ARCANUM
Die Arroganz der Macht
Geheimdienst und Fiktion
Ohne Spione gäbe es keine spannende Literatur, gäbe es nicht Graham Greene und John le Carré, gäbe es nicht solche Filme wie Sydney Pollacks berühmten »Die drei Tage des Condor«. Dort findet man auch den innigsten Konnex zwischen Spionage und Fiktion: Robert Redford als CIA-Agent liest sich durch Hunderte von Spionage-Thrillern, um seinen Oberen Tipps fürs wirkliche »Geschäft« geben zu können. Die Literatur braucht die Geheimdienste ebenso wie die Geheimdienste auf die Literatur angewiesen sind. Im Augenblick scheint allerdings vieles dafür zu sprechen, dass sich dieses gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zulasten des Realen und damit entschieden zugunsten des Fiktionalen entwickelt hat.
Wie anders wäre beispielsweise die Berichterstattung des amerikanischen DIA aus dem Vorkriegs-Irak zu deuten? All diese gruseligen A-, B- und C-Waffen, die Saddam gehortet haben sollte, erwiesen sich wenig später als – Requisiten für den neuen James-Bond-Film. Es scheint, als habe der Geheimdienst eher an dessen Drehbuch gearbeitet, als ein außenpolitisches Szenario zu entwerfen. Und jetzt zeigt sich, dass sich bei der Realisation dieses Plots auch die deutschen Geheimagenten ähnlich glanzvoll für die Filmkunst verdient gemacht haben. Jener von Kinderhand gestrichelte Schneckenplan mit den Verteidigungslinien der irakischen Armee um Bagdad, dieser hinreißende Internetauftritt des lustigen BND-Agenten Reiner M. auf seiner Homepage – mit Foto! –, so etwas kann es doch nicht in Wirklichkeit geben, das kann doch nur gut erfunden sein.
Dass das Geheimdiensttreiben weniger von irgendwelchen realen Begebenheiten als von der Lust am Gebrauch der Phantasie gesteuert wird, zeigt auch das Verhalten des Parlamentarischen Kontrollgremiums PKG. Die Mitglieder dieses auf absolute Geheimhaltung verpflichteten Geheimdienstausschusses hatten in der letzten Woche nichts Dringlicheres zu tun, als ihre geheimsten Geheimnisse fröhlich der Öffentlichkeit zu verkünden. Da diese »Geheimnisse« eher verwegenen Spekulationen glichen, stellt sich die Frage, ob das PKG da nicht einem elementaren Bedürfnis des Wahlvolkes nach gut ausgedachten Agentenpistolen entgegenkam und: ob dieses Wahlvolk nicht ein Recht auf mehr von diesem Stoff hat.
Entschieden mit »Ja« beantwortete John le Carré diese Frage in seinem Roman »Der Schneider von Panama«. Dieser Schneider – Harry Pendel mit Namen – wurde von einem britischen Spion selbst zur Spionage erpresst. Da er aber an tatsächliche Informationen nicht herankam, erfand er welche, steigerte sich dabei in einen wahren Phantasierausch und lieferte am Schluss eine so hanebüchene Verschwörungstheorie, dass dem Geheimdienst Ihrer Majestät erhebliche Zweifel an der Geschichte kamen und er daraufhin die geplante Intervention absagte.
Womit le Carrés Roman den Weg in die Zukunft geheimdienstlichen Wirkens gewiesen hat: Je toller und gewagter die Spione ihre Informationen frei erfinden, desto sicherer der Weltfriede. Außerdem könnte so das ganze Geheimdienstwesen erheblich preisgünstiger gestaltet werden. Denn statt für teures Geld in der Welt herumzufahren, würden die Agenten ihre Arbeit gleich in den Drehbuchwerkstätten der heimischen Filmindustrie erledigen.
(März 2006)
Arcanum – Staatsgeheimnis
Droht der Verrat von Staatsgeheimnissen, befindet sich ein Staat in allergrößter Gefahr. Betrachtet man das Verhalten der Bundesregierung, seit sie von einer Großen Koalition gebildet wird, scheint sich der Staat sehr häufig in allergrößter Gefahr zu befinden. Denn immer öfter erklärt die Regierung ihre Angelegenheiten zum schützenswerten Staatsgeheimnis und verweigert die Auskunft dazu. Was kostet der Ausbau der Autobahn A 8? – Keine Auskunft. Wurden Abgeordnete des Bundestages in der Vergangenheit von den Geheimdiensten des Bundes beobachtet? – Keine Auskunft. Welche Einsätze hat die GSG 9 der Bundespolizei bisher im Ausland geführt? – Keine Auskunft.
Mal begründen die Ministerien ihre Auskunftsverweigerung damit, das »laufende Verfahren« sei »vertraulich« zu behandeln, mal müssen Beamte »geschützt« werden, mal werden ganz allgemeine »Geheimnisgründe« angeführt. Wobei nicht nur tatsächlich sicherheitsrelevante Bereiche als Staatsgeheimnis behandelt werden, sondern auch etwa die Investitionen und Ausgaben bei der Bundesbahn »topsecret« sind.
Die Geheimniskrämerei der Regierung geht so weit, dass sie die Mitteilung, in der sie die Auskunft über die Streubomben-Vorräte der Bundeswehr verweigerte, als ein »nicht zur Veröffentlichung bestimmtes« Dokument kennzeichnete. »Es soll sogar noch geheimhaltungsbedürftig sein, dass die Regierung nicht antwortet«, sagte dazu Volker Beck, der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen. Er betrachtet diese Antwortpraxis als eine Missachtung des parlamentarischen Fragerechts und teilweise »verfassungswidrig«. Einer entsprechenden Organklage der Grünen beim Bundesverfassungsgericht hat er in der letzten Woche eine Dokumentation hinterhergeschickt, in der die Fälle von Auskunftsverweigerung der Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode aufgeführt sind. Die Liste hat einen Umfang von 40 Seiten.
Wenn das Geheimhaltungsbedürfnis einer Regierung solch beinahe paranoide Züge annimmt, müsste man meinen, der Staat sei tatsächlich in allergrößter Gefahr, und der Feind stünde kurz vor Berlin. Da davon nicht die Rede sein kann, stellt sich eher der Verdacht ein, die Regierung genüge deshalb nicht ihrer parlamentarischen Auskunftspflicht, weil sie glaubt, es sich leisten zu können. Der Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jörg van Essen, sprach von der »Arroganz der Macht« der Großkoalitionäre gegenüber den kleinen Oppositionsparteien.
Diesen Eindruck hatte wohl auch Bundestagspräsident Norbert Lammert gewonnen. Vor vier Wochen forderte er deswegen in einem Schreiben Kanzleramtsminister Thomas de Maizière auf, darauf hinzuwirken, dass dem Informationsanspruch der Abgeordneten in »stets angemessener Weise« genügt werde. Die Antwort des Ministers ist inzwischen bei Lammert eingetroffen. Sie wird als intern betrachtet und ist nicht zur Veröffentlichung bestimmt.
Anfang der fünfziger Jahre beschäftigte sich die Philosophin Hannah Arendt mit dem Verhältnis von Macht und Geheimnis und kam zu dem Schluss: Wirkliche Macht fängt da an, wo das Geheimnis beginnt. Im Grunde beruht also die Macht auf dem Geheimnis. Und zwar insofern, als es das alleinige Vorrecht der Mächtigen ist, gewisse Fragen gar nicht erst zu debattieren, sich Rechtfertigungen nicht abzwingen zu lassen, sondern bestimmte Dinge im Verborgenen zu erledigen. In dieser Möglichkeit, unbeobachtet und unkontrolliert zu handeln, liegt auch das Wesen des Staatsgeheimnisses. Des Arcanum. Es ist sozusagen die »Ausnahme des Politischen«, weil es Transparenz und Rechtlichkeit ausschließt. Auf dem Gedanken der »politischen Ausnahme« hat der Staatsrechtler Carl Schmitt in den zwanziger Jahren seine Theorie vom Staat aufgebaut. – Dass ein Staat, der tendenziell alles zum Staatsgeheimnis erklärt, kein demokratischer sein kann, versteht sich allerdings auch ohne Carl Schmitt.
(November 2008)
Vor der Revolution?
In Frankreich spitzt sich der Klassenkampf zu. Zuerst nahmen düpierte Arbeiter im Kampf um Sozialpläne und Abfindungen ihre Chefs als Geiseln, jetzt drohen sie, ihre Fabriken zu sprengen. Bei dem von einer solchen Drohung betroffenen Telekom-Konzern Nortel sieht die Zeitung »Libération« einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Wut der Arbeiter und der Gier der Kapitalisten. Kurz nachdem die Manager von Nortel 45 Millionen Dollar Boni unter sich aufgeteilt hatten, kündigten sie die Schließung des Werkes in Châteaufort an. Die führende Klasse, meint »Libération«, habe eine Art Aristokratie geschaffen, die dieselben Reaktionen hervorruft wie der Adel des Ancien Régime. Die gleichgültige Gier schaffe eine explosive Lage.
Will man dem publizistischen Ängsteverwerter Udo Ulfkotte glauben, steht auch Deutschland kurz vor einem neuen Sturm auf die Bastille. »Vorsicht Bürgerkrieg« heißt sein eben erschienenes Buch. Demzufolge kursieren bei deutschen Sicherheitsbehörden hunderte vertraulicher Listen mit sozialen Brandherden quer durch Deutschland. Polizeiführer würden insgeheim auf die Bekämpfung von schweren Unruhen in deutschen Städten vorbereitet. Einige der Polizisten sprächen offen über einen bevorstehenden »Bürgerkrieg«, den sie mit allen Mitteln abwehren müssten.
Mit diesem Szenario bewegt sich Ulfkotte auf der Spur des Bundesinnenministers, der nicht müde wird, durch ähnliche Panikmache das Ziel der Legalisierung von Bundeswehreinsätzen im Inneren zu verfolgen. Im Grunde greift Ulfkottes Argumentation jedoch ein eigentlich traditionell linkes Denk- und Strategiemuster auf. »Was lange gärt, wird endlich Wut« heißt sein Buch im Untertitel. Damit klingt die Melodie wieder auf, die Gewerkschafter unisono mit der Linken und Bundespräsidenten-Kandidatin Gesine Schwan kurz vor dem 1. Mai, also auf dem Höhepunkt der Geldmarktkrise, angestimmt hatten.
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer drohte, wenn es angesichts der Krise zu Massenentlassungen komme, könne er »soziale Unruhen auch in Deutschland nicht mehr ausschließen«, Oskar Lafontaine sprach von der Möglichkeit »politischer Generalstreiks«, und Gesine Schwan prophezeite, die Wut der Menschen könne deutlich wachsen, und wenn sich kein Hoffnungsschimmer auftue, könne die »Stimmung explosiv werden.«
Unter dem durchsichtigen Gewand der Drohung verbirgt sich eine uralte Spekulation der Arbeiterbewegung, die den Namen »Verelendungstheorie«...