1.
Die Akzeptanz und Bewertung von Eigentum in Deutschland
Der Wohlstand der Nationen hat im Eigentum sein Fundament. Ganz egal ob als persönliches Eigentum, Basis der individuellen Lebensführung oder Kapitalgut im Produktionsprozess – Eigentum erfüllt in unseren Gesellschaften eine Vielzahl wichtiger und wünschenswerter Funktionen. Eigentum ist für das friedliche Zusammenleben in einer Gemeinschaft zentral. Doch was denkt die Öffentlichkeit über Eigentum?
Die Einstellung der Deutschen zum Eigentum
Das Institut für Demoskopie Allensbach hat für dieses Buch die Akzeptanz des Eigentums in der deutschen Bevölkerung erhoben. Im April 2017 wurden im Zuge einer repräsentativen Umfrage 1407 Personen ab 16 Jahren in persönlichen Gesprächen zu ihren Einstellungen zum Thema Eigentum befragt. Die Befragung zeichnet ein facettenreiches Bild in der Bewertung von Eigentum: Grundsätzlich ist der Begriff mit positiven Konnotationen verbunden, wie Abbildung 1 zeigt. So geben 63 Prozent der Befragten an, dass Eigentum für sie Freiheit bedeute. 42 Prozent bringen zum Ausdruck, dass Eigentum dem Wohl des Einzelnen ebenso diene wie dem Gemeinwohl. 41 Prozent sind davon überzeugt, dass nur Eigentum dazu imstande ist, persönliche Sicherheit und geistige Unabhängigkeit zu gewährleisten. Die motivierende Funktion des Eigentums im Wirtschaftskreislauf wird demgegenüber in der Bevölkerung weniger stark wahrgenommen. So schätzen gerade einmal 38 Prozent der Befragten, dass Menschen, wenn sie kein Eigentum erwerben dürften, auch weniger hart arbeiten würden.
Abbildung 1: Aussagen zum Eigentum
Ausdrücklich negative Bewertungen in Bezug auf Eigentum finden sich in der Bevölkerung weitaus seltener: 21 Prozent der Befragten glauben, dass Vermögen den Charakter verdirbt. 15 Prozent sind der Überzeugung, dass kapitalistisches Eigentum die Quelle von Ausbeutung und Entfremdung der Arbeiter sei. Im Vergleich zu den oben dargestellten positiven Konnotationen fällt die Zustimmung zu derart kritischen Aussagen aber deutlich geringer aus. Auch stimmen lediglich sieben Prozent der Befragten der Aussage zu, dass ein guter Charakter zwangsläufig mit wenig Eigentum einhergehe. Die Aussage »Eigentum ist Diebstahl« findet gerade einmal ein Prozent der Befragten zutreffend.
Insgesamt lässt sich den Deutschen also eine relativ hohe Eigentumsfreundlichkeit attestieren. Besonders bemerkenswert ist die starke Wahrnehmung eines Zusammenhangs zwischen der Möglichkeit, über Eigentum zu verfügen, und persönlicher Freiheit. Eigentumssicherung identifizieren große Teile der Bevölkerung als klassische Staatsaufgabe. Damit einher geht die Forderung an entsprechendes staatliches Handeln.
Interessant ist eine relativ geringe Zustimmung (42 Prozent) zum Artikel 14 des Grundgesetzes – nämlich, dass die Verfügungsbefugnis über Eigentum den Eigentümer verpflichte, dieses zum Wohl der Allgemeinheit einzusetzen. Im Jahr 1998 betrug die Zustimmung zu dieser Aussage sogar nur 34 Prozent, wie eine frühere Erhebung des Allensbach-Institutes ergab. Die Forderung »Eigentum verpflichtet« ist also ein Stück weit präsenter geworden, vermutlich auch durch Diskussionen zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen in der jüngeren Vergangenheit. Zugleich wird von einem identisch hohen Anteil der Deutschen eine gemeinwohlfördernde Rolle des Eigentums gesehen. Es ist fraglich, wie diese Zustimmungswerte miteinander in Beziehung stehen. Offenbar sieht etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung eine der Eigentumsordnung inhärente gemeinwohlfördernde Funktion, während die andere Hälfte zumindest leichte Zweifel daran hegt, ob Eigentum tatsächlich in der Lage ist, dem Gemeinwohl zu dienen.
Aus diesem Grund greift das vorliegende Buch immer wieder auch die Frage auf, unter welchen Bedingungen Eigentum als dem Gemeinwohl förderlich angesehen wird – und wann seine Durchsetzung auf Widerstände stößt. In Bezug auf die aktuelle Situation in Deutschland lässt sich jedenfalls feststellen, dass keine explizite Ablehnung der Institution Eigentum in der Bevölkerung aufzufinden ist. Lediglich in einem Punkt ist die Wahrnehmung des Eigentums bei den Deutschen überwiegend negativ: »Je mehr jemand hat, desto mehr will er haben« – dieser Aussage stimmt eine absolute Mehrheit von 51 Prozent der Befragten zu.
Widersprüche in der Wahrnehmung von Eigentum
Die Bewertung von Eigentum ist auch von den Lebensumständen des Einzelnen abhängig. So zeigt die Befragung, dass Menschen, die selbst über Wohneigentum verfügen, dieses besonders häufig als eine wichtige Quelle von Sicherheit bewerten – und materielles Eigentum auch ganz allgemein besonders oft als erstrebens- und schützenswert ansehen. Dies gilt nicht in gleichem Maße für Menschen, die über wenig oder kaum Eigentum verfügen. So wird Immobilienbesitz in der Gesamtbevölkerung von 55 Prozent als wichtige Quelle für ihr Sicherheitsgefühl gewertet – aber von 73 Prozent der Immobilienbesitzer (siehe Abbildung 2). Auch andere Formen von Eigentum tragen bei Immobilienbesitzern signifikant häufiger zum Sicherheitsgefühl bei als in der Gesamtbevölkerung.
Abbildung 2: Eigentum und Sicherheitsgefühl bei Immobilienbesitzern
Die Allensbach-Analyse legt den Schluss nahe, dass die Deutschen ein ambivalentes Verhältnis zum Eigentum haben. Einerseits erkennen sie grundsätzlich die Bedeutung von Eigentum und dessen individuelle Vorteile an. Andererseits ziehen daraus nicht alle zwingend den Schluss, dass Eigentum auch gesamtgesellschaftlich notwendig ist und insoweit eines besonderen Schutzes bedarf. Gerade wenn Eigentum von der eigenen Lebenswelt abgekoppelt ist oder wenn es als in den Händen anderer konzentriert wahrgenommen wird, erscheint vielen diese Institution gar suspekt.
Diese Erkenntnis offenbart, dass die materiellen Umstände, in denen ein Mensch lebt, seine Einschätzung nicht nur in Bezug auf das eigene Eigentum verändert, sondern auch in Bezug auf die Rolle von Eigentum für das Gesellschaftsleben insgesamt. Einerseits scheint den meisten Menschen bewusst zu sein, dass Eigentum für ihre eigene Freiheit unabdingbar notwendig ist – in nicht geringem Maße auch für ihr Lebensglück. Andererseits werden etwaige Konzentrationstendenzen bei der Verfügung über den gesellschaftlichen Eigentumsbestand als problematisch angesehen, vor allem, wenn man nicht selbst davon profitiert. Wenn zugleich die gesellschaftliche Wertschätzung von Eigentum zu gering ist, ergeben sich daraus potenziell Probleme bei der Aufrechterhaltung einer funktionierenden Eigentumsordnung. Für politisches Handeln lässt sich daraus eine Empfehlung ableiten: Erstens sollte möglichst vielen Menschen Zugang zu Eigentum möglich sein. Zweitens sollten politisch Handelnde auch jenen Menschen, die selbst über wenig verfügen, vermitteln, warum eine Wertschätzung für ein stabiles Eigentumsrecht notwendig und auch in ihrem Sinne ist.
Gefährdungen des Eigentums
Schließlich bilden eine funktionierende Eigentumsordnung und die Möglichkeit, Privateigentum zu erwerben und zu behalten, aus volkswirtschaftlicher Sicht zentrale Fundamente unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung: Eigentum ist zugleich Vorbedingung für individuelle Freiheit und für marktwirtschaftliche Systeme. Materiell und geistig frei kann ein Mensch nur sein, wenn er über seine produzierten oder getauschten Güter selbst und ohne wesentliche Einschränkungen verfügen kann und solange er nicht in der Angst leben muss, dass sein Eigentum durch politische Willkür bedroht ist. Die Sicherung und Durchsetzung des Privateigentums obliegt in der Regel dem Staat. Dies wird von der deutschen Öffentlichkeit auch so wahrgenommen: 48 Prozent der Befragten halten die Sicherung des Eigentums für eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. Bereits für Walter Eucken (1891–1950), einen der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, lag die zentrale Frage moderner Gesellschaften genau darin. So schreibt er in den Grundsätzen der Wirtschaftspolitik: »Wie kann Privateigentum zu einem ökonomisch und sozial brauchbaren Instrument des Ordnungsaufbaus werden?«
Abbildung 3: Wahrnehmung der Gefährdungen von Eigentum
In diesem Sinne sorgen sich die Deutschen auch nicht so sehr um die Bedrohungen durch das Eigentum, sondern viel mehr um die Bedrohungen des Eigentums (Abbildung 3). Sie zeigen sich zugleich optimistisch: So sind sich 57 Prozent der Befragten darin einig, dass sie sich über die Sicherheit ihres Eigentums keine Sorgen machen müssen, nur 28 Prozent sehen ihr Eigentum als potenziell gefährdet an. Interessant ist dabei, dass es hier keinen signifikanten Unterschied in der Einschätzung zwischen Gering- und Besserverdienern gibt. Jedoch fürchten Menschen im fortgeschrittenen Alter mehr um ihr Eigentum als Jüngere.
Worin liegen nun die größten Gefährdungen des Eigentums aus Sicht der Deutschen? In einer erneuten Finanzkrise (61 Prozent) und einer möglichen Inflation (57 Prozent) sehen die meisten derzeit die größte Bedrohung. Die Eurokrise bewerten immerhin noch 52 Prozent als potenzielles Risiko für die Sicherheit des Eigentums. Andere Bedrohungen des Eigentums wie Kriminalität (55 Prozent) oder der Verlust des Arbeitsplatzes (54 Prozent) gehören ebenso zu den Ängsten der Deutschen. Themen aus dem Umfeld der aktuellen finanzpolitischen Diskussion, wie das Problem niedriger Zinsen (46 Prozent), die hohe Steuer- und Abgabenlast (44 Prozent), die mögliche Abschaffung des Bargelds (29 Prozent) oder die Staatsverschuldung (24 Prozent) werden dagegen in der Bevölkerung – anders als in der Wissenschaft – als weniger beunruhigend wahrgenommen. Auch gegenüber...