Vorwort
Den eifrigen Honigsammlerinnen, die dem Menschen seit grauer Vorzeit als Nutztiere dienen, wurden in den letzten Jahren einige Bücher gewidmet. Bienenhaltung, Honigerzeugung und die unersetzliche Tätigkeit der Bienen als Bestäuberinnen sind zweifellos interessante und wichtige Themen, doch noch viel spannender ist die Frage: Wie machen sie das eigentlich? – Wie finden und erkennen Bienen ihre Futterquellen? Wie merken sie sich, wo es etwas zu ernten gibt, und wie stimmen sie sich mit ihren Schwestern ab, welche Blüten angeflogen werden sollen? Auf welche Weise orientieren sie sich im Gelände, und wie können sie tanzend den Weg beschreiben? Ist das alles Instinkt, oder kann man Bienen Intelligenz zusprechen? Im Mittelpunkt dieses Buches stehen daher die vielfältigen Sinnesorgane und die kleinen Hochleistungsgehirne, mit denen Bienen ihre so überaus wichtigen Aufgaben in der Natur wahrnehmen.
Mit siebentausend Punktaugen scannen die Bienen die Welt um sie herum ab. Blüten, Bäume, Felder und der Himmel sehen für sie aber ganz anders aus als für uns Menschen, weil sie ultraviolettes Licht verarbeiten können. Zudem nehmen sie die Polarisation des Lichts wahr, so dass sich ihnen der Himmel in einem kontrastreichen Muster darstellt, das ihnen die Orientierung ermöglicht. Fast noch erstaunlicher als ihr Sehsinn ist ihr Geruchsvermögen: Bienen können Substanzen auseinanderhalten, die sich chemisch in einem einzigen Kohlenstoffatom unterscheiden! Ebenso bemerkenswert ist ihre Kommunikationsweise: Sie verständigen sich – auch mithilfe elektrostatischer Felder – im dunklen Bienenstock über Orte, die kilometerweit entfernt sind.
Koordiniert werden all diese staunenswerten Fähigkeiten von einem Organ, das kaum größer ist als ein Sandkorn. Wie ist das möglich?, fragt sich der Hirnforscher Randolf Menzel seit über fünfzig Jahren. Das vorliegende Buch berichtet aus seiner bewegten Forscherkarriere, in deren Verlauf er den Bienen einige Antworten auf die verschiedenen Wie-Fragen entlocken konnte. Von spektakulären experimentellen Durchbrüchen wird ebenso die Rede sein wie von nervenaufreibenden Durststrecken ohne erkennbaren Fortschritt, von kuriosen Begebenheiten am Rande und unerfreulichen Reibereien inmitten des Wissenschaftsbetriebs. Für die allgemeinverständliche Darstellung zeichnet der Autor und Philosoph Matthias Eckoldt verantwortlich, mit dem Randolf Menzel die Intelligenz der Bienen über anderthalb Jahre von immer neuen Seiten betrachtete. Im Zentrum standen dabei die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über die kleinen Insekten, während im Hintergrund der Vergleich zum Menschen, seinem Gehirn, seinem Denken, seinem Verhalten und Gewordensein mitlief.
Aus der Beschäftigung mit Bienen können wir einiges lernen, wenn uns auch ihr facettenreiches Verhalten zunächst einmal viele Rätsel aufgibt. Forscher haben das große Privileg, die Neugier, einen Trieb, der wohl in jedem Menschen mehr oder weniger stark ausgeprägt vorhanden ist, unter professionellen Bedingungen ausleben zu dürfen. Dafür sind Bienen besonders geeignete Partner, weil sie nicht nur hochintelligent sind, sondern ihre Fähigkeiten auch unter experimentellen Bedingungen auf beeindruckende Weise zeigen. Für die Neurowissenschaft heißt das konkret: Sie lernen selbst dann unvermindert intensiv, wenn ihr Gehirn gleichzeitig untersucht wird. Das Anliegen des vorliegenden Buches besteht darin, die Labortüren zu öffnen und zum einen die Prozesse, die sich im Bienenorganismus abspielen, wie in einem Vergrößerungsglas sichtbar zu machen. Zum anderen ergeben sich aus den Schilderungen auch tiefe Einblicke in die Vorgehensweise der Naturwissenschaft, in ihre Fragestellungen, in auftretende methodische Probleme und die kreativen Wege, zu Lösungen zu kommen. Solche kreativen Wege werden zumeist in der Gruppe gefunden. Forschung ist ein interaktiver Vorgang, in dem Höhen und Tiefen gemeinsam erlebt, gefeiert und durchlitten werden. Dieses Buch ist daher auch ein hohes Lied auf die vielen beteiligten Mitforscher.
Die grandiose Idee, Bienen individuell zu kennzeichnen, eröffnete die Möglichkeit, Lernvorgänge und Verhalten bei einzelnen Tieren zu beobachten und aufzuzeichnen. Denn erst wenn sie als Individuen erkennbar sind, kann der wissenschaftliche Dialog im eigentlichen Sinne beginnen, weil der Forscher nun über Experimente konkrete Fragen an bestimmte Bienen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen stellen kann. Dass es unter Umständen eine Herausforderung sein kann, die Antwort, die man erhält, korrekt zu interpretieren, gehört ebenfalls zu den Erfahrungen eines langen Forscherlebens.
Im zweiten Kapitel geht es um die Frage, wie sich das Bienengehirn entwickelt hat. Sie wird in einem grundsätzlichen Sinn gestellt: Auf welche Weise konnten sich informationsübertragende Zellen überhaupt zu Nervennetzen verdichten, aus denen letztlich Gehirne entstanden? Schon relativ weit unten im Stammbaum des Lebens teilte die Evolution die Tiere in zwei verschiedene, große Entwicklungslinien auf: Am Ende der einen steht heute der Mensch, am Ende der anderen die Biene. Trotz gewaltiger Unterschiede in Gestalt und Komplexität verbindet alle Tiere dasselbe Prinzip der Informationsverarbeitung. Mit einer einzigen Ausnahme, den Schwämmen. Kleine Ironie der Wissenschaftsgeschichte: Ausgerechnet mit denen beschäftigte sich ein gewisser Robert von Lendenfeld – Menzels Urgroßvater.
Das dritte Kapitel widmet sich den Sinnesorganen der Bienen. Wie verschaffen sie sich einen Eindruck davon, was in der Welt los ist? Wie sie riecht und schmeckt, wie sie aussieht und wie sie sich anfühlt? Es wird deutlich, dass die Sinnesorgane als Filter wirken. Sie leiten jeweils nur bestimmte spezifische Aspekte an das Gehirn weiter, wo dann erst das Bild der Welt entsteht. Deswegen kann kein Organismus – nicht der Mensch und nicht einmal die Biene – sagen, wie die Welt an sich ist. Die Bienen verfügen beim Sehen und Riechen über ein anderes Spektrum als wir Menschen. Darüber hinaus können sie sich zweier Sinne bedienen, die uns kaum zugänglich sind: Sie nehmen das Erdmagnetfeld wahr und nutzen es zur Orientierung. Und mithilfe elektrostatischer Felder verständigen sie sich innerhalb des Stocks.
Im vierten Kapitel geht es ins Herz der Hirnforschung. Während wir Lernen gemeinhin als eine herausragende Fähigkeit höherer Säugetiere betrachten, belehren uns die Bienen darüber, dass man auch mit einem gerade einmal einen Kubikmillimeter kleinen Gehirn phantastisch denken kann. An dieser Stelle ist der findige Experimentator gefragt, der es versteht, die Bienen in ihrem Bewegungsspielraum einzuschränken, ohne dabei ihr Lernvermögen zu mindern. In der Arbeitsgruppe von Randolf Menzel gelang es, das für alle Lernprozesse zentrale Belohnungszentrum im Bienenhirn zu identifizieren. Ein einziges Neuron genügt! Die Wiederholung von Lernvorgängen ermöglicht die Festschreibung von Erfahrungen im Gedächtnis. Eine entscheidende Rolle dabei spielt der Schlaf, den sich die sprichwörtlich so fleißigen Bienen überraschend häufig genehmigen. So führt die Erforschung der Gedächtnisvorgänge in logischer Konsequenz ins Bienenschlaflabor.
Bienen leben in Völkern von mehreren Tausend Individuen. Das erfordert ein hohes Maß an Abstimmung und Koordination untereinander. Die wichtigste Kommunikationstechnik im Bienenstock ist der Schwänzeltanz, um den es im fünften Kapitel geht. Dieses seit fast 2500 Jahren bekannte, aber erst seit 100 Jahren untersuchte Phänomen ist noch längst nicht vollständig verstanden. Im Gegenteil tun sich immer neue Aspekte auf, nachdem es 2014 mit einer am Institut von Randolf Menzel entwickelten Methode gelang, die Bienen beim Schwänzeln zu belauschen. Die Bienen tauschen auf diese Weise nicht nur Informationen über den Nektar und Pollen aus, sondern auch über Wasserquellen und Harzstellen. Und nicht zuletzt nutzen die Bienen den Schwänzeltanz für die Abstimmung über einen neuen Nistplatz.
Aber den Bienen droht Gefahr. Wir Menschen scheinen manchmal zu vergessen, wie sehr wir von ihnen und ihren Aktivitäten profitieren und wie sehr wir auf Bienen als Bestäuberinnen angewiesen sind – gerade in der Erzeugung von Nahrungsmitteln. Das letzte Kapitel beschreibt, auf welche Weise die industrielle, chemielastige Landwirtschaft den Bienen zusetzt. Eine neue Generation von Pflanzenschutzmitteln, die in erster Linie Insektenvernichtungsmittel sind, machen bestimmte Neurone der Bienen funktionsunfähig. Möglicherweise aber lässt sich hier der Spieß umdrehen, denn die Bienen geben Hinweise auf die Quelle der von solchen Pestiziden verursachten Störungen ihrer Gehirne. So könnten die Bienen bald schon zu Umweltspähern werden, mit deren Hilfe man einen Gifteinsatz punktgenau feststellen kann.
An der Biene lernt die Neurowissenschaft nachzuvollziehen, wie ein – wenn auch kleines – Gehirn Entscheidungen trifft, wie es plant, indem es Regeln erkennt, anwendet und kombiniert, wie es unterscheidet und wie sich angeborene sowie erlernte Mechanismen verschränken. So wird die Biene zum Modellorganismus für den Menschen. Das Bienengehirn spiegelt uns universelle Prinzipien der Hirnfunktionen und hilft uns, sie an und in uns schärfer zu sehen. Lehrreich ist dabei jedoch nicht nur das Maß an Übereinstimmung, sondern auch das Nachdenken über die Grenzen der Übertragbarkeit und die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens überhaupt.
Viele der in diesem Buch beschriebenen Experimente hätten nicht ohne Unterstützung durchgeführt werden können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft stattete Randolf Menzel und seine Arbeitsgruppen über fast 50 Jahre großzügig mit finanziellen Mitteln aus. Bienen fliegen allerdings über Äcker und Wiesen, die...