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Die kúrzen 1000 Jahre - Teil 3

Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend im dritten Reich

AutorGerlinde Schnittler
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783742759504
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Die tausend Jahre beginnen im Jahr 1933. Damals war ich fünf Jahre alt. Und mir fällt eines Tages auf, daß überall in den Straßen Männer mit braunen Uniformen und schwarzen Stiefeln herumlaufen. Als ich meinem Papa davon erzähle, meint er: 'Zu denen mußt Du immer 'Heil Hitler' sagen, das hören sie gerne!' *** Wir haben Herrn Rektor Lenz gerne als Klassenlehrer. Er ist noch jung und nett und redet viel und begeistert von unserem Führer Adolf Hitler und seinen großartigen Ideen. 'Wir können unserem Führer gar nicht genug danken, dass er unser deutsches Vaterland gerettet hat!' verkündet er mit leuchtenden Augen und erzählt uns von den tapferen deutschen Soldaten, die vom bösen Feind nicht besiegt werden konnten und trotzdem das schändliche 'Diktat von Versailles' hinnehmen mussten. Und dann erzählt er von der schlimmen Zeit nach dem Krieg, wo Hunger, Arbeitslosigkeit und überall ein großes Chaos herrschten. *** Die Tieffliegerangriffe, die ich bei der Sanddornbeerenernte kennengelernt habe, fangen jetzt auch hier an. Und eines Tages - wir haben Ende Januar 1945 - erschüttert ein dumpfer Schlag das ganze Dorf. Die Eisenbahnbrücke, die von Wimpfen nach Jagstfeld führt, ist bombardiert worden und liegt jetzt zerstört im Neckar. Kein Zug wird mehr darüberfahren. *** 'Ich habe jetzt Anweisung vom Bezirk. Wir fahren übermorgen alle nach Teplitz-Schönau. Dort werden wir unseren weiteren Einsatz erfahren.' Wir eilen zur Landkarte im Tagesraum. Bestürzte Rufe werden laut: 'Himmel! - So weit oben!' - 'Das ist ja beinahe bei den Russen!' - 'immer weiter von zu Hause weg!' Am nächsten Morgen hat Fräulein Schreiner jedoch schon wieder eine andere Nachricht. 'Über Nacht hat sich die Situation geändert,' sagt sie, 'wir fahren nicht morgen nach Teplitz-Schönau, sondern heute noch nach Staab bei Pilsen. Sie werden im Rüstungswerk in Holleischen arbeiten.' *** Wir haben Frieden. Die schreckliche Dunkelheit der vergangenen Jahre ist vorüber.

Geboren am 28.06.1927 und aufgewaschen in meiner geliebten Heimatstadt Mannheim

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Leseprobe

Gerlinde Schnittler


Dritter Teil



DIE KURZEN TAUSEND JAHRE,

DIE VIEL ZU LANGE DAUERTEN





Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend

Im „dritten“ (dem „1000-jährigen“) Reich



„Über Nacht hat sich die Situation geändert,“ sagt sie, „wir fahren nicht morgen nach Teplitz-Schönau, sondern heute noch nach Staab bei Pilsen. Sie werden im Rüstungswerk in Holleischen arbeiten.“

„Müssen wir jetzt unsere Uniform und alles andere abgeben?“ fragt eine. „Nein, da unser Lager vollständig aufgelöst wird, können Sie Ihre gesamte Bekleidung mitnehmen. Beginnen Sie sofort mit dem Packen, der Zug fährt heute Nachmittag um fünf. Und wer noch irgendetwas an Bekleidung braucht, kann sich bei Fräulein Kratzer In der Bekleidungskammer melden!“

Das sind völlig neue Töne. Bald bildet sich vor der Kleiderkammer eine Schlange und Fräulein Kratzer, die früher alles immer streng gehütet hatte und immer nur die ältesten Sachen herausgab, verteilt mit größter Freigiebigkeit funkelnagelneue Schuhe, Röcke und Mäntel.

„Nehmen Sie so viel, wie Sie tragen können“, sagt sie eifrig, „alles, was wir hier zurücklassen, wird sowieso von anderen genommen . . .“

Mit einem nur halb gefüllten Koffer war ich hierher nach Schloss Haid gekommen. Jetzt, nach zehn Wochen, verlasse ich es mit einem prall gefüllten Koffer, einem dicken Rucksack und einem Bündel, das ich aus zwei Wolldecken, in die nochmals Kleidungsstücke hineingerollt sind, zusammengeschnürt habe. Schwerbeladen steigen wir hintereinander zum letzten Mal die 85 Stufen hinab. Unsere Führerinnen verabschieden sich von uns vor dem Schloßtor. Sie fahren nicht mit. Jungführerin Margret begleitet uns als einzige, sie soll uns im Kriegshilfsdienstlager Staab übergeben.

Wir schleppen uns mit dem schweren Gepäck zum Bahnhof. Natürlich hat der Zug Verspätung. Als er endlich kommt, ist er dermaßen voll, dass es an ein Wunder grenzt, wie wir mit unserem Gepäck überhaupt hineingekommen sind. Ich stehe am Fenster, werfe einen letzten Blick auf Haid. Ich sehe zwischen den Häusern den eigenartigen Turm des Schlosses, dann folgen Felder, Wiesen und flache Hügel. Und dann - der Zug hat eine Biegung gemacht - taucht noch einmal, jetzt ganz, ganz klein, der Schloßturm auf. Ich bin traurig. Es war trotz allem keine schlechte Zeit gewesen auf Schloss Haid. Was wird die Zukunft bringen?


* * * *

Mitternacht ist vorbei, als wir in Staab bei Pilsen ankommen. Wir stehen in der verdunkelten Bahnhofshalle und Margret versucht zunächst, die ihr anvertrauten Maiden zu zählen. Dann nähern wir uns dem Ausgang. Draußen ist nichts, aber auch absolut nichts als schwarze Nacht zu sehen.

Margret blickt sich hilflos um.

„Die haben mir gesagt, das Lager sei direkt gegenüber vom Bahnhof! Seht Ihr irgendetwas? Ich traue mich mit Euch überhaupt nicht da hinaus, am Ende kullern wir alle noch eine Böschung hinunter!“

Ein Bahnbeamter kommt uns schließlich zu Hilfe. Mit einer verdunkelten Taschenlampe geht er voraus. Unsicher tappen wir hinter dem schwachen Licht her. Es sind wirklich keine hundert Schritte, da sind wir schon am Ziel. „Nun müßt's halt sehen, wie Ihr reinkommt!“ sagt der Mann und zieht wieder ab.

„Eigentlich hätte der uns doch noch die Tür ableuchten können, damit man sieht, ob eine Klingel da ist - so ein Esel!“ schimpft Margret.

Sie klopft. Nichts rührt sich. Wir klappern und frieren entsetzlich, es weht ein eiskalter Wind. Schließlich hauen wir mit Stiefeln und Fäusten gegen die Tür. Aufatmend hören wir, wie von innen ein Schlüssel umgedreht wird. Eine zerzauste, verschlafene Weibsperson, mit einem schäbigen Bademantel über dem Nachthemd, öffnet die Tür. Eine andere steht im weißen Hemd im Hintergrund und verschwindet schnell, als wir in den schwach beleuchteten Hausflur eintreten. Führerinnen im Nachthemd - ein bis jetzt für uns ungewohnter Anblick.

Margret verzichtet auf die militärische Meldung unserer Ankunft. Die Führerin scheint uns auch absolut nicht erwartet zu haben.

„Mir sind erst für nächste Woche neue Maiden gemeldet,“ sagt sie, „was mache ich jetzt mit Ihnen überhaupt?! Ich muss erst sehen, wo ich Sie unterbringen kann!“ Damit verschwindet sie.

Wir setzen uns einstweilen auf unsere dicken Rucksäcke. Schließlich werden vier Maiden aufgefordert, mitzukommen, nach einer Weile drei weitere. Unter den nächsten fünf bin ich dabei. Die Führerin führt uns eine Treppe hoch und einen langen schmalen Gang entlang, dann öffnet sie eine quietschende Tür.

„Hier sind noch fünf Betten frei,“ sagt sie, „schlafen Sie wohl!“

Wir stehen in einem hohen, engen Raum, der nur schwach beleuchtet ist. Dicht nebeneinander stehen zu beiden Seiten je zehn zweistöckige Betten.

Es schlafen also 40 Mädchen hier. Die Luft ist muffig und verbraucht. In dem schmalen Gang in der Mitte des Raumes steht ein Tisch und einige Stühle, die vollbeladen sind mit Wäsche und Kleidung der schlafenden Maiden. Einige schnarchen hörbar. Wir haben Mühe, einen leeren Fleck zu finden, wo wir unser Gepäck abstellen können. Dann findet schließlich jede ein leeres Bett und wir legen uns todmüde nieder.

Die Trostlosigkeit unseres neuen Lagers wird uns erst am nächsten Morgen bei Tageslicht gewahr. Als wir erwachen, sind die 35 Maiden, die mit uns den Raum teilen, schon lange aufgestanden und haben das Haus verlassen.

Anscheinend hatten sie nur wenig Zeit, denn keine hatte ihr Bett gemacht. Fünfunddreißig zerwühlte, schmutzige Betten starren uns an. Ich erhebe mich mühsam, alle Glieder tun mir weh. Den anderen geht es nicht besser. Wir stellen fest, dass in den Strohsäcken überhaupt kein Stroh darin ist, wie wir es von Haid gewöhnt sind, sondern harte, starre Holzwolle. Außerdem ist die Bettwäsche schmutziggrau, es sieht aus, als ob in den Betten vorher jemand schon wochenlang geschlafen hätte, ohne dass die Wäsche je gewechselt wurde. Auch sonst ist der Raum sehr schmutzig. Der Boden ist mit Unrat übersät und alles ist verstaubt. Die Wände sind grau und rissig und ohne jeden Schmuck, das kahle Fenster ist ungeputzt.

„Flöhe gibt es hier auch!“ stellt eine fest und zeigt uns ihren zerstochenen Arm. Die ersten Tränen der Wut und Verzweiflung beginnen zu fließen.

„Hier sollen wir bleiben?!!“

Da wir auf dem ganzen Stockwerk keinen Waschraum finden können, schlüpfen wir schließlich resignierend in unsere Kleider. Eine Führerin steckt den Kopf zur Tür herein.

„Beeilen Sie sich,“ ruft sie, „in zehn Minuten ist Appell!“

Wir bestürmen sie mit Fragen.

„Wo ist hier der Waschraum?“ „Können wir keine frische Bettwäsche bekommen?“ „Wo gibt es hier Frühstück?“

Sie antwortet eilig und ziemlich unwillig, während sie bereits Im Weitergehen begriffen ist.

„Der Waschraum ist im Keller. Und für Bettwäsche sorgt die Fabrik - wir haben hier keine. Aber beeilen Sie sich und ziehen Sie gleich Ihre Mäntel an. Nach dem Appell müssen Sie sofort zum Zug!“ Von Frühstück sagt sie nichts.

Wir müssen draußen vor dem Lager antreten. Es wird rasch durchgezählt, dann kommt die Lagerführerin und nimmt die Meldung entgegen. Sie stellt sich vor mit ihrem Namen „Marek“ und schildert uns kurz unseren künftigen Tagesablauf.

„Sie werden von nun an täglich mit dem Zug nach Holleischen fahren und in den dortigen Metallwerken arbeiten. Die Arbeitszeit ist von 6 bis 18 Uhr, es wird deshalb früh um 5 Uhr geweckt und Sie müssen sich dann sehr beeilen, denn um 5 Uhr 40 fährt bereits Ihr Zug. Die Arbeit wird Ihnen sicherlich gefallen. Seien Sie stolz und froh, dass Sie auf diese Art und Weise zum Sieg beitragen können!“

Sie teilt noch Essensmarken für die Kantine der Fabrik aus, dann gehen wir hinüber zum Bahnhof.

„Frühstück gibt es hier wohl überhaupt nicht?“ fragt eine murrend.

Margret hat in ihrer Manteltasche noch eines von den Broten, die wir In Haid als Proviant mitbekommen hatten. Es wird reihum gereicht. Jede bekommt zwei Bissen, und jetzt sind wir erst recht hungrig.

Wir stehen auf dem zugigen Bahnsteig herum und frieren. Es ist zwar Mitte April, aber immer noch pfeift ein kalter Wind. Fröstelnd schauen wir uns um. Auf dem hintersten Gleis sehen wir einen langen Güterzug. Mit Gewehren bewaffnete Soldaten gehen davor auf und ab.

„Was da wohl drin ist, dass die den Zug so bewachen?“ fragt eine.

„Vielleicht Munition!“ mutmaßt eine andere.

interessiert schauen wir zu dem Güterzug hinüber. An einem Waggon wird die Tür aufgeschoben und jetzt sehen wir, dass er vollbeladen ist mit Menschen. Sie haben abgezehrte, blasse Gesichter und tragen blau-weiß gestreifte Sträflingskleidung, die wie viel zu weite Schlafanzüge um ihre mageren Gestalten herumhängt. Auch an den anderen Waggons sind Türen geöffnet worden, teilweise nur einen Spalt breit. Wahrscheinlich wollen diese Menschen, die anscheinend dicht zusammengedrängt sind, nur etwas frische Luft. Einige steigen aus, lehnen sich mit dem Rücken gegen die Waggonwand und schauen zu uns herüber. Sie haben alle kahlgeschorene Köpfe und manche sind trotz der empfindlichen Kälte barfuß. Einer hat eine alte, leere Konservendose in der Hand. Damit geht er zu der nahegelegenen Pumpe, um Wasser zu holen. Und da geschieht etwas Fürchterliches: Während er sich über die Pumpe beugt, springt ein Wachsoldat hinzu und schlägt mit dem Gewehrkolben auf den Häftling ein. Der Mann bricht zusammen. Einige andere eilen...

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