Wie bereits oben angedeutet, handelt es sich bei dem hier durchgeführten Projekt nicht um theoriegeleitete Grundlagenforschung. Vielmehr handelt es sich um den Versuch, mit Hilfe empirischer Verfahren das Erleben oder die Wahrnehmung der KlientInnen der Eingliederungshilfe nach § 53 / 54 SGB XII aus dem Alltäglichen zu beschreiben.
„Der Begriff Sozialwissenschaft ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und vereint als Erfahrungswissenschaft [...] verschiedene Disziplinen wie beispielsweise die Soziologie, Politik- und Erziehungswissenschaften, oder die Ethnologie und Psychologie. Sie versucht auf der Grundlage empirischer Daten Erkenntnisse über das wie und was ist zu finden. Ihr Sinn und Zweck ist es, ein Problem zu erfassen und gesellschaftliche Phänomene durch begründete Aussagen zu erklären. Allerdings gelingt es ihr nicht, unbestreitbare Forschungsresultate zu erbringen“ (Schambach- Hardtke 2005: 12, Hervorhebungen im Original).
Sowohl die Befragung der Klientel, als auch die der MitarbeiterInnen beinhaltet subjektive Einschätzungen oder Beobachtungen. Beide Seiten sollen retrospektiv ihre Einschätzung über Veränderungen des Gesundheitszustandes, bezogen auf die Klientel, abgeben. Es handelt sich um Einschätzungen der jeweiligen Befragten auf der Ebene der Beobachtung der Veränderungen. Empirische Wissenschaft wird auch als Erfahrungswissenschaft oder als anwendungsorientierte Forschung bezeichnet, die sich mit den Alltagserfahrungen wissenschaftlich auseinandersetzt. Das ist grundsätzlich kein Widerspruch, da die Erfahrungen der empirischen Wissenschaft und die Erfahrungen im Alltag auf Beobachtungen beruhen. Darüber hinaus besteht auch kein zwingender Unterschied, dass der wissenschaftlichen Erfahrung und Alltagserfahrung eine Theorie vorangestellt sein muss (vgl. Kromrey 2006: 22). Es handelt sich bei praxisorientierten Forschungsprojekten, um Erkenntnisse die der Praxistauglichkeit dienen sollen. Im hier durchgeführten Projekt stellten sich zunächst viele Fragen mit hohem Praxisbezug. Da letztlich nicht auf alle eingegangen werden kann, sollen im Folgenden zwei Kernfragen zu Arbeitshypothesen zusammengefasst werden. Neben den Ergebnissen zu diesen Arbeitshypothesen können jedoch auch Fragen beantwortet werden, die sich inhaltlich mit dem Erhebungsinstrument des „Metzlerbogens“ beschäftigen. Ist dieser zum Beispiel überhaupt ausreichend geeignet, die individuellen Bedürfnisse von KlientInnen angemessen zu berücksichtigen? Diese weiterführende Frage soll die Bedeutung der Praxisrelevanz der anwendungsorientierten Forschung noch einmal unterstreichen. Nach Kromrey ist auch der zeitliche Faktor entscheidend. Die Anwendung und Handhabung von empirischen Programmen können, unter Berücksichtigung des Zeitfaktors, auch grundlagenwissenschaftlichen Forschungsvorhaben vorzuziehen sein. Um mit Kromrey an dieser Stelle zu schließen, sei zusammenfassend noch einmal nachstehendes hervorgehoben:
„Bei anwendungsorientierter Forschung leiten sich die behandelten Fragestellungen aus den Bedürfnissen der Praxis her (z.B. Beurteilung der Wirksamkeit eines Programms [...]“ (Kromrey 2006: 20, Hervorhebung im Original). Ferner stellt er zu Projekten dieses Forschungsfeldes heraus: „Bei ihnen steht als Beurteilungsmaßstab die unmittelbare Brauchbarkeit (Praxisrelevanz) der Ergebnisse für die aktuell von ihnen zu lösenden Probleme im Vordergrund“ (Kromrey 2006: 21).
Entscheidend für die sozialwissenschaftliche Forschung ist die, auf der Theorie basierende und das Projekt leitende Hypothese. Bei Hypothesen im Sozialwissenschaftlichen Bereich handelt es sich oft um Wahrscheinlichkeitshypothesen (oder auch probabilistische Hypothesen genannt), denen, nach Raithel, in den Sozialwissenschaften die größte Rolle zugeschrieben wird. Hintergrund ist, dass in den Sozial- und Erziehungswissenschaften keine deterministischen Hypothesen gebildet werden könnten und daher „nahezu ausschließlich mit probabilistischen Hypothesen [.gearbeitet wird], da soziales Verhalten nicht nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten erfolgt“ (Raithel 2006: 14, Hervorhebung im Original). Deterministische Hypothesen „[...] besitzen [dagegen, L.R.] per Definition (df.) eine Geltung beziehungsweise einen Geltungsanspruch, welcher unabhängig von Raum und Zeit ist, das heißt [sic!], sie gelten überall auf der Welt und auch zu allen Zeiten.“ (Häder 2006: 48f.) Da allerdings keine grundlegende Theorie für das vorliegende Projekt herangezogen werden kann, soll im nachfolgenden Abschnitt dennoch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, das explorativ angelegte Forschungsthema, durch Arbeitshypothesen einzugrenzen. Am Ende der Arbeit soll dann der Versuch unternommenen werden, aus dem gewonnenen Datenmaterial eine probabilistische Hypothese zu entwickeln.
Die empirische Forschung stellt jedoch auch noch andere Bedingungen. Auf dieses Projekt bezogen, stellte sich zu Beginn die Frage, wie die zu befragenden Personen ermittelt werden, um möglichst repräsentative Ergebnisse zu generieren. Die Vorgaben oder Empfehlungen aus der Literatur reichen von Vollerhebung bis hin zu Stichprobengrößen von 1% auf die Grundgesamtheit oder eine Stichprobengröße n=30 (vgl. Raithel, 2006: 62, Bortz, 1999: 162). Es ist angesichts solcher Aussagen nicht eindeutig, wie hoch die Stichprobengröße von der Grundgesamtheit[7] sein muss. Bortz liefert jedoch einen wertvollen Hinweis für die Stichprobengröße, welcher für das vorliegende Projekt entscheidend war. „Die einfachste Antwort auf die Frage wäre: So viele wie möglich“ (Bortz, 1999: 11).
Neben der Stichprobengröße oder der Entscheidung eine Gesamterhebung durchzuführen ist auch die Art und Weise der Auswahl der ProbandInnen zu berücksichtigen. Unterschieden werden die willkürliche Stichprobe, die bewusste Stichprobe und die Wahrscheinlichkeits- oder auch Zufallsstichprobe. Am korrektesten wäre die Zufallsstichprobe anzuwenden (vgl. Raithel, 2006: 55 - 95, Bortz, 1999: 86 ff.). Die Zufallsstichprobe wird, nach beiden Autoren, mit Hilfe von Kärtchen oder Ähnlichem ermittelt. Diese werden mit den Namen der gesamten ProbandInnen versehen und anschließend in einem Gefäß verbracht. Danach wird dann eine bestimmte Stichprobengröße n herausgezogen. Diese Stichprobengröße ist dann die Zufallsstichprobe, die jeder ProbandIn die gleiche Möglichkeit eingeräumt, ausgewählt zu werden.
Da eine Stichprobe ein zu geringes Abbild der Wahrnehmung der BEW-KlientInnen wieder gegeben hätte, wurde von Beginn an in Erwägung gezogen, eine Gesamterhebung durchzuführen. Weil das Betreute Einzelwohnen von Phönix nur 30 Klientinnen betreut, erschien diese methodische Überlegung die Aussagekräftigste zu sein.
im Folgenden wird die Entstehung des Forschungsprojekts näher dargestellt. in diesem Teil werden darüber hinaus die Arbeitshypothesen bzw. der Fragebogen entwickelt und die Durchführung bzw. die Vorbereitung der Auswertung der Ergebnisse beschrieben.
Das Ziel des Projekts war an die Frage gekoppelt, ob die BEW-Maßnahme eine (positive) Wirkung auf die Klientel hat. Es gab aber keinerlei bekannte Theorie aus der eindeutige Thesen oder Hypothesen hätten gebildet werden können. Phönix selbst hat noch keine Evaluation im Bereich der Wirksamkeit der BEW-Maßnahme durchgeführt und es sind auch keine Statistiken bekannt, die diese Frage beantworten konnte. „Begründet wird die Notwendigkeit von Evaluation auf sehr unterschiedliche Weise. Von der Trägerseite her macht es Sinn, nach Effizienz zu Fragen, um den Einsatz von Mitteln für die Soziale Arbeit intern - innerhalb der sozialen Dienste - und extern - auf der politischen Ebene zu begründen“ (von Balluseck 1998:155). Darüber hinaus konstatiert die Autorin, dass es „[...] ein Interesse an einer wie auch immer gearteten Effizienz von Sozialarbeit [gibt L.R.], die durch Evaluation sichtbar gemacht werden kann“ (ebd.:155). Die Evaluation soll in der vorliegenden Arbeit lediglich eine Beschreibung der gegenüber gestellten Wahrnehmungen des Gesundheitszustandes, aus Sicht der BEW-KlientInnen und deren Betreuerinnen abgeben. Sie trifft keine Aussagen für oder über andere Einrichtungen, in denen ebenfalls für behinderte erwachsene Menschen, Betreutes Einzelwohnen angeboten wird. Aus diesem Grund ist das vorliegende Projekt, nur auf den BEW-Bereich von Phönix und auch nur auf Phönix bezogen, entwickelt worden.
Die Überlegungen, herauszufinden wie, ob und in welchem Maße die Klientinnen wirksam betreut werden, waren lang. Sie reichten von einer Interviewform, über die Dokumentenanalyse bis hin zur Befragung mittels strukturiertem Fragebogen. Nach dem Ausschluss eines (reinen) Interviewverfahrens, wurde zunächst die Dokumentenanalyse als geeignetes Mittel für die Generierung von Daten in Betracht gezogen. Dieses Verfahren hätte aber vorausgesetzt, dass vergleichbare Dokumentationsquellen zur Datenerhebung herangezogen werden. Am Besten sollte sich hier der erste (Sozial-) Bericht über die Klientin und im Vergleich dazu der letzte (Entwicklungs-) Bericht über diese Klientin zum Vergleich eignen, Unterschiede eines veränderten Gesundheitszustandes zu ermitteln. Implizit wurde auch zu diesem Zeitpunkt bewusst, wie die Wirksamkeit gemessen werden kann. Die Idee war, dass sie anhand der subjektiv empfundenen Veränderungen erkennbar werden könnte. Ab diesem Moment stellte sich die Frage, anhand...