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E-Book

Die Wahrheit beginnt zu zweit

Das Paar im Gespräch

AutorMichael Lukas Moeller
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783644014718
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
«Eigentlich wollten wir einfach glücklich sein, aber wir konnten nicht miteinander reden.» Dieser Satz eines Paares, das sich trennte, ist der typische Abgesang auf die heute allseits belasteten Beziehungen. In Paarbeziehungen wird oft zu wenig miteinander gesprochen. Der Psychoanalytiker und Bestsellerautor Michael Lukas Moeller hat das früh erkannt und durch seine Arbeit zahlreichen Paaren zu neuem Glück in der Partnerschaft verholfen. «Die Wahrheit beginnt zu zweit» eröffnet Paaren (und nicht nur ihnen) mit Hilfe einfacher, aber erprobter Regeln die Möglichkeit, offene und ehrliche Zwiegespräche zu führen, die es ihnen gestatten, das gemeinsame Leben und Glück in der Partnerschaft auf Dauer selbst in die Hand zu nehmen. Das intensive Gespräch hat viele Paarleben tiefgreifend verändert. Ein Paar: «In den letzten drei Monaten mit Zwiegesprächen haben wir mehr voneinander erfahren als in zehn Ehejahren vorher.»

Michael Lukas Moeller, geboren 1937 in Hamburg. Psychoanalytiker. 1973-83 Professor für Seelische Gesundheit in Gießen, hatte er seit 1983 den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main inne. Im Jahre 2000 erster Preisträger des Internationalen Otto-Mainzer-Preises für die Wissenschaft von der Liebe.Michael Lukas Moeller verstarb am 7. Juli 2002.

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Leseprobe

Wovon die Rede ist


 

O ihr Guten! auch wir sind

Tatenarm und gedankenvoll!

Friedrich Hölderlin;

Ode an die Deutschen

 

 

«Mein Essen mit André»

 

 «Wenn du lange mit jemandem zusammengelebt hast, wirst du ständig hören: ‹Was ist denn bloß los?! So toll wie früher ist es auch nicht mehr, aber das ist ja natürlich. Der erste Blütenstaub ist hin. Aber so ist das nun mal.› Ich bin gar nicht dieser Meinung, aber ich denke, du müsstest dir eigentlich ständig diese Frage stellen – und zwar mit schonungsloser Offenheit: ‹Ist meine Ehe überhaupt noch eine Ehe? Ist das sakrale Element noch da?› Genau wie die Frage nach dem sakralen Element in deiner Arbeit: ‹Ist es noch da?› Glaub mir, es ist ein ziemlich schreckliches Erlebnis, plötzlich sagen zu müssen: ‹Mein Gott, ich dachte, ich hätte mein Leben gelebt, aber ich hab überhaupt nicht gelebt. Ich bin Künstler gewesen. Ich habe niemals wirklich gelebt. Ich hab die Rolle des Vaters gespielt ebenso wie die des Ehemannes. Ich hab die Rolle des Gauners, des Regisseurs gespielt. Ich hab mit jemandem im gleichen Zimmer gelebt, hab ihn aber nicht bemerkt. Ich hab ihn auch niemals gehört, war nie wirklich mit ihm zusammen.› Ja, ich weiß, manche Leute, die leben oft völlig aneinander vorbei. Ich meine, das Gesicht des Betreffenden könnte sich in ein Wolfsgesicht verwandeln – und es würde gar nicht auffallen. Es würde gar nicht auffallen. Nein, es würde gar nicht auffallen.»

 

Wovon die Rede ist

 

Wer so von sich sprechen kann, wie viel Glück hat er im Leben gehabt – und ist doch nie glücklich geworden. Mich beeindruckte diese Passage aus dem Film «Mein Essen mit André» von Louis Malle, weil sie ein typisches menschliches Dilemma widerspiegelt – nicht nur der Männer, meine ich.

André leidet an seinem ungelebten Leben.1 Nun muss er sich «eigentlich ständig diese Frage stellen – und zwar mit schonungsloser Offenheit»: Warum lebe ich lange mit jemandem zusammen, lebe mit ihm im gleichen Zimmer – und nehme ihn doch nicht wahr? Warum habe ich ihn niemals gehört? Warum war ich nie wirklich mit ihm zusammen? Warum haben wir beide, auf engstem Raum bei Tag und Nacht, aneinander vorbeigelebt?

Die meisten Menschen leiden stumm an ihrem Leben ohne Liebe. Sie können darüber nicht sprechen. Sie haben resigniert. Darum sagen sie sinngemäß, was André von anderen dauernd zu hören bekommt: «So toll wie früher ist es auch nicht mehr. Aber das ist ja nur natürlich. Der erste Blütenstaub ist hin, aber so ist das nun mal.»

Ich bin seit über zwanzig Jahren in der Praxis und in der wissenschaftlichen Forschung als Paartherapeut tätig. Wie gut kenne ich dieses tonlose Leiden an einer verbrauchten Liebes- und Lebensbeziehung: «So ist das nun mal.»

«Ich bin gar nicht dieser Meinung», sage ich mit André dagegen. Gerade weil ich mit Hunderten von ratlosen Paaren gearbeitet und dabei erlebt habe, dass es so nicht sein muss. Dass wir etwas tun können gegen die Resignation. Dass unsere häusliche Misere keineswegs der natürliche Lauf der Dinge ist, sondern hausgemacht. Jawohl: hausgemacht – wenn auch unter dem Druck der gesellschaftlich bedingten Verhältnisse. Ein verheiratetes Paar in den USA bringt täglich nur noch vier Minuten für ein gemeinsames Gespräch auf.2 Es dürfte bei uns nicht viel anders sein.

Wenn ich beispielsweise Paare im psychotherapeutischen Gespräch frage, wann sie denn zum letzten Mal zusammenhängend und intensiv miteinander gesprochen hätten – und zwar über das, was sie erlebt haben und was sie wirklich bewegt –, beginnen die meisten zu stutzen, zu überlegen und schließlich erstaunt zu antworten: «Ich kann mich gar nicht mehr erinnern – vielleicht im Urlaub letztes Jahr?»

Dann fragt sich, warum sie überhaupt noch eine Beziehung haben. Manche haben sie, weil sie sich reibungslos vermeiden. Sie machen in der Paarpraxis dementsprechend den Eindruck, als seien sie nur aus Versehen da. Leider nur wenige kommen, um rechtzeitig zu verhüten, was unvermeidlich bevorzustehen scheint: das langsame Abstumpfen der Beziehung, das Versanden im Alltag, das Dahinsinken der Lebendigkeit und nicht zuletzt der Liebe. Alle sagen, dass Blütenstaub eben vergehe. Doch macht das Unisono diese Behauptung nicht wahrer. Dennoch ist wohl nicht zu bestreiten, dass ein Verblassen der Beziehung die traurige Regel ist. Mit diesem Buch will ich aufzeigen, dass eine solche Entwicklung kein Zwang des Schicksals ist. Sie muss und sollte nicht einfach hingenommen werden.

Denn für das Dahinschwinden der Beziehung gibt es klare Ursachen. Wenn wir in einer Zeit leben, die denkbar schlechte Bedingungen für die Beziehung und die Liebe bietet, müssen wir etwas tun. Und das können wir, weil die Verhältnisse sich weitgehend durch uns selbst auswirken. Viel ist schon gewonnen, wenn wir eine Beziehungskrise wenigstens so weit klären können, dass sie nicht das übliche, hasserfüllte Ende nimmt. Noch mehr haben wir erreicht, wenn es uns gelingt, ernste Krisen, alltägliche Gereiztheit oder zu glattes Nebeneinander gar nicht erst entstehen zu lassen. Warum ist das so schwer? «Wir wollten einfach glücklich sein. Wir liebten uns, aber wir konnten nicht miteinander reden.» Dieser Satz über eine gescheiterte, geschiedene Ehe hat sich mir eingeprägt. Er trifft ins Schwarze: Die Sprachlosigkeit der Paare, ihre Kommunikationskluft, gilt unter Psychotherapeuten als die größte Bedrohung, ja als Ursache des weltweiten Beziehungssterbens. Von denen, die heiraten, wird sich heute in Mitteleuropa bereits jede dritte Frau, jeder dritte Mann scheiden lassen. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Das Getrenntsein bei bestehender Ehe – wie André es im Extrem beschreibt – ist viel umfassender, wahrscheinlich schon der Normalfall.

Die meisten Paare, die zu mir kommen, haben – ähnlich wie André – immerhin entdeckt, dass ihre Beziehung brachliegt. Sie wissen nicht mehr, wo sie eigentlich stehen. Sollen sie zusammenbleiben oder nicht? Lohnt sich ihre Beziehung überhaupt noch?

Einer meinte: «Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was Beziehung überhaupt ist.» Er scheint mir eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Obwohl die Antwort auf diese Frage sehr einfach ist, brauchte ich Jahre, bis es mir schließlich wie Schuppen von den Augen fiel: Wenn wir uns aufeinander beziehen, halten wir unsere Beziehung lebendig. Aber genau das tun wir immer seltener, immer oberflächlicher, immer aufgabenbezogener. Dinge, die wir zu erledigen haben, Erziehungsfragen, Urlaubspläne, Berufsprobleme, Geldausgaben – darüber zu sprechen, gilt heute schon als höchstpersönlich und ist doch nur eine Form der Alltagsverwaltung, in der wir uns auf anderes, nicht auf uns beziehen. Sofern Paare heute noch miteinander reden, geht es um dieses organisierende, regelnde, sachbezogene, sozusagen technische «Gespräch über etwas» und nicht um das unmittelbare, erlebnisnahe «Sprechen aus sich heraus». Doch nur das Sich-einander-Mitteilen hält eine Beziehung am Leben und befähigt sie zur Entwicklung.

Es kommt also darauf an, dass wir lernen, miteinander wesentlich zu reden. Genau darum geht es in diesem Buch. Es handelt von der Wiederentdeckung des Selbstverständlichen: dem persönlichen, konzentrierten, regelmäßigen Paargespräch.

Die Ehe ist vor allem ein langes Gespräch, sagt Nietzsche. Und er fragt den Leser, den er sich – wie vor hundert Jahren üblich – als Mann vorstellt: «Glaubst du, dich mit dieser Frau bis ins Alter hinein gut zu unterhalten? Alles andere in der Ehe ist transitorisch, aber die meiste Zeit gehört dem Gespräche an.»3

Auch wer kein Paartherapeut ist, weiß, wie sehr das zutrifft. Sich lieben heißt vor allem: sich verstehen. Das ist: verstanden werden und sich verständlich machen. Und das bedeutet: gut miteinander reden können. Die Kunst des Liebens gründet auf dem wechselseitigen Gespräch, dem «Kreislauf des Paares». Glückliche Paare unterscheiden sich darin von unglücklichen.

Diese Zwiegespräche stelle ich an Beispielen aus dem Leben von Paaren vor. Weil sie sich von anderen wesentlichen Gesprächen erheblich unterscheiden – beispielsweise durch ihre Kontinuität, durch die wachsende Bindung an diesen gemeinsamen seelischen Ort und durch das erklärte Ziel, sich einfühlbar zu machen –, bewirken solche Zwiegespräche ein freundlicheres Klima in der Beziehung. Ja, sie können als seelisches Aphrodisiakum gelten. Denn fast alle erotischen Störungen und Flauten entstehen, weil wir – oft ohne es gewahr zu werden – Probleme mit unserer Beziehung haben; weil wir zu wenig über unsere wirklichen Wünsche und Ängste sprechen; und weil sich Missverständnisse zwischen uns legen.

Erst nach und nach erkannte ich den Zusammenhang einiger grundlegender Einsichten in die Psychodynamik der Zweierbeziehung. Sie ergaben sich gleichermaßen aus meinen Forschungen zur Psychoanalyse des Paarlebens – vor allem im Rahmen eines Projektes zur Entwicklung der Paargruppentherapie – wie aus meinem Engagement für die Selbsthilfegruppenbewegung. Beide Schwerpunktaktivitäten haben sich hier wechselseitig befruchtet. Zwiegespräche kann man als die Tätigkeitsform einer Zweipersonen-Selbsthilfegruppe ansehen. Mit ihnen erreicht die Bewegung der Selbsthilfegruppen den privaten Bereich. Darin liegt meines Erachtens die hohe sozialpolitische Bedeutung dieser Zwiegespräche. Viel zu wenig wird beachtet, wie abhängig unsere Gesundheit und Krankheit vom Paarleben sind. Werden...

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