden Beispiele und Hinweise für die praktische Anwendung, z. B. zur Individualdiagnostik in Psychotherapie, Schul- und Sportpsychologie sowie im arbeits- und organisationspsychologischen Kontext gegeben. In diesem Kapitel beschreiben wir theoretische, psychometrische und empirische Grundlagen eines umfangreichen Selbstbeurteilungsinventars zur Messung von 32 Funktionskomponenten der Selbststeuerung (Kuhl & Fuhrmann, 1998).
Dieses Inventar gibt es in einem Fragebogenformat, in dem Probanden den Grad der Zustimmung zu 160 selbststeuerungsrelevanten Aussagen auf einer 4-stufigen Likert-Skala angeben, und in einem mit derselben Likert-Skala verknüpften Checklistenformat, in dem die Aussagen nicht in ganzen Sätzen, sondern in erweiterten Infinitiven formuliert sind. Es gibt eine Langversion (SSI-L) mit 5 Items pro Skala, eine extralange Version mit 10 Items pro Skala (SSI-XL) und eine Kurzversion (SSI-K).
Die Bearbeitungszeit beträgt bei der Kurzversion ca. 15 Minuten, bei der Langversion ca. 35 Minuten und bei der extralangen Version ca. 60 Minuten. Das Verfahren ist einsetzbar ab 14 Jahren. Was ist mit dem Begriff der Selbststeuerung gemeint, wann ist Selbststeuerung wichtig und wie kann man sie messen? Alltagssprachlich versteht man unter dem Begriff Selbststeuerung bewusstes Handeln aus eigener Verantwortung und Veranlassung, im technischen Bereich bezeichnet der Begriff der Selbststeuerung u. a. die Steuerung mit Hilfe einer Automatik, z. B. um einen vorgewählten Kurs zu halten (vgl.: www.wissen.de).
Die hier angesprochenen Komponenten finden sich auch in der Theorie zur Selbststeuerung, die in diesem Beitrag zusammengefasst wird. Selbststeuerung kann als psychologischer Begriff in einer ersten Annäherung als die Fähigkeit definiert werden, Entscheidungen zu treffen, eigene Ziele zu bilden und sie gegen innere und äußere Widerstände umzusetzen. (Kuhl 1983, 1998, 2001). Wir versuchen in diesem Kapitel eine Sichtweise der Selbststeuerung zu vermitteln, die sich stark an der Prozesshaftigkeit und Dynamik dieser Fähigkeit orientiert.
Der Begriff der Selbststeuerung bezeichnet nicht einen unveränderlichen Zustand, der bei allen Personen und unter allen Bedingungen gleich ist (etwa im Sinne des persönlichkeitspsychologischen Eigenschaftsbegriffs), sondern eine Kompetenz, die sich aus Unterfunktionen zusammensetzt, deren effizienter Einsatz von zusätzlichen Bedingungen, einschließlich situativer Faktoren, abhängt und die bei verschiedenen Personen durch unterschiedliche Bündel von Unterfunktionen charakterisiert sein kann. Das bedeutet, dass wir keine über verschiedene Personengruppen und verschiedene Anforderungsbedingungen hinweg konstante Faktorenstruktur von Selbststeuerungsfunktionen erwarten: Die verschiedenen Funktionen können sich bei verschiedenen Personen und in unterschiedlichen Situationen zu unterschiedlichen Zweckbündnissen konfigurieren (Kuhl, 2001).
Trotzdem sind aus theoretischen Gründen bestimmte Funktionsbündel („Koalitionen von Selbststeuerungsfunktionen") wahrscheinlicher als andere. Wegen der jederzeit möglichen Abweichungen von den typischen Funktionsbündnissen ist die „Faktorenstruktur" des SSI nicht a priori festgelegt, sondern sollte für den jeweils gültigen Kontext jeweils empirisch bestimmt werden.