»Let’s drill, baby, drill, not stall, baby, stall – you betcha!«
Sarah Palin, republikanische US-Politikerin12
II. NACHHALTIGE KATASTROPHE
Wie BP die größte Ölpest aller Zeiten im Meer versteckte
Die Abendsonne erleuchtet die pastellfarbenen Holzhäuser, die auf Stelzen über dem Strand stehen. Pelikane schweben in Formation über eine goldene Welle, leise hört man das Summen ihres Flügelschlags. Ein Delfin hüpft dem roten Feuerball entgegen, der jeden Moment in den Golf von Mexiko zu plumpsen scheint. Aber für dieses Naturschauspiel hat Scott Porter gerade gar keinen Sinn. Vielleicht weil kaum einer so gut weiß wie er, dass diese Idylle trügt. Folgt man seinem Blick, erkennt man weit hinten am Horizont eine Reihe von Giganten im Meer stehen: Ölbohrplattformen.
Wir sind auf Grand Isle, einer Insel im Golf von Mexiko, 170 Kilometer südlich von New Orleans. Porter hält eine Lampe in den Händen. Unter dem Arm trägt er eine Kiste, darin einige in Alufolie eingewickelte Objekte. Aus seiner Jackentasche lugen Schutzhandschuhe. »Da vorn, ein kleines Stück rechts vom Steg«, sagt er und stapft voran zum Wasser. Dunkel heben sich hier schwarze Klumpen vom hellen Sand ab, wie verkohlte Holzstücke sehen manche aus, manche wie geschmolzene Autoreifen. Ich bücke mich nach einem großen Exemplar. »Nicht anfassen!«, ruft Scott Porter. Erst als ich Handschuhe angezogen habe, darf ich den Klumpen aufheben. Er fühlt sich an wie Gummi und riecht seltsam. Porter schiebt mich sanft zur Seite. Unter meinen Füßen liegt ein weiterer schwarzer Brocken. »Das sind Teerklumpen. Hochgefährlich. In ihnen versteckt sich Vibrio Vulnificus, ein fleischfressendes Bakterium. Wenn das in den Körper gelangt, kann man davon eine Blutvergiftung bekommen, die so aggressiv ist, dass man Arme oder Beine amputieren lassen muss. Oder daran stirbt.«
Die schwarzen Teerklumpen, die hier im Süden des US-Bundesstaates Louisiana, Tag für Tag an den Strand gespült werden, sind lediglich die sichtbaren Überbleibsel der schlimmsten Ölpest in der Geschichte und der wohl verheerendsten Umweltkatastrophe in den Vereinigten Staaten.
Am 20. April 2010 explodierte rund 70 Kilometer von der Küste entfernt im Golf von Mexiko die Ölbohrplattform Deepwater Horizon. Elf Arbeiter kamen ums Leben. Binnen weniger Tage wuchs der Ölteppich rund um die Plattform auf die Größe der Insel Hawaii heran. Weil es BP über 87 Tage nicht gelang, das Bohrloch im Macondo-Ölfeld eineinhalb Kilometer unter der Meeresoberfläche zu schließen, strömten 780 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko – fast zwanzig Mal so viel wie bei der Havarie des Öltankers Exxon Valdez 1989. Damals hatte das Öl rund 2 000 Kilometer der Küste von Alaska verseucht und eine Viertelmillion Seevögel umgebracht. Fast dreißig Jahre später sind die sozialen und ökologischen Auswirkungen dort immer noch zu spüren: Trotz intensiver Reinigung finden sich Reste von Öl.
Im Golf von Mexiko aber ist alles wieder in bester Ordnung. Das sagen jedenfalls BP und die Behörden. Daher stellt der Ölkonzern die Aufräumarbeiten schon 2014 ein. Im März 2015, nur fünf Jahre nach der Explosion der Plattform, legt BP einen Abschlussbericht über die Folgen der Katastrophe vor. Offenbar ist der Strand des knallblauen Meeres jetzt so schneeweiß wie der Reiher, der im sattgrünen Marschland steht. Das zeigen jedenfalls die Fotos auf dem Umschlag des BP-Reports »Gulf of Mexiko: Environmental Recovery and Restoration«. Nach den darin ausgewerteten Untersuchungen sind die betroffenen Regionen im Golf von Mexiko, Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida, »wieder in den Zustand vor der Ölpest zurückgekehrt«.13 Natur und Ökosysteme hätten keine signifikanten Langzeitschäden davongetragen; die meisten Umweltschäden seien unmittelbar nach dem Unglück aufgetreten, heißt es.
Weiterhin gebe es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Meeressäuger (wie Delfine und Wale) Schaden genommen hätten, genauso wenig wie Korallen oder Seevögel. Die Qualität von Stränden und Wasser sei wiederhergestellt, der Tourismus auf Rekordhöhe, Fische und Meeresfrüchte könne man bedenkenlos essen, die Fischerei sei wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der Katastrophe. Der Golf von Mexiko, verkündet BP, als wäre es eine Siegerehrung, habe seine Widerstandskraft bewiesen. Würde man noch Öl finden, dann müsse das andere Ursachen haben.
Scott Porter glaubt von all dem kein Wort. Der 49-jährige Meeresbiologe und Taucher ist der Gründer von Ecorigs. Diese Non-Profit-Organisation baut auf umweltverträgliche Weise Bohrinseln ab. Heute sind Porter und seine Kollegen vor allem damit beschäftigt, Beweise dafür zu sammeln, dass die Ölpest bei Weitem nicht so spurlos an ihrer Heimat vorbeigegangen ist, wie BP und die Behörden es behaupten. »Sie sagen, alles sei sauber, aber wir wissen, dass das nicht der Fall ist. Wir haben auf die Verschmutzung hingewiesen, aber niemand sieht hin oder hört zu«, sagt Porter. Ihre Belege haben er und seine Kollegen in Wissenschaftsmagazinen veröffentlicht.14 Porter selbst filmte das marine Leben kurz nach der Katastrophe und drei Jahre später. Unmittelbar nach der Ölpest fand er noch Korallen an Plattformen nahe der Unglücksstelle und eine Menge verschiedener Fische, »es sah toll aus, ich kam mir vor wie Alice im Wunderland«. Doch drei Jahre später waren die Korallen abgestorben und die Fische verschwunden, es wirkte wie eine Geisterstadt unter Wasser.15
Als die Nationale Ozeanbehörde (NOAA) auf seine Beobachtungen an den Korallen aufmerksam wurde, stellte sie einen Forschungsauftrag in Aussicht. NOAA organisierte gemeinsam mit BP im National Ressourcese Damage Assessment (NRDA) die Reinigungsarbeiten nach der Ölpest. In ihrem Auftrag sammelte Porter kurz nach der Katastrophe Proben von Korallen, die an Ölplattformen in der Nähe von Deepwater Horizon wuchsen. Doch nachdem er die Proben abgegeben hatte, habe er nie wieder von der Behörde gehört. »Soweit ich weiß, sind wir im Bundesstaat Louisiana die Einzigen, die immer noch nach Öl suchen. Aber leider haben uns die Regierungsvertreter im Stich gelassen. Sie verfolgen unsere Untersuchungen nicht weiter.«
Mittlerweile ist es dunkel, und Porter packt im Schein seiner Stirnlampe die Kiste aus. Er legt die Korallen, Muscheln und Teerklumpen aus seinem Labor in den Sand. Dann löscht er das Licht und richtet seine Schwarzlichtlampe auf einen der Teerklumpen. Dieser leuchtet orange und grün. UV-Licht wird eingesetzt, um undichte Stellen in Diesel- oder Gasleitungen zu finden. Es lässt Kohlenwasserstoffe, wie sie in Erdöl und Erdgas enthalten sind, in Orange- und Gelbtönen leuchten. »Merkt euch diese Farben hier, orange und ein bläuliches Grün«, sagt er, »danach suchen wir. Sie sind der Beleg dafür, dass es wir es mit Öl von BP zu tun haben.« Die grüne Farbe sei ein Hinweis auf Glykol. Glykol wiederum ist im Dispersionsmittel Corexit enthalten. Diese Chemikalie hat BP in riesigen Mengen auf das ausgetretene Öl gesprüht, um es in winzige Tröpfchen zu zersetzen. »Der Einsatz von Glykol nach Deepwater Horizon ist der einzige, den es hier gegeben hat. An diesen Farben kann man erkennen, dass es mit Corexit besprühtes Öl ist, also stammt es von BP. Es liegt außerdem im selben Farbspektrum wie die Ölproben, die wir nach der Katastrophe entnommen haben und deren Fingerabdruck von BP wir in einem Labor haben erstellen lassen.«
Jedes Öl hat einen charakteristischen Fingerabdruck, mit dem nachgewiesen werden kann, aus welchem Bohrloch es stammt. Um alle Proben, die sie sammeln, in einem Labor testen zu lassen, müsste Porters NGO viel Geld bezahlen. Deshalb wenden sie die UV-Licht-Methode an. Porter greift nach einem neuen Teerklumpen, der am Strand liegt. »Wir hatten noch nie solche Mengen von Teerklumpen hier wie nach Deepwater Horizon«, sagt er. Er bricht den Placken auseinander und strahlt ihn an, er leuchtet orange und grün. Die Korallen und Austernschalen, die er mitgebracht hat, haben die Farbe, die auf mit Gift vermischtes BP-Öl hinweisen: »Diese Austern hier, die habe ich direkt bei einem Fischer gekauft. Die waren für den Verzehr gedacht. Ich liebe Austern, aber ich trau mich nicht mehr, sie zu essen.«
Er hält inne und schaut auf die See. In der Ferne sieht man die Lichter der Fischerboote, dahinter leuchten winzig klein die Bohrinseln. Mehr als 3 000 davon gibt es im Golf von Mexiko. In den 15 Jahren vor der Katastrophe hat es bereits 79 Störfälle mit Ölaustritt gegeben, weil die Betreiber die Kontrolle über das Bohrloch verloren hatten.
Porter fröstelt in seinem dünnen Hemd, der scharfe Abendwind rupft Haarsträhnen aus dem Zopf, der unter seiner Baseballkappe hervorschaut. »Die Frage ist doch: Warum ist eigentlich die Regierung nicht hier draußen und schaut sich das mit uns an? Es wäre doch keine große Sache für sie, hier Proben zu entnehmen und den Fingerabdruck erstellen zu lassen.« Seine warme, ruhige Stimme bekommt jetzt einen härteren Ton, er ist wütend. »Natürlich gibt es keine Hinweise, wenn man nicht danach sucht – oder an den falschen Stellen. Sie könnten all diese Teerklumpen hier einsammeln und testen. Aber sie tun es nicht.«
Er steht auf und lässt das Schwarzlicht...