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E-Book

Die Akte Skripal

Der neue Spionagekrieg und Russlands langer Arm in den Westen

AutorMark Urban
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783426455029
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Es ist ein True-Life Le Carré: Im Frühjahr 2018 werden der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julija in England mit lebensbedrohlichen Vergiftungserscheinungen aufgefunden. Es gibt kaum Zweifel daran, dass der russische Geheimdienst hinter dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok steckt. Zahlreiche Staaten weltweit weisen daraufhin über 140 russische Diplomaten aus, Handelssanktionen werden verhängt - die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen erreichen ihren absoluten Tiefpunkt seit dem Kalten Krieg. Mark Urban, der als BBC- Reporter seit Jahrzehnten über die Schattenwelt der Spionage berichtet, ist der einzige, dem sich Skripal anvertraut hat. Von 2017 bis zu dem Attentat führte der Autor mit ihm zahlreiche Exklusivinterviews. Das Ergebnis: Ein packendes Buch, das tief hineinführt in das neue Machtspiel zwischen Ost und West. Angefangen bei Skripals Leben als Oberst des russischen Geheimdienstes, legt Mark Urban die Motive des Russen offen, sich als Doppelagent für den britischen MI6 zu verdingen, erzählt von seiner Verhaftung und seinem Prozess in Russland und von Srkipals Leben in Salisbury im Süden Englands, wo der Ex-Spion seit einem Agentenaustausch im Jahr 2010 lebt - in ständiger Furcht vor der Rache Putins. Vielmehr jedoch enthüllt 'Die Akte Skripal' als erstes Buch die Ereignisse, die zu dem versuchten Giftmord führten. Es stellt den schicksalhaften Tag des Anschlags in einen größeren politischen Kontext und zeigt, welche Bedeutung er für die Zukunft der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen hat.

Mark Urban, geboren 1961, schreibt als Redakteur für außenpolitische Themen für die BBC Newsnight und ist Autor mehrerer Bestseller. Für seine herausragende Berichterstattung über den Mittleren Osten wurde er mit dem renommierten Peace Through Media Award ausgezeichnet.

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Leseprobe

Erster Teil


AGENT

1


Die Anwerbung

Hochsommer in Madrid, 1996. Zwei Männer schlendern durch den Parque del Retiro. Es ist ein Werktag, beide tragen Bürokleidung, was die Hitze noch drückender macht.

Der ältere der beiden hat vor ein paar Wochen seinen fünfundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Er ist groß und hat eine Statur wie ein Boxer. Seine helle Haut wirkt unter all den Spaniern, die ihre Kinderwagen schieben oder Händchen haltend spazieren gehen, ein wenig exotisch. Der andere ist gut zehn Jahre jünger, wohl ein Spanier, ein dunkler Typ und angezogen, wie ein Madrilene sich eben kleidet. Insgesamt wirkt er in diesem Umfeld mehr zu Hause. Und doch sieht er nicht gerade entspannt aus.

Die einzelnen Bereiche des Parks spiegeln die Geschichte der Bourbonenherrscher Spaniens und der Staatsmänner des Landes wider. Ein Teil ist nach den Regeln formal-französischer Gartenkunst angelegt, wo exakt geschnittene Buchsbaumhecken die Kieswege säumen. Im Juli gibt es dort Marionettentheater und allerlei andere Attraktionen für die Kinder, dann strahlt der Park wirklich Ferienatmosphäre aus. Unter den Schirmen der immergrünen Bäume treffen sich die Jungen und Schönen Madrids zum Picknicken und Knutschen.

Gewächshäuser und Statuen zieren den Park, sogar einen See zum Bootfahren gibt es. Der ideale Ort also für ein Rendezvous, denn von den breiten Alleen mit Kastanien, Pappeln und Ahornbäumen zweigen schmale Pfade ab, sodass man den Menschenmassen gut aus dem Weg gehen kann. Mit seinen unzähligen Facetten war El Retiro, wie die Spanier den Park nennen, ideal für das Vorhaben. Der größere Mann ist Sergej Wiktorowitsch Skripal, Erster Sekretär an der russischen Botschaft und dort zuständig für Wissenschaft und Technik. Doch das ist nur seine Tarnung. Sein eigentliches Geschäft in Spanien ist seine Tätigkeit als Oberst des russischen Militärgeheimdienstes GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije). In Madrid arbeitet er an einer besonders heiklen Mission und ist direkt der Zentrale unterstellt. Was den Mann angeht, mit dem er spricht, so handelt es sich um Richard Bagnall*, aber natürlich trägt auch er einen spanischen Decknamen. Und er wird immer nervöser, je länger der Spaziergang im Park dauert.

Richard hat den Russen nun schon mehrmals getroffen. Er weiß, dass er nun tätig werden muss. Skripals drei Jahre in Spanien gehen allmählich zu Ende, und dieser kleine Tanz hier dauert ohnehin schon viel zu lange.

Wenn solche Dinge sich eine Weile hinziehen, dann muss man irgendwann klare Verhältnisse schaffen, sonst verachtet einen der andere am Ende nur. Und der Himmel weiß, dass Richard seit ihrem ersten Treffen im April eine ganze Reihe Köder ausgeworfen hat. Er weiß, dass Sergej nicht mehr viel Zeit hat. Das erhöht den Druck noch, als wäre der nicht ohnehin schon hoch genug. Was die anderen Spaziergänger in El Retiro im Sommer 1996 nicht wissen können, ist, dass Richard Teil einer sorgsam choreografierten Verführung ist, einer Verführung, die rein gar nichts mit Sex zu tun hat. Es handelt sich vielmehr um den Beginn einer ganz anderen Art von Beziehung, die ihr Leben lang dauern wird und ein enormes Risiko birgt. Die »Sache«, die der jüngere Mann einfädeln möchte, wäre durchaus dazu angetan, Sergejs Leben vollständig und für immer zu ruinieren.

Der Russe ist kein Dummkopf. Er hat die harte vierjährige Ausbildung an der Militärisch-Diplomatischen Akademie in Moskau absolviert, in der die GRU ihre Geheimdienstmitarbeiter auf den Auslandsdienst vorbereitet. Dort, in deren unbelüfteten Räumen, hatten die Ausbilder die jungen Leute immer wieder vor fremden Spionen gewarnt, vor all den Tricks, die man anwenden würde, um sie zu korrumpieren und anzuwerben. Umgekehrt hatten sie dort auch gelernt, wie sie zu fremden Agenten Kontakt aufnehmen konnten. Sie kannten jeden einzelnen Trick, wie man einen Menschen an einer Reihe moralischer Abschalteinrichtungen vorbeimanövriert, bis der andere gar nicht mehr anders kann, als für einen zu spionieren.

Während Richard den heiklen Small Talk fortsetzte, der eben jenes Ergebnis herbeiführen sollte, studierte Sergej ihn gründlich. »Er sieht so jung aus und so nervös«, dachte der GRU-Offizier. Wie lange hatte er den adretten Mann mit der olivfarbenen Haut, der im Park plauderte und plauderte, schon in Verdacht? Schon nach zwei oder drei Begegnungen hatten bei ihm die Alarmglocken geschrillt.

Der verdächtige junge Mann hatte das Gespräch immer wieder auf aktuelle Ereignisse gelenkt. Ein- oder zweimal hatte er Sergej ganz offen gefragt, was er denn in der Botschaft »wirklich macht«. Und einmal hatte er beim Abendessen ein Buch offen liegen lassen, das er angeblich gerade las. »Aquarium« lautete der Titel, und Richard hatte wissen wollen, was Sergej davon hielt. Es handelte sich um einen Bericht über die GRU von einem früheren Geheimdienstoffizier namens Wiktor Suworow.

Skripal wusste, was er von diesem Buch zu halten hatte. Sein Autor, dessen wahrer Name Wladimir Resun war, war 1978 zu den Engländern übergelaufen, während er in der russischen Botschaft in Genf arbeitete. Da Skripal kurz nach jenem fatalen Ereignis die Militärisch-Diplomatische Akademie besucht hatte, kannte er Resun nur als »feigen Verräter«, der sein Vaterland für ein paar Silberlinge verkauft hatte. Und was hatte dieser Resun denn schon gewusst? Er war schließlich nur Hauptmann gewesen und Genf sein erster Auslandseinsatz. Nun hing er irgendwo im Westen herum und versuchte, Geld zu machen, indem er seine eigene Bedeutung aufbauschte. Sollte Richard gehofft haben, Skripal in einem spanischen Restaurant zu einem traulichen Gespräch über Geheimdienstarbeit zu verleiten, dann konnte er sich das abschminken. Der Oberst schnitt ihm das Wort ab und meinte, er wisse buchstäblich nichts über die GRU. Andererseits deutete so einiges darauf hin, dass der junge Mann wirklich das war, wofür er sich ausgab: ein Geschäftsmann aus Gibraltar, der viel Geld mit Öl in Afrika gemacht hatte und nun einen russischen Partner suchte. Sergej hatte ihn schon nach wenigen Treffen von der GRU überprüfen lassen. Richard hatte tatsächlich Büroräume in Gibraltar. Wenn man dort anrief, meldete sich jemand, und sein Name bzw. sein Pseudonym war an mehreren Orten durchaus bekannt. Außerdem hatte sie ein gemeinsamer spanischer Bekannter miteinander bekannt gemacht.

Wenn es sich also um eine Tarnung handelte, dann war es eine ganz hervorragende, denn Richard gab das Geld mit vollen Händen aus, wie man es von einem erfolgreichen Geschäftsmann erwartete. Er aß in den besten Restaurants und stieg in den renommiertesten Hotels ab, wenn er in Madrid war. Und die Ölfelder in den Republiken Tjumen und Komi waren zu jener Zeit wirklich das neue Klondike, wo Menschen mit den richtigen Beziehungen Millionen oder gar Milliarden scheffeln konnten. Was Richard brauchte, so meinte er, seien eben die richtigen Kontakte, um an das schwarze Gold heranzukommen. Mitte der 1990er-Jahre stand in Russland ohnehin alles zum Verkauf, oder zumindest schien es so. Kein Wunder also, dass da jemand mit von der Partie sein wollte.

Während sie so durch den Park schlenderten, unterhielten sie sich auf Englisch. Skripal sprach zwar leidlich Spanisch, doch Bagnall war zweisprachig. Sein Pseudonym, seine Kleidung und lockeres Auftreten ließen ihn vollkommen authentisch erscheinen. Auch hatte er eine ausgesprochen offene, arglose Art. Einmal hatte er auch Sergejs Frau Ljudmila und die Kinder zu einem Flamenconachmittag in einen Club eingeladen. Als der geheimnisvolle Typ Sergejs Familie ein paarmal getroffen hatte, hatte er sogar Geschenke für die Kinder Julija und Sascha mitgebracht. »Die Kinder liebten ihn«, sollte Skripal später sagen.

Als er von einer Stippvisite in London zurückkam, hatte er auch ein Geschenk für Skripal dabei. Ein kleines Modell eines typisch englischen Cottage. Es war so ein kleines Ding, wie man es für wenige Pfund in einem Souvenirladen fand. Vermutlich in China hergestellt, aber aus Gründen, die Sergej nicht genau benennen konnte, mochte er das buntbemalte Häuschen aus Kunstharz, das alles naturgetreu nachahmte: die Kletterpflanzen, das durchhängende Dach und die Eingangstür mit dem Rundbogen. Richard war auch ganz schön trinkfest – Gin Tonic, gläserweise spanischen Wein und Cognac. In den Augen eines Russen verlieh ihm auch dies eine gewisse Authentizität. So ein Verhalten passte nicht zu dem, was Sergej von Engländern oder Amerikanern erwartete, die einen anderen Agenten anwerben. In der GRU ging man davon aus, dass westliche Geheimdienstler einen Bogen um die Familie des Zielobjekts machten, und zwar mit gutem Grund. Allein schon, wenn ihr Kind seinen Schulkameraden von diesem lustigen Fremden erzählt, der ständig Geschenke mitbringt und Papas neuer bester Freund ist, stehen die Chancen gut, dass andere russische Diplomaten auf den Mann aufmerksam werden.

In einem Punkt aber war sich Sergej mittlerweile sicher: Falls Richard ein Spion war, dann kein spanischer. Angesichts der langen Rivalitäten um Gibraltar würde ein spanischer Geheimdienstler wohl kaum die Halbinsel als Basis wählen. Ob er wohl Amerikaner war? Eines war dem GRU-Oberst klar: Sollte sein hartnäckiger Verehrer von der CIA sein, wäre er nicht interessiert. Er wäre nicht bereit, das Risiko einzugehen, das ein Überlaufen zu den Amerikanern bedeutete, falls der nervöse junge Mann etwa darauf hinauswollte.

Als Richard sich an die »Anwerbung« machte – den...

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