1. Körpersprache am Arbeitsplatz
»Man kann viel beobachten, wenn man achtsam ist.«
Lawrence Peter (»Yogi«) Berra
Der Arbeitsplatz ist ein Ort voller Worte. Telefone, E-Mails, Tastaturen, schriftliche Berichte, SMS, Memos und Meetings. Hunderte, Tausende, Millionen von Worten – gedruckt, gesprochen, geflüstert und laut ausgerufen – erwarten uns und wetteifern um unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Hör mich an, lies mich, beachte mich!
In Die Macht der Körpersprache geht es jedoch nicht um Worte, sondern um das, was dahintersteckt: unausgesprochene Gefühle, Emotionen und Stimmungen. Es handelt von dem, was nicht ausgesprochen wird – den heimlichen Motiven, verdeckten Plänen und verborgenen Vorhaben. Es stecken oft heimliche Beweggründe, Programme oder Entwürfe hinter den Businessphrasen eines Unternehmens. Sherlock Holmes hat uns in seiner Klugheit beigebracht, auf verborgene Hinweise an ganz alltäglichen Gegenständen zu achten, wie an Schuhsohlen, Fingernägeln oder Ärmeln. In Die Macht der Körpersprache werden Sie lernen, die versteckten Botschaften in nonverbalen Signalen und Körpersprache am Arbeitsplatz aufzuschlüsseln und zu entziffern – vom Scheitel bis zur Sohle. Was sagen Hände, Schultern, Gesichter und Augenlider im Konferenzraum aus, was Memos und Worte nicht sagen? Wie kann Kleidung Sie am Arbeitsplatz stärker oder schwächer erscheinen, im Job kompetenter oder weniger kompetent wirken lassen? Welche Geheimnisse stecken hinter Büroschränken, abgetrennten Kabinen, Gemeinschaftsräumen und Bürozellen? Überall, in jedem Büro steckt Bedeutung hinter Kleidung, Gestaltung und Verhalten.
Im Untertitel (des amerikanischen Originals, d. Übers.) von Die Macht der Körpersprache (A Guide to Sight-reading the Body Language of Business, Bosses, and Boardrooms, d. Übers.) nenne ich den Begriff »Lesen durch Sehen« (Sight-reading) und meine damit »intelligentes Beobachten«. Das englische Wort sight für Sehen hat seine Wurzel in dem 7000 Jahre alten indoeuropäischen Wort sekw, »wahrnehmen«. Wichtige Aspekte des englischen Wortes »read« für »lesen« sind »vorausahnen durch Beobachtung« und »Intention oder Stimmung ermitteln« (Soukhanov 1992, 1504). Somit ist das »Lesen durch Sehen« – das Entschlüsseln – der Akt des Vorausahnens von Intentionen und Stimmungen durch Wahrnehmung und Beobachtung von nonverbalen Signalen.
Wenn Sie lernen, die Signale am Arbeitsplatz zu entschlüsseln, wird Sie das nicht nur zu einem besseren Zuhörer machen, sondern auch zu einem besseren Mitarbeiter oder Vorgesetzten. Wenn Sie auf die Körpersprache achten, während Sie anderen zuhören, wird Ihnen das die Emotionen hinter den Worten enthüllen. Durch aktive Achtsamkeit entwickeln Sie mehr Empathie und mehr Überzeugungskraft am Arbeitsplatz und Sie können besser mit anderen zusammenarbeiten. Außerdem können Sie, wenn Sie hinter das gesprochene Wort sehen können, besser einschätzen, wie viel Vertrauen oder Misstrauen unter Ihren Kollegen herrscht. Vertrauen kann durch einfache Gesten wie einen Blick auf Augenhöhe gefestigt werden – und es kann durch ein subtiles Augenzwinkern verwehrt werden.
Aktives Zuhören, Empathie, Überzeugungskraft, Zusammenarbeit, Achtsamkeit und Vertrauen sind Grundzüge eines Führungsstils, der als »Dienende Unternehmensführung« bekannt ist. Dienende Unternehmensführung besteht in der Vorgabe, dass ein Chef nicht nur Menschen führen soll, um seine Macht zu vergrößern, sondern um das Wohlergehen der Angestellten durch die Ziele des Unternehmens zu fördern. Wer bei mir Kommunikation und Unternehmensführung studiert hat, möchte oft das Konzept der Dienenden Unternehmensführung im Job anwenden. Das Ziel ist, weniger durch Anweisung als vielmehr durch Beispiel zu führen. Indem der Chef sich beispielsweise beteiligt, wenn es gilt, eine eilige Postsendung einzutüten, kann er sein Engagement für das Projekt physisch demonstrieren, anstatt nur anzuordnen: »Dieses Mailing muss sofort rausgehen.«
Als Anthropologe, der sich auf nonverbale Kommunikation spezialisiert hat, untersuche ich, wie Menschen außerhalb des gesprochenen, per Handzeichen vermittelten oder geschriebenen Wortes kommunizieren. Nachdem ich fünf Jahre lang an der University of Washington in Seattle unterrichtet hatte, zog ich in das andere Washington, Washington D.C. Zwölf Jahre lang arbeitete ich dort – in der Stadt, die manche die Welthauptstadt der Behörden nennen – als Führungskraft im Verbandsmanagement. Als ich in den Staat Washington zurückkehrte, wurde ich Berater für nonverbale Kommunikation für das amerikanische Verteidigungsministerium, die Environmental Protection Agency (Staatliche Einrichtung der USA für Umweltschutz, d. Übers.) und das Federal Bureau of Investigation (FBI) sowie für Unternehmen wie Masterfoods USA, Pfizer, Best Buy, Kimberly-Clark Worldwide und Unilever. Aus der Feldforschung in verschiedenen Unternehmensumfeldern lernte ich, die stumme Sprache der Büros zu verstehen.
Einer meiner schönsten Aufträge war die Forschungsleitung für Unilever im Bereich Sprache der Hände. Ich wusste, dass menschliche Hände in Malerei und Skulptur eine wichtige Rolle spielten, von eiszeitlicher Höhlenmalerei bis hin zu den Meisterwerken von Michelangelo und Rodin, aber mir war nicht klar, wie wesentlich die Botschaften der Hände auf der Führungsetage sind. Wenn Kollegen von Angesicht zu Angesicht diskutieren, behalten sie die Hände mit sensibler, wenn auch unbewusster Wahrnehmung im Auge.
Was für mich bei der Unilever-Studie am auffälligsten war, war die Tatsache, wie sehr wir die Hände des anderen und ihre emotionalen Signale beobachten. Genau wie die Künstler nehmen wir ganz deutlich wahr, dass Handgelenke, Handflächen und Finger etwas Wichtiges zu sagen haben. Anders aber als bei den Künstlern sind unsere Beobachtungen oft unstrukturiert, vage und jenseits unserer bewussten Wahrnehmung. Wir bekommen eine Empfindung durch eine Handgeste vermittelt, können diese Empfindung aber nicht einfach in Worte fassen. Anders als Michelangelo, der die menschliche Anatomie studierte, können die meisten von uns nicht genau die Haltung oder Stellung der Hand beschreiben, durch die wir gemerkt haben, dass sich die Stimmung geändert hat. Zwischen der Geste und dem Gefühl gibt es keine Verknüpfung durch den Intellekt.
Um herauszufinden, wie gewöhnliche Menschen, die keine Künstler sind, die Sprache der Hände entziffern, zeigte mein Forschungsteam 100 Menschen in den Gegenden um Los Angeles, Kansas City (Missouri), Chicago und Boston zwölf hochauflösende Fotografien von Händen mit bestimmter Beschaffenheit und in unterschiedlicher Haltung. Die Fotos rangierten von den gepflegten Händen eines Erziehungsministers bis zu den rauen, groben Händen eines Elektrikers. Wir fragten: »Was ›sagen‹ Ihnen diese Hände?« – »Welche physischen Eigenschaften bemerken Sie?« – »Welche Merkmale mögen Sie oder mögen Sie nicht? Warum?« Und zuletzt: »Was mögen Sie an Ihren eigenen Händen am liebsten? Warum?« Die nicht repräsentative Gruppe der Befragten bestand zu 47 Prozent aus Männern und zu 53 Prozent aus Frauen zwischen 18 und 66 Jahren (das häufigste Alter war 37) – die Berufe reichten vom Arzt bis zum Donut-Bäcker.
Wir waren überrascht von der Qualität und Quantität der verbalen Antworten. Die Befragten bemerkten eine Menge und sie hatten mehr als nur ein bisschen zu sagen über Hände, deren Form, Größe, Beschaffenheit und Gestik. Ohne dass mein Team aus ausgebildeten Forschern der Anthropologie sie dazu aufgefordert hatte, gaben die Befragten freiwillig 4025 Beschreibungen (Wörter und Sätze) ab, um die zwölf Fotos von Händen zu beschreiben.
Was haben wir aus der Unilever-Studie über die stumme Sprache der Unternehmen gelernt? Je unattraktiver eine Hand ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ein Kollege bei einem Geschäftsmeeting die Gesten dieser Hand beachtet. In der Studie nahm die Aufmerksamkeit für die Gesten und die Haltung einer Hand immer weiter ab, je negativer die Bewertung dieser Hand ausfiel. Unansehnliche Merkmale beanspruchten die visuelle Aufmerksamkeit und kamen den Gesten – und damit dem Erzeuger der Gesten – in die Quere. Die Teilnehmer waren weniger gut in der Lage, die Gesten der ungepflegteren Hände zu lesen, zu interpretieren und zu dekodieren. Dies waren Hände, die – wiederum mit den Worten der Beobachter – »Runzeln«, »Narben«, »Flecken« oder »Schwielen« hatten, die »schmutzig«, »rau«, »trocken«, »fleckig« waren, deren »Nagelhaut trocken« war und die...