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E-Book

Einfach denken!

Wie wir alltägliche Denkfallen vermeiden und die richtigen Entscheidungen treffen

AutorRichard E. Nisbett
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783104037295
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Der renommierte amerikanische Psychologe Richard E. Nisbett hat in seinem Sachbuch ?Einfach Denken? einen Werkzeugkasten für optimales Schlussfolgern im Alltag entworfen. Wir treffen jeden Tag Entscheidungen, fällen Urteile. Oft sind uns die Mechanismen, die dahinter stehen, nicht bewusst - und das ist schlecht für die Entscheidungen, schlecht für die Urteile. Doch es gibt Abhilfe. Nisbett, den Malcolm Gladwell als den »einflussreichsten Denker« seines Lebens bezeichnet und dem Rolf Dobelli attestiert »die Kunst des klaren Denkens zu beherrschen«, erklärt gut verständlich, wie wir angemessener über die Welt und uns denken, klügere Entscheidungen treffen, genauer kategorisieren und Beziehungen erkennen, wie wir echte Kausalzusammenhänge von falschen unterscheiden und besser logisch und dialektisch schlussfolgern. Unterhaltsam und mit zahlreichen Beispielen aus dem Alltag versehen, macht dieses Buch uns schlauer - und damit glücklicher. Ein im wahren Wortsinn bewusstseinserweiterndes Buch - für die Leser von Rolf Dobelli und Daniel Kahnemann.

Richard E. Nisbett, geb. 1941, ist Professor für Psychologie an der University of Michigan. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zur Kognitionspsychologie verfasst, u.a. einen der am häufigsten zitierten Artikel über die Unbewusstheit mentaler Prozesse beim alltäglichen Schlussfolgern. In seinen letzten Büchern beschäftigte er sich mit den Unterschieden zwischen westlichem und asiatischem Denken sowie mit den kulturellen und sozialen Einflüssen auf die Intelligenz. Seine Bücher sind in über10 Sprachen übersetzt worden.

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Leseprobe

2. Die Macht der Situation


Das vorige Kapitel hat gezeigt, dass wir den Einfluss irrelevanter, inzidenteller und kaum wahrgenommener Reize auf unsere Urteile und Verhaltensweisen häufig übersehen. Unglücklicherweise sind wir oft auch blind für die Wirkung von Faktoren, die keineswegs inzidentell oder flüchtig sind, sondern die zentralen Antriebe unserer Bewertungen und Handlungen. Insbesondere unterschätzen wir – oder ignorieren völlig – einige höchst bedeutsame und nachhaltige situative Einflüsse auf Überzeugungen und Verhalten.

Als direkte Konsequenz dieser »Kontextblindheit« neigen wir dazu, den Einfluss persönlicher, »dispositioneller« Faktoren – Präferenzen, Persönlichkeitsmerkmale, Fähigkeiten, Pläne und Motive – auf das Verhalten in einer bestimmten Situation zu überschätzen.

Die Vernachlässigung der Situation wie auch die Überbewertung innerer Faktoren treten selbst dann auf, wenn wir versuchen, die Gründe für unsere eigenen Urteile und Handlungen zu analysieren. Noch viel schwerwiegender ist das Problem jedoch, wenn wir die Ursachen für das Verhalten anderer Menschen zu ergründen versuchen. Ich muss viele kontextuelle und situative Aspekte berücksichtigen, wenn ich mir ein Urteil bilden oder etwas Bestimmtes tun will. Dabei verschließt sich mir jedoch möglicherweise der Blick auf die Situation, der sich eine andere Person gegenübersieht. Darum ist es sehr wahrscheinlich, dass ich die Bedeutung, die die Situation auf das Verhalten des anderen hat, unterschätze und inneren Faktoren zu viel Bedeutung beimesse.

Meiner Ansicht nach ist die Missachtung der Relevanz von Kontexten und Situationen und die daraus folgende Überschätzung der Rolle persönlicher Veranlagungen der verbreitetste und folgenreichste Denkfehler, den wir begehen. Der Sozialpsychologe Lee Ross bezeichnet ihn als den fundamentalen Attributionsfehler.

Bei der Tendenz zu diesem Fehler gibt es jedoch beträchtliche kulturelle Unterschiede. Das nährt die Hoffnung, dass es den Menschen in dafür anfälligeren Kulturkreisen noch gelingt, ihn bis zu einem gewissen Grad abzulegen.

Der fundamentale Attributionsfehler


Bill Gates ist der reichste Mensch der Welt. Im hohen Alter von 19 Jahren brach er sein Studium an der Harvard University ab, um Microsoft zu gründen, und machte es in nur wenigen Jahren zum ertragreichsten Unternehmen der Welt. Da liegt die Vermutung doch nahe, dass er einer der klügsten Leute sein muss, die jemals gelebt haben.

Gates ist zweifellos ungewöhnlich brillant. Nur wenige wissen jedoch, dass er, computertechnisch gesprochen, bereits vor seiner Hochschulzeit im Tal der Seligen lebte. Weil er sich an der staatlichen Schule, die er in Seattle besuchte, langweilte, wechselte er 1968 mit 13 Jahren zu einer Privatschule, die über ein Terminal Zugang zu einem Großrechner besaß. So gehörte Gates bald zu einer Gruppe von wenigen Personen weltweit, die viel Zeit darauf verwenden konnten, einen hochleistungsfähigen Computer zu erkunden. Sein Glück hielt sechs Jahre lang an. Er bekam freie Zeit zum Programmieren und musste im Gegenzug die Software eines ortsansässigen Unternehmens prüfen. Regelmäßig schlich er sich morgens um drei aus dem Haus und machte sich auf zum Rechenzentrum der University of Washington, wo man der Öffentlichkeit zu dieser frühen Stunde freie Rechenzeit einräumte. Höchstwahrscheinlich gab es auf der ganzen Welt keinen anderen Teenager, der über einen Computerzugang verfügte, wie Gates ihn hatte.

Den Erfolgen zahlreicher Personen ist eine Kette von Glücksfällen vorausgegangen, die uns verborgen bleiben. Ökonom Müller kann doppelt so viele Publikationen in renommierten Fachzeitschriften vorweisen wie Ökonom Meier. Normalerweise gehen wir dann davon aus, dass Müller talentierter und fleißiger ist als Meier. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass Ökonomen, die in einem »fetten Jahr« promoviert haben, in dem viele Hochschuljobs zu vergeben waren, im späteren Leben sehr viel mehr Publikationen vorweisen können als Ökonomen, deren Promotion in einem »mageren Jahr« lag. Die Ökonomen des fetten Jahres erhielten in kürzerer Zeit bessere Stellen als die Ökonomen des mageren Jahres. Es ist gut möglich, dass der Unterschied in der Publikationsrate von Müller und Meier mehr dem puren Glück zu verdanken ist als Klugheit, aber wir sind nicht in der Lage, das zu erkennen.

Die Karriere zahlreicher Hochschulabsolventen, die zur Zeit der letzten Weltwirtschaftskrise ihren Abschluss machten, wird nie mehr wirklich in Gang kommen. Arbeitslosigkeit ist schlimm – nicht nur weil es demoralisierend ist, keinen Job zu haben, sondern weil die Nachwirkungen vielleicht permanent sind. Und so werden sich manche Eltern fragen, was sie bei ihrer am Hungertuch nagenden Julia falsch gemacht haben, die 2009 ihr Examen gemacht hat, und ob sie ihre erfolgreiche Jennifer, deren Examen 2004 war, denn wirklich so ganz anders erzogen hätten.

Manchmal bleiben wichtige Einflüsse im Dunkeln, doch selbst wenn uns situative Faktoren, die sich nachhaltig auf unser Verhalten auswirken, ins Auge springen müssten, ignorieren wir zuweilen ihre Bedeutung.

In einem klassischen Experiment aus den 1960er Jahren zeigten die Sozialpsychologen Edward Jones und Victor Harris ihren Versuchspersonen jeweils einen von zwei Aufsätzen über das politische System Kubas, die vorgeblich von Collegestudenten verfasst worden waren, nachdem ihnen ein Professor das Thema ihres Aufsatzes vorgegeben hatte.[32] Ein Aufsatz behandelte die Vorzüge Kubas, der andere die Nachteile. Die Versuchsleiter sagten den Probanden, die den positiven Aufsatz über Kuba lasen, der Verfasser habe in einem Politikwissenschaft-Seminar (oder, bei einem anderen Experiment, in einem Debattierkurs) die Anweisung erhalten, einen Text pro Kuba zu schreiben. Den anderen Probanden, die den negativen Aufsatz lasen, sagte man, der Verfasser habe einen Anti-Kuba-Text schreiben müssen. Wir sind uns wohl einig, dass die Versuchspersonen demnach keinerlei Informationen über die tatsächliche Meinung der Studenten über Kuba erhielten. Dennoch bescheinigten sie dem ersten Studenten eine sehr viel positivere Einstellung gegenüber Kuba als dem zweiten.

Im täglichen Leben ignorieren wir ähnlich starke Einflüsse auf menschliches Verhalten. Ein mit mir befreundeter Professor gibt in Stanford regelmäßig zwei verschiedene Kurse für Studienanfänger. Der eine ist ein Statistikkurs und der andere ein Kommunikationskurs. Am Ende der Vorlesungszeit bewerten ihn die Teilnehmenden an seinem Statistikkurs als streng, humorlos und ziemlich kalt. Die Teilnehmenden an dem Kommunikationskurs bewerten ihn als flexibel, lustig und recht warmherzig.

Ob wir heldenhaft oder hartherzig sind, kann von einem Kontextfaktor abhängen, dessen Auswirkung viel größer ist, als wir gemeinhin annehmen. Die Sozialpsychologen John Darley und Bibb Latané haben eine Reihe von Experimenten über den sogenannten Bystander- oder Zuschauereffekt durchgeführt.[33] Sie konstruierten eine Reihe von Situationen, die wie Notfälle aussahen – einen epileptischen Anfall, ein umstürzendes Bücherregal, das im Raum nebenan einen Menschen unter sich begräbt, jemanden, der in der U-Bahn ohnmächtig wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand dem »Opfer« half, hing großenteils davon ab, ob noch andere Personen anwesend waren. Wenn die Probanden glaubten, sie seien der einzige Zeuge, versuchten sie normalerweise zu helfen. Gab es einen weiteren »Zeugen« (in Wirklichkeit ein Verbündeter des Versuchsleiters), war die Wahrscheinlichkeit, dass sie halfen, viel geringer. Falls es viele »Zeugen« gab, wurde die Hilfe sehr unwahrscheinlich.

In Darleys und Latanés »Epilepsie«-Experiment, bei dem die Probanden glaubten, sie kommunizierten über eine Sprechanlage mit dem »Opfer«, eilten ihm 86 Prozent von ihnen zu Hilfe, wenn sie glaubten, sie seien die einzige Person, die den Vorfall bemerkte. Wenn sie glaubten, es gebe zwei Zeugen, boten 62 Prozent ihre Hilfe an. Hörten vorgeblich vier Personen die Hilferufe, waren nur noch 31 Prozent zur Hilfe bereit.

Um unmissverständlich klarzumachen, dass Freundlichkeit und Fürsorge eine geringere Rolle spielen können als situative Faktoren, führten Darley und sein Kollege Daniel Batson eine Studie mit Theologiestudenten durch – Menschen, von denen man im Allgemeinen annimmt, dass sie besonders hilfsbereit sind, wenn sich jemand in Not befindet.[34] Die Versuchsleiter schickten eine Reihe von Theologiestudenten der Princeton University zu einem anderen Campusgebäude, wo sie einen Vortrag über das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (!) halten sollten. Einigen Studenten sagte man, sie hätten noch genügend Zeit, anderen teilte man mit, sie würden sich bereits verspäten. Auf dem Weg zum Vortrag kam jeder Priesterkandidat an einem Mann vorbei, der zusammengesunken in einem Eingang saß, stöhnte und hustete und offensichtlich Hilfe brauchte. Fast zwei Drittel der Kandidaten boten dem Mann Hilfe an, wenn sie es nicht eilig hatten. Wenn die Zeit drängte, war es nur noch ein Zehntel.

Wenn Sie jetzt nur wüssten, dass ein bestimmter Priesterkandidat seine Hilfe anbot und ein anderer nicht, so hätten Sie natürlich einen viel besseren Eindruck von dem hilfsbereiten als von demjenigen, der nicht half. Vermutlich würden Sie die Tatsache, dass der unbarmherzige Priesterkandidat in Eile war, nicht als Erklärungsfaktor für die...

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