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Eine kritische Betrachtung des Konzeptes der Work-Life-Balance. Leben wir um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben?

eine kritische Betrachtung - Leben wir um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben?

AutorKai Domack, Michael Baerwald
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl183 Seiten
ISBN9783638369213
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Pädagogik - Allgemein, Note: 1,3, Universität der Bundeswehr München, Neubiberg, 185 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Vorwort Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Thematik 'Work-Life-Balance'. Hinter diesem neudeutschen Anglizismus versteckt sich ein deutlich zunehmendes Spannungsverhältnis der Lebensbereiche Arbeit bzw. Beruf auf der einen Seite und Familie bzw. Freizeit auf der anderen Seite. Unser Interesse an der Arbeit begründet sich aus der Teilnahme an der Lehrveranstaltung Postmoderne I und II, bei der Prof. Dr. Kh. GEIßLER und Dipl.Päd. Andreas THEODORFF uns den Blick für das Individuum in der heutigen Zeit eröffnet haben. Mit dem vermittelten Grundverständnis für die Entwicklungsdynamiken von der Moderne zur Postmoderne oder auch 'Reflexiven Moderne', wie sie beispielsweise von BECK et al. (1994) genannt wird, haben wir begonnen unsere eigene Situation zu reflektieren. Wir stellten fest, dass wir im Laufe unserer militärischen Laufbahn, genau wie viele junge Berufseinsteiger aber auch langjährig Berufstätige, persönlich von einer Dysbalance in den verschiedenen Lebensbereichen betroffen waren bzw. sind. Die Erfordernisse der Arbeitswelt dehnen sich zunehmend in die angrenzenden Lebensbereiche aus. Dies führt schließlich dazu, dass wir auch den privaten Bereich - vor allem in zeitlicher Hinsicht - zunehmend rationell gestalten müssen, um die heutigen Anforderungen zu bewältigen. HABERMAS (1981) hat dies als 'Kolonialisierung der Lebenswelt' bezeichnet und 'damit seiner Kritik an einer Gesellschaft Ausdruck verliehen, die sich nur noch an marktförmigen Rationalitäten orientiert.' (THEDORFF 2004, S.48) Die Floskel 'keine Zeit' und das allgegenwärtige Klagen über Stress und Überforderung werden zur Normalität und damit als unhinterfragte Entschuldigung für das mangelnde soziale Engagement bis hinunter auf die familiäre bzw. partnerschaftliche Ebene akzeptiert. Wir versuchen im Rahmen dieser Arbeit zu hinterfragen, woher dieser Stress und Druck resultiert, wo wir doch eigentlich heute mehr Freiheiten und auch mehr Freizeit denn je haben. Wir selbst haben im Rahmen der militärischen Ausbildung erlebt, was es heißt sich den Anforderungen der Arbeit komplett unterzuordnen und auch den privaten, außerberuflichen Lebensbereich daran auszurichten. Arbeiten bis spät in die Nacht, Wochenenddienste und tagelange bzw. wochenlange Gefechtsübung haben dabei einen teilweise sehr hohen Tribut gefordert. Wir stellen uns daher die Frage: Leben wir um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben?

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Leseprobe

2. Die Rahmenbedingungen des täglichen Lebens


 

2.1 Modernisierung und Veränderung – Aber wie?


 

Die Veränderungen in allen Lebensbereichen der letzten beiden Dekaden, ob man es gesamtgesellschaftlich, wirtschaftlich oder auch nur individuell betrachtet, sind einschneidender denn je. Wir befinden uns in einer Umbruchsphase, die in der Literatur als Postmoderne (vgl. Geißler 1999) oder auch reflexive bzw. modernisierte Moderne (vgl. Beck et al. 1996 und 2001) dargestellt wird. Stichworte wie Enttraditionalisierung, Multioptionalität, Individualisierung, Beschleunigung, Vergleichzeitigung, Flexibilisierung, Deregulierung und Reflexivität sind in den geführten Diskussionen zum Epochenwandel vielfach zu finden. Die Wandlungsdynamiken sind breit gefächert: Beck et al. (2001, S. 13) sprechen in dieser Hinsicht von einer neuen „Art von Kapitalismus“, einer neuen „Art von Arbeit“, einer neuen „Art von globaler Ordnung“, einer neuen „Art von Gesellschaft“, einer neuen „Art von Natur“, einer neuen „Art von Subjektivität“ und schließlich von einer neuen „Art des alltäglichen Zusammenlebens“, die im Zuge der reflexiven Modernisierung entstehen. Daran wird deutlich, dass die Veränderungen der Welt im Allgemeinen, als auch der Arbeitswelt im Besonderen, beschleunigt voranschreiten und damit die „Umwälzungen der Nachkriegsphase […] tiefgreifender als in den 150 Jahren davor“ waren (Willke 1999, S. 19, Auslassung: M.B.). Die Mikroelektronik, die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, der weltwirtschaftliche Wandel, die demographische Entwicklung und ein Wertewandel haben ähnlich drastische Auswirkungen auf unser Leben wie einst die Eisenbahn, Elektrizität, Chemie und Automobil.

 

„Die Arbeitsgesellschaft befindet sich im Umbruch“ skizziert Willke (1999, S. 35) als Folge der Veränderungstendenzen und deutet damit auf den Wechsel „vom mechanischen über das elektronische zum Informationszeitalter“, d.h. „von der Fabrikarbeit der Industriegesellschaft über die Büroarbeit der Dienstleistungsgesellschaft hin zur computergestützten ›Kopf- und Denkarbeit‹ der Wissensgesellschaft.“ In diesem Zusammenhang geht Willke (ebd.) von einer „Unterwanderung der alten Arbeitsgesellschaft durch neue Informations- und Kommunikationstechniken“ aus, die eine „Lebensform der medial basierten, vernetzten Kommunikation“ hervorbringt. Auch Beck et al. (2001, S. 22f, Herv.i.O.) weisen auf bestimmte Dynamiken hin, mit der sich die aktuelle Epoche, welchen Namen man ihr auch geben mag, von der Moderne unterscheidet: „Die industrielle, politische und kulturelle Globalisierung unterläuft die ökonomische Selbstdefinition der Ersten Moderne genauso wie ihr Selbstverständnis als Nationalstaatsgemeinschaft.“ Die Entgrenzung der Strukturen wirkt dabei auf das „Verhältnis von Lokalem und Internationalem, Eigenem und Fremden“ und beschränkt sich dabei nicht auf „nationalstaatliche Grenzziehungen“ (ebd.).

 

Hinsichtlich des Individuums sprechen Beck et al. (1996) von der Freisetzungsthese im Zuge der reflexiven Modernisierung. Die Freisetzung bezieht sich dabei auf Strukturen und Traditionen, aus denen der Einzelne bisher seine Identität gebildet und an denen er seine Handlungen orientiert hat. „Die Freisetzung aus Traditionen und Strukturen, der Verlust komplexitätsreduzierender Routinen und Konventionen verunsichert den Einzelnen zunehmend und zwingt ihn zu eigenverantwortlichen Entscheidungen.“ (Hildebrandt et al. 2000, S. 13) Durch diesen Verlust an Sicherheit kommt es zur zunehmenden Individualisierung der Lebensführung. Wobei jeder Einzelne mit der Entstrukturierung des alltäglichen Lebens und mit der Zunahme der Wahlmöglichkeiten gefordert ist, eigenen Entscheidungen zu treffen und diese ständig auf ihre Richtigkeit zu überprüfen bzw. zu korrigieren. „Die Freisetzungsthese ist insofern eng mit der Individualisierungsthese verbunden, als Enttraditionalisierung die Auflösung von sozialen Identitäten bewirkt und die individuelle Rekonstruktion von Arbeit und Leben erfordert.“ (Hildebrandt et al. 2000, S. 13f) Logische Folge ist die verstärkte Selbstorganisation der Bereiche Arbeit und Nicht-Arbeit. Weiterhin läuft der Individualisierungsschub, welcher sich seit den 1960er Jahren abzeichnet, „auf eine Erosion ständisch eingefärbter, kollektiver Lebensmuster hinaus, die ihre sozial prägende Bedeutung verlieren, da Gleichgewicht und Freiheit in anderer Form und zugleich in einem universelleren Sinne als zuvor eingeklagt werden.“ (Beck et al. 2001, S. 23, Herv.i.O.) Eine Folge dessen ist die „Geschlechterrevolution“, die auf eine „Veränderung der Binnenstruktur der Familie wie auf eine Auflösung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mit ihren Auswirkungen diesseits und jenseits des Arbeitsmarktes verweist.“ (ebd., Herv.i.O.)

 

Welches sind aber nun die Hintergründe für die Veränderungen in der Arbeitswelt und schließlich auch für die Entwicklung zur „fluiden Gesellschaft“? (Jurczyk/Oechsle 2002, S. 5ff) Um diese Frage zu beantworten, werden wir im Folgenden vier einschneidende, ja fast schon revolutionäre Wandlungstendenzen der letzten Jahre darstellen und deren Wirkung auf die betriebliche aber auch auf die subjektive Ebene beleuchten.

 

2.2 Mirkoelektronik – Fluch oder Segen?


 

Als erstes soll hier die die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und die moderne Mikroelektronik skizziert werden, da sie uns als der Auslöser für alle weiteren Wandlungstendenzen hinsichtlich der Entwicklung und Organisation von Arbeit erscheint.

 

Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien basieren auf der Entwicklung der Mikroelektronik, deren Miniaturisierung und der Möglichkeit einer digitalen Verarbeitung und Übertragung von Informationen. Bereits 1970 existieren weltweit 7000 Computer. 1971 wird der erste Mikrochip entwickelt und 1974 hat der erste Personalcomputer die Marktreife erlangt. In den 1980er und 1990er Jahren haben die modernen Informationssysteme schließlich Eingang in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben gefunden (vgl. dazu Melzig-Thiel 2000, S. 39f). Willke (1999, S. 35) prognostizierte bereits 1999 einen weltweiten Anstieg der Computer auf ca. eine Millarde und die Zahl der Internetnutzer bis 2005 auf über eine Milliarde. Aus der Kombination von Multimedia und Internet entwickeln sich immer mehr neue Marktplätze: Online-Banking, Teleshopping und E-Commerce seien nur beispielhaft genannt. Willke (1999, S. 184) ging diesbezüglich laut einer MIT-Studie von einem weltweiten Volumen des Internet-Handels bis zum Jahr 2002 von über einer Billion US-Dollar aus. Nach Angaben der Business Software Alliance (2003) auf dem Global Tech Summit 2003 in Washington D.C., dem Treffen der CEOs der weltweit führenden IT-Unternehmen, erwarten diese sogar ein weiteres Ansteigen des Volumens des Internethandels um das sechsfache auf jährlich 6 Billionen US-Dollar. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben offensichtlich einen signifikanten Einfluss auf alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche. In der Arbeitswelt bilden sich neue Formen der Arbeitsteilung, die Qualifikationsanforderungen an Beschäftigte verändern sich und alternative, flexible und kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse nehmen an Bedeutung zu. Dies führte zur Abkehr von fordistisch-tayloristischen Produktionsparadigma und zur Proklamation des Endes der Arbeitsteilung bzw. der Zuwendung zum ganzheitlichen Arbeitskräfteeinsatz. Man wandte sich ab von der industriellen Massenproduktion, da mit der modernen Mikroelektronik kurzfristige Wechsel in der Produktion ebenso möglich waren, wie die kostengünstige Herstellung kleiner Absatzmengen, die sich an den Kundenbedürfnissen orientierten. Die systemischen Rationalisierungen sorgten für die Steigerung von Flexibilität und Produktivität bzw. Effizienz des gesamten Produktionsprozesses.

 

Mit diesen Rationalisierungsmaßnahmen gingen Arbeitszeit- und Arbeitsorganisationsflexibilisierungen, wie beispielsweise die kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (kurz: KAPOVAZ), Jahresarbeitszeitkonten, Team-, Gruppen- bzw. international agierende, oft virtuell-basierte Projektarbeit einher. „Eng verbunden mit technologischen Innovationen sind neue Produktions- und Organisationskonzepte“, wie etwa „Lean-Management, Lean-Produktion, Just-in-Time-Produktion, Business Reengineering, lernendes Unternehmen, Qualitätszirkel, Total-Quality-Management“ usw. (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998, S. 34). Für Unternehmen steigt seitdem der Innovationsdruck, während die Produktionszyklen ständig weiter sinken. Die Entkopplung von Arbeits- und Betriebszeiten war diesbezüglich die logische Konsequenz, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten.

 

Auf der gesellschaftlichen Ebene kommt es bereits seit Mitte der 1970er Jahre zur Etablierung der Begriffe „Informationsökonomie“ und „Informationsgesellschaft“ (vgl. Melzig-Thiel 2000, S. 22). Die Zunahme der...

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