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Die programmatische Entwicklung der PDS

Kontinuität und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei

AutorSebastian Prinz
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl482 Seiten
ISBN9783531922959
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis49,44 EUR
Von Anfang an war das Verhältnis von Theorie und Praxis sowohl der erkenntnistheoretische Angelpunkt als auch das politische Dilemma der marxistischen Theorie. Von Anfang war klar, dass es sich bei den beiden Begriffen um weitgehend inkompatible Kategorien handelt. So wie Denken und Handeln im realen Leben zusammengeführt werden müssen, um als Einheit wirksam werden zu können, so müssen auch Theorie und Praxis zusammengeführt werden. Erst die Einheit von Denken und Handeln konstituiert eine lebendige Biographie. In Gesellschaften, die von Ritus und Mythos getragen sind, entsteht die Einheit von Theorie und Praxis - der individuellen Biographie vergleichbar - scheinbar naturwüchsig. Die Einheit von Theorie und Praxis aber lässt sich in komplexen Gesellschaften nur als Artefakt, als soziales Konstrukt realisieren. Sie ist damit Ausdruck politischen Denkens und politischen Handelns. In modernen, von immer schnelleren Umbrüchen markierten Gesellschaften wird der soziale Wandel zur zentralen politischen Aufgabe. Das konstituiert sowohl eine begriffliche als auch eine politische, als auch schließlich eine humanitäre Aufgabe. Die Moderne muss die Produktion - eigentlich die Produkte - des Wandels immer neu und immer häufiger justieren. Woanders hat man ein solches Tun 'self-management' genannt. Auch für den Marxismus wird daher das Management des sozialen Wandels - gelegentlich verkürzt Revolution genannt - zu ihrer zentralen Aufgabe. Das erklärt die vielfältigen und differenzierten Konzepte, auch die vielen Polemiken und Leidenschaften, die der Marxismus dazu entwickelt hat. Viele davon haben bekanntlich in den Gulag geführt.

Sebastian Prinz studierte osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt und war danach u.a. als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten tätig und als Referent in einem Ministerium angestellt.

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Leseprobe
11. Vergleich zwischen der Programmatik und der Politik der PDS (S. 325-326)

Grundsatzprogramme werden für einen mittelfristigen Zeitraum beschlossen und enthalten auch langfristige Ziele und Visionen. Doch in ihnen findet man in der Regel kaum konkrete Handlungsanleitungen für praktische Politik im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden. Den Spielräumen der Tagespolitik werden von rechtlichen Rahmenbedingungen, Kompromissen, langfristigen Festlegungen, verfügbaren Haushaltsmitteln und gesetzlichen Verpflichtungen Grenzen gesetzt. Deswegen ist fraglich, inwieweit die tatsächliche Politik der PDS durch ihre Programmatik bestimmt wurde beziehungsweise inwieweit die tatsächliche Politik der Partei mit ihrer Programmatik in Einklang stand.

In diesem Kapitel sollen also die programmatischen Positionen mit dem praktischen Handeln von PDS-Politikern verglichen werden. Zwar hatte die PDS bei der 2. Tagung des 7. Parteitags 2001 ausdrücklich beschlossen, dass Politik und Programmatik der Partei eine Einheit bilden1494, doch bestanden zwischen den theoretischen Positionen der PDS und der Politik der PDSVertreter in den Bundesländern und Kommunen, in denen die Partei mit Ministern und Bürgermeistern Verantwortung trug, erhebliche Unterschiede.1495 Ein Kommentar sah in diesem Widerspruch eine Stärke der PDS. Sie verstehe, auf der Protestklaviatur zu spielen, aber auch staatstragend aufzutreten.

Eine rückblickende Betrachtung Hans Modrows zur Entwicklung der PDS von der „Wende“ bis zur Fusion mit der WASG benannte den Kern der gesamten programmatischen Debatten und ihrer Wechselwirkungen mit der tatsächlichen Politik der Partei: Die PDS habe eine ständige Tendenz der Anpassung an die sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse gezeigt.1497 Die Programmatik der Partei habe sich also nach den Worten ihres Ehrenvorsitzenden an den in der Bundesrepublik herrschenden politischen Zuständen orientiert und dem Ziel der Integration in diese und damit der Möglichkeit zur Teilhabe an staatlicher Macht gedient. André Brie bezeichnete diese Tendenz als „Ankommen in der Bundesrepublik“.

Die gesamten programmatischen Debatten der PDS standen im Zeichen des mit dem Ende der DDR einhergehenden Verlusts von Macht und Staat. Bedingungen für das Überleben der PDS waren die Aufgabe ihres Machtmonopols, die Umwandlung in eine parlamentarische Partei und die Zulassung von Opposition. Sie musste sich als Partei quasi neu erfinden. Die staatliche Macht hatte sie verloren und musste zunächst die Oppositionsrolle annehmen. In den ersten Jahren nach der „Wende“ konzentrierte sich die PDS bei der Erarbeitung und Weiterentwicklung ihrer Programmatik darauf, sich in ihren östlichen „Stammlanden“ zu konsolidieren und dort die Voraussetzungen für Koalitionen mit der SPD zu schaffen, um wieder regieren zu können.

Die Programmatik der PDS musste also für die SPD kompatibel sein. Die PDS war, um mit der SPD regieren zu können, auch bereit, programmatischen „Ballast“ über Bord zu werfen, wie die Erklärung zur Zwangsvereinigung von SPD und KPD in Mecklenburg-Vorpommern oder das Bekenntnis zur westlichen Staatengemeinschaft in Berlin zeigten. Die Erblast der SED-Geschichte war in den ersten Jahren nach der „Wende“ für die PDS allgegenwärtig. Sie musste in dieser Situation den Spagat schaffen, sich einerseits gegenüber angestrebten politischen Partnern und der Öffentlichkeit als geläutert und erneuert darzustellen und andererseits die Legitimität der DDR und die Biographien ihrer Mitglieder und Wähler zu verteidigen.

Es ging also bei den programmatischen Debatten stets auch um Integration nach innen, denn das Zusammenhalten der Partei war die Grundvoraussetzung für politischen Erfolg und damit für die Option auf Machtteilhabe. Ein wichtiger Grund für den Erfolg der PDS in den östlichen Bundesländern war, dass sie sich als Vertreterin des Ostens darstellte. Durch die Fusion ist die Partei jetzt tatsächlich gesamtdeutsch, so dass sich die Frage stellt, ob es ihr gelingen wird, sich auch weiterhin als Stimme des Ostens in Szene zu setzen. Die PDS regierte auf kommunaler Ebene schon wenige Jahre nach der „Wende“.

2001 verfügte sie über 6.500 kommunale Mandate, darunter zwei Landräte, 27 hauptamtliche und 159 weitere Bürgermeister sowie 18 hauptamtliche kommunale Wahlbeamte.1498 In öffentlichen Ämtern handelten PDS-Politiker zumeist pragmatisch und akzeptierten Sachzwänge. Auch Bundesgesetze, die die PDS ablehnte, setzten ihre Regierungsmitglieder auf Länderebene um, etwa die sogenannten Hartz-Gesetze. Dies lobte immer wieder auch die bürgerliche Presse.
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort5
Inhalt8
1. Einleitung10
1.1. Untersuchungsgegenstand und Problemstellung10
1.2. Aufbau19
1.3. Quellenlage und Forschungsstand22
2. Innerparteiliche Richtungen28
3. Programme und programmatische Dokumente64
3.1. Parteiprogramm von 199064
3.2. Parteiprogramm von 199374
3.3. Kommentar zur Programmatik der PDS90
3.4. Parteiprogramm von 200399
3.5. Sonstige programmatische Dokumente128
4. Wirtschaftspolitische Ziele133
4.1. Sozialismusvorstellungen133
4.2. Kapitalismusbegriff149
4.3. Haltung zum Markt159
4.4. Haltung zum Eigentum163
5. Demokratieauffassung179
6. Politische Handlungsmöglichkeiten196
6.1. Parlamentarische und außerparlamentarische Politik196
6.2. Opposition und Regierungsbeteiligung200
6.3. Reform, Revolution und Gewalt206
7. Antifaschismus und Haltung zur Nation225
8. Geschichtsbild257
8.1. Rezeption klassischer Theoretiker des Sozialismus264
8.2. Umstrittene Begriffe274
8.2.1. Totalitarismus275
8.2.2. Stalinismus283
8.2.3. Unrechtsstaat DDR288
9. Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen299
10. Formale Charakteristika der Programmdebatte310
10.1. Sprache310
10.2. Verfahren und Verlauf315
11. Vergleich zwischen der Programmatik und der Politik der PDS320
12. Zusammenfassung und Ausblick334
Quellen- und Literaturverzeichnis349

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