2 Geschichte der auswärtigen Kulturpolitik
2.1 Wozu eine auswärtige Kulturpolitik?
Man könnte behaupten, dass seit dem Erscheinen des Aufsatzes von Samuel P.Huntington „The Clash of Civilisations?“ 1993 in der Zeitschrift Foreign Affairs sowie Huntingtons darauf folgender umfangreicherer Buchpublikation mit dem gleichen Titel - diesmal ohne Fragezeichen „The Clash of Civilisations“ – nun auch die Diskussion über auswärtige Kulturpolitik mehr in Erscheinung getreten ist. [1]
Huntingtons These lautet, dass nach dem Ende des Kalten Kriegs die Konflikte der Zukunft nicht mehr ideologischer, politischer oder ökonomischer Art seien, sondern dass in der kommenden globalen Politik Konflikte zwischen Gruppen aus unterschiedlichen Zivilisationen die zentrale und gefährlichste Dimension darstellen werden. Diese These steht auch nach dem zweiten Irak-Krieg von 2003 immer noch im Mittelpunkt einer internationalen Diskussion über das Konzept von Zivilisationen und über das Verhältnis von Macht und Kultur. Das Fazit Huntingtons lautete: „ Konflikte von Zivilisationen sind die größte Gefahr für den Weltfrieden, und eine auf Zivilisationen basierende internationale Ordnung ist der sicherste Schutz vor einem Weltkrieg“ (Huntington, S. 12).
Diese These von der Kriegsprävention durch Kulturarbeit ist allerdings nicht ganz neu.
Schon mitten in der Zeit des Kalten Krieges hatte sich während der ersten Phase der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in deren Europäischen Kulturforum in Budapest Mitte der sechziger Jahre bereits die Erkenntnis durchgesetzt, dass internationale Kulturpolitik Friedenspolitik sei. In der zweiten Phase der KSZE ab 1973 hatte sich daraus schon ein Diskurs entwickelt, der zunächst von Diplomaten und Politikern, mehr und mehr aber auch von der Wissenschaft und von der Publizistik mitgetragen wurde. Die Teilnehmerstaaten wollten gemeinsame Projekte in den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Umweltschutz und Abrüstung durchführen sowie eine verstärkte Kooperation zwischen Ost und West schaffen, damit eine nachhaltige Sicherheit und Durchsetzung der Menschenrechte in Europa erreicht werden kann (Ruf, S. 16ff).
Ohne Verständnis zwischen den Kulturen und ohne kulturpolitische Annährung könnte ein Krieg der Kulturen drohen. Kulturelle Zusammenarbeit konnte dagegen mit Recht als Mittel der Konfliktprävention und als Krisen verhinderndes „ Frühwarnsystem“ verstanden werden. Mit Sicherheit steht heute die Auswärtige Kulturpolitik mehr denn je vor der Notwendigkeit, friedliche Konfliktprävention zu leisten (Maaß, S. 10).
Dieses Ziel kam aber in früheren Zeiten nicht immer zu Stande. Der Begriff „Auswärtige Kulturpolitik“ wurde schon vor dem ersten Weltkrieg von Politikern und Entscheidungsträgern benutzt, war aber von wenigen Ausnahmen abgesehen noch sehr stark vom nationalistischen Missionsbewusstsein und imperialistischen Gedankengut der europäischen Völker bestimmt.
Das nationalistische Sendungsbewusstsein zielte im Allgemeinen auf kulturelle Propaganda, auf kulturelle Ausbreitung, oft als Vorstufe zur politischen Expansion, sei es in Übersee oder als direkte territoriale Erweiterung im Anschluss an das eigene Landesgebiet (Düwell, S. 54).
2.2 Entwicklung der auswärtigen Kulturpolitik als Grundlage politischer Beziehungen
Zu der Ausbildung von Instrumenten einer effektiven Kulturpolitik als wichtiger Teil der Außenpolitik kam es, historisch betrachtet, meist erst nach Bildung einer gewissen „kritischen Masse“ (Düwell, S. 57) an kulturellen oder kulturpolitischen Außenaktivitäten und Institutionen, die dann einer staatlichen Lenkung bedurften.
Als Paradebeispiel für die Entwicklung einer auswärtigen Kulturpolitik ist hier Frankreich zu nennen - dort hatten sich die kulturellen und wissenschaftlichen Außenkontakte zum östlichen Mittelmeerraum schon seit der Ägyptenexpedition Napoleons I. von 1798 und dann nochmals später durch die Forschungsreisen Jean Francois Champollions im Auftrag König Karls X. zur Erforschung der Hieroglyphen entwickelt.
Auf die frühzeitige Gründung der Ecole Française d´Athène im Jahre 1846, die zu einem Mittelpunkt der archäologischen Forschungen in Griechenland, folgte erst im Jahre 1882 die Gründung der American School of Classical Studies at Athens und die ähnliche orientierte British School at Athens 1883. Dies zeigte, dass Frankreich eine ganze Reihe von kulturellen Initiativen ergriffen und Institutionen geschaffen hatte, die schon bald an Umfang und Wichtigkeit gewannen und somit eine staatliche Förderung und Aufsicht erforderlich machten. Dazu gehörten in Frankreich selbst auch die nach 1871 verstärkten kulturellen Verbindungen und Beziehungen mit Staaten im südlichen und östlichen Mittelmeerraum (vor allem Algerien und Tunesien) und seit den 1880er Jahren auch die französischen Schulen in West- und Ostafrika und vor allem in Ägypten. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass Frankreich vergleichsweise früh eine imperialistische Politik in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern betrieb und sich daher in die Situation versetzt sah, solche Maßnahmen ergreifen zu müssen.
Seit den 1890er Jahren kam es dann zu einem ausgedehnten Netzwerk französischer Schulen auch in Japan und China, in Australien, Indochina und Tahiti, in Kanada, den USA und in Mittel- und Südamerika.
Während des Ersten Weltkriegs kam es zu einem Wandel der Aktivitäten in zahlreichen dieser kulturellen Einrichtungen im Ausland – es ging nicht mehr vorrangig um eine bloße Expansion im Sinne von Verbreitung akademischer Einrichtungen, sondern vor allem um eine expansive kulturelle Propaganda, die in den Dienst des nationalen Kampfs gestellt wurde – und wieder war Frankreich das erste Land, dass diese propagandistische Signatur der Kriegszeit als erster Staat ausgebildet hatte ( Düwell, S. 57).
Auf deutscher Seite verhielt es sich, zeitlich etwas verspätet, nicht sehr viel anders. Das neu gegründete Kaiserreich von 1871 hat aber erst relativ spät die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik erkannt und eine gewisse Koordination durch neu gegründete Reichsstellen geschaffen.
Auch hier ergab sich die Notwendigkeit staatlicher Hilfe aus dem großen finanziellen Bedarf, den Einrichtungen wie die 1815 von Preußen begonnenen Inscriptiones Graecae (Griechische Inschriften), das Deutsche Archäologische Institut in Rom 1829 oder die archäologischen Grabungen, die zunächst in Griechenland und später auch an der Seidenstraße durchgeführt wurden, beanspruchten.
Die kulturellen und wissenschaftlichen Unternehmungen im Ausland unterlagen dem Reich und ihr rechtlicher Schutz war durch den Staat zu gewährleisten. So lässt sich der 1874 zwischen dem Deutschen Reich und Griechenland geschlossene Vertrag, der den deutschen Archäologen unter bestimmten Bedingungen die Grabungen in Olympia erlaubte, als „das erste deutsche Kulturabkommen des 19. Jahrhunderts“ (Düwell, S. 58) bezeichnen. Mit der Übernahme des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom aus dem preußischen in den Reichshaushalt wuchs dem Reich über die Außenpolitik hinaus eine kulturpolitische Kompetenz über die Auslandsinstitute zu.
Die wichtigsten Unternehmungen im Ausland waren zu dieser Zeit folgende:
1887 das Orientalische Seminar in Berlin mit seinen Außenbeziehungen
1894 der Afrikafonds für Forschungszwecke
1902 das Kunsthistorische Institut in Florenz
1906 das Schulreferat im Auswärtigen Amt mit einem schon seit 1878 bestehenden Reichsfonds für das zum Teil Jahrhunderte alte und seit der Reichsgründung von 1871 schnell weiter wachsende deutsche Auslandsschulwesen
1907 das Deutsche Institut für Ägyptische Alterskunde in Kairo (Maaß, S. 58f)
Die Einrichtung des Schulreferats im Auswärtigen Amt 1906 führte auf Seiten des Reichs zur Gründung so genannter deutscher Propagandaschulen im Ausland, die vor Allem in China und im Nahen Osten präsent waren und Schüler vor Ort mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut zu machen. Deutsche Lehrer wurden vor ihrer Entsendung an diese Schulen am Orientalischen Seminar in Berlin auf ihre Aufgabe sprachlich vorbereitet. Auch deutsche Hochschulprofessoren wurden vor dem Ersten Weltkrieg in großer Zahl nach China, in die Türkei und nach Persien sowie in den Vereinigten Staaten von Amerika entsandt (Düwell, S. 58f).
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde erkannt, dass man im Gegensatz zu Frankreich in Sachen Propaganda einigen Rückstand aufzuholen hatte, und so schrieb die Weimarer Verfassung eine Kulturabteilung im Auswärtigen Amt vor, die 1920 ihre Arbeit aufnahm. Diese Zeit stellt einen wichtigen Wendepunkt...