Der gefürchtete Brief vom Sozialamt
Eltern im Pflegeheim
Frau Heuers Eltern leben in einer Pflegeeinrichtung. Ihre eigenen Einkünfte und ihr Vermögen reichen nicht aus, um die Kosten zu decken. Das Sozialamt zahlt die nicht gedeckten Ausgaben, möchte sich das Geld aber von Frau Heuer, die in diesem Fall unterhaltspflichtig ist, zurückholen. Die Eltern haben die Entscheidung hierüber nicht mehr in der Hand, weil kraft Gesetzes der Anspruch auf Unterhalt auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen ist. Damit hat dieser auch das Recht, seine Leistungen bis zur Höhe des bestehenden Unterhaltsanspruchs zurückzufordern und künftige Zahlungen festzulegen.
Damit Unterhaltsansprüche, die grundsätzlich nur zwischen Privatpersonen bestehen, auf den Staat übergehen können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu greifen zwei sehr unterschiedliche Rechtsgebiete, nämlich das Sozial- und das Familienrecht, ineinander.
Achtung: Unterschied zwischen Sozial- und Familienrecht
Der Abschnitt „Familienrecht“ des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) regelt die Unterhaltsansprüche zwischen Privatpersonen. Das Sozialgesetzbuch (SGB) regelt die Aufgaben des Staates bei der Gewährung von Sozialhilfe.
Bei der Thematik „Unterhalt“ gibt es zum einen den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch auf der Grundlage des BGB. Die Pflicht des Staates, bedürftige Menschen durch Sozialhilfe vor Armut und Not zu bewahren, und die Voraussetzungen für deren Gewährung regelt unter anderem das Sozialgesetzbuch. Teilweise decken sich die Regelungen, sie unterscheiden sich aber auch erheblich. Naturgemäß denken die Sozialämter eher „sozialrechtlich“. Sind dann die angewandten Grundsätze vorteilhafter, sollte man sich dagegen nicht wehren, sind die Bestimmungen des BGB günstiger, muss das Sozialamt auf die Anwendung des richtigen Rechts hingewiesen werden.
Sozialamtsrechnung
Sozialämter rechnen meist mit pauschalen Sätzen. Sie nehmen dabei oft die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der verschiedenen Oberlandesgerichte zu Hilfe. Dort werden bestimmte Freibeträge genannt, in denen pauschal ein Anteil für die zu zahlende Warmmiete enthalten ist. Für einen Alleinstehenden sind dies 450 €, für den im Haushalt lebenden Ehepartner kommen noch 350 € dazu. Wenn Sie eine höhere Miete zahlen, erhöht sich auch Ihr Freibetrag. Achten Sie daher darauf, dass Ihre tatsächlichen Kosten nicht mit geringeren Pauschalbeträgen abgegolten werden. Wenn Ihre Warmmiete aber geringer ist als der Pauschalbetrag, sollten Sie die Berechnung nicht beanstanden.
Die sozialhilferechtlichen Berechnungen gehen typischerweise davon aus, dass der Bedarf eines Sozialhilfeempfängers nicht höher ist als die festgelegten Sätze. Das Unterhaltsrecht nach dem BGB sieht dagegen in der Regel sehr viel großzügigere Sätze vor. Achten Sie also darauf, dass Sie nicht durch die Anwendung der falschen rechtlichen Grundlagen benachteiligt werden. Lassen Sie sich im Zweifel durch die Behörde erläutern, welche Berechnungsgrundlagen angewandt wurden. Prüfen Sie auch nach, ob die angewendeten Pauschalen Ihre tatsächliche wirtschaftliche Situation zutreffend wiedergeben.
Lassen Sie – bevor Sie Elternunterhalt an den Sozialhilfeträger zahlen – prüfen, ob die Bedürftigkeit des Elternteils nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen ermittelt wurde. Ist dies der Fall, so sind die Unterhaltsforderungen zu hoch, während nach geltendem Unterhaltsrecht eigentlich nur geringere oder keine Ansprüche gerechtfertigt sind. Diese Prüfung muss für jeden Monat gesondert erfolgen, da insbesondere die öffentlichen Leistungen und im Einzelfall auch das Einkommen des Elternteils von Monat zu Monat schwanken können. Dem Sozialhilfeträger steht Unterhalt nur so weit zu, wie sich Sozialhilfeleistungen und Unterhaltsanspruch zeitgleich der Höhe nach decken.
Wenn der Sozialhilfeträger aus übergegangenem Recht Elternunterhalt geltend macht, sollten Sie Einsicht in die Verwaltungsanweisungen verlangen. Nur so können Sie überprüfen, ob diese Sie im Rahmen des Einkommens, der zu berücksichtigenden Abzüge oder hinsichtlich der Verwertung von Vermögen günstiger stellen als das Unterhaltsrecht. Hat der Sozialhilfeträger Verwaltungsanweisungen zur Ausführung des SGB XII erlassen, ist er nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung grundsätzlich verpflichtet, diese auch für alle gleichgelagerten Fälle anzuwenden. Als Betroffener haben Sie ein Recht auf Kenntnis dieser Vorschriften.
Auf den Punkt gebracht
Beim Thema „Elternunterhalt“ treffen Regelungen des Sozial- und des zivilrechtlichen Unterhaltsrechts aufeinander. Die beteiligten Behörden sind überwiegend sozialrechtlich orientiert und wenden die Rechenweise des Sozialrechts an, obwohl die richtige Berechnung auf der Grundlage des BGB erfolgen sollte. Prüfen Sie daher, ob in Ihrem Fall das richtige Recht angewandt wurde.
Die Rechtswahrungsanzeige
Um berechnen zu können, ob und wie viel Unterhalt Sie zahlen müssen, fordert das Sozialamt Sie mit einem Schreiben, der Rechtswahrungsanzeige, auf, unter Verwendung eines beigefügten Formulars umfassend Auskunft über Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse und die Ihres Ehe- bzw. eingetragenen Lebenspartners zu erteilen. Sie erhalten dieses Schreiben mit einer Postzustellungsurkunde, das heißt, es wird ein Nachweis erstellt, dass Sie den Brief mit allen Anlagen auch erhalten haben. Das Schreiben enthält meist
- die Mitteilung, dass Sozialhilfe für einen Angehörigen gezahlt wird,
- einen Hinweis auf die familienrechtliche Unterhaltspflicht (§§ 1601, 1602 BGB),
- den Hinweis auf den Übergang des Unterhaltsanspruchs bis zur Höhe der geleisteten Sozialhilfe auf den Sozialhilfeträger,
- die Aufforderung, den beigefügten Fragebogen sorgfältig und vollständig auszufüllen, damit die Leistungsfähigkeit aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse überprüft werden kann,
- den Hinweis auf die gesetzliche Verpflichtung zur Auskunft, die sich auch auf den Ehe-/Lebenspartner erstreckt,
- die Angabe einer Frist, innerhalb derer der ausgefüllte und unterschriebene Fragebogen zurückzusenden ist,
- den Hinweis, dass die Auskunftspflicht nicht identisch mit der Unterhaltspflicht ist,
- den Hinweis darauf, dass die Auskunftspflicht ggf. auch zwangsweise durchgesetzt werden kann, und
- den Hinweis auf das gesetzliche Widerspruchsrecht (Rechtsbehelfsbelehrung).
Vorsicht beim Ausfüllen des Formulars!
Empfänger eines solchen Schreibens sind durch die vielen rechtlichen Hinweise oft eingeschüchtert und machen sich sofort daran, schicksalsergeben das Formular akribisch auszufüllen und die geforderten Nachweise beizufügen.
Im Regelfall verwenden die Behörden allerdings Vordrucke, die nicht speziell auf den Elternunterhalt ausgerichtet sind, sondern auch Informationen für Kindes- oder Ehegattenunterhalt etc. sammeln sollen. Weil diese Ansprüche wesentlich weiter gehen, verleitet das übersandte Formular dazu, Angaben zu machen, die im Einzelfall über die Pflicht zur Auskunft hinausgehen, was finanzielle Nachteile nach sich ziehen kann.
Füllen Sie das Formular nie ohne vorhergehende Beratung durch einen auf den Bereich Elternunterhalt spezialisierten Rechtsanwalt aus, weil die Gestaltung und der Umfang des Vordrucks dazu verleiten, Auskünfte zu erteilen, zu denen im Einzelfall möglicherweise gar keine Verpflichtung besteht.
Ab wann muss Unterhalt gezahlt werden?
Die Mitteilung über die Gewährung von Sozialhilfe bezeichnet man als „Rechtswahrungsanzeige“. Deren Bedeutung liegt darin, dass Sie – sollte sich ein zu zahlender Unterhaltsbetrag errechnen – ab Kenntnis dieser Rechtswahrungsanzeige Unterhaltszahlungen leisten müssen, jedoch nicht für die Zeit davor.
Ab wann muss ich Unterhalt zahlen?
Wurden Sie als unterhaltspflichtiges Kind im Januar 2014 darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Sozialbehörde bereits seit Oktober 2013 Sozialleistungen für Ihren Vater im Pflegeheim erbringt, und ergibt sich aufgrund Ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse eine Unterhaltspflicht, so müssen Sie nicht rückwirkend ab Oktober 2013 Unterhalt zahlen, sondern erst ab dem Zeitpunkt, zu dem Sie vom Sozialamt benachrichtigt worden sind, also ab Januar 2014.
Wichtig: Bei der Aufforderung zur Auskunft handelt es sich noch nicht um eine Zahlungsaufforderung. Dies wird leider nicht in jedem Schreiben deutlich. Ergibt sich allerdings eine Zahlungspflicht, muss rückwirkend ab Zustellung der Rechtswahrungsanzeige gezahlt werden. Die Diskussion mit der Behörde kann einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die Höhe eines eventuell zu zahlenden Betrags feststeht.
Da auf diese Weise erhebliche Rückstände auflaufen können, empfiehlt es sich, einen überschlägig errechneten Betrag zurückzulegen, damit eine Nachzahlung nicht zu einem wirtschaftlichen Engpass führt oder gar ein Kredit aufgenommen werden muss. Obwohl die Sozialämter bezüglich dieser Nachzahlungen anbieten, die Rückstände in Raten zu tilgen, kann sich hieraus dennoch eine erhebliche Belastung ergeben.
Aus den oben dargestellten Unterschieden zwischen Familien- und Sozialrecht ergibt sich: Die Aufforderung zur Auskunft ist eine behördliche...