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E-Book

Erschriebene Labyrinthe bei Friedrich Dürrenmatt

AutorSandra K.
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl68 Seiten
ISBN9783668298804
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 2,0, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Sprache: Deutsch, Abstract: So allgegenwärtig wie der Labyrinthbegriff heute in verschiedensten Bereichen ist, so war er es auch im Schaffen und Leben von Friedrich Dürrenmatt. Das Labyrinthmotiv erstreckt sich nahezu über seine ganzen Werke und hat ihn seit frühster Kindheit fasziniert und seitdem nie losgelassen. In Interviews oder öffentlichen Reden nutzte Dürrenmatt das Labyrinth als Metapher oder auch Gleichnis, um seine Gedanken zu formulieren - somit bildet es auch die Grundlage, Dürrenmatt zu verstehen und zu deuten. Daher ist es nahezu eine Unmöglichkeit dem Labyrinthischen zu entgehen, wenn man sich mit Friedrich Dürrenmatt beschäftigt. U.a. veröffentlicht Franz Kreuzer sein Interview mit Dürrenmatt unter dem Titel 'Die Welt als Labyrinth. Die Unsicherheit unserer Wirklichkeit' und Peter Rüedi widmet in seinem biographischen Werk 'Dürrenmatt oder Die Ahnung vom Ganzen' dem Labyrinth einen ganzen Exkurs. Egal wie und auf welche Weise man sich Dürrenmatt zu nähern versucht, das Labyrinth bleibt ein konstanter Bestandteil seiner gesamten Schaffensphase und auch seines Lebens. In der Forschungsliteratur finden sich einige Untersuchungen des Labyrinthischen zu einzelnen Werken oder Werkreihen Dürrenmatts. Weiter werden andere Phänomene - wie beispielsweise das Absurde - in Kombination mit dem Labyrinth herausgearbeitet. Dürrenmatts Autobiographiewerk der Stoffe wurde in seiner Entstehung in Irr- und Umwegen behandelt. Auch in Gesprächen und Interviews mit ihm werden labyrinthische Aspekte und Vorstellungen in Dürrenmatts Leben und seinen Werken aufgegriffen. Eine Lücke besteht hier in der ganzheitlichen Untersuchung und Entwicklung des Labyrinthischen bei Dürrenmatt - unter Betrachtung von Werken, Gesprächen, Gedanken, Leben und seinen Schreibprozessen -, welche diese Arbeit nun füllen soll. Wo liegt der Ursprung von Dürrenmatts Faszination für das Labyrinth? Auf welche Art und Weise lässt er das Labyrinthische in seinen Werken zur Geltung kommen? Welches Verständnis und welche tiefere Bedeutung verbindet Dürrenmatt mit dem Labyrinth? Kann das Labyrinth sogar als Leitmotiv Dürrenmatts schriftstellerischen Schaffens bezeichnet werden? Diese Arbeit soll zeigen, wie Dürrenmatt das Labyrinth in seine Werke integriert hat, welche Funktionen es für ihn hat, welches Verständnis seinen Labyrinthbegriff prägt und wie sich sein eigenes erschriebenes Labyrinth immer weiterentwickelt hat, um so letztendlich zu einer neu orientierten, ganzheitlichen Lesart Dürrenmatts zu gelangen.

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Leseprobe

2. Die Inszenierung des Labyrinths bei Dürrenmatt


 

Dürrenmatt kam bereits in frühster Kindheit mit dem Mythos des Labyrinths in Kontakt. Während seine Mutter ihm Geschichten aus der Bibel erzählte, übernahm sein Vater die Geschichten zur heidnischen Mythologie. Der Vater erzählte seinem Sohn die griechischen Sagen aus eigenem Interesse heraus, was beide sehr genossen.[32]

 

Seither ließen Dürrenmatt die Gedanken an die Mythen nicht mehr los.

 

Er sagt im Gespräch mit Franz Kreuzer sogar:

 

Für mich sind Archetypen etwas, was immer vorhanden war, und zwar deshalb, weil der Mensch es immer brauchte, um zu leben, also sagen wir einmal, weil er anders nicht leben könnte. Der Mensch konnte ohne Feindbild nicht leben, er konnte auch nicht ohne Götter, später nicht ohne Gott leben. Die Stoffe, die Mythen, schuf der Mensch aus sich, um sein Leben auszuhalten. Es sind Fiktionen, die er braucht.[33]

 

Unter diesen Mythen, die Dürrenmatt auch für sich als essentiell bezeichnet, übernimmt speziell das Labyrinth in seinen Werken, wie auch in seinen Gedanken und Äußerungen in Interviews bzw. Gesprächen immer mehr Raum ein. Das Labyrinth sieht Dürrenmatt als „Urbild dessen, daß [d]er [Mensch] in einer Welt lebt, die er sich selber schafft und in der er sich nicht zurechtfindet“.[34]

 

Er geht sogar noch weiter: „[Dürrenmatt] glaubt, daß der Versuch, sich über das Labyrinth einen Plan zu machen, scheitern muß[,] […] daß die Wissenschaft, indem sie das Labyrinth nachbaut, zu neuen Labyrinthen kommt. Sie steigert gewissermaßen das Labyrinthische. Das heißt, sie weitet sich aus, aber die Kompliziertheit des Labyrinths wächst.“[35]

 

Philosophie, Kunst und Wissenschaft entpuppen sich als ästhetisches Credo bei Dürrenmatt und vereinen sich in seiner Vorstellung der labyrinthischen Welt, ein mythisches Urmotiv mit heutiger Aktualität.[36]

 

Auch Dädalus und Platon haben „die Welt als Labyrinth verstanden – Labyrinth deshalb, weil ihre äußeren Erscheinungen in falscher Übersetzung als nicht wirklich erkennbar auf uns zukommen, wie Platon es deutet“.[37]

 

In Platons Höhlengleichnis beispielsweise spiegelt sich diese labyrinthische Weltsicht für Dürrenmatt deutlich wider.

 

Das Labyrinth ist in dieser Sicht nicht etwas Naturgewachsenes, sondern ein Kunstwerk. Das heißt, es ist schon ein menschliches Abbild von etwas. Dädalus hat das gebaut. Was für ein Plan leitete ihn dabei? Er hat sich überlegt: Da ist ein Stiermensch, und ich muß etwas erfinden, in dem der sich zwar frei bewegen kann, aber nicht herauskommt. Und nun baut auch Platon ein Labyrinth. Er findet es nicht, er baut es. Es ist wohl eine Nachschöpfung, aber auch eine Neuschöpfung. Daß heißt, Platon will ein Abbild der Welt geben, und er tut dies, indem er ein Labyrinth baut.[38]

 

Auch schon in Platons Werk schaffen es die Menschen nicht, sich zu befreien, über das Labyrinth hinauszusteigen und es zu überwinden.

 

Das Gefangensein im Labyrinth des Lebens ist für Dürrenmatt

 

ein mehrdeutiges Bild. Zunächst ist es ein Bild der Existenz des Menschen. Ich weiß nie was hinter der nächsten Ecke auf mich lauert. Irgendwo ist der Minotaurus, ich weiß nicht, wann ich ihm begegne: Irgendwo lauert der Tod. Es ist auch ein Bild für unsere Welt, die, je mehr Gänge wir entdecken, desto verzweigter, desto unübersichtlicher wird. Je mehr wir wissen, desto mehr auch wissen wir nicht. Wir stoßen auf Sackgassen und gegen immer neue Grenzen. Jede Frage, die wir gelöst haben, zieht mehrere neue nach sich.[39]

 

Es wird deutlich, dass Dürrenmatts Bild des Labyrinths durch antike Philosophen wie beispielsweise Platon und Sokrates mitgeprägt ist. Sein Philosophiestudium, dass er selbst nach seinem offiziellen Ende für sich immer weitergeführt und sein Denken weiter bestimmt hat, lässt ihn mit weiteren Schriften in Berührung kommen, die sein labyrinthisches Denken neu formen oder bestätigen.

 

Die folgenden Werke sollen unterschiedliche Aufarbeitungen des Labyrinth-Mythos bei Dürrenmatt zeigen und sich auf dieses Motiv begrenzen - eine umfassende und ganzheitliche Analyse würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen und wäre keinesfalls so aussagekräftig wie die Konzentration auf einzelne wichtige Aspekte. Hierzu gehört, wie er in verschiedenen Phasen seiner Schaffenszeit das Bild des Labyrinths dichterisch angewandt und seine Auffassung vom Labyrinthischen zum Ausdruck gebracht hat. Allen Texten liegt nach eigenen Angaben Dürrenmatts das Labyrinth als Hauptmotiv oder Idee zugrunde.

 

2.1 Die Stadt


 

Immer wieder tauchen in den Werken Dürrenmatts labyrinthische Städte oder Dörfer auf. Die Stadt, aus eben dem gleichnamigen Werk Dürrenmatts geht jedoch weit über das hinaus, was man sich normalerweise unter einer gewöhnlichen Stadt vorstellen würde. Die Beschreibung der Stadt setzt bereits vor dem eigentlichen Anfang des Textes ein: „Aus den Papieren eines Wärters, herausgegeben von einem Hilfsbibliothekar der Stadtbibliothek, die den Anfang eines im großen Brande verloren gegangenen fünfzehnbändigen Werkes bildeten, das den Titel trug: Versuch zu einem Grundriss.“[40]

 

Hier wird sogleich das Labyrinthische deutlich. Es ist nicht möglich einen Grundriss anzufertigen, denn es bleibt bei einem Versuch. Die Beschreibung der Stadt erstreckt sich über die ersten zweieinhalb Seiten und legt am Wesentlichsten nahe, dass die Betrachtung der Stadt aus der Ferne wunderschön, aber ein Aufenthalt in ihrer Nähe fürchterlich ist:

 

Sie war von wunderbarer Schönheit und oft durchbrach in der Dämmerung das Licht die Mauern wie warmes Gold, doch denke ich mit Grauen an sie zurück, denn ihr Glanz zerbrach, als ich mich ihr näherte, und wie sie mich umfing, tauchte ich in ein Meer von Angst hinab. Auf ihr lag ein giftiger Nebel, der die Keime des Lebens zersetzte und mich zwang, mühsam nach Atem zu ringen, von einem quälenden Gefühl befallen, als wäre ich in Gebiete gedrungen, die zu betreten dem Fremden untersagt sind, in denen jeder Schritt ein geheimes Gesetz verletzte.[41]

 

Die Stadt sei außerdem vollkommen und ohne Gnade. Sie sei unverändert seit Menschendenken und keiner Zeit unterworfen, kein Haus käme hinzu und keines würde verschwinden. Die Gassen seien gleichgerichtet, sodass sie ins Unendliche zu führen schienen. Die Menschen haben sich der Stadt angepasst. Die Lauben waren zu klein, sodass sich die Bewohner in ihnen gebückt fortbewegen mussten, ohnehin bewegten sie sich nur mit langsamen, schleichenden Schritten vorwärts. Die Menschen zeigten keine Emotionen und waren verschlossen.[42]

 

Jeder Kampf gegen die Stadt schien hoffnungslos und so akzeptierte das literarische Ich sein Schicksal und lernte aus dem furchterregenden Leben in der Stadt und auch durch das Beispiel eines rebellierenden Holzkohleträgers. „Erbaut, damit wir uns selbst am Grunde der Schrecken begegnen, lehrte sie mich, meine Grenze zu sehen, indem sie ihre Größe offenbarte. Ich erfuhr meine Ohnmacht durch ihre Macht und ihre Vollkommenheit durch meine Niederlage.“[43]

 

Das Ich beschließt in den Dienst der Stadt zu treten, indem es als Wärter im Gefängnis arbeitet. Das Haus, wo das Ich sich für diesen Dienst melden musste lag „in einer Gegend, die unübersichtlich war, obgleich sie äußerst regelmäßig geplant worden sein mußte“.[44] Dieser Dienst sollte sich jedoch im Geheimen abspielen, sodass die Gefangenen nicht bemerken, dass es ein Wärter sei. Der Dienst sei außerdem schwer, aber freiwillig. Er könne jederzeit in sein Haus zurückkehren.[45]

 

In seine Einheitskleidung, sowohl für Gefangene als auch Wärter, gesteckt begibt sich der neue Wärter nun zum Antritt seines Amtes ins Gefängnis hinter eine Glastür. Diese Tür ist nicht abgeschlossen und steht weit offen. Sie führt in einen langen Gang von Glaswänden, in denen kleine Nischen abzweigen. Da sonst nichts weiter zu sehen ist begibt sich das Ich in eine Nische und folgert, allein auf sich gestellt, dass dies nun sein Arbeitsplatz sei. Ein ständiges Gefühl der Beobachtung setzt beim frisch ernannten Wärter ein. Die von Selbstzweifel erfüllten Gedanken des Ichs führen es nach einer Weile zu der Frage, „ob [es] nicht selbst ein Gefangener sei und [seine] Stellung als...

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