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Einleitung
Der Titel des Buches spielt auf die bekannteste Sendezeit im Radio der deutschen Schweiz an. Mittags um halb eins: Das Radio berichtet heute und verkündete früher das Neueste. Ältere Generationen erinnern sich halb belustigt, halb wehmütig an die täglich wiederkehrende Situation am Mittagstisch um 12.30 Uhr in einer Zeit, als noch Ruhe herrschte, während das Radio lief, und man dennoch nicht alles verstand, was die Nachrichten meldeten. Nachrichten sind ausgesprochen eine Einbahn-Kommunikation, von der Redaktion zu den Hörern. Entsprechend heftig können Reaktionen aus dem Hörerkreis ausfallen. Es liegt an den Radiomachern, dem Hörer zu vermitteln, weshalb eine Information verbreitet wird. Das ist nicht immer einfach. Noch schwieriger verhält es sich mit dem, was nicht gemeldet wird. Jene Zeiten liegen noch nicht so lange zurück, als der Hörer kaum vergleichen konnte zwischen dem, was der Informationsfluss bot, und der Auswahl im Radio. Heute haben die Interessierten, vor allem wegen des Internets, mehr Einblick in das Informationsangebot. Dieses ist zum Strom geworden, und der Strom ist so breit und in seiner Gesamtheit derart ungeordnet, dass der Interessierte noch dringender als früher eine Auswahl und damit eine Gewichtung der riesigen Menge an Informationen braucht. Die Pflicht des Journalisten ist es, der Öffentlichkeit in treuhänderischer Weise einen Teil der Auswahlarbeit abzunehmen, Zusammenhänge herzustellen und Hintergründe aufzuzeigen. Dass die Radiojournalisten diesem Anspruch nicht immer gerecht wurden, zeigt sich im Gang durch die Radiogeschichte.
Unter Nachrichten verstand die Allgemeinheit lange Jahrzehnte das, was in der Zeitung stand. Später gehörte dann auch die relativ klassische Radioinformation dazu, die ausschliesslich aus distanzierten Meldungen bestand, die in ritualisierter Weise vorgelesen wurden, manchmal an der Grenze zum Autoritären, und das beileibe nicht nur hierzulande. Sehr viel später, als die Fernmeldeverbindungen eine Selbstverständlichkeit geworden waren und der Rundfunk ein dichtes Korrespondentennetz aufgebaut hatte, wurden in die Nachrichtensendungen auch kurze Berichte aus dem In- und Ausland eingebaut, und die Nachrichten wurden lebendiger und mehrstimmig.
Hörer und Zuschauer nennen meist jede Form einer Informationssendung «Nachrichten», auch die Hintergrundsendungen im Radio, die «Tagesschau» im Fernsehen sowie die Magazine. Dieses Buch fasst den Begriff nicht so weit. Es zeigt auch nicht die Entwicklung des gesamten Mediums Radio auf. So ist weder von der interessanten Geschichte der Musik, noch von jener der Unterhaltung oder des Vortragswesens im Radio die Rede. Darüber gibt es bereits ausführliche und aufschlussreiche Publikationen. Und schliesslich kann auch nicht auf jedes Informationsangebot der vielen Privatsender eingegangen werden. Das Buch würde unleserlich. Hier geht es um 90 Jahre Radionachrichten und damit zur Hauptsache um die Nachrichten jenes Radios, das die Schweiz seit den 1920er-Jahren informiert und das auch heute einen grossen Teil der Bevölkerung zu seinen Hörern zählen kann. Das Unternehmen nennt sich seit zwei Jahren Radio SRF. Frühere Namen waren Schweizer Radio DRS und weiter zurück Schweizerischer Landessender Beromünster. Damals sprach man noch nicht von einem Unternehmen, sondern der Begriff Landessender stand für sich. Kritiker sprachen hingegen vom «Buuremünschter» und bemängelten das Programm als zu hausbacken, während später die Kritik auf die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG als Ganzes zielte und heute spitz vom «Gebührenradio» die Rede ist. Die Nachrichtengeschichte der anderen Landesteile und der Privatradios wird hier gestreift, denn «die Privaten» gibt es nun bereits seit 30 Jahren, und sie haben die schweizerische Radiolandschaft umgewälzt.
Das Buch blickt vor allem in die Radio-SRF-Nachrichtenredaktion und geht zurück bis zu den Anfängen des Radios. Es handelt davon, wie sich die Formen der Nachrichten ändern, durch welche Informationssendungen sie ergänzt werden und wie sich die Redaktionsarbeit wandelt. Ein Kapitel widmet sich der Frage, welches Medienunternehmen die Nachrichten im nationalen Radio produzieren durfte. Ist es die SRG oder die SDA, die Schweizerische Depeschenagentur, die als einzige Nachrichtenagentur über die Geschehnisse in der ganzen Schweiz berichtet? Zudem kommt zur Sprache, wie das Fernsehen die Radioinformation beeinflusste. Wir erfahren, dass das Radio schon vor der Zeit des Fernsehens um seinen Platz kämpfte, denn die mächtigen Zeitungsverlage sahen das damals neue Medium lange als bedrohliche Konkurrenz. Ein weiteres wichtiges und deshalb eingehendes Kapitel handelt von der Zeit des Zweiten Weltkriegs, einer absoluten Ausnahmesituation für den Journalismus, als die einen dem Radio-Nachrichtendienst vorwarfen, er sei gegenüber Nazideutschland feindlich eingestellt und bedrohe die Existenz der Schweiz, und die anderen ihn als Stimme der Verlässlichkeit und Hoffnung erfuhren.
In den 1920er-Jahren, als das Radio seine ersten Schritte tat, warnten die Kritiker und Skeptiker, es sei kommunistisch im Sinn des Wortes. Es richte sich an alle, bedrohe die Rolle der Tageszeitung und könne je nach Verlauf der Geschichte zu einem wirksamen Instrument der Feinde der Demokratie werden. Dies war in zahlreichen Staaten die Befürchtung der skeptischen Behörden und der Zeitungsverleger. Die äusserst bürgerlichen Gegner des Radios dachten in den 1920er- und 1930er-Jahren weitaus mehr an eine Bedrohung von links als von rechts, obwohl der Faschismus und der Nationalsozialismus in unseren Nachbarländern damals schon sehr virulent oder bereits an der Macht waren. Aber diese Kräfte schienen vielen das kleinere Übel als der Kommunismus. Dessen Anhänger und die junge Sowjetunion Stalins arbeiteten tatsächlich daran, ihr politisches System auf andere Länder zu übertragen. Das Radio pervertierte in der Sowjetunion, aber ebenso im Italien Mussolinis und im Deutschland Hitlers, zum Instrument der Propaganda und damit der Verführung der Massen. Die noch freien Länder vergaben sich die Chance, totalitäre Strömungen mit dem neuen Massenmedium abzuwehren. Das Radio hätte eine Plattform des demokratischen Streits um gesellschaftliche Modelle sein können.
Wohl wurden schon in den ersten Tagen des Radios in Staaten mit einer relativ offenen Gesellschaft Nachrichten vorgelesen, aber es gab meist keine weiterführenden Informationssendungen oder gar Streitgespräche. Nachrichtenmeldungen im schnellsten Medium waren hingegen rasch selbstverständlich, so sehr, dass es nicht erstaunt, dass es darüber wenig greifbare populäre Literatur gibt. Denn wir machen uns meist nur wenig Gedanken über öffentliche Dienstleistungen, solange sie funktionieren und nicht teurer werden. Die Nachrichten sind ein alltägliches Angebot und in ihrer Qualität, zumindest in offenen Gesellschaften, in der Regel derart verlässlich, dass sie selten ein Thema in der Öffentlichkeit sind. Ausserdem sind sie raschlebig, flüchtig. Das ist, um nur ein Beispiel zu nennen, ein Grund, weshalb das Radio bis in die 1970er-Jahre kaum Tonaufzeichnungen von Nachrichten machte und archivierte. Oft sind auch keine Manuskripte vorhanden. So ist eine vergleichende Arbeit über Radionachrichten und die Haltung der Sprecher am Mikrofon nicht einfach. Immerhin sind in der Schweiz die Texte der Nachrichten aus der Zeit zwischen 1936 und 1971 auf Deutsch, Französisch und Italienisch praktisch lückenlos vorhanden. Ich war bei meiner Arbeit auch froh, dass ich vor 40 Jahren mit Redaktoren und Sprechern früherer Jahrzehnte, bis zurück zu den Pionierzeiten, sprechen konnte. Zudem konnte ich auf mein Archiv der Nachrichtensendungen aus den 1960er-Jahren zurückgreifen. Einige wenige Aufnahmen von Beromünster-Nachrichten fanden sich übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg in den Ruinen deutscher Abhorchstellen. Nicht ganz einfach fiel mir die Beurteilung der Qualität der Nachrichten in jenen Jahrzehnten, in denen ich selbst in der Redaktion tätig war. Deshalb greife ich für diese Zeitspanne stärker auf die Medienkritik der Zeitungen und auf die Reaktionen aus dem Hörerkreis zurück.
Faszinierend ist die Erfahrung, dass das Radio, ganz auf Text und Ton gestellt, oft emotionaler wirkt als das Fernsehen. Ein drohender Diktator Hitler im Radio löste möglicherweise mehr Ängste aus als in der Filmwochenschau, wo seine einstudierten Gesten lächerlich wirken konnten. Wohl entstehen viele Bilder beim Radiohören durch Gesehenes, und das Foto sowie der Film brennen sich ein. Kurt W. Zimmermann hatte in der Weltwoche weitgehend recht, als er schrieb, jeder erinnere sich an die Bilder vom Einstürzen der New Yorker World-Trade-Türme und habe keine Erinnerung an die Radiosendungen zu diesem Drama. Ich wende dennoch ein, dass jenen Leuten, die zuerst im Radio von den Terroranschlägen gegen die USA hörten, die entsprechende Radiomeldung in Erinnerung geblieben ist.
Sich auf die Beschränkungen des Radios zu konzentrieren, auf die Stärke des Textes und die Wirkung der Stimme, sind Gründe, weshalb immer noch so viele Journalisten, meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen und neue Mitarbeiter, von diesem alten Medium fasziniert sind. Sie stellen sich der Herausforderung, in der Flut gesicherter und ungeprüfter Informationen zu bestehen und Garanten einer verlässlichen Nachrichtenvermittlung zu bleiben, auch wenn sie die Skepsis umtreibt, ob das Radio als Informationsinstrument noch eine grosse Zukunft hat in einer Zeit neuer Medien und bei jungen Generationen, die nicht mehr mit dem Radio aufgewachsen sind. Die Hörerzahlen des Radios und des Fernsehens gehen laufend leicht zurück....