Vorwort
Wie glaubwürdig kann ein Buch über Medienwandel, die Bedeutung der Nachricht, der Nachrichtenagenturen und insbesondere die Deutsche Presse-Agentur (dpa) sein, wenn der Autor seit 38 Jahren für die dpa arbeitet? Ginge es nur oder vor allem um diese Nachrichtenagentur hätte diese Frage eine gewisse Berechtigung. Aber dieses Buch ist weder eine Enthüllungsgeschichte über den Mikrokosmos oder die Skandale der dpa noch eine lobhudelnde Festschrift auf die größte deutsche Nachrichtenagentur.
Es geht in diesem Buch vor allem um das Geschäft mit der kostbaren Ware Nachricht, die scheinbar immer billiger zu haben ist. Nachrichten aber sind die Grundlage aller Formen von hochwertigem, professionellem Journalismus. Hier soll die Frage beantwortet werden, ob und, wenn ja, wie Qualitätsjournalismus in der digitalen Revolution überleben kann. Denn zur Disposition stehen heute auch die über Jahrhunderte etablierten journalistischen Standards.
Dieses Buch versucht die These zu belegen, dass trotz des fundamentalen Wandels der Medienwelt sowie der Kommunikations- und Informationsstrukturen der professionelle Journalismus seine überragende Bedeutung behalten wird. Im Zentrum stehen dabei verlässliche Nachrichten, für deren Produktion es kaum ein geeigneteres Medium als unabhängige Nachrichtenagenturen geben kann.
Das Ringen der dpa um die Zukunft spiegelt exemplarisch die Problematik der digitalen Revolution für Medien, Gesellschaft und Politik wider. Denn um den Preis ihrer wirtschaftlichen Existenz muss eine Nachrichtenagentur wie dpa fast schon seismografisch auf den Medienwandel und die neuen digitalen Optionen reagieren.
Es geht für die Nachrichtenagenturen nicht allein um die großen strukturellen Änderungen, die Anpassung an die neuen und sich weiter verändernden Wünsche von Konsumenten und Medienmachern. Jeden Tag aufs Neue muss in den Agentur-Redaktionen die Frage nach den wirklich relevanten Nachrichten beantwortet werden. Dies wird immer schwieriger. Denn unsere multipolare, politisch zunehmend fragile Welt scheint immer noch komplexer und chaotischer zu werden. Auch ist der dramatische Strukturwandel der globalisierten Wirtschaft noch lange nicht beendet. Schließlich besteht das Publikum aus einer destabilisierten, fragmentierten Gesellschaft.
Fast jeder ist oft genug überfordert, Politiker, Wissenschaftler und Journalisten sind da keineswegs ausgenommen. Die zunehmend säkularisierte, „entzauberte“ und von Informationen überflutete Welt hat die wachsende Verunsicherung und Orientierungslosigkeit des Einzelnen zur Folge. Schließlich zwingen der Abschied und die „Freiheit“ von traditionellen Autoritäten, wie Kirche, Partei, Ideologie oder Familie, den modernen Menschen ohnehin schon dazu, fast alles, zumindest scheinbar, „autonom“ zu bewerten und einzuordnen. Dabei nimmt nicht nur die Komplexität zu, es wachsen weiter – auch von Medien geschürt – das Misstrauen und die Skepsis gegenüber allen Institutionen, Strukturen und Hierarchien, gegenüber allen, die Macht haben. Dazu zählen schon längst auch die Medien selbst, die heute genauso schnell am Pranger stehen wie Unternehmer, Politiker, Lobbyisten oder Funktionäre.
Verlässliche Nachrichten sind in dieser verwirrenden Welt wichtiger denn je. Nur sie bieten im Chaos der Stimmen Orientierung und Halt. Professioneller Journalismus mit hoher Kompetenz und strengen Standards spielt dabei eine zentrale Rolle. Kaum ein Medium muss sich diesem Anspruch im Alltag so kontrolliert und transparent stellen wie Nachrichtenagenturen.
Unabhängig von der eigenen parteipolitischen Orientierung betrachten viele die dpa dank deren politischer Unabhängigkeit und der erwiesenen Qualitäten als einen Glücksfall für die Medienentwicklung des demokratischen Deutschland. Das Schicksal der dpa wird sich an der Frage entscheiden, ob sie ihren Platz in der neuen, digitalisierten Medienwelt wird behaupten können. Gleichgültig wie das Ergebnis sein wird: Es könnte enorme Folgen für die politische Kultur in Deutschland haben. Denn eine unabhängige Nachrichtenagentur wie die dpa zählt zu den wichtigsten Säulen der „vierten Gewalt“.
Die denkbaren Alternativen für eine Gesellschaft ohne funktionierende „vierte Gewalt“ wären für die Zukunft von Freiheit und Menschenrechten ziemlich verheerend: Ein Blick auf die Geschichte der Schreckensregime des 20. Jahrhunderts, eine Betrachtung der Diktaturen und autoritären Systeme heute belegen die direkte Abhängigkeit zwischen der Stärke freier Medien und der demokratischen Qualität eines politischen Systems.
Ohne die Versorgung der Gesellschaft mit relevanten Nachrichten wird sie geradezu blind, orientierungslos und besonders leicht manipulierbar. Denkbar wäre natürlich auch eine andere erschreckende Variante für die Zukunft. Der Zugang zu relevanten Nachrichten existiert weiterhin – aber nur noch eine Informationselite nutzt sie. Selbstgewählte Ignoranz großer Teile der Gesellschaft gegenüber den wichtigen Ereignissen und Entwicklungen könnte für die demokratische Kultur ebenso gravierende Auswirkungen haben wie staatliche Zensur und Willkür oder die übermächtige Dominanz sozialer Netzwerke. Im schlechtesten Fall wird die Verweigerung, sich ausreichend zu informieren, als Ausdruck von Freiheit und Selbstbestimmung verbrämt.
Die überall zu beobachtende Weigerung von immer mehr Bürgern in westlichen Demokratien, ihr Wahlrecht auszuüben, ist eng verwandt mit der wachsenden Unlust auf seriöse Medien und komplexe Informationen. Politikverdrossenheit und Medienüberdruss gehen Hand in Hand. Sie können die Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie ernsthaft bedrohen.
Für den Autor gibt es keinen Zweifel, dass in unserer Demokratie die „vierte Gewalt“ der Medien von keiner „fünften Gewalt“ jemals gleichwertig ersetzt werden könnte. Die einen bezeichnen die PR-Maschinerie von Politik und Wirtschaft als „fünfte Gewalt“, andere hoffen auf die „Netz-Community“ als „fünfte Gewalt“. Beide Definitionen sind im Grunde gar nicht so weit auseinander – berücksichtigt man die wirklichen Machtverhältnisse im World Wide Web. Nicht nur, dass dort Google und Facebook, Konzerne und Interessengruppen einen oft überragenden Einfluss ausüben. Auch politische Machtverhältnisse werden durchaus erfolgreich ins Netz übertragen – was schon längst, beispielsweise in Russland und China geschieht.
Journalisten haben in den vergangenen drei Jahrzehnten hautnah spüren können, welche dramatischen Veränderungen die digitale Revolution mit sich bringt. Digitalisierung, Vernetzung und Beschleunigung haben kaum einen Bereich mehr erschüttert als die Welt der Medien. Sie haben zwar heute mehr als je zuvor in der Geschichte einen zentralen Platz im Alltag der Menschen erobert. Dennoch haben traditionelle Medien an Macht eingebüßt. Digitalisierung bedeutet insofern durchaus auch ein Stück Demokratisierung.
So wie die katholische Kirche aufgrund der neuen Druckmedien nach Gutenberg das Privileg für den Zugang zur Heiligen Schrift verlor – sowohl wegen der Bibelübersetzung durch Martin Luther als auch der vielen gedruckten, kostengünstigeren Bibelausgaben –, so ähnlich verlieren Journalisten und Medien weitgehend das Privileg der umfassenden Verbreitung von Nachrichten und Berichten im öffentlichen Interesse. Aber genauso wenig wie ab dem 15. Jahrhundert die Kirche obsolet wurde, werden es die Medien und Journalisten nach der digitalen Revolution künftig sein. Professioneller Journalismus muss sich aber ebenso neu definieren wie die Medien insgesamt.
Ein Grund ist zudem der spürbare Vertrauensverlust in der Gesellschaft. Skepsis und Misstrauen gegenüber den Medien bis hin zum demagogischen Vorwurf an eine angebliche „Lügenpresse“ sind Symptome für die Glaubwürdigkeitskrise, in der sich die traditionellen Medien und der professionelle Journalismus befinden.
Meinen Kindern würde ich nur noch empfehlen, Journalist zu werden, wenn sie sich wirklich darüber klar wären, dass die wahrlich goldenen Zeiten des professionellen Journalismus vorbei sind. Was nicht heißt, dass die Arbeit des Journalisten nicht noch immer faszinierend und erfüllend, vor allem aber sehr wichtig ist. Allerdings ändert sich das Berufsbild drastisch.
Gute Jobs und große Karrieren wird es in alten und neuen Medien weiter geben. Sicher auch seriöse Blogger, die als erfolgreiche Einzelkämpfer wie Journalisten arbeiten und damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Wie in vielen anderen Branchen auch dürfen aber nur noch Stars und Führungskräfte mit hohen Einkommen rechnen. Der Wertverfall journalistischer Leistungen kratzt heftig am Glanz der einst generell privilegierten, vergleichsweise gut bezahlten Medienarbeitsplätze.
Vieles ist in der Medienwelt gleichzeitig leichter und schwerer geworden, es existiert wie in vielen Bereichen der Gesellschaft die verwirrende Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Entwicklungen. Nie zuvor konnten sich die Menschen so umfassend und intensiv über die Welt informieren wie heute – Studien deuten indes daraufhin, dass der Kirchturm-Blick allerorten zunimmt, dass sich die Interessen vor allem junger Menschen nur auf wenige Felder konzentrieren. Medien dominieren den Alltag der Menschen mehr denn je – aber zahlreiche Medien bangen um ihre Zukunftschancen.
Die allgemeine Verunsicherung über die mediale Zukunft und die einschüchternde Unübersichtlichkeit der digitalen Revolution legen es nahe, mit Prognosen und Visionen besonders vorsichtig zu sein. Wir haben im besten Fall Ahnungen, wie die...