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E-Book

Die Schulz-Story

Ein Jahr zwischen Höhenflug und Absturz - Ein SPIEGEL-Buch

AutorMarkus Feldenkirchen
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641227654
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Das Buch zur Nannen-Preis-gekrönten »Reportage des Jahres«
Noch nie hat ein Politiker so einen rasanten Aufstieg und so einen tiefen Fall erlebt wie Martin Schulz. Während er zu Beginn des Wahlkampfs als Retter der SPD und möglicher Bundeskanzler galt, ist er ein Jahr später mit seinem Anspruch, eine andere, ehrlichere Politik zu machen, auf ganzer Linie gescheitert. Erst verlor er die Wahl, dann den Rückhalt der Partei und seine Posten. Markus Feldenkirchen hat Martin Schulz durch die Höhen und Tiefen des Wahlkampfs und den darauffolgenden Absturz begleitet, so exklusiv und hautnah, wie es in Deutschland bislang nicht möglich gewesen ist - selbst am Abend vor seinem Rücktritt. Eindrucksvoll erzählt er in seinem Buch nun die ganze Geschichte eines politischen und persönlichen Dramas.

Markus Feldenkirchen, geboren 1975, studierte in Bonn und New York und absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München. Seither arbeitet er als Redakteur und Reporter in Berlin, seit 2004 beim SPIEGEL. Er war Korrespondent in Washington, wo er den Aufstieg Donald Trumps beobachtete, mittlerweile ist er als politischer Autor im Hauptstadtbüro. Seine journalistische Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Axel-Springer-Preis für Nachwuchsjournalisten. Er ist Autor zweier Romane »Was zusammengehört« (2010) und »Keine Experimente« (2013). Seine Reportage über den Wahlkampf von Martin Schulz »Mannomannomann« wurde als »Reportage des Jahres 2017« und mit dem Nannen Preis ausgezeichnet, er selbst wurde für diese Leistung als »Journalist des Jahres 2017« geehrt.

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Leseprobe

TAGE DER UNGEWISSHEIT


Wie man Kanzlerkandidat wird


»Schaff ich das?«


Vorfreude und Selbstzweifel

Seit vielen Jahren verbringt Martin Schulz seine Berliner Nächte im Mövenpick Hotel am Anhalter Bahnhof, weil es die wichtigsten Ansprüche erfüllt, die er an ein Hotel in der Hauptstadt hat: Es liegt in der Nähe des Willy-Brandt-Hauses, verzichtet auf Schnickschnack und das Essen schmeckt.

Im Herbst 2016 ist Schulz häufiger als sonst in Berlin, auch an diesem Abend Mitte Oktober. Seine Zeit als Präsident des Europäischen Parlaments neigt sich dem Ende zu. Er würde gerne noch eine Amtszeit dranhängen, aber das lassen die Konservativen in Brüssel offenbar nicht zu. Bald wird er jenen Job, den er fast fünf Jahre lang mit Begeisterung ausgeübt hat, wohl los sein. Da schadet es nicht, nach neuen Aufgaben in der Bundespolitik Ausschau zu halten. Sein Freund Sigmar Gabriel, Parteivorsitzender der SPD, Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister, hat ihm im Sommer anvertraut, dass er die Kanzlerkandidatur bei der anstehenden Bundestagswahl womöglich nicht selbst übernehmen werde. Er, Schulz, sei die einzig denkbare Alternative. Allerdings, so Gabriel, habe er seine Entscheidung noch nicht getroffen. Wie sie ausfallen wird, ist ungewiss.

Die Ausgangslage der SPD für die Bundestagswahl ist zu diesem Zeitpunkt miserabel bis aussichtslos. Obwohl die Partei und ihr Vorsitzender Gabriel in der Großen Koalition weit mehr Projekte durchsetzen konnten, als es für einen kleineren Koalitionspartner üblich ist, leiden beide unter chronischem Liebesentzug durch die Wähler. Während der vergangenen Jahre schaffte es die SPD in den Umfragen kaum über 25 Prozent. Im Herbst 2016 nähert sie sich unaufhaltsam der 20-Prozent-Marke an. Gabriel selbst gelingen in diesem Herbst zwar einige politische Erfolge, die Rettung von Arbeitsplätzen bei Kaiser’s Tengelmann, die Verabschiedung des Freihandelsabkommens Ceta und später die Nominierung von Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsidentenkandidat, aber seinem persönlichen Ansehen bei der Bevölkerung hilft all das nicht. Er gilt vielen Bürgern als unstet und wenig vertrauenswürdig.

Trotz der schlechten Ausgangslage und auch wenn es nervt, von der Entscheidung seines Freundes abhängig zu sein, beflügelt Schulz die Aussicht, dass bald etwas Großes auf ihn zukommen könnte. Insgeheim hat er sich auf diese Chance sogar vorbereitet, geistig wie körperlich. Mit Hilfe der »Schulz-Diät«, wie er sie nennt, konnte er im vergangenen Jahr erfolgreich abspecken. Er mache einfach FdH (Friss die Hälfte), erklärt er Fisch essend im Restaurant des Mövenpick. Wobei man gelegentlich richtig schlemmen sollte, damit der Körper nicht in den Krisenmodus schalte. Hat ihm sein Personal Trainer empfohlen. Mehr als zehn Kilo seien schon runter, sagt er stolz.

Neben der Vorfreude gibt es an diesem Abend aber auch Momente der Nachdenklichkeit und des Zweifels. Den Vorsitz der SPD würde er sich zutrauen, sagt Schulz, weil er glaube, die Partei einen zu können. Auch die Kanzlerkandidatur traut er sich zu, er glaubt, ein ordentliches Ergebnis holen zu können. Ein paar Gedanken über seine mögliche Kampagne hat er sich bereits gemacht. Es fallen Schlüsselwörter wie Stolz, Respekt oder die Wendung von den »hart arbeitenden Menschen«, mit denen er ein paar Monate später tatsächlich antreten wird. Wenn er Kandidat wäre, würde er sagen: Wir sind die Partei der hart arbeitenden Mehrheit im Lande, die sich an die Regeln hält, die die Demokratie bejaht und die endlich respektiert werden will. »Zack, da hast du es. Da kriegst du die Leute.« Aber die Begeisterung in seinem Gesicht verglüht rasch wieder. »Tja, und dann führt dich so was ins Kanzleramt. Aus Versehen. Und was machst du dann?«

Er schaut kurz an die Decke und windet sich im Stuhl. »Dann stell ich mir die Frage: Schaff ich das? Bin ich dafür tough genug?« Wenn er sich jetzt vorstelle, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden, fange sein Puls an, in die Höhe zu gehen, sagt er im Herbst 2016. »Nicht aus freudiger Erregung, sondern aus Muffe.« Wenn man Angst habe, würden die Leute das merken, das könne man nicht verheimlichen. »Deshalb muss ich mir die Frage vorher stellen.« Er will sich eindringlich prüfen, ob er dieser Herausforderung gewachsen ist. Nur dann will er antreten.

Schulz erinnert an seinen Freund, den glücklosen François Hollande, der zu diesem Zeitpunkt noch französischer Staatspräsident ist und den er oft in seinem Präsidentenpalast besucht hat. Hollande scheitere ja gerade, sagt Schulz. Weil er der am schlechtesten vorbereitete Präsident gewesen sei, den die Republik je hatte. Ein Zauderer und Zögerer. »So möchte ich nicht enden.« Er sei zwar ein anderer Typ als Hollande, aber er frage sich gerade schon: Kommst du am Ende ins Kanzleramt, weil der Gabriel ein Zauderer war? Ist dein Durchmarsch das Resultat der Zögerlichkeit eines anderen? Bin ich vorbereitet genug? Hab’ ich die Nerven dazu? »Das geht mir im Kopp rum.«

So vergehen Monate. Während Gabriel sich fragt, ob er will, fragt Schulz sich, ob er es kann.

»Du musst es machen«


Die planlose Kandidatur

Wenige Wochen nach dem Gespräch im Mövenpick hat Schulz sich entschieden. Doch, er traue sich das zu, sagt er und klingt schwer entschlossen. Er hofft sogar, dass sich mit ihm ein gewisser Bernie-Sanders-Effekt ergeben könne. Gabriel aber ist von einer Entscheidung immer noch weit entfernt. Als sich abzeichnet, dass Frank-Walter Steinmeier für das Amt des Bundespräsidenten nominiert werden wird, steht plötzlich auch der Posten des Außenministers zur Verfügung. Für Schulz oder für Gabriel.

Im Oktober beschließen die beiden, eine Umfrage in Auftrag zu geben, um herauszufinden, wer von ihnen die größeren Chancen als Kanzlerkandidat hat. Sie tüfteln gemeinsam an den Fragen, die den Bürgern gestellt werden sollen. Im November spezifizieren sie diese noch einmal. Insgesamt drei Umfragen gibt Gabriel im Spätherbst 2016 in Auftrag, so heimlich, dass kaum jemand in der Parteizentrale davon etwas mitbekommt, obwohl die SPD dafür zahlt. Es ist der Versuch, den aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten mit den Mitteln der Demoskopie zu finden.

In der Öffentlichkeit lässt Gabriel derweil kaum einen Zweifel daran, dass er selbst antreten wird. Im Dezember und Januar gibt er eine Reihe von Interviews, in denen er sich entsprechend äußert. Vor Weihnachten bittet er einen geschätzten Berater, ihm ein Papier zu schreiben. Der Inhalt: Wie sich seine eigene Kandidatur begründen ließe. Selbst Schulz geht zum Jahreswechsel fest davon aus, dass sein Freund selbst antreten wird, auch wenn der ihn weiter im Ungewissen lässt. Später wird Gabriel sagen, dass er schon Monate zuvor entschieden habe, Schulz die Kandidatur zu überlassen. Er habe seinen Freund aber bewusst nicht eingeweiht, weil dieser eine Entscheidung dieser Tragweite nicht hätte für sich behalten können, was im Übrigen völlig nachvollziehbar sei. Leute aus Gabriels engstem Umfeld sagen jedoch, der damalige Parteivorsitzende sei völlig planlos gewesen und habe bis zum letzten Tag nicht gewusst, wie er entscheiden solle.

Für den 21. Januar 2017, einen Samstag, bittet Gabriel seinen Freund zum Gespräch auf das Schloss Montabaur, um ihm endlich mitzuteilen, wie seine Entscheidung ausgefallen ist. Am Abend vor der Begegnung sitzt Schulz zu Hause in Würselen mit seiner Frau Inge und einem Freund und engem Vertrauten aus Brüsseler Tagen. Sie spekulieren darüber, wie Gabriel sich wohl entschieden hat. »Ich glaube, er macht es nicht«, sagt der Freund. Gabriel sei ein rationaler Mensch, er wisse, dass er als Kanzlerkandidat der SPD keine Chance habe. Schulz ist anderer Auffassung. Er hält es zwar für denkbar, dass Gabriel bereit sei, ihm die Kandidatur zu überlassen, nicht jedoch den Parteivorsitz. Den aber hatte Schulz zur Bedingung für eine Kandidatur gemacht. Für eine erfolgreiche Kampagne, so sein Argument, müssten Kandidatur und Parteivorsitz in einer Hand liegen.

Schulz geht fest davon aus, demnächst Außenminister zu sein. So hat er Gabriels Signale der vergangenen Wochen verstanden. Er freut sich nun auch auf die neue Aufgabe. Sein Sprecher Markus Engels hat die Planung für die ersten Wochen im Außenministerium bereits abgeschlossen. Sie haben darüber gesprochen, wohin die ersten Reisen des Außenministers Schulz gehen sollen und welche Botschaft sich mit diesen Ländern verbinden lässt. Mit dem SPIEGEL ist ein Interview für die kommende Woche vereinbart. Darin, so kündigen seine Leute an, wolle Schulz seine Pläne als Außenminister skizzieren.

Als er am späten Nachmittag des 21. Januar von Würselen nach Montabaur fährt, ist Schulz überzeugt, dass er als designierter Außenminister zurückfahren wird, während Gabriel sich als Kanzlerkandidat aus der Regierung zurückzieht. Das hatten sie schon vor längerer Zeit verabredet: Wer auch immer Merkel herausfordert, solle nicht zugleich in ihrem Kabinett sitzen. So könne man die Kanzlerin glaubwürdiger attackieren.

»Du musst es machen«, eröffnet Gabriel das Gespräch auf dem Schloss. Er will Schulz die Umfragen zeigen, deren Fragen sie gemeinsam erdacht haben. Sie belegen, wie unbeliebt Gabriel ist, und legen den Schluss nahe, dass er bei den Bürgern für immer unten durch ist. Schulz’ Werte sind deutlich besser.

»Ich kenne die Umfragen«, sagt Schulz. Er realisiert auch, dass es Gabriel schwerfällt, den Parteivorsitz aufzugeben. Doch es gibt gute Gründe, auf der Amtsübergabe zu bestehen. Vier Jahre zuvor hatte...

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