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E-Book

Die größte Agentur der Welt

Anleitung zum Post-Fake-Marketing

AutorHermann Sottong
Verlagkursbuch.edition
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783946514725
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Wir sind echt ´ne Marke! Wir alle sind gemeint - wir, die namenlose Mega-Agentur aus Experten und Spezialisten. Mit unserem geballten Sachwissen und schier unbegrenzten Erfahrungsfundus. Kein Unternehmen der Welt kann mit uns mithalten. Wir testen Produkte und Dienstleistungen und machen sie groß. Wie werden Marken eigentlich zu Marken? Spontane Antwort: hauptsächlich durch Werbung. Dieser Konnex freut die Marketingprofis. Sind sie doch immer noch verliebt in den Gedanken, dass ihre Ideen einem Markenprodukt zum Durchbruch verhelfen. Sie zeigen die Produktwelt von ihrer allerbesten Seite, erzählen pausenlos vom richtigen und guten Leben und versprechen, Wünsche zu erfüllen, die vielleicht so noch gar nicht existieren. Und weil ihre Bilder so schön, die transportierten Versprechungen so verlockend sind, kaufen die Leute. So weit, so einfach. Bis jetzt: Denn wenn es so einfach ginge, warum stößt Werbung dann heute auf so wenig Beachtung und Akzeptanz? Und das, obwohl sie noch nie so viel Geld, so viel Raum und Zeit verschlungen hat wie in diesen lärmenden Tagen. Genau in diese Parade fährt Hermann Sottong. Der Marken- und Organisationsentwickler dreht das Spiel. Er zeigt, dass es die Alltagsdiskurse und Verständigungsprozesse der Konsumenten und Nutzer sind, die aus einem x-beliebigen Angebot eine Marke mit Aufmerksamkeitswert machen. Im Klartext: Wir, die Konsumenten, sind die eigentlichen Markenmacher. Und damit könnten wir die aufgeblasene PR- und Werbewelt eigentlich in den Ruhestand schicken.

Hermann Sottong wurde 1959 im sanften Schatten des saarla?ndischen Schaumbergs geboren. Zum Studium wechselte er von der Saar an die Isar, wo die pra?gende Begegnung mit Strukturalismus und Semiotik zur Promotion u?ber Denksysteme in der Literatur des 19. Jahrhunderts und weiteren Bu?chern u?ber Simulation und Zeichentheorie fu?hrte. Sein Freiheitsdrang und die Mechaniken des zeitge- no?ssischen Unibetriebs erwiesen sich als inkompatibel, also gru?ndete er nach einigen Lehrjahren in der Wirtschaft mit Gleichgesinnten eine Beratungsagentur fu?r Unternehmenskommunikation. Da die kommunikativen Fa?higkeiten von Wirtschaftsorganisationen nach seiner Beobachtung eher nicht zugenommen haben, bleibt hier noch viel zu tun. Er nimmt sich allerdings regelma?ßige Auszeiten zum Schreiben und E-Bass-Spielen, um fu?r eine angemessene Life-Life-Balance zu sorgen.

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Leseprobe

Keine Marke ohne Zeichen: Die Semiotik der Marke

Marke und Besitz

Wer durch Wald und Fluren wandert, begegnet hin und wieder alten Grenzsteinen. Darauf sind manchmal noch verwitterte Wappen und ähnliche Zeichen zu erkennen. Solche Marksteine zeigen heute noch an, wo früher die Grenze zwischen den Herrschaftsgebieten von Feudalherren verlief. Auf der einen Seite des Marksteins findet sich dann etwa der Löwe des Fürsten Aggro von Lausenstein, auf der anderen die Lilie der Gräfin Sophie von Friedthal, und wer des Weges kam, wusste genau, auf wessen Herrschaftsgebiet er sich jeweils befand. Bis heute hat sich in Landschaftsnamen wie Uckermark oder Mark Brandenburg diese Etymologie erhalten.

Ursprünglich verweist also der Begriff Marke auf die Grenze zwischen Besitztümern und Herrschaftsgebieten und markiert den Umfang dieser Bereiche. Marke in diesem Sinne zeigt also einen Besitz- und Herrschaftsanspruch an.

Besitzrechte spielen auch die zentrale Rolle beim englischen Wort brand. In Howard Hawks’ wunderbarem Western Red River aus dem Jahre 1948 ist das Brandzeichen des Rinderbarons Tom Dunson von zentraler Bedeutung. Der von John Wayne verkörperte Dunson plant mit seiner riesigen Herde einen bis dahin nie gewagten Viehtrieb in den Norden, um dort seine Rinder auf die Fleischmärkte zu bringen und so die ökonomische Krise seiner Ranch zu beenden. Bevor es losgeht, muss allen Rindern das Zeichen »Red River D« eingebrannt werden. Mit diesem Branding wird unzweifelhaft klargestellt, wem das Huftier gehört.

Was beim Einbrennen des Zeichens in die Kuhhaut geschieht, nennt die Zeichentheorie einen performativen Akt: Dadurch, dass jemand ein Zeichen äußert, verändert er die Realität – in diesem Falle die Besitzverhältnisse. Irgendwann im Verlauf des zunehmend konfliktträchtigen Viehtriebs sagt Dunsons Ziehsohn Matt Garth zu Tom: »Du würdest am liebsten jedem von uns dein Brandzeichen aufdrücken!«, und bringt damit dessen Beziehung zu den Viehtreibern auf den Punkt: Dunson möchte auch sie alle besitzen, ihnen seinen Willen aufzwingen – und sie damit verdinglichen.

Das Einbrennen eines Zeichens in die Haut eines Lebewesens ist ein außergewöhnlicher Fall von »Äußerung«. Zeichen können flüchtig sein wie etwa gesprochene Wörter und werden im Normalfall auf eigens dafür geschaffene Trägermedien wie Papier oder Leinwand appliziert. Im Fall des Brandings aber wird bewusst eine untrennbare Verbindung geschaffen. Solange die Kuh lebt, wird sie auch dieses Zeichen tragen und damit im Besitz dessen sein, dem das Zeichen gehört. Die Huftiere in Red River sind also eindeutig Waren, die erzeugt, geliefert und verkauft werden. Und das Brandzeichen ist damit auch »Warenzeichen«. Die Unterscheidung, die durch das Brandzeichen hergestellt wird, ist die zwischen mein und dein, die Bedeutung des Red River D liegt in der Aussage: Dieses Rind gehört Tom Dunson. Es besteht eine klare, einfache Relation zwischen einer Person, einem eindeutigen Zeichen und einer untrennbar mit diesem Zeichen verbundenen Sache, durch die ein Besitzverhältnis hergestellt wird. Logisch gesprochen besteht die Bedeutung des Zeichens in einer Eigentümerproposition, die sich genau in dem Moment realisiert, in dem das Zeichen angebracht wird.

Ein solches Brandzeichen sagt nichts über weitere, etwa qualitative Unterschiede zwischen den Rindern aus. Das würde auch keinen Sinn ergeben: Wem auch immer in diesem Gebiet die Longhorns gehören – sie laufen alle in den Weiten der Prärie herum, fressen das gleiche Gras, sind derselben Witterung ausgesetzt. Dunsons Rinder sind nicht fetter oder fitter als die seiner Nachbarn, ihr Fleisch ist nicht zäher oder zarter, nicht mehr oder weniger »bio«. Hier zeigt sich bereits einer der Aspekte, in denen sich die Bedeutung der Begriffe Brand und auch Marke im Laufe der Zeit gewandelt hat. Beide verweisen heute nicht mehr unmittelbar auf Besitzer, Herrscher, Eigentümer einer Sache. Sie verweisen vielmehr auf Unterschiede zwischen Dingen, die ein bestimmtes Zeichen tragen – gebrandet sind –, und ähnlichen Dingen, die kein oder ein anderes Zeichen tragen.

Sowohl das Brandzeichen als auch die Zeichen auf den Marksteinen gehören zur Person des Landbesitzers – ob Ritter oder Rancher – und sind Teil seines Besitzes. Nur muss der Rancher sein Brandzeichen nicht offiziell schützen lassen: Denn was machte es für einen Sinn, wenn ein anderer Rancher dieses Brandzeichen seinen Rindern einbrennen würde? Er würde ja damit seine Rinder in den Besitz seines Konkurrenten überführen. Ein Brandzeichen zu fälschen bedeutete also damals, das Zeichen selbst zu verändern in ein anderes, um damit scheinbar die Besitzverhältnisse zu verändern. Genauso hätte einer, der fälschlich Marksteine mit dem Wappen eines Feudalherren aufgestellt hätte, nur dessen Gebiet vergrößert. Wer anders als der Zeicheninhaber selbst sollte so etwas tun? Markenfälschung heutzutage funktioniert genau andersherum: Das Markenzeichen wird akkurat kopiert, um es auf nachgemachten Waren anzubringen und so ihren Wert zu erhöhen. Durch die zusätzliche Verbreitung des Warenzeichens wird dessen Eigentümer nicht reicher gemacht, sondern wirtschaftlich geschädigt.

Durch den Kauf wechselt die Ware den Besitzer, auch wenn das Markenzeichen weiterhin auf ihr verbleibt. Erwirbt jemand einen Mercedes, prangt weiterhin der Stern auf Kühlerhaube und Heck, was jedoch keinesfalls bedeutet, dass der Wagen weiterhin der Mercedes-Benz AG gehört. Und dennoch verbleibt etwas davon bei Mercedes: das Zeichen selbst. Nach wie vor sind Name und Logo Eigentum eines anderen. Wer immer ein Markenprodukt ersteht, erwirbt damit nicht auch das Recht, mit diesem Zeichen zu tun und zu lassen, was ihm beliebt. Das heißt: Das Branding sagt nicht mehr aus, wem die Ware gehört, aber es bleibt bei seinem ursprünglichen Eigentümer. Auf diese subtile, nahezu magische Weise hat sich etwas von der alten Struktur erhalten, die sich ursprünglich mit dem Branding verband: Das Markenzeichen gehört nicht dem Kunden, sondern dem Besitzer der Marke – dem Marken-Owner –, und da es fest mit der Ware verbunden ist – aufgedruckt, eingeprägt, aufgestickt, graviert und eingelassen –, bleibt ein Teil dessen, was der Käufer erstanden hat, immer bei ihm. Ganz kann man ein Markenprodukt nie besitzen, der Marken-Owner bleibt immer eine Art stiller Teilhaber.

Marke und Herkunft

Markenzeichen und Brands sind mittlerweile keine Zeichen mehr, aus denen eine Eigentümerproposition folgt. Wer eine Gruppe Rinder fand, die sich verlaufen hatte, konnte am Brandzeichen erkennen, wem die Tiere gehörten, und damit auch die Herkunft der Ware bestimmen. Jenseits des Verweises auf einen Besitzer wird Herkunft erst dann wichtig, wenn sich mit ihr weitere Merkmale verbinden. Erst wenn die gleiche Art von Waren in verschiedenen Regionen und von verschiedenen Produzenten hergestellt wird und sie aufgrund dessen unterschiedliche Merkmale aufweist, wird Herkunft zu einem wichtigen Faktor.

Wolle aus Kaschmir, Vanille aus Madagaskar, Chili aus Espelette, Eisenerz aus Indien – bei Rohstoffen verbinden sich seit Jahrhunderten bestimmte Qualitäten des Materials mit der Herkunftsregion zu einer festen Assoziation. In anderen Fällen besteht sie in der Verknüpfung von Region, Ort oder Hersteller mit einem bestimmten Können, traditionsreichen Herstellungsverfahren oder speziellen Werten.

Herkunftsbezeichnungen wie made in Germany sind bereits recht nahe an dem, was sich assoziativ auch mit dem ökonomischen Markenbegriff verbindet. Grundsätzlich ermöglicht eine solche Kennzeichnung zunächst nichts anderes als eine geografisch-politische Zuordnung von Waren. Wichtiger sind die Erwartungen, die sich an sie knüpfen lassen. Über Jahrzehnte hinweg war made in Germany konnotiert mit Robustheit, Zuverlässigkeit, sorgfältiger Verarbeitung, Qualität.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen regionalen Herkunftsbezeichnungen und Marken ist aber, dass Erstere sich auf ganze Produktgattungen – Weine aus dem Bordeaux, Mode aus Paris, Uhren aus der Schweiz – beziehen, während Marken in der Regel auf einen Hersteller oder gar auf ein spezifisches Produkt verweisen: made by a particular company2, wie Webster sagt, oder particular kind of goods3 (Hornby). Auch hier ist der Bezug auf die Herkunft aus Sicht des Konsumenten vor allem dann sinnvoll, wenn sich damit Wissen über bestimmte Merkmale der Waren verbindet. Es ist eben unleugbar nützlich, Produkte wiederzuerkennen und gleichzeitig zu wissen, ob sie subjektiv gesehen gut oder schlecht sind.

Der Unterschied macht’s

Wie bis hierher gezeigt, hat Marke viel mit Grenzziehung zu tun. Als Warenzeichen helfen Marken, Produkte untereinander abzugrenzen. Etwas, das umso wichtiger zu werden scheint, je mehr Produkte der gleichen Gattung auf dem Markt sind, die sich in ihren wesentlichen Eigenschaften ähneln. Das Problem der Unterscheidbarkeit – beziehungsweise der Nichtunterscheidbarkeit – hatten schon die Cowboys in der Welt von Red River: Wie soll man unter Tausenden von Rindern erkennen können, wem welches Rindvieh gehört? Das Markieren der Tiere stellt in dieser Situation eine einfache Lösung für ein einfaches, rein quantitatives Problem dar: die Zuordnung – und Zählbarmachung – einer Menge gleichartiger Objekte zu einer begrenzten Gruppe von Eigentümern. Dem entspricht übrigens auch die Simplizität der ökonomischen Situation in der dargestellten Welt dieses Westerns, die sicher auch ein Stück amerikanischer...

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