EINLEITUNG
Wie Quotenjunkies und Konformisten einander in Gefallsucht verbunden sind. Warum Medienkritik Gesellschaftskritik sein muss. Weshalb die Reform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens notwendig ist.
Wer genau hinsieht, kann auf dem Gipfel des Lerchenbergs eine hohe Stange erkennen. Auf ihr steckt ein Hut. Der Quoten-Hut. Vor ihm hat jeder, der im ZDF arbeitet, das Haupt zu beugen. Alle opfern der Quote. Wir sind Marktführer!1 In diesem Stolz steckt zugleich das ganze Elend.
Dieses Buch widerspricht dem mit totalitärer Wucht herrschenden Dogma: Je größer die Zahl und der Anteil der Zuschauer, desto bedeutender, besser, erfolgreicher das Programm. Dieses Dogma ist falsch. Es zerstört Fernsehkultur. Es steht dem einzigen wirklichen Auftrag des öffentlichen Fernsehens entgegen, dem Auftrag, dem demokratischen Diskurs zu dienen. Auch wenn es nicht informiert und bildet, sondern unterhält, gilt dieser Auftrag.
Medienkritik ist Gesellschaftskritik
Nichts gegen gesunde Ambitionen. Gegen Marktführerschaft wäre nichts einzuwenden, müsste nicht ein zu hoher Preis dafür bezahlt werden. Ein Fernsehprogramm, das immer möglichst allen gefallen will, wird zwangsläufig beliebig. Wer sich anbiedert, ist schnell mutlos, vermeidet den besonderen Blick auf die Welt, kommt gern glatt und gefällig daher, erstarrt aus Angst vor Überforderung der Zuschauer. Wer auf das setzt, was erfahrungsgemäß ankommt, scheut Irritation und Provokation, bringt immer dasselbe und von dem zu viel. Es ist das, woran es seine Zuschauer gewöhnt hat: Krimis ohne Ende, Sportevents, Talk, Talk, Talk, Talk. Und selbst Nachrichten, Reportagen und Dokumentationen sind so, wie es die Marktforschung und die Zahlen befehlen.
Zwei Zahlen. Die absolute Zahl der Zuschauer ist die eine. Ihr wird weniger Bedeutung zugemessen als der anderen, der des Marktanteils, des Teils aller Zuschauer, die im Augenblick der Messung vor dem Gerät sitzen. Diese Zahl oder Quote zeigt, wie der Sender zu einer bestimmten Zeit gegen alle anderen Sender abschneidet. Über den Wert des Gesendeten verraten die Zahlen nichts.
Die Programme aber sollten am Auftrag der Sender gemessen werden, nicht am Wettbewerb mit anderen. Auftrag der Sender ist es, den demokratischen Diskurs zu beleben.
Die Leistungsfähigkeit einer Demokratie ist nicht zuletzt abhängig von der Qualität der Medien. Aller Medien. Was haben die Schwächen der Medien und die Schwächen der Politik miteinander zu tun? Das ist die Frage dieses Buchs. Seine These ist: Konformistische Medien und populistische Politiker sind einander in Gefallsucht verbunden. Die Gesellschaft ist konfliktscheu, gelähmt von moralisierender Selbstgefälligkeit und Fortschrittszweifeln. Medienkritik ist deshalb Gesellschaftskritik.
Dem Quotenwahn der Sender entsprechen Politiker, die auf Stimmungen setzen statt auf Überzeugungen. Ihre »Kundschaft« wirkt erschöpft und gelangweilt. Sie misstraut den Medien nicht weniger als der Politik.
Dazu kommt: Die Medienlandschaft steht im radikalen Umbruch. Der ökonomische Druck kommt überwiegend aus dem Netz. Das Netz aber ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.
Gefallsucht und Konformismus
Was gefällt? Die Große Koalition entspricht dem Wunsch der Wählermehrheit. Obgleich mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament ausgestattet, ist sie nicht für die Lösung großer Probleme berühmt. Das hat mit der Harmonie zu tun, die sie bei allen Meinungsverschiedenheiten vermittelt. Die Harmonie kommt zustande, weil um die großen Fragen ein großer Bogen gemacht wird, jedenfalls solange nicht das Dach brennt.
Zu beklagen ist die Diskursschwäche, um nicht zu sagen Lethargie der Gesellschaft. Seltsam, befindet sich die Welt doch in einem rasenden Wandel, technologisch, ökonomisch, kulturell. Alle Länder, auch das verhältnismäßig gut situierte Deutschland, steuern auf gewaltige Herausforderungen zu, die wohl kaum allein mit Liebe zum Konsens bewältigt werden können.
Vielleicht könnte man es auch so sagen: »Was in Berlin Stillstand scheint, ist näher besehen doch ein Marschieren.« Alfred Polgars Bonmot ist nicht mehr ganz frisch, doch immer noch gültig. Vielleicht liegt es an der deutschen Mentalität, dass Gleichschritt für wichtiger gehalten wird als die Richtung, in die marschiert wird. Hauptsache, es tanzt niemand aus der Reihe.
Es ist ein merkwürdiges Paradox. Einerseits haben Familie, Religion, Bildung, Herkunft, ja sogar Alter und Geschlecht ihre prägende Kraft verloren. Der Einzelne kann heute sein Leben, soweit es die materiellen Umstände zulassen, weitgehend nach eigenen Vorstellungen gestalten. Doch seltsamerweise erzeugt diese Fragmentierung der Gesellschaft nicht mehr Meinungsvielfalt oder gar lebendigere Debatten.
Für diesen Widerspruch gibt es einige Gründe. Einer ist die Macht des Marktes. Sie erzeugt nicht nur Konsumtrends und Lebensstile, sondern auch Einstellungen und Wertvorstellungen. Wer ihnen offen widerspricht, ist draußen. Die Gefallsucht der Medien und der Politik folgt dem Markt der Meinungen und Stimmungen. Konformismus und Konsumismus sind also miteinander verwandt.
Ein anderer Grund: Offenbar kommt das Bedürfnis, sich dem Mainstream der Meinungen anzupassen, aus dem Verlust von Gewissheiten. Ängste wachsen, losgelöst von wirklichen Gefahren. Die Gesellschaft rückt emotional zusammen. Das fällt ihr leichter als früher, denn mit dem Ende der großen, die Welt teilenden ideologischen Konfrontation gibt es scheinbar keine politischen Lager mehr. Weltanschauung ist aus der Mode gekommen.
Ist das nicht ein wunderbarer Vorteil? Was soll schlecht daran sein, wenn sich eine Gesellschaft in größter Einmütigkeit über fast alle großen Fragen verständigt hat? Gegen Klimawandel, für Frieden auf der ganzen Welt, gegen Bankenmacht, für soziale Gerechtigkeit, gegen Massentierhaltung, für Europa, gegen Staatsverschuldung und so weiter. Ich halte dagegen: Die Welt will nicht kapieren und steckt fest in ihren Widersprüchen.
Konformistische Gesellschaften gehen Auseinandersetzungen aus dem Weg, ohne die Probleme zu lösen. Sie verengen den Diskurs. Die Begrenzungen sind ein »Kanon dessen, was an Betrachtungsweisen, Begriffen, Sprachformeln und Argumenten in Deutschland ›geht‹ oder eben nicht ›geht‹. Wer sich daran hält, darf am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Wer sich gegen diesen Kanon vergeht, ist auszugrenzen«, so der Dresdener Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt über die Hysterie, die Pegida ausgelöst hat.2
Konformismus ist die Degenerationserscheinung einer politikmüden, zugleich tief verunsicherten Gesellschaft. Es zählt, was sich gut anfühlt. Fühlen gilt überhaupt mehr als Wissen und Argumentieren. Wer wagt sich noch mit eigenen Gedanken und im eigenen Namen hervor, muckt auf gegen die stille Wucht der Mehrheit? Nur das anonyme Maulen im Internet ist nicht zu übersehen. Parteien und Politiker folgen messbaren Stimmungen. So geht Konformismus einher mit jenem Populismus, der nicht an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft gedeiht.
Zum Buch
Im ersten Teil skizziere ich Wechselwirkungen zwischen Medien und Politik. Ausgangspunkt ist der berühmte Satz von Niklas Luhmann: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.«3 Dem tausendfach zitierten Satz folgt bei Luhmann wenige Zeilen später ein anderer, der meist unterschlagen wird: »Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können.«
Wir wissen immer mehr. Das Wissen darum, wie Medien funktionieren, ist gewachsen. Aber eben auch die Gefallsucht der Medien. Nach allen öffentlich gewordenen und beklagten Fehlleistungen, Fälschungen und Regelverstößen ist das Geschrei groß. Aber es ändert sich nichts. Auch professionelle Medienkritik verpufft. Stefan Niggemeier, ein scharfer, unermüdlicher Kritiker, beschreibt »das zwischen Müdigkeit und Verzweiflung schwankende Gefühl«, weil »jeder Appell zur Zurückhaltung, zur Vorsicht, scheinbar wirkungslos verhallt«.4
Wie sind die Gefallsucht der Medien und der Populismus der Politik miteinander verbunden? Davon handelt der zweite Teil – Die Konformismusfalle. Er befasst sich mit der Entpolitisierung der Politik, also auch mit der erfolgreichen und deshalb stilbildenden Methode Merkel. Ursache dieser Ermüdung der gegenwärtigen Demokratie ist eine tiefe, nicht bloß soziale, sondern mehr noch kulturelle Spaltung der Gesellschaft. Geht man ihr auf den Grund, stößt man auf die Krise der Bildung. Eine Herausforderung, nicht zuletzt für die Medien.
Der dritte Teil – Die Seichtigkeitsspirale – beschreibt, weshalb die Medien dieser Entwicklung so wenig entgegenzusetzen haben. Die digitale Revolution hat tiefgreifende kulturelle Folgen. Der Substanzverlust ist besonders im Fernsehen zu beobachten.
Es geht in diesem Buch um Mängel, Schwächen und Versäumnisse der Medien wie der Politik. Aber es endet nicht im Negativen.
Weil der Markt Medien bedroht und auszehrt, bleibt nichts anderes übrig, als auf jene Medien zu setzen, die sich den Bedingungen dieses Marktes weitgehend entziehen können. Für diese Aufgabe braucht die Gesellschaft öffentlich-rechtlichen Rundfunk dringender als jemals zuvor. Nur nicht den, den sie hat. So, wie das System ist, könnte es abgeschafft werden. Es wird Zeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu aufzustellen und sich vom gegenwärtigen Gebührenfernsehen zu...