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E-Book

Theorie der Pflege und der Therapie

Grundlagen für Pflege- und Therapieberufe

AutorJohann Behrens
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl261 Seiten
ISBN9783456959160
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Erste Pflege- und Therapietheorie, die auf phänomenologisch- und neurowissenschaftlich-systemtheoretischer Grundlage nicht erst bei der Berufspflege, sondern bei der Selbstpflege und Selbsttherapie ansetzt, und nicht erst mit dem 19. Jahrhundert beginnt, sondern bei den frühen Pflege- und Therapietheorien 500 Jahre v.Chr. Das Fachbuch - beschreibt die erste (deutschsprachige) Pflege- und Therapietheorie - setzt bei der Selbstpflege und der Selbsttherapie an und unterscheidet sie von der Professionspflege und der Professionstherapie - greift über eine Zeitspanne von 2500 Jahren Pflege- und Therapietheorien und ihre Kritiken seit Platon und Goethe auf - weist ein historisch anthropologisch sowie ein empirisch klar umgrenztes System der Pflege und der Therapien in seiner historischen Ausdifferenzierung aus - nimmt die biologische und sozialwissenschaftliche Systemtheorie auf - führt klar und verständlich in die handlungstheoretischen und methodischen Grundlegungen von externer und interner Evidence ein - stellt die Bedeutung der Pflege und Therapie für die Selbstreflexion moderner Gesellschaften heraus - vergegenwärtigt, dass die Internetgesellschaft anders kommuniziert als die Buchdruckgesellschaft - zielt auf beruflich Pflegenden und Therapierenden ebenso wie auf alle anderen, die sich selbst pflegen und therapieren.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. 1 Übersicht: Historisch-anthropologische Theorie gewaltreduzierter Pflege und Therapie
  3. 2 Drei theoretische Fast-Selbstverständlichkeiten
  4. 3 Theorie der Selbstpflege und der Selbsttherapie
  5. 4 Kann ich Erfahrungen anderer auf mich verallgemeinern?
  6. 5 Professionspflege und Professionstherapie
  7. 6 Die entscheidenden Beiträge von Pflege und Therapie zur Gesellschaftstheorie
  8. Anhang
  9. Autoren- und Sachwortverzeichnis
Leseprobe
2 Drei theoretische Fast- Selbstverständlichkeiten

In diesem Kapitel versuchen wir uns drei theoretische Fast-Selbstverständlichkeiten zu vergegenwärtigen, auf die wir immer wieder als Basis-Verständnisse zurückkommen. Deshalb stellen wir sie eingangs zur Diskussion. Zunächst (Kap. 2.1) ist zu klären, was wir unter Theorie verstehen. Das ist nötig, weil in Pflege- und Therapiewissenschaften eine Fülle von „Konzepten“, Middle Range-, Meta- und Großtheorien unterschieden werden. Blumenbergs „absolute Metaphern“ erweisen sich hier als hilfreich (Blumberg, 1987). Im Kapitel 2.2 geht es um die Zentralbegriffe dieses Buches, deren inhaltlich konkrete Klärung jede einzigartige Klientin oder Klient für sich im Aufbau interner Evidence erarbeitet. Was heißt „Selbstbestimmung“ und „Teilhabe“ am Leben der Gesellschaft“ als Ziel von Pflege und Therapie? Im Kapitel 2.3 ist die praktisch folgenreiche Alternative zu behandeln: Pflege und Therapie lebender Wesen (offene Systeme) oder Pflege und Therapie von Uhrwerken (geschlossene Systeme)? Dabei ist die Frage nicht rhetorisch gemeint. Die Antwort wird sein: Mal so und mal so, je nach Aufgabenstellung. Aber die Aufgabenstellung kann nur von Subjekten entschieden werden, nicht von Maschinen.

2.1 Middle Range-, Metaund Großtheorien?

Muss man noch sagen, was eine Theorie ist und wozu sie nutzt? Die Antwort ist trivial: Ohne Theorie gäbe es kein Handeln. Das Wort „Theorie“ ist dem griechischen Begriff „theoria“ entnommen, der sich auf die Tätigkeiten des Anschauens und Betrachtens bezieht. Nur unter dem theoretischen Blick, also dem spezifisch gerichteten Anschauen des handelnden Subjekts wird ein Teil der Welt einem Subjekt als spezifische Umwelt sichtbar. Ohne subjektive Theorie sieht man gar nichts. Das haben bereits Jacob v. Uexküll (1973) und V. v. Weizsäcker (1955) im frühen 20. Jahrhundert für alle lebenden Wesen gezeigt. Nur handelnde Subjekte sehen etwas. Ohne subjektive Praxis keine Theorie. Der Mensch ist kein weißes Blatt Papier, auf das die Welt objektiv ihre Mitteilungen schreibt – kein für alle Eingriffe von außen „offenes“ maschinelles, sondern ein die Welt eigenständig interpretierendes „geschlossenes“ lebendes System.

Deswegen sieht nicht nur eine Schnecke eine Kreuzung ganz anders als der Autofahrer auf dem Weg zum Kindergarten. Auch das Kind des Autofahrers sieht – obwohl sie beide im selben Auto sitzen – ganz anderes als er: So sieht z. B. das Kind einen ganz kleinen Wauwau weit entfernt am Horizont, den der Vater gar nicht wahrnahm. Eine für Menschen intersubjektiv überprüfbare zusammenfassende Theorie der Umwelt ist also etwas ganz Alltägliches. Dennoch haben die Leserinnen und Leser dieses Buches ein Recht darauf zu erfahren: Wie steht dieses Buch zu den verbreiteten Sortierungen in Middle Range-, Meta- und Großtheorien? Wie steht dies Buch zu all den Pflege- und Therapietheorien einschließlich der absoluten Metaphern im Sinne Blumenbergs, die Pflege- und Therapieschüler früher jede für sich in einer Doppelstunde lernen mussten und die in vielen Klassifikationen sortiert waren? In Pflege und Therapie ist eine Einteilung von Theorien nach ihrem Abstraktionsgrad und ihrer Komplexität am verbreitetsten (vgl. Neumann- Ponesch, 2017, S. 71 ff.). Diese Einteilung geht auf den Soziologen Robert Merton (1949) zurück und wurde von dem Soziologen René König (1967) auch im deutschsprachigen Raum popularisiert. Auf dem niedrigsten Abstraktionsniveau stünden Empirische Regelmäßigkeiten und Alltagstheorien, es folgten Ad-hoc-Theorien zu bestimmten Phänomenen. Auf der dritten Stufe werden Mertons „middle range theories“ verortet, von René König als „Theorien mittlerer Reichweite“ übersetzt.

Sie unterscheiden sich von der nächsten Stufe, den komplexesten und zugleich abstraktesten Theorien, den so genannten „Grand Theories“ dadurch, dass die „middle range theories“ die abstrakten und zugleich komplexen Theorien sind, die gerade noch empirische Forschungen anleiten und durch empirische Ergebnisse widerlegt (falsifiziert) werden können. Grand Theories seien unfalsifizierbar. Sie beanspruchten die Erklärung der Entwicklung ganzer Gesellschaften oder ganzer Berufsgruppen, ohne empirisch widerlegt werden zu können. Das war natürlich von mühsam empirisch forschenden Fliegenbeinzählern polemisch gegen weit berühmtere Kollegen formuliert, die sich entspannt im Lehnstuhl unfalsifizierbare Grand Theories ausdächten. Robert Merton zielte unverkennbar auf die Theorie sozialer Systeme seines berühmten Kollegen Talcott Parsons. Forscherinnen und Forscher, deren empirische Untersuchungen drei Male hintereinander nicht die gewünschten Ergebnisse erbracht hatten, erklärten im vorigen Jahrhundert gern ironisch, sich hinfort nur noch dem Verfassen von Grand Theories widmen zu wollen. In der Pflege wurde diese Abfolge gern in eine noch höhere Abstraktionsstufe eingebettet, den Meta-Theorien.

Meta-Theorien meinten ursprünglich wohl Erkenntnistheorien über die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis und Theoriebildung, in ihnen wurden bald aber auch ethische Fragen der Pflege und Therapie eingeordnet. Walker und Avant verknüpften die genannten Ebenen der Theoriebildung, wobei sie die Theorien unterhalb der Theorien mittlerer Reichweite als „narrow- scope theories“ bezeichnen (Walker & Avant, 1998, S. 16), ins Deutsche gern übersetzt mit „praxisnahen Theorien“ (Neumann-Ponesch, 2017, S. 74). Grand Theories nennen Walker und Avant „globale Theorien“, die zu allgemein seien, um empirisch überprüft werden zu können (Walker & Avant, 1998, S. 10). In die globalen Theorien fallen überraschenderweise allerdings so konkrete Fragen wie die, welche Bedürfnisse Patientinnen hätten, als sei die jeweilige Antwort unfalsifizierbar. Vielleicht zu Recht verorten Walker und Avant dann alle bekannten, an Universitäten gelehrten Pflegetheorien als globale, empirisch nicht falsifizierbare Theorien – in alphabetischer Reihenfolge seien das die Theorien von Henderson, Johnson, King, Leiniger, Levine, Neumann, Newman, Orem, Orlando, Parse, Peplau, Rogers, Roy, Tavelbee, Watson und Wiedenbach. Dass das eine traurige, vielleicht sogar vernichtende Feststellung über alle diese Theoretikerinnen sei, sehen Walker und Avant allerdings nicht so.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis7
1 Übersicht: Historisch-anthropologische Theorie gewaltreduzierter Pflege und Therapie15
1.1 „Selbstständigkeit“ oder „Selbstbestimmung“?15
1.2 Selbstpflege und Berufspflege, Selbsttherapie und Berufstherapie16
1.3 Kernmethode: Aufbau interner und externer Evidence20
1.4 Professionspflege und Professionstherapie21
1.5 Die älteste moderne Pflegetheorie22
1.6 Historische Scheidewege pflegerischer und therapeutischer Berufe23
1.7 Didaktik und die Arbeitsfähigkeit der Professionen24
1.8 Pflege und Therapie verbu?rgen den Gerechtigkeitsdiskurs24
1.9 Was in diesem Buch nicht steht25
2 Drei theoretische Fast-Selbstverständlichkeiten31
2.1 Middle Range-, Meta- und Großtheorien?31
2.2 Pflege- und Therapieziel: Selbstbestimmung und Teilhabe37
2.2.1 Inklusion und Teilhabe37
2.2.2 ICF-Unterscheidung zwischen Aktivitäten und Teilhabe43
2.3 Pflege und Therapie von Lebewesen oder Maschinen?49
2.3.1 Erkenntnistheoretische Selbstverständlichkeiten gegen Descartes, Locke und Hume50
2.3.2 Lebewesen reagieren auf ihre eigene Bedeutungszuschreibung51
3 Theorie der Selbstpflege und der Selbsttherapie55
3.1 Was ist Pflege – empirisch im Alltag?55
3.2 Gepflegt sein56
3.2.1 Allgegenwärtige konstitutive Merkmale und Ziele56
3.2.2 Kontemplative und beratende Wissenschaft58
3.2.3 Wissenschaftliche Pflegeratgeber richtigen Lebens59
3.2.4 Verschränkung von Familie und (Pseudo-)Wissenschaft62
3.2.5 Kulturbeutel: Das Apollinische und Dionysische der Pflege64
3.2.6 Familienpflege: Liebe und Hass66
3.2.7 Mit dem eigenen Körper fremd: „Krise“ statt „Krankheit“67
3.2.8 Ausweglos im Diskurs gefangen?70
3.3 Scheitern der Theorie kultureller Evolution?72
4 Kann ich Erfahrungen anderer auf mich verallgemeinern?79
4.1 Wissenschaftsmethoden sind kein alleiniges Thema fu?r Professionen79
4.2 „Quantitative“ Untersuchungen ergeben nur Sinn als Teil qualitativer Studien81
4.2.1 Gegenstandsbezogene Wahl zwischen Methoden81
4.2.2 Wann sind Interviews der Königsweg zu externer Evidence?84
4.2.3 Induktionen und Deduktionen als Schritte derselben Untersuchungskette87
4.2.4 Entgegensetzung der Gu?tekriterien qualitativer und quantitativer Verfahren?90
4.2.5 Gleichsetzung von Gu?tekriterien mit Techniken93
4.2.6 Fazit95
4.3 Wann sind Ergebnisse klinischer Feldstudien auf mich verallgemeinerbar?95
4.3.1 Übersicht: Generalisierbarkeit auf externe und interne Evidence96
4.3.2 Erleichtert oder erschwert „Natu?rlichkeit“ die Generalisierbarkeit 1 auf externe Evidence?100
4.3.3 Die „realweltliche Natu?rlichkeit“ prozessproduzierter Daten100
4.3.4 Natu?rlichkeit, UTOS und der Grad der Realitätsnähe101
4.3.5 Goldstandard: Experimentiere nur mit Deinem Klienten?102
4.3.6 Was spricht gegen den verblu?ffenden Goldstandard?105
4.3.7 Gegen eine eindimensionale Graduierung107
4.4 Zweite Generalisierung: Die Übertragung auf individuelle Klienten109
4.4.1 Von der Generalisierung 1 zur Generalisierung 2109
4.4.2 Die schlechte und die gute Nachricht110
4.4.3 Interne Evidence zur Vermeidung induktiver Fehlschlu?sse112
4.4.4 Die Falle ungepru?fter Berufserfahrung117
4.4.5 Ku?nstliche Intelligenz und individuelle Generalisierung118
4.5 Aufbau interner Evidence mit Freundinnen und Professionen119
4.5.1 Cronbachs Dilemma gelöst119
4.5.2 Leuchtturm-Metapher und juristische Subsumtion120
4.5.3 Haftungsvermeidung als oberstes Ziel?121
4.5.4 Mythen der Professionstheorie123
4.5.5 Triadische Beziehung125
4.6 Vier Weltbezu?ge kommunikativer Handlungen128
4.6.1 Unterstu?tzung beim Aufbau interner Evidence128
4.6.2 Peplaus Rollen und neuere Interaktionsanalysen135
4.6.3 Doch getrennte Behandlung von Körper und Seele?141
4.7 Interne Evidence bei schweren kognitiven Einschränkungen145
4.8 Klinische Forschung ist Grundlagenforschung148
5 Professionspflege und Professionstherapie153
5.1 Was Professionen in Pflege und Therapie ausmachen153
5.1.1 Respekt vor der Autonomie der Lebenspraxis153
5.1.2 Die gängigen neun Attribute von Professionen verfehlen den Kern156
5.1.3 Unterscheiden sich Professionen wirklich von Viehzu?chtern?160
5.1.4 Respekt versus Propaganda160
5.1.5 Stellvertretung und Respekt vor der autonomen Lebenspraxis161
5.2 Im System pflegerischer gesundheitsförderlicher Unterstu?tzung: Gesundheitsapostel und Professionen162
5.2.1 Warum Evolution zweier Funktionssysteme?162
5.2.2 Das System pflegerischer gesundheitsförderlicher – diätetischer –Unterstu?tzung165
5.2.3 Die funktionsspezifischen generalisierten Kommunikationsmedien und die „Gesundheitsgesellschaft“167
5.3 Das System und das versittlichende Bildungsbu?rgertum169
5.3.1 System und Profession – Experten169
5.3.2 Arbeitsteilung, Hierarchie und Haftung in den Systemen171
5.3.3 Legitimität der Krankenbehandlung vs. Legitimität der Gesundheitsförderung173
5.3.4 Verhältnis der bei den Systeme zueinander174
5.4 Ungleich in der Gesundheitsgesellschaft176
5.4.1 Stadien und Identität der Gesundheitsgesellschaft176
5.4.2 Kant: selbstbestimmte Teilhabe im Aufbau interner Evidence179
5.4.3 Risiken und Nebenwirkungen der „Gesundheitsgesellschaft“180
5.4.4 Nicht genu?gen zu können macht krank181
5.4.5 Grenzen der verku?rzten Rezeption Bourdieus182
5.4.6 Intellektuelle Versittlicher des Volkes und der Herren183
5.5 Umschlag von Evidence in institutionelle Eminenz184
5.5.1 Medien und Rechtsprechung fordern Eminenz statt Evidence184
5.5.2 Gefangen in Diskurs und Doxa?189
5.6 Professionalisierungspfad zwischen Standard-Gehorsam und individuellem Holismus190
5.6.1 The German (?) Paradox190
5.6.2 Historische und alltägliche Wurzeln des Holismus192
5.6.3 Standards ohne Verfallsdatum196
5.6.4 Historische und alltägliche Wurzeln des Standard-Gehorsams197
5.7 Arbeitsfähigkeit und Qualität198
5.7.1 Warum Ethik immer so stark betont wird198
5.7.2 Monopolisierung der Erwerbschancen gegen Aufbau externer Evidence201
5.7.3 Verzicht auf sexuelle und ähnliche, z. B. pädagogische Übergriffe206
5.7.4 Schweigepflicht (Abstinenzgebot)207
5.7.5 Niemals schaden? Nutzen oft nur mit Risiko erreichbar208
5.7.6 Honorarverzicht bei Armen210
5.7.7 Als Lohn ewiges Leben: „Ansehen unter allen Menschen fu?r alle Zeiten“211
5.7.8 Didaktik individueller Professionalisierung212
6 Die entscheidenden Beiträge von Pflege und Therapie zur Gesellschaftstheorie223
Anhang229
Danksagung und Widmung231
Persönlicher Dank an Studierende fu?r ihre Argumente235
Literatur241
Nachwort251
Autoren- und Sachwortverzeichnis253

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