3.4 Emotionen im TV Duell
Über die Wirkung des TV Duells war in Kapitel 3.2 zu lesen. Wovon hängt diese Wirkung ab? Wodurch kann ein Kandidat die Bürger überzeugen, seine Partei zu wählen? Sind es eher die Demonstration von Kompetenz, die guten Argumente und die Sachkenntnis? Oder lassen sich die Zuschauer leichter durch emotionale Aussagen sowie Mimik und Gestik beeindrucken?
In der Mainzer Wahlstudie (vgl. Kepplinger, 2005) werden drei Wirkursachen unterschieden, die einen Einfluss auf die Wahlentscheidung haben: Erstens, die Berichterstattung über externe Faktoren, wie die nationale und internationale politische und wirtschaftliche Lage, die Situation der Sozialsysteme und der Parteien; zweitens, interne Faktoren die im Individuum begründet sind, z.B. politische Grundhaltung, Wahltradition und die eigene Vorstellung von der Persönlichkeit und der Fachkompetenz der Politiker. Diese sind die Basis für die Kandidatenpräferenzen und Wahlabsichten. Dazu kommen, drittens, intervenierende Faktoren. Das sind einmal die Massenmedien und wie darin über die aktuellen politischen Geschehnisse berichtet wird und zum anderen die Gespräche mit Bezugspersonen der Wähler. Diese Diplomarbeit beschäftigt sich also mit dem TV Duell als wichtiges Medienereignis und damit als intervenierenden Faktor. Schon die Einordnung zeigt, dass dies eine Komponente von vielen ist und deren kausaler Einfluss immer im Verhältnis zu den anderen Faktoren gesehen werden muss. Fest steht, dass der emotionalen Seite des TV Duells in den Medien sehr große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In vielen Artikeln stand das Auftreten der Politiker im Mittelpunkt und Argumente wurden nur am Rande behandelt (vgl. Frankfurter Allgemeine, 2005b). Schröder sei erst hölzern, dann charmant gewesen und hätte seine Liebeserklärung taktisch eingesetzt (vgl. Die Welt, 2005b); Merkel habe bleich, nervös und manchmal eingeschüchtert gewirkt (vgl. Sueddeutsche, 2005a). Bernd Oswald schreibt dazu in der Süddeutschen online:
„Das TV-Duell hat eigentlich nur einen Nutzen: Es ist eine Art Experimentallabor, in dem die Zuschauer die beiden Probanden unter gleichen Voraussetzungen unterschiedlich reagieren sehen: den Ton, in dem sie antworten, den Respekt, den sie ihrem Kontrahenten entgegenbringen, welche Pointen sie versuchen, mit welcher Mimik und Gestik sie arbeiten. Es ergibt sich im Endeffekt vor allem ein Persönlichkeitsprofil.“ (Sueddeutsche, 2005b).
Die Art der Berichterstattung kann jedoch nur als Indikator für öffentliches Interesse - nicht als Beweis einer Wirkung - gesehen werden.
1987 stellte Schenk zum Thema Persuasionskraft der Massenmedien fest, dass Studien, die die Effekte „rationaler“ und „emotionaler“ Appelle verglichen, keine Schlussfolgerung darüber zulassen, welcher der beiden Appelle wirksamer ist. Studien von Hartmann zeigten eine stärkere Überzeugungskraft emotionaler Appelle, wohingegen Experimente von Carmichael, Bowers und Weiss eine größere Wirkung rationaler Appelle nahe legten (vgl. Schenk, 1987). Widersprüchliche Forschungsbefunde werden durch eine mangelnde Abgrenzung von rationalen und emotionalen Appellen begünstigt. In der Praxis vermischen sich gewöhnlich emotionale und rationale Aspekte in einer Aussage, was natürliches Stimulusmaterial begrenzt.
Auch die neuere Forschung führt zu teilweise unterschiedlichen Ergebnissen. Nach Brettschneider (2005) sind Äußerlichkeiten wie Frau Merkels Frisur und Schröders Siegerposen für den Wahlausgang unerheblich. Das unpolitische Merkmal Sympathie spielt möglicherweise eine Rolle für die Entscheidung, wer das Duell gewinnt - für die Wahlentscheidung sei Sympathie allerdings nachrangig. Am wichtigsten sei dem Wähler die wahrgenommene Problemlösungskompetenz, Leadership-Qualitäten wie Führungsstärke, Entscheidungsfreude und Tatkraft sowie Authentizität. Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird auf Themenkompetenz und Ernsthaftigkeit wert gelegt.
Demgegenüber stehen Meinungen z.B. von Dörner (2005), der Bundeskanzler habe die zentralen Faktoren der Sympathie und der emotionalen Wärme (z.B. beim Liebesgeständnis an seine Frau) für seine Zwecke eingesetzt. Damit habe er Sympathie als Vehikel genutzt, um glaubwürdig zu wirken - und Glaubwürdigkeit ist die Voraussetzung, damit auch andere Argumente akzeptiert werden. Die Wähler lassen sich von solchen Eindrücken leiten und glauben am Ende, sie hätten eine rationale Entscheidung getroffen, obwohl sie sich von der Sympathie für eine Person haben leiten lassen.
Die Mainzer Wahlstudie (vgl. Kepplinger, 2005) untersucht ebenfalls die Frage nach subjektiver und objektiver Relevanz, d.h. welche Eigenschaften des Politikers Wähler als Entscheidungsgrundlage ihrer Meinung nach heranziehen, sowie welche Eigenschaften des Politikers die Wähler tatsächlich in ihrer Entscheidung beeinflussen.
Die Wähler waren überzeugt, dass sie sich ihre Meinung primär anhand der Sachkompetenzen der Politiker bilden. Als zweitwichtigstes Merkmal nannten sie die Persönlichkeitseigenschaften, v. a. Vertrauenswürdigkeit. Sympathie für einen Kandidaten hielten sie für wenig ausschlaggebend. Als objektiv relevante Kriterien zeigte sich in der Studie jedoch eine umgekehrte Hierarchie der Beweggründe: Sympathie zum Politiker gab den größten Ausschlag, gefolgt von Persönlichkeitseigenschaften. Sachkompetenzen spielen tatsächlich in der Meinungsbildung nur eine untergeordnete Rolle. Es zeigt sich also ein geringer Grad der Übereinstimmung zwischen subjektiver und objektiver Relevanz. Die Sympathie wird in ihrer Wirkung von den Wählern stark unterschätzt, die Sachkompetenz weit überschätzt, d.h. sie halten sich selbst für rationale Wähler, obwohl sie hochgradig von Emotionen beeinflusst sind. Dieses Phänomen nennt Kepplinger (2005) essentialistischen Trugschluss, weil Zuschauer ihren Eindruck nur scheinbar aufgrund von Erfahrung bilden. In Wirklichkeit beziehen sie Information über Politiker über Medien, was immer stark selektiv ist.
Dadurch, dass sich die Wähler ihres Trugschlusses nicht bewusst sind, können sie ihn nicht korrigieren. In einer Demokratie, die auf die Urteilsbildung der breiten Masse angewiesen ist, ist dieses Ergebnis von Brisanz.
Allerdings gibt es auch interindividuelle Unterschiede. Noelle-Neumann (2002) vom Allensbach-Institut weist auf die Wirkung hin, dass hauptsächlich die Menschen, die sich wenig für Politik interessieren, sich spät für eine Partei entscheiden, d.h. diese Gruppe ist für eine Beeinflussung durch das Duell am ehesten empfänglich. Die wenig Interessierten sind es auch, die ihre Entscheidung eher nach dem Gefühl treffen, wodurch die Bedeutung der emotionalen Komponente gegen Ende des Wahlkampfs immer wichtiger wird.
Die Zuschauer unterliegen noch einem weiteren Trugschluss, der Illusion der autonomen Urteilsbildung (vgl. Kepplinger, 2005): Die Informationen, über die die Bürger als Entscheidungsgrundlage verfügen, ist unausgewogen. Der Großteil der politischen Informationen stammt aus dem Fernsehen (50% gegenüber anderen Medien und Gesprächen mit Freunden. Inwieweit die Selbstauskunft der Befragten den Tatsachen entspricht, kann diskutiert werden. Nichtsdestoweniger vermittelt das Fernsehen einen sehr großen Anteil an politischen Informationen). Zudem findet im Fernsehen eine Selektion statt bezüglich dessen, was in den Medien gut zu verkaufen ist, z.B. Tendenz zu aussagekräftigen Bildern, Spitzenkandidaten,
persönlichen Geschichten (vgl. Bußkamp, 2002). Beim Zuschauer entsteht der Eindruck, dass dies der Realität entspricht, obwohl diese Realität nur medial konstruiert ist. Davon wiederum bleiben nur Themen in Erinnerung, die subjektiv als besonders interessant wahrgenommen werden. Dennoch glauben die Zuschauer, ein eigenständiges Urteil gefällt zu haben (vgl. Kepplinger, 2005). Um die Wirkung der Emotionen im Wahlkampf einzuordnen muss man außerdem den Einflussspielraum kennen, den ein Kandidat kraft seiner Sympathie haben kann. Dazu wurde im Wahlkampf 2002 gefunden, dass insgesamt 14 % der Wähler ihre Entscheidung nur aufgrund der Kandidaten getroffen haben. Sie haben also die Partei gewählt, von dessen Spitzenkandidaten sie überzeugt waren, obwohl sie eigentlich einer anderen Partei näher standen. Dabei konnte Schröder im Verhältnis 2% mehr Stimmen ziehen als Stoiber (ebd).
Weitere differenzierte Ergebnisse zur Wirkung von Emotionen im TV Duell 2002 finden sich bei Maurer & Reinemann (2003). 19 Schlüsselstellen wurden mittels Real-Time-Response Messung von den Zuschauern als besonders positiv oder negativ beurteilt. Auf einer Skala von 1-7 lagen diese Schlüsselstellen durchschnittlich mindestens einen Skalenwert über oder unter dem neutralen Skalenwert von 4. Ein bemerkenswertes Ergebnis war, dass konsequent die Stellen als besonders positiv beurteilt wurden, in denen Schröder und Stoiber die Emotionen der Zuschauer ansprachen. Entsprechend wenig Zustimmung fanden sie, wenn sie rational argumentierten und Fakten und Zahlen nannten. Auch Schweiger & Schrattenecker (2001) stellen fest, dass emotionale Aktivierung den gesamten Verarbeitungsprozess positiv beeinflussen kann. Woran liegt das? Einmal an der allgemeinen Verständlichkeit: Fakten sind abstrakter und schwerer verständlich als die emotionalen Appelle, die dem Zuhörer die Bedeutung der Argumente für ihr Leben verdeutlichen. Auch das spezielle Format der TV Debatte ist für diesen gravierenden Unterschied verantwortlich: Die rationalen Argumente, die genannt...