Einleitung
Von der politischen Öffentlichkeit lange Zeit unbemerkt, hat der Krieg in den letzten Jahrzehnten schrittweise seine Erscheinungsform verändert: Der klassische Staatenkrieg, der die Szenarien des Kalten Krieges noch weithin geprägt hat, scheint zu einem historischen Auslaufmodell geworden zu sein; die Staaten haben als die faktischen Monopolisten des Krieges abgedankt, und an ihre Stelle treten immer häufiger parastaatliche, teilweise sogar private Akteure – von lokalen Warlords und Guerillagruppen über weltweit operierende Söldnerfirmen bis zu internationalen Terrornetzwerken –, für die der Krieg zu einem dauerhaften Betätigungsfeld geworden ist. Nicht alle, aber doch viele von ihnen sind Kriegsunternehmer, die den Krieg auf eigene Rechnung führen und sich die dazu benötigten Einnahmen auf unterschiedliche Art und Weise verschaffen: Sie werden durch reiche Privatleute, Staaten oder Emigrantengemeinden finanziell unterstützt, verkaufen Bohr- und Schürfrechte für die von ihnen kontrollierten Gebiete, betreiben Drogen- und Menschenhandel oder erpressen Schutz- und Lösegeld, und durchweg profitieren sie von den Hilfslieferungen internationaler Organisationen, da sie die Flüchtlingslager (oder zumindest die Zugänge zu ihnen) kontrollieren. Wie auch immer aber die Kriegsparteien zu den erforderlichen Mitteln gelangen – stets ist die Finanzierung des Krieges, anders als in den klassischen Staatenkriegen, ein wichtiger Aspekt der Kriegführung selbst. Die gewandelten Finanzierungsformen tragen entscheidend dazu bei, dass die neuen Kriege sich oftmals über Jahrzehnte erstrecken, ohne dass ein Ende in Sicht kommt. Will man die spezifischen Merkmale dieser neuen Kriege verstehen, muss man daher ihre wirtschaftlichen Grundlagen in den Blick nehmen.
Freilich sind, wenn im Folgenden den Ökonomien des Krieges und der Gewalt besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, darüber ideologische Faktoren keineswegs zu vernachlässigen. Ethnisch-kulturelle Spannungen und zunehmend auch religiöse Überzeugungen spielen in den neuen Kriegen eine wichtige Rolle. Die im letzten Jahrzehnt auf dem Balkan geführten Kriege, die Kriege in der Kaukasusregion sowie die Afghanistan-Kriege wären ohne ethnische und religiöse Gegensätze anders verlaufen oder hätten überhaupt nicht stattgefunden. Solche Ideologeme sind eine Ressource zur Mobilisierung von Unterstützungsbereitschaft, und darauf haben die Kriegsparteien in jüngster Zeit verstärkt zurückgegriffen. Offenbar hängt das damit zusammen, dass andere Motivations- und Legitimationsquellen kriegerischer Gewaltanwendung, die in vielen früheren Konflikten im Vordergrund standen, inzwischen an den Rand gedrängt worden sind. Das gilt vor allem für sozialrevolutionäre Ideologien; ihnen müsste eine sehr viel größere Bedeutung zukommen, falls Armut und Elend tatsächlich – wie immer wieder zu hören ist – die Hauptursachen dieser Kriege wären. Zweifellos ist die ungleiche Verteilung von Reichtum und Armut auch für die neuen Kriege relevant, doch sind kriegerische Auseinandersetzungen keineswegs dort am häufigsten anzutreffen, wo die bitterste Armut herrscht. Eher schon kann man behaupten, dass die hoffnungslose Verelendung einer Region umso wahrscheinlicher ist, je länger sich Kriegsunternehmer in ihr eingenistet und die vorhandenen Ressourcen ausgebeutet haben, und selbst mit der Beendigung des Krieges entsteht keine Hoffnung auf politische Stabilität und wirtschaftliche Erholung. Die spezifische Ökonomie der neuen Kriege sorgt in Verbindung mit deren langer Dauer dafür, dass die ausgezehrten und verwüsteten Regionen ohne umfassende Hilfe von außen nicht mehr auf die Beine kommen.
Angesichts der Unübersichtlichkeit der Konfliktgründe und Gewaltmotive bevorzuge ich den unscharfen, aber offenen Begriff der neuen Kriege, wobei ich mir durchaus darüber im Klaren bin, dass sie so neu eigentlich gar nicht sind, sondern in mancher Hinsicht eine Wiederkehr des ganz Alten darstellen. Ein Vergleich mit älteren Formen der Kriegführung kann dabei helfen, die Merkmale und Besonderheiten dieser Kriege herauszuarbeiten. Zum einen müssen diese gegen den klassischen Staatenkrieg abgegrenzt werden, der die heutige Vorstellung von Krieg in vieler Hinsicht immer noch prägt.1 Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, ob sich die neuen Kriege nicht in gewisser Hinsicht als eine Rückkehr hinter die Anfänge der Verstaatlichung des Kriegswesens beschreiben lassen, wie sie in Europa während der Frühen Neuzeit stattgefunden hat. Der Blick auf die Verhältnisse vor der Verstaatlichung des Krieges ist geeignet, Ähnlichkeiten mit den inzwischen entstandenen Verhältnissen aufzuzeigen, in denen der Staat nicht mehr ist, was er damals noch nicht war: Monopolist des Krieges.
Insbesondere die Konstellationen des Dreißigjährigen Krieges weisen viele Parallelen mit den neuen Kriegen auf. Charakteristisch für ihn war eine Gemengelage aus privaten Bereicherungs- und persönlichen Machtbestrebungen (Wallenstein, Ernst zu Mansfeld, Christian von Braunschweig), Expansionsbestrebungen der Politiker benachbarter Mächte (Richelieu, Bethlen Gabor) sowie Interventionen zur Rettung und Verteidigung bestimmter Werte (Gustav Adolf von Schweden), außerdem ein inneres Ringen um Macht, Einfluss und Herrschaftspositionen (Friedrich von der Pfalz, Maximilian von Bayern), wobei nicht zuletzt auch religiöskonfessionelle Bindungen eine Rolle spielten.
In den meisten größeren Kriegen unserer Tage – sieht man einmal ab von den wenigen nach klassischem Muster geführten Staatenkriegen wie etwa zwischen China und Vietnam, zwischen Irak und Iran oder zuletzt dem zwischen Äthiopien und Eritrea – ist eine ähnliche Gemengelage aus Werten und Interessen, staatlichen, parastaatlichen und privaten Akteuren zu beobachten. Vor allem sind sie gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Interessengruppen, die sich von einem dauerhaften Verzicht auf Gewalt mehr Nach- als Vorteile erwarten und denen daher am Frieden nichts gelegen ist. Die Kriege im subsaharischen Afrika, vom südlichen Sudan über das Gebiet der großen Seen und den Kongo bis nach Angola; die mit dem Zerfall Jugoslawiens verbundenen Kriege; die bewaffneten Konflikte in der gesamten Kaukasusregion, unter ihnen am prominentesten der Tschetschenienkrieg; die Afghanistan-Kriege seit Anfang der achtziger Jahre – sie alle sind dem Modell des Dreißigjährigen Krieges sehr viel ähnlicher als den zwischenstaatlichen Kriegen vom 18. bis ins 20. Jahrhundert.
Ein solcher historischer Vergleich kann dazu beitragen, die Besonderheiten der neuen Kriege deutlich zu machen. Dabei werden namentlich drei Entwicklungen zu verfolgen sein: zunächst die bereits angesprochene Entstaatlichung beziehungsweise Privatisierung kriegerischer Gewalt. Sie wurde dadurch möglich, dass die unmittelbare Kriegführung in den neuen Kriegen relativ billig ist. Leichte Waffen sind allenthalben günstig zu erhalten und erfordern keine langen Ausbildungszeiten. Diese Verbilligung hat mit der zweiten für die neuen Kriege charakteristischen Entwicklung zu tun, der Asymmetrisierung kriegerischer Gewalt, also dem Umstand, dass in der Regel nicht gleichartige Gegner miteinander kämpfen. Es gibt keine Fronten mehr, und deshalb kommt es auch nur selten zu Gefechten und eigentlich nie zu großen Schlachten, sodass sich die militärischen Kräfte nicht aneinander reiben und verbrauchen, sondern sich gegenseitig schonen und die Gewalt stattdessen gegen die Zivilbevölkerung richten. Diese Asymmetrisierung wiederum ist dadurch gekennzeichnet, dass in ihr bestimmte Formen der Gewaltanwendung, die zuvor untergeordnete taktische Elemente einer militärischen Strategie waren, selbst eine eigenständige strategische Dimension erlangt haben. Das gilt für den Partisanenkrieg, wie er sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt hat, und insbesondere für den Terrorismus. Man kann hier – und damit ist die dritte Tendenz benannt, die für die neuen Kriege typisch ist – von einer sukzessiven Verselbständigung oder Autonomisierung vordem militärisch eingebundener Gewaltformen sprechen. In der Folge haben reguläre Armeen die Kontrolle über das Kriegsgeschehen verloren, und diese ist zu erheblichen Teilen in die Hände von Gewaltakteuren geraten, denen der Krieg als Auseinandersetzung zwischen Gleichartigen fremd ist.
Ist es unter solchen Bedingungen überhaupt noch sinnvoll, am Begriff des Krieges als einer zusammenfassenden Bezeichnung großräumig organisierter Gewalt festzuhalten?2 Tatsächlich hat mit dem Ende des staatlichen Monopols der Krieg zusehends seine Konturen verloren: Kriegerische Gewalt und organisierte Kriminalität gehen immer häufiger ineinander über, und es ist oftmals kaum noch möglich, zwischen kriminellen Großorganisationen, die sich mit politischen Ansprüchen drapieren, und den Überresten einstiger Armeen oder der bewaffneten Anhängerschaft eines Warlords zu unterscheiden, die sich durch Plünderungen und den Handel mit illegalen Gütern alimentieren. So ist «Krieg» zu einem politisch umstrittenen Begriff geworden: Redet man einer Eskalation der Gewalt das Wort, wenn man ihn auf diese Phänomene anwendet? Oder verschließt man die Augen vor den neuen Entwicklungen des Kriegsgeschehens, wenn man, am herkömmlichen Modell des Staatenkrieges festhaltend, den substaatlichen Formen der Gewaltanwendung die Qualität eines Krieges abspricht? Vor allem in der Auseinandersetzung mit den jüngsten Formen des internationalen Terrorismus hat diese Frage erhebliche politische Brisanz gewonnen.3 Was als Krieg zu bezeichnen ist und was nicht, ist spätestens seit dem...