2 Was Personaler erwarten
Urteile nicht über jemanden, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist.
Indianisches Sprichwort
Ob Sie Ihren Wunschjob bekommen oder nicht, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: zum einen davon, ob Sie über die erforderliche Qualifikation verfügen, zum anderen davon, ob es Ihnen gelingt, die Personalverantwortlichen von Ihrer Persönlichkeit zu überzeugen. Die Fähigkeit, andere Menschen für sich zu gewinnen, ist die wichtigste aller Fähigkeiten überhaupt. Nur wenn Sie andere Menschen davon überzeugen, dass Sie ihnen einen Vorteil bieten können, werden sie sich für Sie entscheiden.
Das ist gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Grundsätzlich lassen sich Menschen gern gewinnen und sind durchaus bereit, neue Beziehungen einzugehen, wenn sie aufrichtiges Interesse empfinden, Gemeinsamkeiten entdecken und spüren, dass sie einem vertrauen können. Zeigen Sie Motivation, Leistungsbereitschaft, Fachwissen und auch angenehme Umgangsformen, fällt es Ihnen umso leichter, Sympathien zu gewinnen.
Folglich besteht Ihre Aufgabe zu Beginn eines Vorstellungsgesprächs darin, aktiv an einem konstruktiven Gesprächsklima mitzuwirken. Zeigen Sie, dass Sie kein Bittsteller, sondern selbstbewusst und von Ihrer Bewerbung überzeugt sind. Infolgedessen wird man Ihnen auch weniger knifflige Fangfragen stellen. Schließlich hat der Personaler nicht das Gefühl, Ihnen auf die Schliche kommen zu müssen. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die große Wirkung erzeugen. Beispielsweise werden Sie zu Beginn eines Gesprächs meist gefragt, ob Sie das Unternehmen gut gefunden haben. Was antworten Sie? „Ja, kein Problem, ich habe gut hergefunden“ oder „Nein danke“ sind nicht die beste Wahl. „Ich wohne ja hier am Ort und kenne das Unternehmen schon von Kindesbeinen an“ oder „Der Weg war leicht zu finden, vielen Dank. Ich habe mich ausführlich im Internet informiert und die Anfahrtsskizze heruntergeladen. Außerdem ist der Weg durch den Ort ja hervorragend ausgeschildert …“ hört sich da schon besser an und bietet Anknüpfungspunkte für den folgenden Smalltalk.
Wenn Sie gefragt werden, ob Sie etwas trinken möchten, sollten Sie nicht nur mit „Nein danke“ antworten. Aus falscher Bescheidenheit wird dieses Angebot leider häufig abgelehnt. Man hat Ihnen etwas angeboten und Sie sollten diese Höflichkeit nicht zurückweisen. Vielleicht möchte Ihr Gesprächspartner selbst etwas trinken. Darüber hinaus können Sie später einen Schluck Wasser zu sich nehmen und so eine Gesprächspause überbrücken. Die bessere Antwort lautet daher: „Gern nehme ich ein Glas Wasser, vielen Dank.“
Denken Sie immer daran: Sie sind ein interessanter und qualifizierter Bewerber. Wäre dem nicht so, hätte man Sie nicht zu einem Gespräch eingeladen. Nur wer von sich selbst überzeugt ist, kann andere für sich gewinnen. Bedenken Sie aber auch, dass überzogen zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein als Arroganz empfunden wird und keinen sympathischen Eindruck hinterlässt. Sie müssen das richtige Maß finden. Es kann durchaus vorkommen, dass Sie nicht jeden Job bekommen, für den Sie sich bewerben, aber Sie müssen immer von sich selbst überzeugt sein und daran glauben, dass Sie es schaffen können.
Wer sind die Interviewpartner?
Im Gegensatz zu schriftlichen und dadurch objektiv messbaren Testverfahren werden Bewerbungsgespräche subjektiv durch den Personalverantwortlichen bewertet. Anders als im Testverfahren kann sich der Personalverantwortliche nicht zurücklehnen und Ihnen dabei zusehen, wie Sie einen Leistungstest bearbeiten, um schließlich den Nachweis über Ihr Können schwarz auf weiß in den Händen zu halten. Idealerweise soll der Personaler aber nicht nur Ihre Sozial- und Fachkompetenz innerhalb von 60 bis 90 Minuten einschätzen, sondern Ihnen zugleich ein positives Bild vom Unternehmen zeichnen. Denn bekanntermaßen ist ein Vorstellungsgespräch eine Präsentation für beide Seiten: Sie überlegen, inwiefern das Unternehmen zu Ihnen passt – und umgekehrt. Zur Aufgabe des Personalers gehört daher auch, das Unternehmen für den Bewerber attraktiv zu machen und Sympathien zu wecken. Sollte der Bewerber jetzt nicht der neue Mitarbeiter werden, so ist er dennoch Meinungsbildner und kann darüber hinaus als Kunde oder in ein paar Jahren als erneuter Bewerber interessant sein. In gewisser Weise verfolgen Sie als Bewerber also ähnliche Ziele wie Ihr Gesprächspartner aus der Personalabteilung: Sie möchten beide den anderen für sich gewinnen. Sie möchten beide Informationen erhalten, um die jeweils andere Seite mit den eigenen Zielen und Möglichkeiten zu vergleichen.
Der Psychologe Professor Dr. Heinz Schuler drückt es folgendermaßen aus: „Während der Bewerber sich um ein Einstellungsangebot bemüht und die mögliche Unterschätzung seiner Person durch Selbstdarstellung zu kompensieren sucht, ist die vorrangige Intention des Interviewers darauf gerichtet, den Pferdefuß am Bewerber zu erkennen. Überdies überschätzt er die Attraktivität seines Unternehmens und zieht aus der Bewerbung den Schluss, der Bewerber möchte auf alle Fälle in dieser Organisation arbeiten. Dass der Bewerber gleichzeitig 20 Bewerbungen verschickt hat und vielleicht nur auf ein gutes Angebot hofft, um in der derzeitigen Firma Bleibeverhandlungen führen zu können, zieht der Interviewer nicht ernsthaft in Betracht. Um attraktive Bewerber zu gewinnen, zahlt der Interviewer mit gleicher Münze und stellt sein Unternehmen ebenfalls beschönigt dar. Damit ist er erfolgreich, bewirkt allerdings eine um 5 bis 10 Prozent höhere Fluktuationsrate im ersten Berufsjahr, als es bei realistischen Vorinformationen der Fall wäre.“
In der Hand des Interviewers liegt es, Informationen über Organisation, Arbeitsplatz und Tätigkeitsprofil so darzustellen, dass das Unternehmen attraktiv erscheint. Andererseits muss er dem Bewerber auf den Zahn fühlen. Es wundert daher nicht, dass die Redezeit des Personalers ungefähr doppelt so lang ist wie die des Bewerbers. Um all diesen Anforderungen gerecht zu werden, verfügt der ideale Personaler nach Meinung des amerikanischen Persönlichkeitspsychologen Fear daher über die folgenden Eigenschaften:
- Herzliches, engagiertes Wesen
- Sensibilität in sozialen Situationen
- Angemessene Intelligenz
- Analytisches Denken und kritisches Urteil
- Anpassungsfähigkeit
- Persönliche Reife
Da es sich bei sozialer Kompetenz und Intelligenz um zwei unabhängige Merkmalsbereiche handelt, ist es entsprechend schwierig, Interviewer zu finden, die beides in hohem Maße mitbringen. Ein Ergebnis von Fredriksen, Carlson und Ward aus dem Jahre 1984 verdeutlicht die Thematik: Sie fanden bei denjenigen Medizinstudenten die geringste Wärme und Unterstützung, die über die besten wissenschaftlichen Kenntnisse verfügten. Die Wissenschaftler Furnham & Beck kamen darüber hinaus zu dem Schluss, dass erfahrene Beurteiler strengere Urteile abgeben als weniger routinierte Kollegen. Erstaunlicherweise weiß man aber nicht, warum sich erfahrene Beurteiler ein strengeres Urteil anmaßen: Die Erfahrung der Interviewer brachte nämlich keine verbesserte Validität hervor. Ihre Erfolgs- oder Trefferquote war vergleichbar mit denen der unerfahreneren (und gnädigeren) Kollegen … So geht man davon aus, dass die Erfahrung nur die subjektive Sicherheit des Interviewers erhöht, nicht mehr und nicht weniger. Ob Ihnen der erfahrene oder der unerfahrene Personaler mehr Fangfragen stellt, ist damit auch beantwortet: Der Personalprofi hat meist weniger Hemmungen, Sie in eine schwierige Antwortsituation zu bringen. Es fällt ihm daher leichter, entsprechende Fallstricke auszulegen.
Mancher Interviewer vertritt sogar die Auffassung, dass Freundlichkeit ihn zur Einstellung der Bewerber moralisch verpflichten könnte. Die Begründung dabei lautet: Wenn ich zu freundlich bin, dann rechnet der Kandidat damit, dass ich ihm ein Einstellungsangebot mache, und das möchte ich vermeiden. Das würde mich in die unangenehme Lage bringen, dem Bewerber diese Erwartung anschließend wieder ausreden zu müssen.8
Was sind strukturierte Bewerbungsgespräche?
Um ein möglichst objektives Vorgehen zu erzielen, wenden manche Interviewer...