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E-Book

Ein Jahr in Hollywood

Reise in den Alltag

AutorAmelie Heinrichsdorff
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783451802607
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Im Traum und im Kino bin ich schon oft in Hollywood gewesen: mit George Clooney im offenen Wagen den Sunset Boulevard entlanggefahren, mit Julia Roberts und einem Cafe Latte in der Hand lässig auf Palmen-umsäumten Avenues spaziert, an Malibus Stränden mit einem David-Hasselhoff-Doppelgänger in die Fluten gesprungen, um schließlich Hand in Hand mit Brad Pitt den Sonnenuntergang vom Mulholland Drive aus zu bewundern.'

Amelie Heinrichsdorff studierte in Berlin, Santa Barbara und Los Angeles, wo sie auch zum Thema 'Frauen im Exil' promovierte. Sie leitete von Berlin und Sausalito, Nordkalifornien, aus die Unternehmenskommunikation für ein Software Unternehmen, bevor sie 2000 Pressesprecherin des Nachrichtensenders CNN wurde.

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Leseprobe

August
California Here I Come

Im Traum und im Kino bin ich schon oft in Hollywood gewesen: mit George Clooney im offenen Wagen den Sunset Boulevard entlanggefahren, mit Julia Roberts und einem Caffè Latte in der Hand lässig auf palmenumsäumten Avenuen spaziert, an Malibus Stränden mit einem David-Hasselhoff-Doppelgänger in die Fluten gesprungen, um schließlich Hand in Hand mit Brad Pitt den Sonnenuntergang vom Mulholland Drive aus zu bewundern. Das ganze Jahr über bin ich braun gebrannt, im Kleiderschrank hängen nur Sommerkleider, den Rest kaufe ich am Rodeo Drive. Tagsüber liege ich am Pool, türkis und cool wie auf den Bildern von Edward Hopper, und abends bin ich verabredet mit einem Filmproduzenten, der natürlich gerade mich schon immer gesucht hat für seine nächste Hauptrolle. Denn ich sei schließlich etwas ganz Besonderes, wird er mir versichern. So dachte ich mir das zu Schulzeiten.

Inzwischen – als aufgeklärt-kritische Kulturwissenschaftlerin – hatte ich mich zwar von den Jungmädchenträumen weitgehend distanziert, der Glanz von Hollywood behielt jedoch seine Anziehungskraft für mich: Die Verheißung dieses Stadtteils von Los Angeles, der Mythos der Filmwelt vom Schwarz-Weiß-Streifen bis zum modernen Märchen à la „Pretty Woman“, die Bilder in den bunten Gazetten von Promis, Partys und Palmen lockten mich noch immer.

Ich wollte dorthin, wollte mit eigenen Augen sehen, wie es hinter den Filmkulissen aussah. Darum hatte ich mich auch für das Forschungsstipendium an der Universität in Los Angeles beworben, um mit Anfang dreißig endlich wirklich nach Hollywood zu kommen. Dass es geklappt hat, war in der Tat etwas ganz Besonderes, und ein Jahr lang würde ich nun dort arbeiten, leben und vielleicht sogar entdeckt werden, wofür auch immer. Auf alle Fälle wollte ich einmal dem nasskalten deutschen Herbstwetter entgehen und den manchmal sehr strengen Wintern.

„Früher waren solche Abschiede für immer“, meinte Onkel Heiner am Berliner Flughafen, als ich mit zwei großen Reisekoffern nach LAX (Los Angeles International Airport) via Frankfurt eincheckte.

Stimmt. Da fuhr man auch noch mit dem Schiff über den Großen Teich und wanderte aus, rettete sich jenseits des Atlantiks in die Freiheit oder in Sicherheit. Ich hingegen wollte schon im Dezember einmal wiederkommen, um zu Hause weiße, deutsche Weihnachten zu feiern. Darauf wieder zurück in die Sonne, um meine Recherchen über die deutschen Exilanten in Hollywood weiterzuverfolgen. Ausgestattet mit einem bescheidenen Forschungsstipendium für ein Jahr an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, wollte ich sehen, was und vor allem wer noch übrig war von den deutschen Exil-Autoren um Brecht, Mann und Feuchtwanger, die auf der Flucht vor den Nationalsozialisten über Umwege zuletzt in Hollywood ankamen.

„Grüße Tante Gerda von uns, auch von Omi!“, rief meine Mutter mir noch hinterher. Dann verschwanden meine Lieben aus meinem Blickwinkel, und ich ging durch den Sicherheitscheck. Das könnten zwölf phantastische Monate werden, hoffte ich, eine einmalige Chance. Das leicht mulmige Gefühl wegen des langen Fluges und die Ungewissheit, wie mein Leben in Kalifornien sein würde, verdrängte ich erst einmal. Noch war ich ja in Deutschland. Wir landeten in Frankfurt am Main und hatten dort vier Stunden Aufenthalt. Hier wollte ich einen Bekannten treffen, der nach zwei Jahren in New York inzwischen bei einer großen Bank arbeitete. Er hatte als Schüler ein Austauschjahr in Südkalifornien absolviert und wollte mir noch ein paar wichtige Tipps mitgeben. Hansi erwartete mich in der Lobby eines Flughafenhotels. Wir bestellten uns gleich etwas zu essen und quatschten munter drauflos.

Sein erster Tipp: Auf dem Weg in die USA sollte man seine Uhr auf die lokale Zeit umstellen, um sich so bereits an die neue Zeitzone zu gewöhnen.

„Also jetzt!“, ermahnte er mich. „Und gar nicht erst groß umrechnen, wie spät es denn jetzt wohl in Deutschland ist. Das hat mir immer geholfen, ich hatte fast nie Probleme mit der Zeitumstellung.“

Das klang vernünftig, sofort stellte ich meine Armbanduhr neun Stunden zurück auf US-Westküstenzeit.

„Und im Flieger am besten keinen Alkohol trinken, aber viel Wasser. Und versuch dir aus der Business Class eine Schlafmaske und Ohrenstöpsel zu organisieren, damit du ein wenig relaxen kannst.“

Auch das merkte ich mir, Hansi war schließlich Investmentbanker und viel auf Reisen. Wir redeten dann noch stundenlang über alles Mögliche, was man in Kalifornien so tun kann, so dass ich mich nun richtig freute und ungeduldig auf meine Uhr blickte. Und noch zweimal hinguckte, rechnete und einen Riesenschreck bekam.

„Wie spät ist es jetzt – nicht in LA, in Frankfurt?!“

„Hm, lass mal schnell sehen. Kurz nach halb vier“, antwortete er.

„O nein, mein Flug sollte um drei losgehen, das gibt es doch nicht!!!“

Hansi zuckte verlegen mit den Schultern.

„Danke für den Tipp mit der Zeitumstellung, hat ja super geklappt!“

„Sorry“, murmelte er.

Ich sammelte panikartig mein Handgepäck zusammen und rannte los, wieder rüber zum Flughafen, hastete durch die langen Gänge, rempelte rücksichtslos die anderen Passagiere an, kam außer Atem zur Passkontrolle, zeigte mein Ticket und meinen Reisepass vor. Und erreichte als Letzte das Gate – über die Lautsprecher wurde schon mein Name ausgerufen. Auf Hansi war ich noch sauer, als ich mich mit Schweiß auf der Stirn und einem tiefen Seufzer in meinen Flugzeugsitz sinken ließ.

Nachdem ich reichlich Wasser getrunken und mich etwas entspannt hatte, dachte ich an die vielen erfolgreichen Deutschen lange vor mir in Hollywood: Billy Wilder (na gut, der war eigentlich Österreicher), Fritz Lang und natürlich Marlene Dietrich. Dass es Bertolt Brecht dort nie gefallen hat, war mir egal. Ich würde jede Minute genießen.

Endlich war es so weit, wir befanden uns im Sinkflug. Und plötzlich hatte ich Angst vor der eigenen Courage, schließlich könnte ich auch hoffnungslos scheitern wie Alfred Döblin und Heinrich Mann. Oder wie die Handvoll lebender deutscher Schauspieler, die auch dem Ruf Hollywoods gefolgt waren und dann reumütig wieder zum deutschen, weichgezeichneten TV-Movie zurückgekehrt sind, Hollywood im Nachhinein verfluchend. Den anderen Österreicher, den sie hier nur Arnie nennen, ausgenommen. Wobei ich ja dort als Kulturwissenschaftlerin arbeiten wollte und der Film nur Forschungsgegenstand war. Beruhigender Gedanke.

Besagte Tante Gerda würde mich in Los Angeles vom Flughafen abholen. Sie war meine erste Anlaufstation in der südkalifornischen Metropole. Rund 18 Millionen Menschen leben im Großraum Los Angeles, der dreimal so groß ist wie meine Heimat, das Ruhrgebiet. Bei ihr konnte ich erst einmal bleiben, bis ich mir eine eigene Wohnung gesucht hatte. Sie war eine Freundin meiner Großmutter, eine Nenntante, die in den Vierzigern mit dem UFA-Filmballett via Kanada in die USA ausgewandert war.

Jetzt lebte sie als einziges ehemaliges „Scala-Girl“ in Los Angeles und arbeitete hin und wieder als Ballettlehrerin, um ihre knappe Rente aufzubessern. Seit sie in Amerika wohnte, nannte sie sich „Monica“. „Goerda“ fand sie auf Englisch zu hässlich. Sie wollte sich wohl in Amerika neu erfinden. Dabei kam sie uns gern in der alten Heimat besuchen; sie hatte meiner Großmutter auch geholfen, als mein Großvater sehr krank war. Und ihr starker deutscher Akzent im Englischen passte viel mehr zu „Goerda“ als zu Monica, auch nach über fünfzig Jahren in Kalifornien. Das sagte ich ihr aber lieber nicht. Für mich jedenfalls blieb sie Tante Gerda, was sie mir nachsah.

Nach zwölf unbequemen Flugstunden blickte ich von meinem Fensterplatz aus ängstlich-gespannt auf mein neues Zuhause hinunter, die unendlichen graugelben Häuserreihen, bis zum Horizont. „Downtown LA“ sah von oben aus wie eine Handvoll Zahnstocher in einem riesigen Betonmeer. Wie sollte man sich da jemals zurechtfinden? Auch das berühmte Freeway-System von Los Angeles1 war kaum zu erkennen – die zwölf- bis sechzehnspurigen Autobahnen waren lediglich scharfe Einschnitte in der endlosen, flachen Häuserlandschaft, von Grünflächen keine Spur. Dann flog der Pilot eine Schleife, und wir waren plötzlich an der Küste. Der Pazifik flimmerte dunkelblau, der Strand lag lang und leer da, bis auf ein paar Industrieanlagen. Der Himmel strahlte blassblau, und ein bräunlicher, dünner Film zog über das Meer – der Smog. Wie ich bald erfuhr, war er früher viel dichter. Und da stand sie hinter dem Geländer, Tante Gerda, unter den hundert anderen Abholern am Flughafen, als ich übermüdet endlich ans Tageslicht gelangte. Etwas nervös hatte mich die gestrenge Passkontrolle durch José Ramirez hinterlassen, der selbst gerade erst in den USA angekommen zu sein schien.

Sie strahlte mich an, hatte eine riesige Sonnenbrille und einen großen, altmodischen Sonnenhut auf, dazu trug sie Turnschuhe und ein schickes pinkfarbenes Shirt, passend zum Lippenstift. Die grauen Löckchen lugten keck unter dem Hut hervor. Sie drückte mich kurz.

„Hallo Schätzchen“, sagte sie und drängte sofort zum Ausgang. „Das Parken hier am Flughafen ist so teuer, und wir müssen uns beeilen, auf den Freeway zu kommen, bevor die Rushhour so richtig losgeht.“

Nach dem gleißenden Sonnenlicht und der staubig-trockenen Hitze draußen war das Parkhaus eine Erholung für die Augen und angenehm kühl. Es dauerte eine Weile, dann fand Tante Gerda ihr Auto wieder, ein etwas heruntergekommener Pontiac aus den späten Sechzigerjahren, der vorne noch eine durchgehende Sitzbank hatte und ein seltsam stumpfes Blau außen. Das...

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