Der Querulant zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er dazu neigt, neutrale oder freundliche Handlungen als böswillig oder gegen sich gerichtet wahrzunehmen. Er ist ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse, der jedem Menschen unterstellt, ihm Übles zu wollen. Wenn Sie einen Querulanten als Vermieter haben, können Sie davon ausgehen, dass er regelmäßig unangekündigte Hausbesuche macht, um sicherzustellen, dass Sie seine kostbare Immobilie nicht beschädigen. Das gilt sogar dann, wenn Sie eine Bruchbude von ihm gemietet haben, die Sie auf eigene Kosten teuer renoviert haben. Der Querulant macht sich das Leben stets schwer, weil er nicht glauben mag, dass es tatsächlich freundliche Menschen gibt. Wenn Sie einer Querulantin fortgeschrittenen Alters begegnen und sehen, dass sie sich mit ihren schweren Einkaufstüten abmüht, und ihr deshalb anbieten, ihr beim Tragen zu helfen, wundern Sie sich nicht, wenn Sie wüst beschimpft werden oder die alte Dame gleich nach der Polizei ruft. Sie ist sich nämlich vollkommen sicher, dass dies nur ein Trick ist. Garantiert werden Sie, sobald Sie Ihnen ihre kostbaren Äpfel, die Butter und das Toilettenpapier anvertraut, damit über alle Berge verschwinden. Die Trickdiebe und Betrüger werden heutzutage immer dreister, und der Querulant weiß das ganz genau. Also vertreibt er lieber alle aus seinem Umfeld, die ihm irgendwie schaden könnten. Und da ihm im Grunde jeder Mensch schaden kann, ist der Querulant meist sehr einsam. Aber das ist immer noch besser, als stets auf der Hut sein zu müssen. Und zur Gesellschaft reichen ja auch Tiere, am besten große Hunde mit scharfen Zähnen, die den Querulanten vor den Verbrechern schützen, die überall herumlaufen und nur darauf lauern, ihn zu berauben.
Sollte der Querulant es tatsächlich geschafft haben, einen Ehepartner zu finden, wird er oder sie sich in meist grundloser Eifersucht ergehen. Ehepartner von Querulanten haben meist nichts zu lachen – ganz gleich, ob der Querulant nun männlich oder weiblich ist. Wer eine derartige Ehe beobachtet, wundert sich, warum nicht viel mehr Querulantenpartner bei Nacht und Nebel zum Zigarettenholen aufbrechen, selbst wenn sie Nichtraucher sind, und dann den ersten Flug nach New York nehmen.
Warum wird jemand zum Querulanten?
Warum muss jemand die ganze Welt für schlecht und bösartig halten? (Mal abgesehen davon, dass man leicht davon überzeugt werden könnte, wenn man sich die Nachrichten ansieht – und da der Querulant einsam ist, bezieht er seine Kenntnis von der Welt überwiegend aus dem Fernsehen oder Internet.)
Aus psychoanalytischer Sicht wird angenommen, dass die Betroffenen in ihrer Kindheit regelmäßig Zurückweisung und Liebesmangel erlebt haben. Gleichzeitig hatten sie besonders fordernde Eltern, die von ihnen mehr verlangten, als sie selbst zu geben bereit waren. Das Kind wurde zum Objekt, das die Bedürfnisse der Eltern erfüllen sollte.
Wenn wir uns jetzt an die oben beschriebenen perfekten Eltern erinnern, die wirklich alles taten, um ihr Kind «perfekt» zu machen, birgt dieser Wunsch auch die Gefahr, einen Querulanten heranzuziehen. Und zwar immer dann, wenn es nicht um das Kind selbst geht, sondern um das, was es für seine Eltern bedeutet. Wird es geliebt, oder ist es bloß ein Statussymbol, mit dem man vor den Nachbarn angeben kann? Wenn das der Fall ist, erfüllen diese Kinder den gleichen Zweck, den Meerschweinchen im Kinderzimmer haben – nicht artgerecht gehaltene Kuscheltiere, die immer zum Schmusen bereit sein sollen, aber auf deren eigentliche Bedürfnisse keine Rücksicht genommen wird. So hat sich das Baby genau wie das Meerschweinchen von allen knuddeln zu lassen, auch wenn es schlafen will, und sogar Tante Adelheid darf es immer und immer wieder herzen und abschlecken, da sie zwar eine Meerschweinchen-, aber leider keine Babyallergie hat.
Später, wenn das Kind größer geworden ist, wird es gern wie eine hübsche Puppe angezogen, damit die Eltern ihre Freude haben. Besonders beliebt sind T-Shirts mit Sprüchen wie «Der Teufel trägt Windeln» oder «Ich kleckere nicht, ich dekoriere», wobei diese T-Shirts immer noch besser sind als die eleganten Kleidchen und Hemdchen, die zwar ordentlich was her machen, aber um Himmels willen nicht schmutzig gemacht werden dürfen, weil sie nur per Hand gewaschen werden können oder gar in die Reinigung müssen.
Drollige Familienausflüge werden ausschließlich deshalb unternommen, weil Mutti und Vati Lust dazu haben und sich gleichzeitig in der Rolle als gute Eltern sonnen. Wenn das Kind lieber mit seinen Freunden draußen spielen will, aber Mutti und Vati meinen, jetzt müsse man doch mit dem Auto spazieren fahren und dann in irgendeinem Waldcafé ein Eis essen, anstatt im Wald herumzutoben, baut sich Frust auf. Das Kind bekommt nach außen hin zwar viel Zuwendung, aber es geht dabei nicht um die Befriedigung seiner Wünsche, sondern um die Bedürfnisbefriedigung der Eltern. Und wenn das Kind dann wütend wird, wird es von seinen Eltern gleich als undankbar und schwierig gebrandmarkt, weil man doch alles für dieses Kind tut (und es bekommt das T-Shirt mit dem Spruch «Ja, das muss so laut sein», damit sich auch alle anderen amüsieren können, wenn das Kind versucht, seinen berechtigten Unmut zu äußern). Schließlich darf es sogar in einem gepflegten Waldcafé ein teures Eis essen, während die Nachbarkinder auf der schlammigen Pferdewiese im Matsch spielen müssen, weil deren asoziale Eltern sich ja nicht so gut um den Nachwuchs kümmern.
Wenn so etwas ab und zu mal passiert, ist das ganz normal, und es muss jetzt auch keiner ein schlechtes Gewissen haben, wenn er seinen Kindern T-Shirts mit lächerlichen Sprüchen anzieht, solange sie nicht als Disziplinierungsmaßnahme gedacht sind. Ich schätze, jeder kann sich an Ereignisse in seiner Kindheit erinnern, bei denen die eigenen Bedürfnisse hintangestellt wurden und man nur die Bedürfnisse der Eltern zu erfüllen hatte.
Je häufiger so etwas jedoch vorkommt, umso größer wird die aufgestaute Wut. Langsam, aber sicher entwickelt sich eine unbewusste Feindseligkeit, weil das betroffene Kind niemals erfahren hat, dass seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden. Es war immer nur passiver Teilnehmer, obwohl nach außen so getan wurde, als gehe es nur um das Kind. Gleichzeitig wurden sämtliche Versuche des Kindes, dagegen aufzubegehren, mit der «Undankbarkeits-Keule» niedergeknüppelt. Und da diese Kinder nach außen hin ja tatsächlich scheinbar alles von ihren Eltern bekommen haben, fanden sie auch niemanden, der sich ihrer Sicht der Dinge annahm und sie in ihren Bedürfnissen bestätigte. Stattdessen hörten sie eher Sprüche wie: «Sei froh, dass deine Eltern so viel für dich tun und sich so gut um dich kümmern.» Oder sie wurden von den Nachbarskindern, die im Matsch spielten, beneidet und gleichzeitig ausgegrenzt.
Durch dieses ständige Verkennen ihrer Bedürfnisse projizieren die Betroffenen ihre Wut und Feindseligkeit schließlich auf alle anderen Menschen. Jetzt ist jeder, der mit einer scheinbar netten, freundlichen Handlung auf sie zukommt, erst mal mit Vorsicht zu genießen. Da gibt es doch bestimmt einen Hintergedanken. Irgendwo muss doch der Haken an der Sache sein, oder? Warum sollte jemand von sich aus für mich etwas Gutes tun, wenn er nicht selbst den größeren Vorteil davon hat? Denn genau das haben diese Menschen von frühester Kindheit an gelernt. Es geht nie um ihre Bedürfnisse, ganz gleich, wie nett jemand zu ihnen ist. Am Ende werden sie immer den Kürzeren ziehen, und alle anderen sind zufrieden, während sie selbst von Glück reden können, wenn sie ein bisschen Spaß haben.
Wenn diese Kinder erwachsen werden, sind sie oft schon so isoliert von ihrer Umwelt, dass sie auch in der Beziehungsgestaltung große Schwierigkeiten haben. Und wenn sie wirklich einen verständnisvollen Partner finden, kämpfen sie immer noch mit Eifersucht und der Angst, zu kurz zu kommen, weil diese Erfahrungen so tief in ihrer Seele verwurzelt sind. Nun, da sie erwachsen sind, können sie sich zwar besser wehren, aber sie haben nie gelernt, Kompromisse zu schließen. Es ging immer nur um Sieg oder Unterwerfung, und deshalb neigen sie dazu, ständig in Streitigkeiten zu geraten und sich ihr Recht notfalls auch auf juristischem Weg einzuklagen. Dabei passiert es oft, dass sich ihr Kindheitstrauma wiederholt und niemand versteht, warum sie so übertrieben auf eine harmlose Situation reagieren. Eigentlich war doch alles ganz freundlich gemeint und hätte mit ein paar netten Worten beigelegt werden können. Aber wer bereits in seiner Kindheit gelernt hat, dass nette Worte nichts nützen, weil man sowieso nie ernst genommen wird, der zieht daraus den Schluss, dass alle anderen Arschlöcher sind und man hart für seine Rechte kämpfen muss. Wer nicht kämpft, wird untergebuttert, reingelegt und betrogen. Die Freundlichkeit der anderen ist immer nur Mittel zum Zweck, denn wer sollte schon auf die Idee kommen, den Betroffenen um seiner selbst willen zu mögen? So beginnt ein Teufelskreis: Wer grundsätzlich mit dem Schlechtesten im Gegenüber rechnet, verhält sich selbst unangemessen und provoziert dadurch unbewusst genau das Verhalten, das er sowieso erwartet. In der Psychologie nennt man das dann Projektive Identifikation, während unsere Vorfahren dafür den Spruch «Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus» benutzten. Nur leider bemerken es die Betroffenen nicht, sondern fühlen sich in ihrer Annahme noch bestätigt.
Verstärkt wird diese Entwicklung in der Kindheit, wenn...