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E-Book

Die Rettung der Arbeit

Ein politischer Aufruf

AutorLisa Herzog
VerlagHanser Berlin
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783446263109
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Künstliche Intelligenzen und Roboter übernehmen schon jetzt immer mehr Aufgaben und sorgen für Existenzängste, die in die Hände von Populisten spielen. Dabei sollten wir die Zukunft der Arbeit nicht dem Markt überlassen - sie ist eine Frage der politischen Gestaltung, die gerade jetzt couragiert beantwortet werden kann. Arbeit hält Gesellschaften zusammen, sie ist etwas fundamental Menschliches, und die Philosophin Lisa Herzog zeigt, wie sie in digitalen Zeiten gerechter und demokratischer werden kann, als sie es je war - für alle, nicht nur für wenige Privilegierte. Ihr Buch gibt neue Antworten auf eine der großen Fragen unserer Zeit und gibt wichtige Impulse für eine bessere Politik.

Lisa Herzog, 1983 geboren, ist seit 2019 Professorin für Philosophie am Center for Philosophy, Politics and Economics an der Universität Groningen. Zuvor hatte sie eine Professur für Politische Philosophie und Theorie an der Hochschule für Politik an der Technischen Universität München inne. Sie arbeitet u. a. zu ökonomischer Gerechtigkeit, Ethik in Organisationen und Wirtschaftsdemokratie. Auf Deutsch erschien von ihr 2013 'Freiheit gehört nicht nur den Reichen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus'. Für ihr Buch Die Rettung der Arbeit wurde sie 2019 mit dem Tractatus Essay Preis und dem Deutschen Preis für Philosophie und Sozialethik ausgezeichnet.

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Leseprobe

1.

Die Zukunft der Arbeit:


Dystopie oder Utopie?

Wenn die Algorithmen kommen, wer werden die Gewinner sein und wer die Verlierer?

Die einen haben mehr Freizeit, weil die Lebensmittel automatisch vom Kühlschrank bestellt und von einer Drohne geliefert werden, während Algorithmen die optimalen Rezepte zusammenstellen. Die anderen sind arbeitslos, und weil ihr Grundeinkommen bedingungslos, aber kärglich ist, stocken sie es durch Essensspenden von gemeinnützigen Tafeln auf. Die einen beziehen ihr Einkommen aus Software-Patenten und lassen Heerscharen von Robotern für sich arbeiten, die anderen stehen auf Abruf bereit und müssen lossprinten, sobald die App eine Arbeitsgelegenheit meldet. Die einen arbeiten, sofern sie es überhaupt tun, frei und selbstbestimmt, bei den anderen erfasst eine App, vielleicht sogar ein eingepflanzter Chip, jede Bewegung und jede Toilettenpause.

Sieht so die Zukunft der Arbeitswelt aus? Bildung, Ausbildung, der Erwerb von »Humankapital«, eine hohe Motivation und Leistungsbereitschaft — all das scheint keine Garantie mehr zu sein für ein geordnetes Arbeitsleben mit einem Einkommen, das ein gutes Leben ermöglicht. Zu unklar ist, wie die Umbrüche aussehen könnten, die Roboter, Algorithmen und künstliche Intelligenz bringen werden. Einerseits wird eine goldene Zukunft ständig wachsenden Wohlstands prophezeit, in der alle lästigen Routineaufgaben an Maschinen delegiert werden können. Andererseits stehen Vorhersagen im Raum, die das Ende von weit über vierzig Prozent der derzeit existierenden Berufsbilder behaupten, und zwar keineswegs nur im Bereich der »niedrigqualifizierten« Arbeit. Wen es treffen wird und wen nicht, scheint ziemlich unvorhersehbar.

Die Angst vor der Zukunft der Arbeitswelt — davor, nur noch Anhängsel eines Computers oder Sklave einer App zu sein oder gar komplett aussortiert zu werden — treibt derzeit viele Menschen um. Die öffentliche Debatte über Roboter, Automatisierung und die Rolle von Big Data in der Gesellschaft tobt. Doch oft verliert sie sich im Diffusen, beißt sich an einzelnen Zahlen fest oder wiederholt gebetsmühlenartig die immer gleichen Auseinandersetzungen. Was fehlt, ist eine Einigung auf grundlegende Werte und die Entwicklung einer Vorstellung davon, wohin es im Interesse des Gemeinwohls mit der digitalen Transformation der Arbeitswelt gehen könnte. Jetzt ist der Moment, zentrale Fragen zu beantworten und entsprechende institutionelle Reformen einzuleiten. Denn bei Veränderungen in der Arbeitswelt geht es um grundlegende Mechanismen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, aber auch um die Verteilung von Einkommen, Ansehen und Macht.

Wollen wir in Zukunft »auf Abruf« arbeiten, wie zum Beispiel bei den in Großbritannien weit verbreiteten zero hour contracts, bei denen es keinerlei Garantie gibt, wie viel Arbeit angeboten wird und wie viel Einkommen damit erzielt werden kann? Wer hat das letzte Wort, wenn Computerprogramme für die Bedürftigkeitsanalyse in staatlichen Wohlfahrtsprogrammen eingesetzt werden? Lassen wir zu, dass digitale Geschäftsmodelle die soziale Ungleichheit verschärfen? Wer hat welche Chancen der Teilhabe in der digitalisierten Arbeitswelt? Und wie bleibt in einer durch digitale Prozesse geprägten Gesellschaft der soziale Zusammenhalt erhalten, der bislang in hohem Maße durch die Integration in der Arbeitswelt gewährleistet wurde?

Es geht um sehr grundsätzliche Fragen, auf die wir eine Antwort benötigen, und zwar jetzt — denn die Veränderungen werden kommen, keine Frage. Bei diesen Veränderungen der Arbeitswelt geht es letztlich um nicht weniger als um die Grundfragen der politischen Philosophie: Wie wird menschliches Zusammenleben organisiert, was macht eine gute und gerechte Gesellschaft aus, und wie können wir unsere Institutionen und sozialen Praktiken entsprechend gestalten?

Ende der Arbeit?
Rettung der Arbeit!


Die These dieses Buches ist, dass die Arbeitswelt eine viel zu wichtige Rolle für unsere Gesellschaft spielt, als dass man sie in Zeiten des digitalen Umbruchs einfach ihrem Schicksal — oder dem ungesteuerten Wirken des freien Markts — überlassen dürfte. Arbeit ist mehr als ein lästiges Übel, und sie ist mehr als ein Mittel zum Geldverdienen. Arbeit ist eine zutiefst menschliche Angelegenheit: etwas, das so sehr zu unserem Wesen gehört, dass es sie wahrscheinlich auch dann noch gäbe, wenn die sozialen Verhältnisse komplett anders organisiert wären und Maschinen uns noch mehr Aufgaben abnehmen würden. Menschen wollen etwas schaffen, sie wollen ihre Welt gestalten — Arbeit ist eine zentrale Form, die dieser Drang annimmt.

Vor allem aber ist menschliche Arbeit eine soziale Angelegenheit: weil Menschen soziale Wesen sind, arbeiten sie in der Regel gemeinsam mit anderen. Arbeit bringt uns mit der materiellen Welt in Kontakt, vor allem aber bringt sie uns miteinander in Kontakt. Sie stellt uns in soziale Räume, ohne die unser Leben um ein Vielfaches ärmer wäre. Sicherlich, es gibt auch Kollegen, bei denen wir nicht traurig wären, wenn wir sie nie im Leben wiedersehen würden. Aber das ist der Preis, den wir für etwas sehr Wertvolles zahlen: dafür, durch die Arbeit mit Menschen zusammengebracht zu werden, denen wir sonst nie begegnen würden (und das gilt übrigens auch für viele Formen von »Arbeit« jenseits der Lohnarbeit, zum Beispiel die geteilte Betreuung von Kindern im privaten Kontext). Diese soziale Dimension der Arbeit wieder in den Blick zu rücken, nach den Herausforderungen wie auch den Möglichkeiten einer solidarischen Arbeitswelt zu fragen und Vorschläge zu entwickeln, wo es hingehen könnte — das sind die Anliegen dieses Buches.

Dass Arbeit zur menschlichen Natur gehört, ist ein Gedanke, der sich durch die Geschichte des politischen Denkens zieht. Dieser Strang beginnt spätestens mit Aristoteles und wurde in der jüngeren Ideengeschichte von so unterschiedlichen Denkern wie Hegel oder Marx aufgegriffen. Menschsein bedeutet, die materielle Umgebung zu formen und selbst dadurch geformt zu werden. Es bedeutet, mit der eigenen Arbeit auf der Arbeit anderer aufzubauen und sie fortzuführen. Auch im feministischen politischen Denken spielt die Frage der Arbeit eine zentrale Rolle, weil sie immer noch ein Bereich ist, in dem sich die Ungleichbehandlung der Geschlechter besonders stark manifestiert. Frauen haben über Jahrhunderte dafür gekämpft, an der Arbeitswelt außerhalb des Hauses teilhaben zu dürfen — und auch dafür, dass diese Arbeitswelt anders organisiert wird und besser mit Familienleben und Pflegearbeit vereinbart werden kann.

Umgekehrt waren es oft durch die Arbeit entstandene Kollektive, besonders die Arbeitervereine und Gewerkschaften seit dem 19. Jahrhundert, deren politische Kämpfe entscheidend dazu beitrugen, Fortschritte durchzusetzen. Regulierung der Arbeitszeit, Arbeitsschutzbestimmungen, wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen, Mitbestimmung — all diese Errungenschaften wären ohne den Einsatz dieser Gruppen nicht denkbar.

In den letzten Jahrzehnten allerdings wurde Arbeit oftmals extrem individualistisch gedacht. Viele der vorherrschenden Bilder und Modelle der Arbeitswelt, besonders im ökonomischen Bereich, gehen implizit oder explizit von einem radikalen Individualismus aus, als wären wir alle Robinson Crusoes auf einsamen Inseln, die nur gelegentlich zur Nachbarinsel paddeln, um Bananen gegen Kokosnüsse zu tauschen. Dabei wären die wenigstens von uns in der Lage, auch nur einige Tage auf Robinsons Insel zu überleben. Wir sind als arbeitende Individuen Teil eines komplexen Gesamtsystems, das mit anderen sozialen Systemen wie der Politik, der Kultur oder der Wissenschaft eng verwoben ist. Wimmelbilder, wie man sie aus Kinderbüchern kennt — oder auch die ähnlich angelegten Gemälde niederländischer Maler aus dem 16. Jahrhundert —, illustrieren viel besser, wie menschliche Arbeit funktioniert: durch das Ineinandergreifen unzähliger Aktivitäten, auf die man sich aber nur deshalb konzentrieren kann, weil andere Menschen anderen Aktivitäten nachgehen.

Wie dieses soziale System der Arbeitswelt aussieht, hängt maßgeblich davon ab, wie wir es gemeinsam gestalten, vor allem durch die Rahmensetzung innerhalb demokratischer Politik, aber auch durch die gemeinsame Verwirklichung kultureller Werte und Normen.

Die Sozialität menschlicher Arbeit ist eine ihrer ganz großen Stärken. Es kann beglückend und bereichernd sein, an arbeitsteiligen Systemen mitzuwirken — es sei denn, diese sind so organisiert, dass die arbeitenden Menschen Zwang, Schikane oder Ausbeutung ausgesetzt sind, wie das allzu oft der Fall war und ist. Die sozialen Strukturen der Arbeitswelt...

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