Kapitel 1:
Das Ende einer Epoche
Die Menschheit verfügt im 21. Jahrhundert über eine Fülle an technologischen Möglichkeiten: Computer, Smartphones, Gentechnik, Biotechnologie, weltweite Kommunikation über das Internet, billige Flüge. Diese Epoche des Fortschritts und der Annehmlichkeiten ist für die meisten Menschen in Mitteleuropa und vor allem in Deutschland mit einem bisher unbekannten Maß an Wohlstand, Sicherheit, Konsum und Freizeit verbunden gewesen.
Doch die Ära geht zu Ende. Der Fortschritt kann nicht finanziert werden.
Wir sind pleite.
Die Daimler Bank gab im Frühjahr 2014 bekannt, dass jedes zweite Auto aus seiner Produktion auf Kredit oder Leasing gekauft wurde.18 Jeder zweite Mercedes-Stern auf unseren Straßen gehört nicht den stolzen Autofahrern, sondern der Daimler Bank. Das Geld kam aus dem Nichts. Der mit Schulden finanzierte Wohlstand wurde möglich, weil die Regierungen in den meisten Staaten der Welt die Staatsausgaben kontinuierlich erhöht haben.19 Die FAZ dazu: »Schulden sind die Wohlstandsillusion des Wohlfahrtsstaates, die Politiker und Bürger symbiotisch aneinander binden. Die einen teilen aus, die anderen sacken ein, und der Wettbewerb der Politik geht darum, wer mehr soziale Nettigkeiten im Angebot hat, um im Gegenzug dafür mehr Wählerstimmen auf sich zu vereinen.«20
Möglich wurde die Geldvermehrung durch die Zentralbanken, die die Leitzinsen in den vergangenen zehn Jahren auf ein Rekordniveau gesenkt haben. Und daher begleiten uns, trotz aller technologischen Fortschritte, in seltsamer Monotonie düstere Klänge.
Schuldenkrise, Eurokrise, Wirtschaftskrise, Währungskrieg.
Unbehagen beschleicht uns, eine diffuse Angst.
Angela Merkel hat den Europäern vorgeworfen, dass sie »über ihre Verhältnisse gelebt hätten«.21 König Willem der Niederlande hat seinem Volk gesagt, dass die fetten Jahre vorüber sind: »Unsere Wirtschaft schwächelt und das schon seit langem. Durch die Finanzkrise haben sich unsere wirtschaftlichen Probleme noch verschärft. Ein Teil unseres Wohlstands wird über Schulden finanziert. Nun ist es (…) an der Zeit, dass die Bürger, die Unternehmen und die Banken ihre Bilanzen in Ordnung bringen.«22
Neue Namen tauchen in den Schlagzeilen auf – oft in Form verstörender Abkürzungen von chinesischer Schönheit und sowjetischer Distanz: IWF, ESM, Troika, EZB, Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, Derivate, Konsolidierung.
Wir fragen uns: Was bedeutet das? Wer steht hinter diesen uns unbekannten Gremien und Einrichtungen? Welche Absicht verfolgen sie? Was wollen sie von mir? Was habe ich mit ihnen zu tun?
Wir fühlen uns bedroht – auch im reichen Deutschland. Die Bürger in Europa diskutieren über den Verlust der Souveränität, Kontrolle, Ausbeutung, Raubzüge, Plünderungen, Leiharbeit, Zweitjobs, Arbeitslosigkeit. Die Mittelschicht in Europa – Akademiker, Selbstständige, Freiberufler – beginnt plötzlich, sich Sorgen zu machen und fürchtet den Absturz in die Armut.23
Die Schuldenkrise, dieser Ozean aus wertlosem Papier, schlägt an unserer Haustür an: Viele müssen zusehen, wie ihre Ersparnisse dahinschmelzen. Sie brauchen zwei Jobs, um über die Runden zu kommen.24 Auch wenn die offiziellen Inflationszahlen niedrig sind, rechnen die Bürger nach und sagen: Wir haben zwei Mark für einen Euro bezahlt. Müsste dann nicht alles um die Hälfte billiger sein?
Viel Geld, viel Wohlstand auf Kredit und viel mehr globale Vernetzung haben jedoch die Lage der Menschheit in drei wesentlichen Bereichen nicht verbessert:
- 1.Die Verteilung der Einkommen ist nicht gerecht.
- 2.Die Mitwirkung der Bürger ist nicht gestiegen.
- 3.Wir haben keinen Plan für die Verwendung der Ressourcen.
Die Spaltung der Welt verläuft in verschiedenen Dimensionen. Zum einen gibt es immer noch das Nord-Süd-Gefälle. Hier der reiche Norden, dort die armen Entwicklungsländer. Noch gravierender ist jedoch eine andere Spaltung: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer – und zwar überall auf der Welt.25 Die Schnelligkeit des globalen Geldkreislaufs beschleunigt die Ungerechtigkeit. Aldous Huxley warnte schon 1946 vor der »Wohlstandstyrannei Utopias« und einem daraus folgenden »übernationalen Totalitarismus, hervorgerufen durch das soziale Chaos, das sich aus raschem technischem Fortschritt« ergeben kann.26
Wir ahnen, wenn wir die Seiten in den Wirtschaftszeitungen aufmerksam lesen, dass das Schlimmste möglicherweise noch vor uns liegt. Marc Friedrich und Matthias Weik haben mit ihrem Buch Der größte Raubzug der Geschichte einen Bestseller mit einem Thema gelandet, für das sich bisher eher nur die Insider interessiert haben: Sie befassen sich mit der Frage, wie die große Umverteilung vor sich geht und was sie bedeutet.27
Friedrich und Weik sind der Auffassung, dass es sich bei den kommenden wirtschaftlichen Umwälzungen nicht um eine Reihe von Zufällen, sondern um ein systemisches Problem handelt. Eine kleine Finanz-Elite treibt die Weltwirtschaft vor sich her. Die Autoren glauben, dass es zu einem großen »Crash« kommt und dass wir am Tag danach aufwachen, uns die Augen reiben, und uns dann, mehr oder weniger zuversichtlich, an die Arbeit machen müssen, um die Trümmer beiseitezuschaffen und von vorn zu beginnen – wie schon so oft in der Geschichte.
Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Welt, wenn sie ungebremst so weiterläuft wie bisher, zu einer Folge von vielen kleinen Crashs führen wird. Diese Crashs mögen weniger dramatisch sein als die Lehman-Pleite oder das Platzen der US-Immobilienblase. Doch sie werden in schneller Folge kommen. Die Opfer dieser Crashs werden die Bürger sein: Die Sparer, weil ihr Erspartes geplündert wird. Die sozial Bedürftigen, weil der Wohlfahrtsstaat nicht aufrechterhalten werden kann. Die kommende Generation, weil die Unternehmen ihr Kapital nicht mehr in Innovationen stecken werden, sondern in den Schuldendienst. Die Arbeiter, weil es irgendwo auf dem Globus immer Leute geben wird, die aus Not dieselbe Arbeit für noch weniger Lohn verrichten werden.
Aber wie wird das alles ablaufen? Worauf müssen wir uns einstellen?
In den vergangenen Jahren hat sich die Welt zwar unmerklich, aber doch dramatisch verändert: Die Globalisierung ist zu einer Hyperglobalisierung geworden. Alle Prozesse haben sich ungemein beschleunigt. Sie sind komplexer geworden. Niemand kann Ursache und Wirkung unterscheiden. Die Grenzen zwischen Freund und Feind verschwimmen.28
Formal leben wir in einem System, das für alle gut sein sollte. Die »soziale Markwirtschaft« sollte die wilden Kräfte der Wirtschaft in geordnete Bahnen lenken. Sie erhob zugleich den Anspruch, die Lebensbedingungen der Bedürftigen erträglich zu gestalten.
Doch dieses System ist korrumpiert.29
Das Attribut »sozial« ist ein Etikett: Es soll dem Bürger den Eindruck vermitteln, dass der Staat für ihn sorgen wird. Doch tatsächlich treibt die Schuldenmacherei des Staates die Bürger in die Arme der Plünderer. Man braucht sich nur in einer beliebigen Kommune den Zustand von Schwimmbädern, Schulen oder Kindergärten anzusehen. An der polnischen Grenze haben die Bürger bereits freiwillige Sicherheitsdienste eingerichtet, weil die Polizei wegen der Einsparungen nachts nicht mehr präsent sein kann. In anderen Städten gibt es eine »Billigpolizei« in Form von bezahlten Bürgerwehren. Bei einer Anhörung im Brandenburger Landtag protestierte ein Bürgermeister gegen diese Entwicklung: »Das kann nicht Aufgabe der Kommune sein, sondern dafür steht das Land in der Pflicht, dessen staatliche Kernaufgabe es ist, Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten.«30
Kleine und mittlere Unternehmen haben Schwierigkeiten, trotz guter Produkte und engagierter Mitarbeiter im globalen Wettbewerb zu bestehen. Das billige Geld – an welches mittelständische Unternehmen niemals herankommen – bewirkt, dass große, global tätige Konzerne ihre Marktmacht weltweit ausbreiten. Diese Konzerne schaffen einen globalen Arbeitsmarkt, der durch einen schleichenden Prozess des globalen Lohndumpings gekennzeichnet und stabilisiert wird. Die Konzerne werden nicht mehr von Inhabern geführt, sondern von angestellten Managern. Die Eigentümer der Konzerne sind nicht mehr verantwortungsbewusste Unternehmer, sondern anonyme Aktionäre, deren Renditeansprüche an die Unternehmen wegen der niedrigen Zinsen steigen.
»Freie« Märkte gibt es immer seltener. Aufgrund der vielen Manipulationen, die in der Vergangenheit bekannt geworden sind, kann man Waren kaum noch unter fairen, transparenten Bedingungen kaufen und verkaufen. Die Preise sind nicht mehr das Ergebnis von Angebot und Nachfrage, sondern sind oft das Ergebnis von Willkür, Verdrängungsabsicht oder Verzweiflung.
Der Turbo, der diese Wirtschaft antreibt, ist das sogenannte »staatenlose Kapital«: Der Wirtschaftsjournalist Steven Solomon hat bereits vor 20 Jahren aufgezeigt, wie die Politik des unkontrollierten Gelddruckens durch die Zentralbanken zwangsläufig zu Chaos und Zerstörung der wirtschaftlichen Ordnung führt.31
In seinem Buch The Confidence Game: How Unelected Central Bankers are Governing the Changed Global Economy (»Das Vertrauensspiel. Wie nicht gewählte Zentralbanker die veränderte...