2. Zwei Lehren aus Ländern mit Überschüssen
Der erste Teil des Buches hat gezeigt, wie groß die Hoffnungen sind, die mit Deutschlands schwarzer Null verbunden werden. Der zweite und der dritte Teil stellen nun die Frage, ob diese Hoffnungen auch realistisch sind. Können Deutschlands Überschüsse dauerhaft bewahrt werden? Haben progressive oder marktliberale Visionen eines Überschusses bessere Aussichten, sich durchzusetzen? Vor allem aber: Ist es gerechtfertigt, den ausgeglichenen Bundeshaushalt als »historische Zeitenwende« zu begreifen?
Antworten auf diese Fragen sind nicht ganz einfach zu finden. Da die Bundesrepublik seit mehr als vier Jahrzehnten keine Überschüsse mehr erzielt hat, fehlen nämlich schlicht die Erfahrungswerte, aus denen sich solche Antworten ableiten ließen. Der Blick in die deutsche Geschichte lehrt viel über den Umgang mit Defiziten, aber fast nichts über den Umgang mit Überschüssen. Politische Absichtserklärungen dazu, was mit den Überschüssen geschehen soll, gibt es dagegen zuhauf. Diese könnten sich jedoch leicht als bloße Rhetorik erweisen. Sie sind deshalb ebenfalls kaum als Fundament für eine aussagekräftige Prognose geeignet.
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die Perspektive zu wechseln und den Blick zunächst von Deutschlands schwarzer Null zu lösen. Antworten auf die gestellten Fragen lassen sich nämlich sehr viel besser finden, indem man die Erfahrungen anderer Länder mit Überschüssen betrachtet. Diese bilden die beste verfügbare Grundlage für Prognosen über die weitere Entwicklung der schwarzen Null. Deshalb fasst dieses Kapitel die Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung von Haushaltsüberschüssen in entwickelten Demokratien zusammen (Haffert 2015).
Die Zahl der Länder, die bereits Erfahrungen mit Haushaltsüberschüssen gesammelt haben, ist dabei überraschend groß. Auf den folgenden Seiten stelle ich diese Vergleichsfälle genauer vor. Ich frage zunächst, auf welche Weise diese Länder ihre Haushalte ausgeglichen haben und wovon es abhing, ob sie dauerhaft schwarze Zahlen schreiben konnten. Dabei werden wir sehen, dass mit den Überschüssen ganz ähnliche Hoffnungen verbunden wurden wie aktuell in Deutschland. Deshalb lohnt es sich besonders, anschließend zu untersuchen, wie diese Länder ihre Überschüsse verwendet haben.
Die Ergebnisse dieser vergleichenden Analyse halten zwei wichtige Botschaften für den deutschen Fall bereit. Zunächst einmal konnte überhaupt nur eine Minderheit der Länder ihre Überschüsse auch dauerhaft bewahren. In der Mehrheit der Fälle blieben Überschüsse nur eine Episode und wurden bereits nach wenigen Jahren wieder durch Defizite abgelöst. Ein ausgeglichener Haushalt stellt also allenfalls einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer dauerhaften Sanierung der Staatsfinanzen dar.
Noch wichtiger sind aber die Ergebnisse zur Verwendung der Überschüsse. Wie die Analyse zeigt, konnten sich marktliberale Vorstellungen dabei klar durchsetzen: Anstatt, wie von der progressiven Überschussvision erhofft, mehr zu investieren, senkten die Überschussländer vor allem ihre Steuern. Die Hoffnung auf eine Rückkehr staatlicher Handlungsfähigkeit erfüllte sich somit nicht. Stattdessen blieben die Länder in einer dauerhaften Austeritätsspirale gefangen.
Das dritte Kapitel des Buches verwendet diese Ergebnisse dann, um einige vorsichtige Prognosen über die Zukunftsaussichten der deutschen schwarzen Null abzuleiten. Bestätigen sich die Erfahrungen anderer Länder, besteht dabei wenig Anlass zur Euphorie. Das gilt für die Chancen auf eine dauerhafte Bewahrung ausgeglichener Haushalte, vor allem aber für die Chancen einer Verwirklichung der progressiven Überschussvision. Wer eine Stärkung des deutschen Investitionsstaates anstrebt, sollte seine Hoffnungen eher nicht auf die schwarze Null setzen.
Wo Überschüsse nichts Ungewöhnliches sind
Die mediale und politische Allgegenwart staatlicher Schuldenkrisen und der Umstand, dass selbst der vermeintliche fiskalische Musterschüler Deutschland 45 Jahre lang keinen ausgeglichenen Bundeshaushalt erzielen konnte, verführen zu der Annahme, staatliche Überschüsse seien generell ein äußert seltenes Phänomen. Diese Annahme ist jedoch falsch. Tatsächlich sind Deutschlands viereinhalb Jahrzehnte ohne ausgeglichenen Bundeshaushalt im internationalen Vergleich sogar die Ausnahme. Unter den langjährigen Mitgliedern der Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weisen nur fünf andere Länder, nämlich Frankreich, Italien, Griechenland, Portugal und Österreich, eine ähnlich lange Strecke ununterbrochener Defizite auf (vgl. Tab. 2.1). Dagegen erzielten so unterschiedliche Staaten wie die USA, Schweden, Neuseeland oder die Niederlande auch in den vier Jahrzehnten seit dem Ende des Wirtschaftswunders mehrjährige Haushaltsüberschüsse. Einige von ihnen bewahrten diese Überschüsse sogar für mehr als eine Dekade. Selbst wenn man das ölreiche Norwegen und den Finanzplatz Luxemburg aus dem Vergleich herausnimmt, schrieben die entwickelten Demokratien durchschnittlich in etwa jedem fünften Jahr schwarze Zahlen. Ausgeglichene Haushalte waren also auch in einer Zeit, in der Staatsverschuldung weltweit als dominierendes Problem wahrgenommen wurde, bei Weitem nicht so ungewöhnlich, wie allgemein unterstellt. Offenbar geben repräsentative Demokratien keineswegs zwingend immer mehr Geld aus, als sie einnehmen.
Tab. 2.1: Überschüsse in entwickelten Demokratien 1980-2014
Land | Anzahl Überschüsse | Jahre mit Überschüssen |
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Australien | 11 | 1989, 1997-2000, 2002-2007 |
Belgien | 4 | 2001-2002, 2006-2007 |
Dänemark | 12 | 1986-1988, 1999-2001, 2004-2008, 2014 |
Deutschland | 3 | 2000, 2007, 2014 |
Finnland | 22 | 1980-1990, 1998-2008 |
Irland | 10 | 1997-2001, 2003-2007 |
Island | 9 | 1980-1982, 1984, 1999-2000, 2005-2007 |
Luxemburg | 21 | 1990-1991, 1993-2003, 2005-2008, 2011-2014 |
Neuseeland | 15 | 1994-1997, 2000-2008, 2013-2014 |
Niederlande | 5 | 1999-2000, 2006-2008 |
Norwegen | 33 | 1980-1991, 1994-2014 |
Schweden | 13 | 1987-1990, 1998-2001, 2004-2008 |
Quelle: OECD 2015
Die vergleichende Analyse staatlicher Überschüsse kann sich also auf eine überraschend reichhaltige empirische Grundlage stützen. Bevor die Ergebnisse dieser Analyse vorgestellt werden, sind allerdings einige methodische Vorbemerkungen angebracht. Bislang hat sich die Darstellung der schwarzen Null auf den Bundeshaushalt konzentriert, der jedoch nur ein Viertel der gesamten deutschen Staatstätigkeit repräsentiert. Fast drei Viertel der deutschen Staatsausgaben werden von den Ländern, den Gemeinden und den Sozialversicherungen getätigt. In anderen, nichtföderalen Staaten ist der Anteil der Zentralregierung dagegen deutlich größer. Das macht einen Vergleich der obersten Regierungsebenen schwierig, weil diese sehr unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Sinnvoller ist es daher, aggregierte Zahlen für alle staatlichen Ebenen zu verwenden. In dieser gesamtstaatlichen Perspektive erzielte Deutschland, trotz Defiziten im regulären Bundeshaushalt, bereits in den Jahren 2000 und 2007 Überschüsse. Im Jahr 2000 waren dafür die Erlöse aus der Versteigerung von UMTS-Lizenzen verantwortlich, während der Überschuss des Jahres 2007 vor allem auf die Sozialversicherungen zurückgeht.
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