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Zur Geschichte evangelischer Ausbildungsstätten für Sozialarbeit in der Pfalz

Eine exemplarische Studie zur Professionalisierung und Akademisierung der Sozialen Arbeit seit 1945. Von der Evangelischen Schule für kirchlichen und sozialen Dienst (1948) über das Seminar für Sozialberufe in Speyer (1950) zu den Höheren Fachschulen für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (1970) und d

AutorArnd Götzelmann
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783748195993
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in der Pfalz nach einer Möglichkeit gesucht, Fachkräfte für den Neuaufbau des Jugendpflege-, Fürsorge- und Wohlfahrtswesens in einer protestantischen Ausbildungsstätte zu qualifizieren. Vorbilder solcher evangelisch-sozialen Frauen- oder Wohlfahrtsschulen gab es seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch in umliegenden Gebieten. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges hatten es allerdings schwer gemacht, solche Ausbildungsstätten wieder oder neu zu eröffnen. Der Bedarf an Sozialarbeit und dafür gut ausgebildeten Fachkräften war angesichts der Nachkriegsnöte und sozialen Probleme jedoch groß. Die Verantwortlichen in der Pfälzischen Landeskirche gründeten im Jahr 1948 die "Evangelische Schule für kirchlichen und sozialen Dienst" in Speyer und boten dort zunächst zwei Ausbildungsgänge für Gemeindehelferinnen und für Wohlfahrtspflegerinnen an. Damit war die erste protestantische Ausbildungsstätte für Sozialarbeit und Gemeindepädagogik in der Pfalz und für Rheinland-Pfalz eröffnet. Aus ihr ging mit der staatlichen Anerkennung im Jahr 1950 das "Seminar für Sozialberufe", ab 1964 mit dem Zusatz "Höhere Fachschule für Sozialarbeit", hervor, das 1970 nach Ludwigshafen am Rhein in einen Neubau umzog und dort noch für ein gutes Jahr zu den "Höheren Fachschulen für Sozialarbeit und Sozialpädagogik" umfirmierte bzw. erweitert wurde, bevor diese in der zum Oktober 1971 eröffneten Fachhochschule der Pfälzischen Landeskirche aufgingen. Die vorliegende Untersuchung möchte gleichermaßen einen Beitrag zur Professions-, Disziplin- und Institutionengeschichte der Sozialen Arbeit und kirchlich-diakonischer Berufe wie zur Zeitgeschichte der evangelischen Kirche mit ihrer Diakonie leisten. Sie widmet sich den evangelischen Ausbildungsstätten in der Pfalz im sekundären Bildungsbereich in den Jahren 1948 bis 1971 mit der entsprechenden Vorgeschichte seit 1945. Angefügt ist zudem ein Überblick über die Entwicklungen der sich anschließenden Bildungseinrichtung des tertiären Bereiches, der Evangelischen Fachhochschule in Ludwigshafen, von 1971 bis 2008. Die hier erforschten Entwicklungen zeichnen exemplarisch den Prozess der Professionalisierung des Berufes und den Weg der disziplinären Akademisierung der Sozialen Arbeit und z.T. auch der Gemeinde- bzw. Religionspädagogik nach.

Dr. Arnd Götzelmann ist Professor für Diakonik, Ethik und Sozialpolitik an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein, Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, und Privatdozent für Praktische Theologie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau.

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Leseprobe

1. Hintergründe zur Entstehung der ersten evangelischen
Ausbildungsstätte für Wohlfahrtspflegerinnen und
Gemeindehelferinnen in der Pfalz – die Vorgeschichte der
Schulgründung


Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es eine Reihe von Anlässen, die in Gesellschaft und Kirche den Neuaufbau des Fürsorge- bzw. Wohlfahrts- und Jugendpflegewesens in den Städten und Kommunen sowie der Diakonie und Sozialarbeit in den Kirchengemeinden nötig machte, wofür Fachkräfte zu qualifizieren waren. Zu diesen Anlässen gehörten vor allem die infolge des Zweiten Weltkrieges entstandenen sozialen Probleme, die Sondersituation der Pfalz innerhalb der französischen Besatzungszone, der Wieder- und z.T. Neuaufbau von Kirche und Diakonie und der große Bedarf an Fachkräften der Sozialarbeit. Diese Hintergründe erscheinen für die Gründung einer evangelischen Ausbildungsstätte für Wohlfahrtspflegerinnen in der Pfalz nach 1945 relevant und sollen zunächst kurz erhellt werden.

1.1. Not, Leid und soziale Probleme des Krieges in Deutschland

Durch den Tod von rund sechs Millionen Soldaten und Zivilpersonen im Zweiten Weltkrieg war Deutschland, das unaussprechliches Leid über die Welt gebracht hatte, „ein Land der Frauen und Greise“3 geworden: 1945 standen 37 Millionen Frauen nur 29 Millionen Männern gegenüber – die Gruppe der Männer zwischen 18 und sechzig Jahren war in die Minderheit geraten.4 Die Kriegsgefangenen kamen nach und nach wieder heim, waren aber oft körperlich und psychisch versehrt. Aus dem Osten kamen Flüchtlinge gen Westen mit ihren eigenen von Armut und Leid geprägten Bedarfen. Eine allgemeine Arbeitspflicht wurde eingeführt, wer keine Arbeitsbescheinigung nachweisen konnte, erhielt auch keine Lebensmittelkarten. Es fehlte in den ersten Jahren nach dem Krieg an allem: Lebensmittel, Wohnraum, Infrastruktur, Medikamente. Zunächst mussten die riesigen Schuttberge weggeräumt werden, ab ca. 1950 begann die Arbeitslosigkeit zum Problem zu werden, denn die Industrie funktionierte noch nicht wieder. „Das größte Problem der Jahre 1945 bis 1947 ist die Versorgung der über 11 Millionen Flüchtlinge.“5 Neben der Flüchtlingsfürsorge wurde die Gesundheitsfürsorge wichtig angesichts der durch Mangelernährung, psychische Krisen und Kriegsverletzungen beeinträchtigten großen Bevölkerungsteile.6 Die Überlastung der Frauen durch fehlende arbeitsfähige Männer, schwere körperliche Arbeit beim Wegräumen der riesigen Trümmerberge, dem Wiederaufbau der Wohnungen, der Kinderbetreuung, der zunehmenden Berufstätigkeit etc. machte eine spezifische Gesundheitsfürsorge ebenso nötig wie den Wiederaufbau der Familienfürsorge. Angesichts der arbeitslosen Jugendlichen, der verwaisten Kinder und Jugendlichen und einer angestrebten demokratischen Neuorientierung der Jugend wurden alle Formen der Kinder- und Jugendhilfe und -arbeit relevant von der Jugendberufshilfe über die Heimerziehung und Jugendfürsorge bis hin zu neuen, internationalen Formen der Jugendarbeit und der Jugendbegegnungen.7

1.2. Besonderheiten in der französischen Zone und die soziale Situation in der Pfalz

In der Pfalz herrschten durch die französische Besatzung z.T. andere politische Bedingungen als die in den drei anderen Besatzungszonen. So genossen die Kirchen große Handlungsfreiheit: „Die französische Militärregierung, in deren Zone die Pfalz lag, verfolgte eine insgesamt recht liberale Kirchenpolitik, insoweit die Kirchen nicht gegen elementare Richtlinien der Besatzungspolitik verstießen.“8 Geopolitisch markierte der Rhein für die wirtschaftlich ehemals stärkeren Gebiete der Vorderpfalz eine wichtige Grenze zwischen der amerikanischen Zone auf seiner rechten und der französischen auf seiner linken Seite.9 Bis Ende der 1940er-Jahre waren Einreisegenehmigungen von der amerikanischen in die französische Zone nötig. Die frühe Nachkriegszeit „war eine Zeit der gedrückten Grundstimmung. Die Sorge um die ständig bedrohte Existenz beherrschte das alltägliche Denken… Dabei war der Hunger keineswegs das einzige Problem der Zeit, wohl aber das zentrale“, schreibt Rothenberger und sieht in der Pfalz eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ aus ausgebombten hungernden Städtern und der bäuerlichen vom Hunger kaum betroffenen Landbevölkerung.10 Deshalb gebe es auch „nicht eine einzige, gleichsam für jedermann gültige Alltagsgeschichte der Nachkriegszeit. Die Wirklichkeit des Alltags sah sehr unterschiedlich aus.“11 Rothenberger zeigt das an verschiedenen Bereichen auf. Durchschnittlich waren rund 26 % der Wohnungen im Regierungsbezirk Pfalz zerstört oder beschädigt. Allerdings gab es große Unterschiede zwischen den Regionen: So wiesen Ludwigshafen und Zweibrücken mehr als 75 % zerstörte und beschädigte Wohnung auf, Landau ca. 50 %, Pirmasens 32 %. Speyer und die meisten nord- und westpfälzischen Landkreise lagen bei unter 8 %. In den ersten Nachkriegswintern konnte oft nur ein Raum – meist die Küche – pro Wohnung oder Haus geheizt werden. In den Immobilien fehlte es an Möbeln aller Art. Die Hungersnot war im Winter 1946/47 am Größten, Lebensmittel rationiert und die Versorgung divergierend zwischen bäuerlichen „Selbstversorgern“ und sonstigen „Normalverbrauchern“.12 Durch Hilfen der Mennoniten konnten im Winter 1946/47 140.000 Pfälzerinnen und Pfälzer gespeist werden, amerikanische Quäker gaben Nahrungs-, Kleider- und Heizmittelspenden in die Pfalz.13 Der Sommer 1947 war extrem heiß und gering an landwirtschaftlichem Ertrag, so dass ausländische Hilfen besonders durch den Marshallplan wichtig wurden. Erst im März 1950 konnten die Ernährungsämter schließen, damit war die Rationierung der Nahrung beendet. Die Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur war weitgehend zerstört und musste über viele Jahre mühsam aufgebaut werden. Über Rhein, Mosel, Lahn und Nahe gab es keine festen Brücken mehr – nur noch die Trierer Römerbrücke. Das französische Militär baute zuweilen schwimmende Behelfsbrücken für eigene Zwecke auf, wie das in Speyer bereits Anfang April 1945 geschah, als General de Gaulle mit seiner Armee den Rhein nach Osten überquerte.14 Ansonsten übernahmen Motorboote den Flussquerungsverkehr von Zivilpersonen über den Rhein. In Speyer wurde seit 1948 das Personenfährboot „Katharina“ eingesetzt; vom 12. Februar 1950 bis zum 3. November 1956 transportierte die größere Auto-Schnellfähre „Pfalz“ mehr als 2 Mio. Fußgänger, knapp 1,5 Mio. Radfahrer, fast eine halbe Mio. Motorradfahrer, 1 Mio. PKWs, 330.000 LKWs und 60.000 Busse über den Rhein; erst im November 1956 wurde die neu gebaute Rheinbrücke eröffnet.15 Bis zur Währungsreform 1948 – und langsam abklingend auch danach – existierte eine bedeutsame „Schattenwirtschaft“ mit den Elementen Schwarzmarkt, Tauschhandel, Schmuggel und Hamsterwesen. Die sozialen Probleme waren immens, besonders in den Städten. Die Zahl der Geflüchteten war in den ersten Nachkriegsjahren in der französischen Besatzungszone deutlich geringer als in den anderen drei Zonen: „Nach einer Statistik des Alliierten Kontrollrates vom Oktober 1946 betrug der Anteil der Flüchtlinge an der Bevölkerung in der sowjetischen Zone 20,8 %, in der amerikanischen Zone 16,3 %, in der britischen Zone 13,9 %, in der französischen Zone 1,5 %.“16 Denn Frankreich hatte anfangs systematisch versucht, Flüchtlinge nicht in seine Zone zu lassen: „General Koenig rühmte sich noch Ende 1948 damit. Als Gründe nannte er die eigene schlechte wirtschaftliche Situation und die Furcht, mit der Übernahme von vielen Flüchtlingen ein Element der Destabilisierung in der eigenen Zone zu erhalten. 1949 vermehrte sich der Zustrom der Flüchtlinge. Frankreich hatte aus außenpolitischen Gründen seine restriktive Haltung aufgeben müssen…“17

1.3. Kirchlicher Wiederaufbau in Deutschland und der Beginn einer diakonischen Sozialen Arbeit in der Pfalz

In der Zeit unmittelbar nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 gab es vorerst keine staatliche Zentralgewalt mehr. An die Stelle der NS-Reichsregierung war der Alliierte Kontrollrat in Berlin getreten, das alte Reichsgebiet großteils in vier Besatzungszonen aufgegliedert worden. Die Kirchen waren großteils in den Nationalsozialismus verstrickt gewesen, nur wenige christliche Einzelpersonen bzw. Gruppen waren offen oder im Untergrund in den Widerstand zum NS-Regime getreten. „Im Vergleich zu den staatlichen Stellen hatten die Kirchen den Krieg und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft organisatorisch relativ unbeschadet überstanden. (…) sie waren die einzigen Institutionen, die – wenn auch mit Beschränkungen –...

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