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Die großen Neun

Wie wir die Tech-Titanen bändigen und eine Künstliche Intelligenz zum Wohle aller entwickeln können

AutorAmy Webb
VerlagPlassen Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783864706394
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Die 'großen Neun' haben eines gemeinsam: Sie alle treiben mit Macht die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) voran - und dieses Thema polarisiert: Entweder ist KI der Heilsbringer schlechthin oder aber eine tödliche Gefahr für die Menschheit. Doch wie heißt es so schön? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Futuristin und Bestsellerautorin Amy Webb macht sich auf die Suche nach der Wahrheit. Sie erklärt unter anderem, weshalb wir KI nicht gigantischen Tech-Konzernen und auch nicht einzelnen Weltmächten wie China überlassen dürfen. Sie zeigt auf, was Politik, Wirtschaft und jeder von uns tun kann, damit künstliche Intelligenz sich am Ende nicht als Fluch, sondern als Segen herausstellt.

Amy Webb ist Futuristin, Autorin und Gründerin des Future Today Institute, das Unternehmen, staatliche Einrichtungen, Non-Profit-Organisationen, Universitäten und Start-ups berät. Webbs Forschungsschwerpunkte sind künstliche Intelligenz sowie die Art und Weise, wie neue Technologien bestimmen, wie wir leben, arbeiten und die Gesellschaft organisieren werden. Sie ist Professorin für strategische Zukunftsforschung an der Stern School of Business der New York University.

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EINLEITUNG


BEVOR ES ZU SPÄT IST


Künstliche Intelligenz gibt es bereits. Allerdings sieht sie anders aus, als wir alle erwartet haben. Sie ist das stille Rückgrat unserer Finanzsysteme, unseres Stromnetzes und der Lieferkette im Einzelhandel. Sie ist die unsichtbare Infrastruktur, die uns durch den Verkehr leitet, uns bei Tippfehlern sagt, was wir eigentlich meinen, und bestimmt, was wir kaufen, anschauen, hören und lesen sollten. Sie ist die Technologie, auf der unsere Zukunft aufbaut, weil sie in alle Aspekte unseres Lebens eingreift: Gesundheit und Medizin, Wohnen, Landwirtschaft, Verkehr, Sport und sogar Liebe, Sex und Tod.

KI ist kein Technologietrend, kein Modewort und kein flüchtiger Zeitvertreib – sie ist das dritte Computerzeitalter. Wir befinden uns mitten in einer maßgeblichen Umwälzung, ganz ähnlich wie die Generation, die die industrielle Revolution erlebte. Damals bemerkte anfangs kaum einer den um sich greifenden Wandel, weil er sich im Verhältnis zu einem Lebensalter so langsam vollzog. Doch am Ende war die Welt nicht mehr wiederzuerkennen: Großbritannien und die Vereinigten Staaten hatten sich zu den beiden dominanten Weltmächten entwickelt und verfügten über das industrielle, militärische und politische Kapital, um den Verlauf des nächsten Jahrhunderts zu prägen.

Alle reden unablässig über KI und darüber, was sie für unsere Zukunft bedeutet. Die gängigen Argumente haben Sie sicher schon gehört: Die Roboter nehmen uns die Arbeitsplätze weg, die Roboter stellen die Wirtschaft auf den Kopf und irgendwann töten die Roboter Menschen. Vor 200 Jahren führten die Menschen die gleichen Diskussionen, nur nicht über „Roboter“, sondern über „Maschinen“. Natürlich machen wir uns Gedanken über die Auswirkungen neuer Technologien auf unsere Jobs und unsere Verdienstmöglichkeiten, denn wir haben ja schon in vielen Branchen erlebt, was Disruption anrichten kann. Verständlicherweise denken wir bei KI unwillkürlich an HAL 9000 aus 2001: Odyssee im Weltraum, WOPR aus WarGames – Kriegsspiele, Skynet aus Terminator, Rosie aus Die Jetsons, Dolores aus Westworld oder eine andere der vielen Hundert vermenschlichten KI aus der Popkultur. Wer nicht unmittelbar im KI-Ökosystem tätig ist, dem erscheint die Zukunft entweder fantastisch oder furchterregend – allerdings aus vollkommen falschen Gründen.

Wer nicht tief in den KI-Forschungs- und Entwicklungsalltag eingebunden ist, kann die Signale nicht deuten, weshalb sich der öffentliche Diskurs über KI auf die Roboter-Obersten aus aktuellen Filmen bezieht oder aber einen manischen, zügellosen Optimismus widerspiegelt. Mangelnde Nuancierung ist Teil des Entstehungsproblems der KI: Manche überschätzen ihre Anwendungsmöglichkeiten gewaltig, während andere behaupten, sie würde eine nicht aufzuhaltende Waffe werden.

Ich weiß das, weil ich den Großteil der letzten zehn Jahre mit der Forschung an KI zugebracht habe und mit Menschen und Organisationen innerhalb und außerhalb des KI-Ökosystems zu tun hatte. Ich habe viele verschiedene Unternehmen im Epizentrum der künstlichen Intelligenz beraten, darunter Microsoft und IBM. Ich habe externe Stakeholder getroffen und beraten: Wagniskapitalgeber und Private-Equity-Manager, führende Mitarbeiter des US-amerikanischen Verteidigungs- und Außenministeriums sowie diverse Parlamentarier, die Regulierung für die einzige Möglichkeit halten. Außerdem habe ich an Hunderten von Sitzungen mit akademischen Forschern und Technologen teilgenommen, die an vorderster Front arbeiten. Wer unmittelbar im KI-Sektor tätig ist, teilt selten die extrem apokalyptischen oder utopischen Zukunftsvisionen, die in den Nachrichten so im Vordergrund stehen.

Der Grund dafür: Alle, die tatsächlich an der Zukunft der KI bauen – ganz ähnlich übrigens wie Forscher in anderen wissenschaftlichen Disziplinen –, würden die Erwartungen gern dämpfen. Es braucht Geduld, Zeit, Geld und Durchhaltevermögen, um wichtige Meilensteine zu erreichen, und das wird gern vergessen. Die Forscher ackern vor sich hin, lösen nach und nach sehr komplizierte Probleme und machen dabei oft nur geringfügige Fortschritte. Diese Menschen sind intelligent, weltoffen und meiner Erfahrung nach auch empathisch und umsichtig.

Die allermeisten von ihnen arbeiten bei neun Tech-Titanen: Google, Amazon, Apple, IBM, Microsoft und Facebook in den Vereinigten Staaten und Baidu, Alibaba und Tencent in China. Sie entwickeln KI, um eine bessere, schönere Zukunft für uns alle einzuläuten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Chefs dieser neun Unternehmen von einem tief empfundenen Altruismus geleitet werden – und von dem Wunsch, dem Allgemeinwohl zu dienen: Sie erkennen ganz klar das Potenzial der KI, das Gesundheitswesen zu verbessern und die Lebenserwartung zu erhöhen, anstehende Klimaprobleme zu lösen und Millionen Menschen aus der Armut herauszuholen. Die konkreten positiven Effekte ihrer Arbeit können wir bereits jetzt in allen Branchen und in unserem Alltag wahrnehmen.

Problematisch ist aber, dass externe Kräfte die neun großen Tech-Unternehmen – und damit alle, die innerhalb des Ökosystems tätig sind – unter Druck setzen und sich gegen deren beste Absichten für unsere Zukunft verschwören. Warum das so ist, liegt auf der Hand.

In den USA machen gnadenlose Marktansprüche und unrealistische Erwartungen in Bezug auf neue Produkte und Dienstleistungen eine langfristige Planung unmöglich. Wir erwarten von Google, Amazon, Apple, Facebook, Microsoft und IBM auf ihren Jahreshauptversammlungen eindrucksvolle Ankündigungen zu neuen KI-Produkten – als ob Durchbrüche in Forschung und Entwicklung planbar wären. Stellen solche Unternehmen nicht jedes Mal noch glanzvollere Produkte vor als im Vorjahr, werten wir das bereits als Misserfolg oder fragen, ob es das schon mit der KI gewesen sei. Oder aber wir äußern Zweifel an der Unternehmensführung. Nie geben wir solchen Firmen ein paar Jahre Zeit, um in Ruhe zu arbeiten, ohne regelmäßig spektakuläre Ergebnisse einzufordern. Wehe, wenn ein solches Unternehmen beschließt, ein paar Monate lang gar keine offiziellen Erklärungen abzugeben – dann deuten wir das Schweigen unweigerlich als Vorboten eines aufsehenerregenden „Skunkworks“-Projekts.

Die US-Regierung hat keine groß angelegte Strategie – weder für KI noch für unsere längerfristige Zukunft. Statt also koordinierte nationale Strategien zu entwickeln, um innerhalb der Regierung organisatorische Kapazitäten aufzubauen, statt unsere internationalen Allianzen zu erweitern und zu stärken und unser Militär auf die Kriegführung der Zukunft vorzubereiten, haben die Vereinigten Staaten die KI der politischen Drehtür überantwortet. Statt Grundlagenforschung über KI zu finanzieren, hat die US-Regierung die Forschung und Entwicklung de facto in die Privatwirtschaft ausgelagert und den Launen der Wall Street überlassen. Statt KI als Chance zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und für Wachstum zu begreifen, wittern amerikanische Parlamentarier nur überall technologiebedingte Arbeitslosigkeit. Dafür machen sie wiederum die großen US-Tech-Anbieter verantwortlich. Dabei könnten sie diese Unternehmen einladen, sich auf oberster Regierungsebene an der strategischen Planung zu beteiligen (soweit eine solche überhaupt stattfindet). Unseren KI-Pionieren bleibt gar nichts anderes übrig, als miteinander um einen vertrauensvollen direkten Draht zu Ihnen, zu mir, zu unseren Schulen, unseren Krankenhäusern, unseren Kommunen und unserer Wirtschaft zu wetteifern.

In den Vereinigten Staaten leiden wir unter einem verhängnisvollen Mangel an Weitblick. Unser Vorgehen ist geprägt von einer gegenwartsorientierten Mentalität und unsere Planung fokussiert sich mehr auf die nächsten paar Lebensjahre als auf jeden anderen Zeithorizont. Eine solche Einstellung favorisiert kurzfristige technische Leistungen, entzieht sich aber jeder Verantwortung dafür, wie sich Technologie auf lange Sicht entwickeln könnte, für die Auswirkungen und für die Ergebnisse unseres Handelns. Wir vergessen allzu leicht, dass sich ernsthaft auf die Zukunft auswirken kann, was wir heute tun. Kein Wunder also, dass wir die weitere Entwicklung der KI im Grunde an sechs börsengehandelte Unternehmen delegiert haben, die zwar Erstaunliches zuwege bringen, doch deren finanzielle Interessen nicht immer mit dem in Einklang stehen, was für unsere persönliche Freiheit, unsere Gesellschaft und unsere demokratischen Ideale am besten ist.

In China ist die Entwicklung der KI dagegen fest in die ehrgeizigen Pläne der Regierung eingebunden. China schafft eifrig alle Voraussetzungen, um sich zum unangefochtenen KI-Hegemonen der Welt zu entwickeln. Im Juli 2017 stellte die chinesische Regierung ihren Plan zur Entwicklung der nächsten Generation künstlicher Intelligenz vor, demzufolge sie bis 2030 zum globalen Marktführer in der KI avancieren möchte – mit einer mindestens 150 Milliarden US-Dollar1 schweren Inlandsindustrie....

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