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E-Book

Die Wahrheit übers Kinderkriegen

Eine Hebamme klärt auf

AutorLivia Clauss-Görner
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641123963
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Dieses Buch macht werdende Eltern immun gegen Sorgen und Unsicherheit.
'Noch gibt es sie, die letzten klassischen Hebammen. Sie geben alles, damit Mutter und Kind gesund und glücklich nach Hause kommen. Ich bin eine von ihnen.' 4000 Geburten in 30 Jahren und ihr pragmatischer und medizinisch fundierter Ansatz machen Livia Görner zu einer gefragten Persönlichkeit in der Geburtshilfe. Für dieses Buch hat sie ihre gesammelte Erfahrung aufgeschrieben. Sie gibt praxisnahe Empfehlungen rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett und bezieht klar Stellung, wo eine blühende 'Babyindustrie' die Unsicherheit der Frauen nur ausnützt.

Es ist ein seltsamer Widerspruch: Kinder zu bekommen war - medizinisch gesehen - noch nie so sicher wie heute. Zugleich hat es die Frauen nie stärker verunsichert. Kaiserschnitt oder natürliche Geburt? Brust oder Flasche? Muss der Vater wirklich mit in den Kreißsaal? Was braucht das Baby in den ersten Monaten? Dieses Buch klärt auf und hilft Eltern, vor lauter Sorge und Stress das Wunder ihres Kindes nicht zu verpassen.

Livia Görner, Jahrgang 1964, kann als selbständige Hebamme auf 30 Jahre intensiver Berufserfahrung zurückblicken. Für ihren pragmatischen und medizinisch fundierten Standpunkt wird Görner von Eltern, Ärzten und Hebammenkolleginnen gleichermaßen geschätzt. Seit 1990 wohnt und arbeitet Görner in Hamburg. Sie hat zwei erwachsene Töchter und bereits zwei Enkelkinder.

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Leseprobe

Familienbesuch

Kein Beruf erlaubt einen tieferen Einblick ins deutsche Familienleben als meiner. Ich bin Hebamme und arbeite selbständig. Seit 25 Jahren leite ich nicht nur Geburten im Kreißsaal, sondern betreue alle mir anvertrauten Frauen oft schon Monate vorher und lange Zeit danach bei ihnen zu Hause. Ich sitze mit der Schwangeren am Küchentisch und später bei der Wöchnerin am Bettrand, und wir besprechen ausführlich alle Fragen zu Schwangerschaft, Geburt und Familie.

Zu mir kommen Frauen aus allen Schichten, von »bildungsfern« bis großbürgerlich; ich habe Müttern aus mehr als 30 Ländern bei ihren Geburten beigestanden, auch vielen Einwanderern der zweiten und dritten Generation. Ich treffe Frauen in glücklichen Ehen und unglücklichen Beziehungen, solche, die in traditionellen Rollen leben, und andere, die feministisch geprägt sind, beruflich sehr erfolgreiche Frauen wie auch solche, die mit Hartz IV überleben sollen.

Alles, was werdende Mütter und Väter bewegt – mir vertrauen sie es an: geheime Ängste, intime Nöte, Träume vom Glück. Sie erzählen spontan und ehrlich, wie gut oder schlecht es ihnen geht. So bekomme ich Monat für Monat einen regelrechten Querschnitt unserer Gesellschaft zu sehen – in Echtzeit, mit O-Ton und ungeschminkt. Ich höre den Eltern immer aufmerksam zu, bevor ich ihnen meine Ratschläge gebe.

Schon beim ersten Treffen dreht sich das Gespräch nie allein um Fragen der Schwangerschaft und den medizinischen Status von Mutter und Kind. Es geht regelmäßig auch um die Lebenssituation von Familien im heutigen Deutschland. Die Frauen erzählen mir von ihren Wünschen und den Erwartungen, die sie von ihrem Leben mit Kind haben, von ihrer Partnerschaft und ihrer Zukunft. Sie haben viele Fragen, manche Sorgen. Ich bin ihre Vertraute und ihre Verbündete, doch weder ihre zweite Mutter noch ihre Zauberfee.

Bei meinen Hausbesuchen und in meiner Sprechstunde wird gern viel gelacht – aber auch nicht selten geweint. Denn intensiver als vor, während und nach einer Geburt können Paare kaum fühlen. Schließlich ändert sich ihr Leben gerade total. Hoffnungen und Bedenken stürmen auf sie ein. Ein Kind zu bekommen, ist für eine Frau und ihren Partner nicht nur ein unvergessliches Erlebnis, es kann für manche Paare zur herausfordernden Krise werden, die es zu meistern gilt. Genau dafür bin ich da, Tag und Nacht erreichbar für sie und ihr Kind. Nur noch rund 2000 Hebammen arbeiten hierzulande so wie ich.

Ein Traumberuf?

»Hebamme? Ist das nicht der schönste Beruf der Welt?« Diese Frage wird mir immer wieder gestellt, wenn ich sage, womit ich meine Brötchen verdiene. Und dann muss ich doch jedes Mal kurz überlegen, bevor ich lächelnd zustimme. Natürlich erlebe ich im Kreißsaal jede Woche Momente des Glücks und teile die Freude der Eltern, dass bei der Geburt »alles gut gegangen« ist und »Mutter und Kind wohlauf« sind, wie es so schön heißt. Aber trotz aller großen Gefühle: Meine Arbeit war noch nie ein Spaziergang.

Hebamme, das ist nicht nur der älteste Frauenberuf von allen, sondern auch einer der härtesten. Trotz des großen medizinischen Fortschritts, der die Geburtsrisiken gegenüber früheren Zeiten stark verringert hat. Der Alltag einer modernen deutschen Hebamme lässt sich zwar nicht mehr vergleichen mit der oft heroischen Mühsal ihrer Vorgängerinnen, die vor 50 oder 100 Jahren beschwerliche Wege zu den Gebärenden überwinden mussten – bei jedem Wetter, zu jeder Uhrzeit und oft genug zu Fuß. Die noch mit viel Aberglauben, mit Dorfpfaffen und allerlei verächtlichen Vorurteilen zu kämpfen hatten. Vieles hat sich seither geändert. Doch wer dieses alte Handwerk ausüben will, braucht heute wie damals: eine solide Ausbildung, viel Geduld und Ausdauer – und eine sehr belastbare Art von Menschenliebe.

Feste Arbeitszeiten kenne ich nicht. Die Biologie richtet sich auch im digitalen Zeitalter keineswegs nach unseren Freizeitwünschen: Schwangere entbinden eben nicht alle brav zwischen 8 und 17 Uhr, der Kreißsaal macht auch an Heiligabend nicht zu. Kinder sind nämlich schon bei der Geburt unpünktlich: Tage vor oder nach dem berechneten »Termin« kommen sie zur Welt, um drei Uhr nachts oder erst nach stundenlangen Wehen. Es wurden an manchen Tagen auch schon mehrere »meiner« Kinder fast zur gleichen Zeit geboren. Als Beleghebamme bin ich eigentlich immer im Einsatz – oder in Bereitschaft.

Nur ganz selten entferne ich mich deshalb weiter als eine Autostunde von meiner Entbindungsstation in einem großen Hamburger Krankenhaus; ein freies Wochenende ist für mich purer Zufall. An Tagen zwischen den Geburten, die von zwei bis zu auch mal 20 Stunden (in seltenen Ausnahmefällen) dauern können, bin ich in der halben Stadt unterwegs, besuche die Schwangeren zu Hause oder schaue nach den Müttern und ihren Neugeborenen, die bereits bei mir entbunden haben. Ich beklage mich nicht, ich habe das so gewollt.

Mein Terminkalender für das nächste Jahr füllt sich naturgemäß schon sechs Monate im Voraus mit vorgemerkten Daten für Gespräche und Geburten. Meine Aufgaben sind so vielfältig wie in kaum einem anderen Beruf: Ich werde gebraucht als Ernährungs- und Still-Beraterin, als Psychologin und Haushaltsmanagerin, als Krankenschwester und Kummerkasten. Manche Frauen erzählen mir ihre Eheprobleme. Anderen muss ich erst einmal zeigen, wie man einen Grießbrei und eine Hühnersuppe kocht. Ich bin praktisch veranlagt.

Dennoch hat mein Engagement auch Grenzen: Ich bin keine Psychotherapeutin – und auch kein Ersatz für die »beste Freundin«. Aber ich vermittle den Frauen Selbstbewusstsein und Kraft, so gut ich kann.

Viele glauben, ich müsste doch jeden Tag ganz große Glücksgefühle haben, weil ich so viele Kinder heil auf die Welt bringen konnte und weil die frisch gebackenen Eltern ihre intensiven Emotionen auch auf mich übertrügen. Für die Eltern ist das natürlich ein gewaltiges Ereignis, doch zum Genießen des schönen Augenblicks bleibt mir bei der Arbeit selten genug Zeit.

Wie alles begann

Zu meinem Traumberuf kam ich tatsächlich wie die sprichwörtliche »Jungfrau zum Kind«. Ich bin in der damaligen DDR aufgewachsen, als drittes von vier Kindern im tiefsten Mecklenburg. Meine Mutter stammt aus der Hansestadt Wismar, mein Vater war Italiener. Wir lebten in den späten sechziger Jahren noch in einer intakten dörflichen Gemeinschaft, wie man sie heute suchen muss. Wir besaßen einen kleinen Hof mit eigener Landwirtschaft, versorgten uns komplett selbst mit Obst und Gemüse. Es gab immer viele Kinder in unserem Dorf. Geburten waren etwas vollkommen Alltägliches und trotzdem ein Fest. Und die Türklingel am Haus der Dorfhebamme hing extra hoch – für Kinderstreiche unerreichbar.

Mein Leben als Mädchen folgte noch dem Rhythmus der Jahreszeiten: Im Frühling bestellten wir unseren Garten, im Sommer sprangen wir in den glasklaren Badesee, im Herbst halfen wir, die Kartoffeln zu ernten, im Winter liefen wir Schlittschuh und spielten Eishockey mit selbst geschnitzten Schlägern. Unsere Schulwege waren lang, ich war viel zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs, auch bei Regen, Schnee und Gegenwind. Dieser Zeit verdanke ich wohl meine immer noch recht robuste Gesundheit.

Schon früh wurde ich in der Familie mit kleinen und größeren Pflichten betraut. Da mein geliebter Vater Ricardo starb, als ich erst 13 Jahre alt war, musste ich meiner Mutter schon bald im Haushalt helfen, oft das Essen für meine drei Geschwister kochen und abends nicht selten noch in unserem großen Garten arbeiten. Ich habe also viel fürs Leben gelernt und früher als andere Jugendliche Verantwortung getragen. Arbeit ist für mich keine Last, sondern der einzige Weg, die eigene Lage zu verbessern; Erfolg gibt es nicht ohne Anstrengung.

Mit 15 ging ich nach Wismar aufs Gymnasium und blieb dort bis zum Abitur. Danach wollte ich erst einmal ein Praktikum im Krankenhaus machen, und so fuhr ich eines Tages nach Rostock, um mich dort in der Universitätsklinik zu bewerben. Aber der Zufall wollte es wohl, dass an jenem Tag Eleonore am Empfang saß, eine jener alten, resoluten Hebammen, eine Autorität von der Sorte, der man kaum zu widersprechen wagte. Sie verwickelte mich junges Ding sofort in ein langes, faszinierendes Gespräch.

Sie erzählte mir von früher, von den zwanziger Jahren, als die Hebammen die ersten Frauen waren, die sich motorisierten, weil sie keine Lust mehr hatten, mitten in der Nacht bei jedem Wetter mit dem Fahrrad zu den Geburten auf abgelegenen Bauernhöfen zu fahren. Sie erzählte mir viel von dieser aufregenden Tätigkeit für emanzipierte und entschlossene Frauen. Hebammen hätten schon immer eine verschworene Gemeinschaft gebildet. Zum Abschied gab sie mir den Rat: »Ach, Mädchen, wat willste denn Medizin studieren? Da trägste doch bloß dem Chefarzt bei der Visite die Akten hinterher. Ich sage dir: Du bist richtig, werd Hebamme, komm zu uns!«

Eleonores freundliche Einladung empfand ich als große Ehre. Sie gab mir nur drei Tage Zeit zum Überlegen – ich dachte nicht so lange nach. Sondern bewarb mich, hatte eine Woche später die Zulassung und fing ein paar Monate danach als Schülerin in der 120 Jahre alten...

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