1 So sterben Sterne
Die Supernovas des Finanzsystems
Das Spektakel dauert nur fünf Minuten, doch die Explosion sieht man noch 90 Millionen Lichtjahre entfernt: Als sich »SN 2008D« mit einem Lichtblitz von der kosmischen Bühne verabschiedet, schaut ein Team der Princeton University mithilfe des »Swift«-Weltraumteleskops dem Stern beim Sterben zu und genießt einen sensationellen Blick auf eine riesige Sternenexplosion.
Leben und Sterben eines solchen Sterns sind eine spektakuläre Veranstaltung: Geht einem Stern sein Treibstoff, das Helium, aus, so bläht er sich auf, erhöht seine Leuchtkraft um etwa das 1000- bis 10 000-Fache und wird zum Roten Riesen. Das Gastspiel des Riesen ist kurz, er stirbt nach einem kurzen Aufleuchten, bei dem seine Helligkeit millionenfach ansteigt. Dieses letzte Aufleuchten eines Sternes, bevor er stirbt, eine Explosion, bei der seine Leuchtkraft um das Millionen- bis Milliardenfache ansteigt, nennen Physiker Supernova.
Dass Supernovas für uns ungefährlich sind, liegt daran, dass sie nicht in der Nachbarschaft rumhängen – selbst der kosmische Hopser von 600 Lichtjahren bis zu Beteigeuze, dem Supernova-Kandidaten, der uns am nächsten kommt, ist weit genug, um uns vor schädlichen Folgen solcher Ereignisse – kosmische Strahlen und Trümmer – zu schützen. Anders wäre das, würde eine solche Supernova vor unserer Haustüre explodieren: in unserem Finanzsystem.
Betrachtet man den Lebensweg einer Supernova, so findet man verblüffende Parallelen zu den Fixsternen unseres Finanzsystems, den Notenbanken: Angetrieben von einem Prozess namens Geldschöpfung, für Normalsterbliche so rätselhaft wie die Kernfusion im Inneren eines Sterns, haben sie sich in den vergangenen Jahren zu Roten Riesen unseres Wirtschaftssystems aufgebläht. Wie sehr, kann man anhand der Summen sehen, mit denen sie jonglieren: Ob die Europäische oder britische Zentralbank oder das amerikanische Notenbanksystem, das Federal Reserve System (kurz Fed) – sie alle haben in den vergangenen Jahren innerhalb kürzester Zeit mit unglaublichen Mengen an neu geschaffenem Geld um sich geworfen und damit ihre finanzielle Leuchtkraft dramatisch erhöht.
Will man die Verwandlung der Notenbanken in Rote Riesen besichtigen, so reicht ein Blick in ihre Bilanzen: Die Europäische Zentralbank hat in weniger als fünf Jahren ihr Geschäftsvolumen mehr als verdoppelt, in den USA hat die Notenbank ihr Geschäft verdreifacht, die Bank of England bringt es sogar auf das Fünffache des früheren Geschäfts. Die Welt erlebt ein historisch einmaliges Experiment – noch nie ist so viel Geld in die Adern des Weltwirtschaftssystems gepumpt worden. Der Ausgang des Experiments: ungewiss.
Das Aufblähen der Zentralbanksonnen tarnt sich hinter drögem Fachchinesisch: »Quantitative Easing« oder »Qualitative Easing«. »Tendergeschäfte« und »langfristige Finanzierungsgeschäfte« nennen steife Notenbanker das; Politik und Medien bevorzugen eher kriegerische Ausdrücke, sprechen von der »Dicken Bertha« oder der »Bazooka«. Solche mehr oder weniger fantasievollen Namen bezeichnen ein und dieselbe Veranstaltung: Die Notenbanken Europas und der USA blähen sich auf wie Rote Riesen, und je mehr sie sich aufblähen, umso mehr steigt die Gefahr, dass unser Geldsystem explodiert. Angesichts der möglichen Folgen wünscht man sich, rasch 600 Lichtjahre zwischen sich und die Notenbanken zu bringen. Eine Supernova, direkt vor unserer Haustür.
Im Gegensatz zu den kosmischen Supernovas ist das kein Naturereignis, sondern eine von Menschenhand geschaffene Bedrohung. Aber man kann den Notenbanken nicht die Alleinschuld an dieser Entwicklung geben; sie haben und hatten keine Wahl. Das liegt zum einen an denjenigen, die immer behaupten, unser Bestes zu wollen – und es sich nehmen: Es ist die Politik, welche die Notenbanken entmachtet hat, sie führt die einstmals so stolzen, unabhängigen Notenbanken am Nasenring durch die politische Manege. In ihrer Unfähigkeit, der Droge Staatsverschuldung zu entsagen, in ihrem Unverständnis über das, was an den Finanzmärkten passiert, wie eine Währungsunion funktioniert, wie Banken zu regulieren und Finanzsysteme zu stabilisieren sind, hat die Politik eine Katastrophe nach der anderen heraufbeschworen und sich in eine ausweglose Lage manövriert, in der die Notenbanken die letzte Hoffnung sind. Sie müssen das Versagen der Finanzpolitik mit immer mehr Geld zukleistern, um die Weltwirtschaft vor dem Kollaps zu retten.
Vielleicht wäre das zu verschmerzen, wenn es helfen würde – doch es kommt noch dicker: Es scheint, dass die Instrumente der Notenbanken an Schlagkraft verloren haben – alle Ideen, Theorien und Werkzeuge, mit denen sie jahrzehntelang die Geschicke des Geldsystems erfolgreich steuerten, scheinen zunehmend zu versagen. Die Welt hat sich verändert, Notenbanker, Politiker und Wissenschaftler müssen neue Antworten auf neue Fragen finden, die eine aus dem Ruder laufende Weltwirtschaft stellt.
Mutieren unsere Notenbanksysteme tatsächlich zum Roten Riesen, wird ein Geld-Tsunami unser Finanzsystem und unsere Ersparnisse treffen, werden Vermögenswerte Achterbahn fahren. Notenbanken wandeln sich von Roten Riesen zu Schwarzen Löchern, Staaten führen Währungskriege, Ersparnisse und Vermögen verdampfen und Volkswirtschaften geraten ins Trudeln. Ironischerweise geht dem Kollaps ein Aufbäumen des Systems voraus, in dem die Vermögenswerte explodieren: Immobilien erleben grandiose Wertsteigerungen, die Aktienkurse laufen von Rekord zu Rekord. Nichts täuscht mehr als solche Vermögenspreisexplosionen: Vermeintliche reale Wertzuwächse sind aufgeblähte Zeugen der Geldexzesse der Notenbanken. Eine toxische Kombination aus exzessiven Staatsschulden und explodierenden Notenbankbilanzen bedroht Finanzgiganten an der Wall Street ebenso wie unseren Sparstrumpf, egal, ob wir in Gold oder Eigenheime flüchten oder unsere Altersvorsorge unters Kopfkissen stopfen. Nichts scheint mehr sicher. Und den Stoff, aus dem die Krise ist, tragen wir täglich mit uns herum. In unserer Brieftasche.
Der Stoff, aus dem die Krisen sind
Keine Frage – Geld ist unverzichtbar, und je entwickelter und fortgeschrittener eine Volkswirtschaft ist, umso abhängiger ist sie von einem funktionierenden Geldwesen. Die moderne Welt hängt am Tropf des Geldes, allen voran die Finanzmärkte, durch deren Adern es fließt. Sie sind im Endspiel um unsere Währungsordnung Dreh- und Angelpunkt, denn die Bedeutung des Produktionsfaktors Kapital und der weltweiten Finanzmärkte hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zugenommen: Banken, Versicherungen und Kapitalanlagegesellschaften schieben Billionenvermögen rund um den Erdball, um diese zu investieren und zu vermehren. Der positive Effekt dieser Entwicklung ist eine beispiellose Zunahme der weltweiten Produktivität und des Wohlstands – das Kapital strömt dorthin, wo es am dringendsten gebraucht wird, gelenkt von Zinsen und Dividenden, welche die Kreditnehmer ihren Investoren versprechen. Und wo Kapital auftaucht, steigen die Chancen auf Wachstum und Reichtum – aber auch die Probleme. Der grandiose Aufstieg der Finanzmärkte hat Folgen, mit denen wir uns schwertun: Immer enger ist das Schicksal von Unternehmen, Staaten und Regierungen mit dem Geschehen auf den Finanzmärkten verbunden.
Will man dieser gegenseitigen Abhängigkeit von Kapitalmärkten und Wirtschaftspolitik ein Gesicht geben, so ist es zerknautscht, mit schmuckloser Brille, lichtem Haar und einem verschmitzten Gesichtsausdruck. »Wenn Sie glauben, mich verstanden zu haben, habe ich mich nicht unverständlich genug ausgedrückt«. hat dieses Gesicht einmal gesagt, als es noch das Gesicht der amerikanischen Notenbank, des Federal Reserve System, war. Alan Greenspan ist der Name, der zu diesem Gesicht gehört, und unter seiner Amtszeit begann das, was man den Greenspan-Effekt nennen kann: Die Geschicke der Notenbanken und der Finanzmärkte verzahnen sich immer stärker. Die Notenbanken schielen immer ängstlicher auf die Ereignisse an den Finanzmärkten, die Finanzmärkte verfolgen zunehmend hektischer die Bewegungen der Notenbanken. Das klingt wie strukturierter Wahnsinn: Die Ereignisse an den Finanzmärkten bestimmen die Notenbankpolitik, die wiederum das Geschehen auf den Finanzmärkten beeinflusst. Je wichtiger die Finanzmärkte für die Weltwirtschaft werden, umso mehr geraten die Notenbanken in ihr Schlepptau – und andersherum.
Mit fatalen Folgen: Ob Aktien oder Anleihen, Immobilien, Gold, Rohstoffe oder Gewürze – alles, was Wert hat, wird auf Finanzmärkten gehandelt, und damit hat alles, was wir zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen benötigen und was uns wertvoll ist, Bedeutung für die Geldpolitik, für die Wirtschaftspolitik – für uns. Umso schlimmer, dass der Zusammenhang zwischen Vermögenspreisen, Geldpolitik, Finanzbranche und Realwirtschaft kaum verstanden ist – wir wissen zwar, dass die Preise für Produktionskapital, Immobilien, Rohstoffe und alle anderen Vermögensgüter die Geldpolitik beeinflussen, wir wissen auch, dass die Geldpolitik die Preise dieser Vermögensgüter mitbestimmt, und wir wissen, dass alle zusammen Beschäftigung, Produktion und Wohlstand ausmachen – nur wie das alles genau zusammenhängt, das wissen wir nicht. Wir stochern im Nebel.
Früher, in den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, war das einfach: Wenn der Motor der heimischen Wirtschaft stotterte, packte man die Rezepte eines verstorbenen Jahrhundertökonomen aus, die man dem Wähler als »Keynesianismus« oder »Konjunkturpolitik« verkaufte. Man verschuldete sich, gab das Geld aus und...