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Experten für Humankapital

Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland (Ordnungssysteme, Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Band 26)

AutorRuth Rosenberger
VerlagDe Gruyter Oldenbourg
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl489 Seiten
ISBN9783486586206
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis69,95 EUR

Im Zeitraum zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der ersten Hälfte der 1970er Jahre entstand in der Bundesrepublik Deutschland eine neue, unternehmensbezogene und humanwissenschaftlich gestützte Expertenkultur, diejenige der betrieblichen Humanexperten. Ihre Vertreter haben es sich zum Ziel gesetzt, mittels personalpolitischer Maßnahmen sowohl dem einzelnen Arbeitnehmer bei seiner individuellen Persönlichkeitsentwicklung behilflich zu sein, als auch im Sinne der beschäftigenden Organisation mehr Leistung und Effizienz zu sichern. 

Anhand einer vielschichtigen Analyse zeigt Ruth Rosenberger, wie und unter welchen Bedingungen es zum Aufstieg dieser neuen Profession kam. Sie untersucht die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen ideellen Neuorientierungen zentraler Akteursgruppen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, strukturellen Veränderungen der Unternehmensorganisation und neuen, von den Humanexperten entwickelten Maßnahmen zur Integration des Arbeitnehmers in das Unternehmen. Damit leistet die Arbeit einen zentralen Beitrag zur Erforschung der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte als Vorgeschichte gegenwärtiger gesellschaftlicher (Problem-)Konstellationen.

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Leseprobe
Der Mensch im Mittelpunkt?
Die Entstehung des personalpolitischen Felds, 1945–1955 (S. 113-116)

Auf der Suche nach einer neuen betrieblichen Sozialordnung

In der vom Mangel einer gültigen Ordnung und daher maßgeblich von Ungewissheit geprägten Nachkriegssituation versuchten nicht nur Gewerkschaften und Unternehmer Abhilfe zu schaffen. Während ihre Bemühungen in erster Linie auf übergeordnete ordnungspolitische Strukturen abzielten und so den betrieblichen Sozialraum zwar indirekt, aber nicht intentional prägten, gab es gleichzeitig auch Akteure, deren Ansätze konkret auf den betrieblichen Sozialraum ausgerichtet waren. Dabei handelte es sich großteils um akademisch ausgebildete Experten, die auf der Basis (human-)wissenschaftlichen Wissens Lösungen zu entwickeln versuchten. Diese Experten müssen als zentrale Akteure von sozialem Wandel nach 1945 in westdeutschen Unternehmen in den Blick genommen werden.

Das neue Feld betrieblicher Humanexpertise unterlag in der unmittelbaren Nachkriegszeit einer ungeheuren Dynamik. Zunächst gelang es nämlich Rationalisierungsingenieuren relativ schnell und problemlos, sich trotz der Auflösung ihrer bisherigen Verbände und Organisationen durch die Alliierten wieder zu etablieren. Sie schienen somit weiterhin die Experten zu sein, die auch aus den Unternehmen heraus nachgefragt wurden. Von Rationalisierungsingenieuren erwartete man traditionsgemäß vermittels technisch und ökonomisch optimierter Produktionsverfahren und Organisationsformen wissenschaftlich fundierte Hilfe beim möglichst schnellen und effizienten Wiederaufbau der (west-)deutschen Wirtschaft, der in der Rangskala anstehender Probleme höchste Priorität einnahm. Neben den Ingenieuren gab es aber auch noch eine zweite, wenn auch zunächst noch kleine Gruppe von Experten, die – ebenfalls ausgehend von wissenschaftlichem Wissen – betrieblichen Sozialraum gestalten wollten. Diese neuen Experten waren weder technisch orientiert, noch wurden sie aus den Unternehmen heraus nachgefragt. Einzelne Praktiker aus betrieblichen Personal- und Sozialabteilungen, die ich als „Personalexperten“ bezeichne, und Psychologen waren die wichtigsten dieser neuen Experten. Wenn auch unterschiedlich in der jeweiligen Argumentation, so hielten es diese beiden Gruppen im Ergebnis übereinstimmend für notwendig, den neuen Bedingungen der Arbeitsbeziehungen auch im Unternehmen Rechnung zu tragen. Mit Verweis auf die spezifische Kriegs- und Nachkriegserfahrung kritisierten sie die herkömmliche Praxis betrieblicher Sozialbeziehungen und forderten dazu auf, mit Hilfe wissenschaftlichen Wissens neue „angemessene“ Formen und Maßnahmen zu entwickeln.

Im Unterschied zu Rationalisierungsingenieuren bezogen sich Personalexperten und Psychologen auf humanwissenschaftliches Wissen und beanspruchten, es zum Ausgangspunkt betriebspraktisch relevanter Verfahren, respektive Ordnungsvorstellungen zu machen. Betriebliche Humanexperten traten nach 1945 in Westdeutschland erstmals nachhaltig in Erscheinung. Nicht nur der technische Denkstil der Rationalisierungsexperten erhielt dadurch unignorierbare Konkurrenz. Gleichzeitig gerieten damit auch Grundfesten der herkömmlichen betrieblichen Sozialordnung unter Druck. Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen wurden von unterschiedlichen Akteuren auf verschiedenen Ebenen, aber mit zahlreichen Wechselwirkungen geführt. Im Ergebnis entstand so ein neues Handlungsfeld: das personalpolitische Feld.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort8
Einleitung: Experten für Humankapital12
Voraussetzungen40
1. Betriebliche Sozialpolitik – Unternehmerische Kompensationsstrategie ohne humanwissenschaftlich gestützte Expertise, 1900 – 194542
2. Zwischen Konfrontation und Kooperation – Arbeitsbeziehungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit92
Der Mensch im Mittelpunkt? Die Entstehung des personalpolitischen Felds, 1945 – 1955114
3. „Soziale Betriebsgestaltung“ – Initialzündung des personalpolitischen Felds118
4. „Soziale Rationalisierung“ – Die anthropozentrische ( Re-) Formierung technisch orientierter Experten170
5. Unternehmerische Neuorientierungen – Von der Experten- Debatte zum unternehmerischen Diskurs228
6. Die Praxis wissenschaftsgestützter Personalpolitik in Unternehmen – Drei Fallbeispiele266
7. Zwischenresümee: Das personalpolitische Feld als Ort der Neuorientierungen nach 1945324
Führung statt Partnerschaft Das personalpolitische Feld in Unternehmen, 1955 – 1977334
8. Vom „Neuen Betrieb“ zur „Deutschen Gesellschaft für Personalführung“: Der Aufstieg der Personalexperten, 1955 – 1968336
9. Die Einrichtung ausdifferenzierter Personalabteilungen und ihre Auswirkungen auf die Sozialordnung westdeutscher Unternehmen, 1965 – 1977372
Experten für Humankapital – Zentralakteure einer liberal- demokratisch und kapitalistisch geprägten Gesellschaft422
Anhang438
Quellen- und Literaturverzeichnis448
Register478

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