1 Einleitung
1.1Untersuchungsgegenstand und Forschungsfrage
Durch die Digitalisierung ergeben sich neue Chancen für die internationale Verbreitung von Büchern. Mit Schlagzeilen wie »Neue Perspektiven für deutsche Titel im Ausland«[1] und »E-Books eröffnen neue Lizenzmodelle«[2] wurde in den vergangenen Monaten in der Branchenpresse von Verlagen berichtet, die ihre übersetzten Titel in digitaler Form in ausländischen Märkten anbieten. Die Voraussetzungen für eine Internationalisierung ergeben sich durch die Digitalisierung: Bei der E-Book-Distribution sind Lager- und Distributionskosten marginal,[3] Vervielfältigungskosten sinken und die Auslieferung ist jederzeit in kürzester Zeit realisierbar. Der Verkauf von Titeln über Ländergrenzen hinweg ist nicht nur für Autoren wünschenswert, die so eine größtmögliche Verbreitung ihrer Bücher erreichen, sondern auch für Verlage, für die er eine zusätzliche Einnahmequelle neben den Erlösen im Heimatmarkt darstellt. Bislang war ein internationaler Verkauf für deutsche Verlage allerdings kaum umsetzbar, da der Vertrieb gedruckter Bücher sie vor zahlreiche Herausforderungen stellt. Die Bücher müssen transportiert und gelagert werden, die Nachfrage im Voraus sorgfältig eingeschätzt werden und ein Netz aus Zwischenhändlern und Händlern muss koordiniert zusammenarbeiten.[4] Diese Komplexität und die hohen Kosten eines internationalen Vertriebs gedruckter Bücher sind die Hauptgründe dafür, dass der übliche Weg der internationalen Geschäftstätigkeit deutscher Verlage bislang die Vergabe einer Übersetzungslizenz an ausländische Verlage ist. Deutsche Titel stoßen jedoch im Ausland auf ein recht geringes Interesse. Im Jahr 2013 konnten deutsche Verlage insgesamt 6 855 Übersetzungslizenzen vergeben.[5] Setzt man diese Zahl in Relation zur Anzahl von Neuerscheinungen, die 2013 bei 91 100 lag,[6] wird deutlich, dass deutsche Verlage bislang nur einen Bruchteil ihrer Bücher weltweit vermarkten können. Umso lohnenswerter ist es zu untersuchen, ob deutsche Verlage den internationalen Verkauf unabhängig von ausländischen Lizenzpartnern tätigen können.
Ziel dieser Magisterarbeit ist es daher, zu analysieren, welche Möglichkeiten sich für deutsche Verlage ergeben, ihre Titel in Übersetzung international im E-Book-Format zu verkaufen. Die Beantwortung folgender Fragen soll dabei zu einer umfassenden Analyse der Möglichkeiten für deutsche Verlage führen: In welchen Ländern können deutsche Verlage aktiv werden? Über welche internationalen Vertriebsstrukturen sind diese Märkte zu erreichen? Wie kann das internationale E-Book-Geschäft organisiert werden? In welcher Weise sind deutsche Verlage im E-Book-Bereich bereits international aktiv?
1.2Aufbau der Arbeit
Die Untersuchungen dieser Arbeit werden sich auf die Möglichkeiten für deutsche Publikumsverlage konzentrieren. Die Voraussetzungen für eine Internationalisierung von Fach- und Wissenschaftsverlagen sind nicht direkt mit denen von Publikumsverlagen vergleichbar. Sie haben andere Zielgruppen, die Vertriebsstrukturen unterscheiden sich und auch die weite Verbreitung des Englischen als Wissenschaftssprache führt zu anderen Internationalisierungsmöglichkeiten. Ebenso sind ausländische Publikumsverlage im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand nicht direkt mit deutschen vergleichbar, da die Möglichkeiten der Internationalisierung auch je nach Sprache des Verlagsprogramms variieren. Englischsprachige Verlage können ihr Programm beispielsweise einfacher in der Originalsprache in andere Länder exportieren als deutsche Verlage. Um den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit klar abzugrenzen, wird ausschließlich auf Titel in Übersetzung eingegangen. Die Möglichkeiten, deutschsprachige E-Books ins Ausland zu verkaufen, sind zwar gegeben, aber größtenteils auf die Länder Österreich und die Schweiz beschränkt. Der Fokus auf die drei Merkmale »Publikumsverlag«, »deutscher Verlag« und »Titel in Übersetzung« soll möglichst konkrete Analysen und Ergebnisse ermöglichen.
Im ersten Untersuchungsschritt der Arbeit werden internationale E-Book-Märkte anhand verschiedener Merkmale vergleichend untersucht. So kann zum einen geprüft werden, auf welchen Märkten es für deutsche Verlage lohnenswert sein könnte, E-Books zu verkaufen. Zum anderen kann herausgearbeitet werden, ob es sich bei den Märkten um klar abzugrenzende nationale Märkte handelt oder ob ein globaler Markt für E-Books entsteht. Des Weiteren kann diese Analyse zeigen, welche Aspekte zur Beurteilung der Marktpotenziale wichtig sind und welche Schwierigkeiten sich für deutsche Verlage bei einem Verkauf in andere Länder ergeben können. Die Merkmale, die für die vergleichende Analyse herangezogen werden, sind der Entwicklungsstand der E-Book-Märkte, die jeweils geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die Preisgestaltung für E-Books auf den Märkten, das Ausmaß von Piraterie sowie die Existenz länderübergreifender Sprachräume. Bei der Untersuchung des Entwicklungsstandes der E-Book-Märkte geht es darum, zu zeigen, wie verbreitet E-Books in unterschiedlichen Ländern bereits sind. Hierzu werden die Länder unterteilt in entwickelte E-Book-Märkte, Märkte, in denen E-Books sich an der Schwelle zur Marktrelevanz befinden und gering entwickelte Märkte mit zukünftigem Entwicklungspotenzial. Der anschließende Vergleich rechtlicher Rahmenbedingungen untersucht, inwieweit die E-Book-Märkte von nationalen Bestimmungen geprägt sind. Hier werden Regelungen zur Preisbindung und Mehrwertsteuer untersucht, die den Markt indirekt beeinflussen, sowie direktes staatliches Eingreifen durch Subventionierung oder Regulierung des Marktes. Der Vergleich der Preisgestaltung für E-Books auf unterschiedlichen Märkten kann einerseits zur Einschätzung der Umsatzpotenziale für deutsche Verlage dienen, andererseits wiederum gemeinsame Tendenzen und Unterschiede zwischen den Märkten herausarbeiten. Ergänzend zu den ländervergleichenden Darstellungen wird als Abschluss der ersten Untersuchungseinheit darauf eingegangen, dass nicht nur Ländergrenzen, sondern auch Sprachräume Absatzmärkte definieren können.
Sind im ersten Untersuchungsschritt die internationalen E-Book-Märkte untersucht worden, soll im nächsten Schritt analysiert werden, wie diese für deutsche Verlage erreichbar sind. Hierzu werden zunächst die wichtigsten multinationalen E-Book-Anbieter dahingehend untersucht, auf welchen Märkten sie aktiv sind und welche Marktpositionen sie haben. Auch die Bedeutung von lokalen Anbietern soll hier thematisiert werden. Am Beispiel des deutschen Digitalvertriebs Bookwire wird gezeigt, welche Rolle Digitalvertriebe beim internationalen Vertrieb spielen können.
Nach der Analyse der ausländischen E-Book-Märkte und der internationalen Vertriebsstrukturen ist es von Interesse zu untersuchen, inwiefern und in welcher Weise deutsche Publikumsverlage die neuen Chancen zur Internationalisierung ihres E-Book-Geschäfts bereits nutzen. Um einen quantitativen Überblick über die Aktivitäten der Verlage in diesem Bereich zu erhalten, wird zunächst eine Umfrage durchgeführt. Die Methode der Befragung kann hilfreich sein, wenn die zu untersuchende Situation für eine Beobachtung unzugänglich ist.[7] Dies ist hier der Fall, da die Auslandsaktivitäten deutscher Verlage in den meisten Fällen nicht recherchiert werden können. Nur in einzelnen Fällen wird durch Berichterstattung in der Branchenpresse für Außenstehende ersichtlich, wenn ein Verlag beispielsweise Wege der direkten Marktbearbeitung geht. Im zweiten Schritt werden dann Verlage vorgestellt, die innovative Konzepte zur internationalen Vermarktung von Titeln haben. Diese werden durch Auswertung der Berichterstattung in der Branchenpresse sowie der Umfrage ausgewählt. Untersucht wird die Vorgehensweise dieser Verlage für den internationalen Verkauf von Übersetzungen im E-Book-Format. Ebenfalls thematisiert werden Schwierigkeiten, die dabei möglicherweise auftreten. Um hierzu Informationen zu erhalten, werden Experteninterviews mit den jeweils zuständigen Mitarbeitern der Verlage geführt.[8] Bei diesen handelt es sich um Experten, da sie über »spezialisierte Formen des Wissens über institutionalisierte Zusammenhänge, Abläufe und Mechanismen«[9] verfügen. Dieses wird auch als »Betriebswissen«[10] bezeichnet und kann in diesem Zusammenhang Einblicke in die Verlagspraxis liefern. Als Methode wird das informatorische Interview nach Lamnek gewählt.[11] Den Interviews liegt dabei ein Leitfaden zugrunde, der Gesprächsverlauf kann aber flexibel angepasst werden, wenn Nachfragen sinnvoll erscheinen oder Themen vertieft werden sollen.
Anhand der Verlagsbeispiele werden bereits unterschiedliche Marktbearbeitungs- und Organisationsformen für den internationalen Verkauf von Übersetzungen im E-Book-Format dargestellt. Im letzten Untersuchungsschritt soll ein systematischer Überblick über diese und weitere mögliche Organisationsformen erfolgen. Dabei wird auf die jeweiligen Vor- und Nachteile für deutsche Verlage eingegangen.
Die Zusammenfassung der Analyseergebnisse kann zu einer Bewertung der Möglichkeiten führen, die sich für deutsche Verlage für die Internationalisierung des E-Book-Geschäfts ergeben. Hierzu werden Faktoren wie die Auswahl des Zielmarktes, die Wahl der Vertriebswege und der Organisationsform berücksichtigt. Ein Ausblick auf die...