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E-Book

Die Isartürkin

AutorDeniz Aykanat
VerlagDiana Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783641233310
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Für eine Türkin zu blond, für eine Deutsche zu laut - ja, was denn nun?
Die Münchner Journalistin Deniz Aykanat ist Tochter eines Türken und einer Deutschen. Sie betrachtet sich selbst als das Beste aus beiden Welten - eine Isartürkin eben. Doch irgendetwas läuft in ihren Augen gewaltig schief in der Beziehung zwischen diesen beiden Kulturen. Mangelt es an Verständnis und Neugier, oder stehen uns allen die Vorurteile einfach viel zu sehr im Weg? Von ihrem Leben als Isartürkin zwischen Baklava und Butterbrezn erzählt die Autorin in ihrem Debüt, das auf der gleichnamigen SZ-Kolumne basiert.
  • Für eine Türkin zu blond, für eine Deutsche zu laut - ja, was denn nun?
  • Die Autorin der SZ-Erfolgskolumne »Die Isartürkin« erzählt die ungewöhnliche Geschichte ihrer deutsch-türkischen Familie
  • MUTTER: katholische Oberpfalz <br /><br />VATER: zentralanatolisches Hochland<br /><br />TOCHTER: lebt die bayerisch-türkische Freiheit
  • Humorvoll auf den Punkt gebracht: für die Fans von der »Prenzl-Schwäbin« und Wladimir Kaminer


Deniz Aykanat, geboren 1985, ist Tochter eines Türken und einer Oberpfälzerin und mit zwei Kulturen aufgewachsen. Als Redakteurin der Süddeutschen Zeitung wurde die Politikwissenschaftlerin u. a. durch ihre deutsch-türkische Erfolgskolumne »Die Isartürkin« bekannt. Die Autorin lebt mit Mann und Sohn in München und Regensburg.

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Leseprobe

1

ALLER ANFANG IST SCHWER

Nicht der, der lange lebt, sondern der viel gereist ist, hat Wissen.

ÇOK YAŞAYAN BILMEZ, ÇOK GEZEN BILIR.

Es ist das Jahr 1990. Meine Mutter, mein Vater, mein Bruder und ich spazieren an der Promenade von Marmaris entlang, einer aufstrebenden türkischen Touristadt in der Provinz Muğla am Mittelmeer, als wir bemerken, dass die Familie hinter uns auf Türkisch über uns spricht. Genauer gesagt: über mich.

Ich bin fünf Jahre alt, es sind Sommerferien, und ich mache jeden Tag exakt dasselbe, ohne dass mir dabei langweilig wird: Eis essen, spielen, Eis essen, am Strand auf und ab laufen, wieder Eis essen, schwimmen, weitere Eise essen, schlafen und alles wieder von vorne.

»Schau mal, das kleine strohblonde Mädchen! Die ist so weiß, die ist ja schon durchsichtig!« Obwohl ich hinten keine Augen habe, was ich als Kind immer extrem bedauert habe, spüre ich den Zeigefinger, der auf mich zeigt. »Hast du so was schon mal gesehen?« – »Vielleicht sperren die Leute daheim bei sich ihre Kinder im Keller ein, wo sie keine Sonne abbekommen!?« Die Familie hinter uns lacht sich tot, ich glaube, dass sie sich sogar auf die Schenkel hauen. Dass wir jedes Wort, das sie sagen, verstehen können, ahnen sie nicht.

Dabei sehe ich gerade wegen einer waschechten Türkin so aus, wie ich aussehe. Aber manchmal verfallen eben auch Türken den Klischees über Türken: Und die haben eben nun mal dichtes tiefschwarzes Haar zu haben, das wie ein festgetackerter Teppich auf ihrem Haupt thront. Ihr Gesicht ziert eine Adlernase. Sie sind laut, sie tragen immer zwei Handys am Gürtel und fahren (grundsätzlich nicht angeschnallt) 3er-BMW. Sie haben einen Oberlippenbart und lieben Knoblauch.

Das mit dem Oberlippenbart gilt übrigens auch für die Türkinnen. Dazu ziert diese eine Monobraue auf bronzefarbener Haut. Außerdem tragen sie Kopftuch und meterdick Make-up im Gesicht. Sie sind eifersüchtig, lassen sich von ihrem Freund die Handtasche tragen, werden schnell hysterisch und sind abergläubisch. Sie lieben Kinder und kochen immer und überall.

Davon sind auch die klischeegläubigen Herrschaften hinter uns auf der Promenade von Marmaris überzeugt. Die türkische Familie kriegt sich gar nicht mehr ein. »Die sitzt am Strand bestimmt herum wie E.T. – komplett in Handtücher gehüllt! Hahahaahaha!!!« – »Das sind doch bestimmt Engländer, die sich vorm Schnorcheln erst mal eine Stunde lang mit weißem Zeug einschmieren!«

Abrupt bleibt mein Vater stehen, dreht sich um und sagt grinsend auf Türkisch: »Ach, wir wissen auch schon nicht mehr, was wir noch mit unserem kleinen Albino machen sollen. Wir legen sie jeden Tag in die Sonne, aber es passiert einfach nichts. Sie wird allerhöchstens rot.«

Die türkische Familie rührt sich vor Schreck erst nicht mehr, stammelt dann irgendetwas Unverständliches und flüchtet.

Ja, allerhöchstens werde ich rot. Mein Spitzname in der Schule war dementsprechend deshalb auch jahrelang »Tomate«.

Zu verdanken habe ich meine Neigung zum Krebsrot-in-der-Sonne-Werden ausgerechnet meiner Nine,1 der besagten waschechten Türkin. Wie aus dem Gesicht geschnitten sehe ich ihr ähnlich, sagt mein Vater gerne. Meine Großmutter hatte tscherkessische Vorfahren, eine Volksgruppe aus dem Kaukasus, die berühmt ist für ihre blonden und rothaarigen Frauen.

Was bei meinem Vater nur als roter Rauschebart sichtbar ist, schlug eine Generation später bei mir noch einmal mit vollem Schwung durch. So führten ein türkisch-russischer Krieg und genetische Kapriolen dazu, dass ich eine der wenigen halben Türkinnen bin, die einen Sonnencremeverbrauch haben wie fünf englische Familien im Mallorcaurlaub.

Meine türkischen Großeltern starben, als ich noch sehr klein war. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Ich weiß nur noch, dass mein Dede, mein türkischer Opa, immer recht finster dreinblickte und meine Nine jedes Mal weinte, wenn wir wieder abreisten. Abgesehen von meinem Aussehen und meinem türkischen Vater ist das Einzige, was ich von meiner Großmutter, ja überhaupt von meinen türkischen Großeltern besitze, eine goldene Münze mit dem Konterfei Atatürks darauf. Keine Fotos, kein antikes Silber oder alte Briefe – nur dieses Medaillon. Früher trug ich es manchmal in der Schule an einer goldenen Kette. Es gefiel mir, dass meine Mitschüler mich danach fragten und ich ihnen dann altklug erklären konnte, wer dieser Typ um meinen Hals ist. Karl der Große und Hitler kannten in der Klasse natürlich alle. Aber Atatürk – den kannte am Münchner Gymnasium nur ich. Stolz war ich auf mein Medaillon und mein Wissen. Und auch ein bisschen stolz auf Atatürk.

Die Atatürk-Münze war für mich wie eine Botschaft meiner Großmutter: Ohne Atatürk würden wir vielleicht unter dem Joch der Ajatollahs leben. Und müssten Kopftücher tragen. Wir hätten vielleicht keine modernen Krankenhäuser und würden nicht mit lateinischen Buchstaben schreiben. Außerdem war Atatürk blond. Ein blonder Türke wie ich!

Mit meinem Stolz auf Atatürk war ich nicht allein. Das stellte ich immer in den Sommerferien fest, wenn ich mit der Familie in der Türkei war. Dort hängt der Gründer der modernen Türkei in jedem Zimmer. Mindestens einmal. Es fehlte nicht viel und man hätte ihn auch noch in den Toiletten aufgehängt. Und natürlich gibt es Statuen von ihm – noch und nöcher. In Marmor, Bronze, Messing.

Mustafa Kemal, der später vom Parlament den Nachnamen Atatürk – »Vater der Türken« – verliehen bekam, ist der Begründer der Republik Türkei. Auf den Trümmern des Osmanischen Reiches baute er ein Land auf, das er radikal nach westlichen Maßstäben ausrichtete. Er schaffte Sultanat und Kalifat ab und reformierte Sprache und Schrift. Und das alles quasi im Alleingang!

Andere Bronzeköpfe sah ich nicht, zumindest nicht beim Spaziergang an der Promenade von Marmaris, wo wir unsere Sommerurlaube verbrachten. Atatürk als Büste, fünf Meter weiter Atatürk auf einem Pferd, dann Atatürk als Wandrelief, gefolgt von Atatürk als Schlüsselanhänger und Atatürk auf einer Luftmatratze.

Aber ich glaube, ich schweife etwas ab – ich wollte doch eigentlich ein bisschen von meiner Familie erzählen. Aber das sage ich Ihnen schon hier und jetzt: Ich habe viel Spaß an Umwegen und Abschweifungen, das liegt bei den Aykanats in der Familie. Was meinen Sie, warum es sonst einen Türken nach Bayern und eine Bayerin in die Türkei verschlagen hat? Manchmal ist eben auch ein bisschen der Weg das Ziel. Denn wenn eine Reise dazu dient, sein Wissen zu erweitern, dann weiß man doch am Ende mehr, je länger der Weg war, oder nicht?

Aber nun wirklich zurück zum Thema: meine blonde, leicht errötende Großmutter. Ich weiß zwar wenig über meine Großmutter, aber das reicht für mich, um sie mir als Feministin vorzustellen. Mein Bild von ihr ist bestimmt zu einem Drittel wahr. Mindestens. Den Rest habe ich mir kreativ erarbeitet.

Sie muss für die damalige Zeit sehr fortschrittlich gewesen sein. Sie arbeitete im Agrarministerium in Ankara und war alleinerziehende Mutter, ihr erster Mann war schon früh gestorben. Von ihm hatte sie bereits einen Sohn. Für einen türkischen Mann war sie damit eigentlich verbrannte Erde.

Mein Großvater war trotzdem hinter ihr her wie der Teufel hinter der armen Seele. Ihre seltenen rotblonden Haare hatten es ihm angetan. Trotzdem dauerte es ewig, bis sie ihn erhörte.

Die goldene Atatürk-Münze war ihr einziges Schmuckstück. Sie schenkte sie zunächst meiner Mutter, die das Medaillon dann an mich weitergab. Dass ich eine türkische Oma bekam, habe ich dem Umstand zu verdanken, dass sich mein Vater, der zweite Sohn meiner Großmutter, nachdem sie meinen liebestollen Großvater endlich erhört hatte, in seinem Maschinenbaustudium in Ankara derart langweilte, dass er kurzerhand nach Deutschland auswanderte. Nein, halt! So schnell ging es dann auch wieder nicht.

Atalay Aykanat (wir werden noch erfahren, was dieser Nachname bedeutet), seines Zeichens mein Vater, setzte sich, nachdem er sein erstes Jahr an der Uni mit einer versauten Matheprüfung hinter sich gebracht hatte, in den Zug nach Istanbul, um seinen Onkel zu besuchen. Und während dieser langen Zugfahrt lernte er Holger aus Duisburg kennen, der den Lauf seines Lebens für immer verändern sollte.

Stundenlang unterhielten sich die jungen Männer auf dieser Zugreise. Türken wussten damals nicht viel über Deutschland und Deutsche kaum etwas über die Türkei. Irgendwie logisch. Deutsche machten damals noch keinen Urlaub in der Türkei, und Türken bekamen für Deutschland nicht mal ein Visum. In diesem Fall war Holger der Vielgereiste mit viel Wissen – das er großzügig mit meinem Vater teilte.

Holger unterbrach spontan seine Backpackingtour und verbrachte die nächsten Wochen mit meinem Vater und seinem Onkel in Istanbul. Mein Vater kehrte nie an die Uni in Ankara zurück. Stattdessen setzte er sich wieder in einen Zug. In ebenjenen Zug, den vor und nach ihm so viele Gastarbeiter genommen hatten, und fuhr nach München. Von da ging es weiter in den Ruhrpott. So weit, so klischeehaft.

Doch damit war es schon vorbei mit der »typisch« türkischen Biografie. Als ich meinen Vater einmal fragte, warum er eigentlich keine türkischen Freunde in Deutschland habe, sagte er überrascht: »Ich bin doch nicht Tausende von Kilometern mit dem Zug nach Deutschland gerattert, um mich dann in einem türkischen Viertel in Berlin mit meinen türkischen Freunden zu verschanzen!«

Mein Vater war also viel Gast und hat viel gearbeitet, aber zu einem Gastarbeiter, wie er hierzulande...

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